1
Säure-Base-Katalyse bei physiologischem pH-Wert: Zink(II) in Carboanhydrase und hydrolytischen Zinkenzymen
Die schwache Brønsted-Säure Wasser wird deutlich saurer, wenn sie an die Lewis-Säure Zn2+ koordiniert. Die konjugierte Base OH– steht im aktiven Zentrum des Enzyms in hoher Konzentration als zinkgebundenes Nukleophil zur Verfügung. Im aktiven Zentrum des Enzyms findet so Säure-Base-Katalyse bei konstantem pH-Wert statt.
Zinkenzyme
Für den Menschen sind nur wenige Übergangsmetalle essenziell. Wird die bloße Menge an Metall betrachtet, so finden sich im Grammbereich lediglich Eisen mit ≈ 3−5 g und Zink mit 2 g, im 100-mg-Bereich Kupfer. Cobalt, Mangan und Molybdän treten hinter diese drei wichtigsten Elemente zurück – vor allem, wenn die Zahl an Enzymen betrachtet wird, die das jeweilige Metall enthalten. Gerade bei Zink zeigt sich dabei der Zusammenhang zwischen den verfügbaren Detektionsmethoden und dem Erkennen eines Proteins als Zinkenzym. Als diamagnetisches, farbloses d10-Ion ohne Redoxchemie fallen nämlich einige Detektionsmöglichkeiten aus. So bleiben, von der Röntgenstrukturanalyse an Einkristallen abgesehen, die Atomabsorptionsspektroskopieund – als Methode zur Detektion nicht zu fest gebundenen Zinks – die Fluoreszenzspektroskopie an Zinkchelaten, die ihre fluoreszierenden Eigenschaften nur im zinkgebundenen Zustand zeigen, nicht für den freien Ligand. Ein Motiv für die intensive Suche nach weiteren Zinkproteinen ist ein genetischer Befund. Abhängig von den angewandten Kriterien zeigt die Sequenz der menschlichen DNA an, dass 3–10 % des Genoms Zinkproteine codieren. Für den oberen Wert hieße dies, dass der Mensch ca. 3000 Zinkenzyme ausbilden könnte, von denen bislang nur ca. 200 bekannt sind.
1.1 Carboanhydrasen
Carboanhydrasen sind im Tier- und Pflanzenreich weit verbreitet. Eine Carboanhydrase (CA) war das erste der heute bekannten Enzyme, die als Zinkenzyme erkannt wurden. Genetisch werden verschiedene CA-Familien unterschieden (α-, β-, γ-, δ- und ζ-CAs). Im Menschen kommen α-CAs vor, die ihrerseits wieder in derzeit 15 verschiedene Formen („Isozyme“) zerfallen. Die Formenvielfalt spiegelt wider, dass CAs zahlreiche Aufgaben haben, so sind sie auch beim ständigen Umbau des Skeletts beteiligt (biologischer Apatit enthält Carbonat). Da sie außerdem bei vielen Krankheitsbildern eine Rolle spielen, sind CAs Ziel der Wirkstoffentwicklung.
Die von CA katalysierte Reaktion mutet fast primitiv an, da „nur“ eine Gleichgewichtseinstellung zwischen Lösung und Gasraum vorbereitet wird – so katalysiert bei uns Menschen Carboanhydrase II die Reaktion zwischen dem Hydrogencarbonat des Blutplasmas und dem Kohlendioxid in den Lungenbläschen:
Dass dieser einfache Vorgang kinetisch gehemmt ist und der Katalyse bedarf, erkennt man spätestens dann, wenn man im Biergarten vor einer frisch gezapften Maß sitzt. Auch nach längerer Zeit „bitzelt“ ein Schluck auf der Zunge. Es wird also noch Kohlensäure freigesetzt, die (Gott sei Dank) eben nicht in den ersten Sekunden nach dem Zapfen die wässrige Phase verlassen hat, um so das thermodynamische Gleichgewicht einzustellen – wirksames Veratmen von CO2 ist unkatalysiert also offensichtlich nicht möglich. (Auch das Prickeln auf der Zunge wird übrigens durch eine dort lokalisierte Carboanhydrase IV bewirkt [10].)
1.1.1 Molekülbau von humaner Carboanhydrase II (hCA II)
Die meisten CAs bestehen aus einem einzelnen Proteinstrang von ca. 260 Aminosäuren. Es sind mehr als 400 Strukturanalysen an CAs und CA-Hemmstoff-Komplexen in der PDB hinterlegt (abzufragen unter carbonic anhydrase). Die durch β-Faltblatt- und ungeordnete Abschnitte charakterisierte Molekülstruktur von humaner Carboanhydrase II ist in Abb. 1.1 gezeigt.
Im aktiven Zentrum binden drei Histidinreste ein vierfach koordiniertes Zinkion (Abb. 1.2). Die vierte Koordinationsstelle wird von einem Aqua/Hydroxido-Liganden belegt. Unter den Aminosäureseitenketten in der näheren Umgebung des aktiven Zentrums wird der Histidin-64-Rest in der Rolle eines Protonenüberträgers gesehen. Es liegen Strukturanalysen vor, die sowohl CO2-beladene hCA II zeigen, als auch dasselbe Enzym in der Hydrogencarbonatform. Beide Zustände sind durch Wasserstoffbrückenbindungen charakterisiert, in die der Aqua/Hydroxido-Ligand, zwei Wassermoleküle im typischen 3-Å-Abstand und die Hydroxygruppe einer Threoninseitenkette eingebunden sind. In der CO2-beladenen Form ist das Kohlendioxidmolekül über weitere Wasserstoffbrückenbindungen für den Angriff eines OH−-Nukleophils räumlich korrekt positioniert (in zinkfreier CA führt die Beladung mit CO2 zu derselben räumlichen Anordnung des Substrats). Abbildung 1.2 zeigt das Ergebnis der Strukturanalyse; zur besseren Übersicht ist der über eine „In“- und eine „Out“-Konformation fehlgeordnete His64-Protonenüberträger nicht dargestellt (His64 liegt links vom aktiven Zentrum). Das Wassermolekül oberhalb des Aqualiganden („deep water“) nimmt in der substrat- und produktfreien Form des Enzyms ungefähr den Platz des oberen O-Atoms des CO2-Moleküls ein. Bei der Bindung des Substrats wird dieses Wassermolekül aus seiner Ruhelage gedrängt.
Abb. 1.1 Humane CarboanhydraseII in 1,56 Å Auflösung (PDB-Eintrag 2VVA). Eine mit 0,9 Å hochaufgelöste Struktur wird in 3KS3 beschrieben.
Abb. 1.2 Das aktive Zentrum der in Abb. 1.1 dargestellten CO2-beladenen hCA II.
Die in Abb. 1.3 gezeigte Struktur mit der hydrogencarbonatbeladenen Form suggeriert einen einfachen Ablauf der Katalyse. Das korrekt positionierte Elektrophil CO2 und der Aqua/Hydroxido-Ligand scheinen ohne nennenswerte Bewegung der Umgebung einen -Liganden gebildet zu haben. Es sollte jedoch beachtet werden, dass das Proton des Hydroxidoliganden (das in der Röntgenstrukturanalyse nicht sichtbar ist) im Produktkomplex nicht am zinkgebundenen O-Atom gebunden ist. Der im folgenden gezeigte Katalysezyklus berücksichtigt dies.
1.1.2 CA-Katalysezyklus
Der Zyklus (Abb. 1.4) ist wie üblich als Umwandlung von CO2 in Hydrogencarbonat dargestellt, wie er bei der CO2-Aufnahme durch photosynthetisierende grüne Pflanzen abläuft. Man beachte, dass er im Gegenuhrzeigersinn abläuft, wenn CO2 ausgeschieden wird. Der Zyklus beginnt mit dem Enzym in der Ruheform, bei der wegen des pKa-Wertes des Aqualiganden von ca. 7 dieser vor allem in der Hydroxidoform vorliegt (pH-Wert des Blutplasmas: 7,4). Das vom Aqualiganden abgespaltete Proton wird über Wasserstoffbrückenbindungen letztlich der His64-Seitenkette zugeführt. Da es im weiteren Verlauf der Katalyse auf umgekehrtem Weg wieder in den Kreislauf zurückfließt, dient His64 als Protonenüberträger („proton shuttle“). Man beachte, dass eine wichtige Einzelheit einer wirksamen Katalyse darin besteht, dass alle während der Reaktion bewegten Fragmente einen definierten Bindungspartner vorfinden. Es ist also nicht nebensächlich, dass das Proton nicht in die Umgebung entlassen wird und dieser bei Bedarf wieder entzogen wird.
Abb. 1.3 Das aktive Zentrum von hydrogencarbonatbeladener hCA II in 1,66 Å Auflösung (PDB-Eintrag 2VVB).
Der Hydroxidoligand ist das eigentliche Agens, das nun das Elektrophil CO2 angreift. Im nächsten Schritt entsteht ein Hydrogencarbonatoligand. Die blau eingezeichneten Pfeile entsprechen den Vorstellungen, die in der Literatur als „Lindskog-Mechanismus“ bezeichnet werden. Dieser ist in den letzten Jahren bei computer-chemischen Rechnungen gegenüber einem konkurrierenden, hier nicht diskutierten „Lipscomb-Mechanismus“ wahrscheinlicher geworden. Die Formulierung der Kohlensäure im letzten Reaktionsschritt als Hydrogencarbonat spiegelt deren Säurestärke (pKa = 6,5) wider.
Abb. 1.4 Katalysezyklus für das Carboanhydrasezentrum.
Was ist nun der „Trick“ der Natur, ein Zinkzentrum mit CAAktivität auszustatten? Eine Prise Zinksulfat führt schließlich nicht dazu, dass aus kohlensäurehaltigen Lösungen sofort CO2 entweicht – und es ist auch nicht zu erwarten: der pKa-Wert des Aqua-Zink-Komplexes, der sich beim Lösen eines Zinksalzes bildet, liegt bei 9,0 (Tab. 24.8). Am Neutralpunkt und darunter liegt also nur wenig der konjugierten Base des Aquaions vor, also nur wenig zinkgebundenes Hydroxid. Die gegenüber dem hydratisierten Ion höhere Acidität der aktiven Zentren der CAs ist mit deren kleinerer Koordinationszahl im Einklang, und zwar im Sinne einer geringeren Kompensation der Lewis-Acidität eines freien Zn2+-Ions durch weniger Liganden. Diese Auffassung wird durch experimentelle (Punktmutationen) und computerchemische Arbeiten unterstützt, die den Verlust der CA-Aktivität beim Austausch des neutralen N-Donorliganden Histidin gegen den anionischen Carboxylat-O-Donor Aspartat zeigen. Mit dem Anstieg des pKa-Wertes nimmt die Konzentration an Hydroxidnukleophil beim physiologischen pH-Wert ab und damit die CA-Aktivität [5].
1.1.3 Cadmium als...