VORWORT
Zu Ostern 2011 sitzen drei junge Leute in der Küche einer viel zu heißen Dachgeschoss-Studentenbude in Freiburg im Breisgau. Sie trinken Kaffee, sie essen Toastbrot mit Nutella, reden viel, gehen zum Bier über, schaben sich ein bisschen Schleimhaut aus dem Mund.
Einer von ihnen heißt Rüdiger Trojok, groß gewachsen, lange dunkelblonde Haare, zum Pferdeschwanz gebunden, Stoppelbart, modische Brille. Er ist damals Biologiestudent, zu seinem Glück noch in einem Diplomstudiengang. Denn Bachelor und Master im Bologna-Korsett entsprechen nicht unbedingt seiner Vorstellung von Wissenserwerb und Jungforscherdasein. Er hat auch nicht unbedingt vor, nach dem Studium zu promovieren und sich mit unsicheren Aussichten zwischen die Mühlsteine der akademischen Karrieremühle zu begeben. Er will Forscher sein, ja. Molekularbiologe sogar, aber er will nach seinen eigenen Vorstellungen forschen. Er will Wissenschaft betreiben, aber nicht als Lakai eines Uniprofs, nicht als Teil eines überbürokratisierten Systems, in dem Strukturen, arrivierte Lehrstuhlinhaber, Interessengruppen, Geldtöpfe und die Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft bestimmen, was geforscht wird und was nicht, wer wo einen Job bekommt und wer nicht.
Zu Ostern 2011 findet in Freiburg das statt, was wir in »Biohacking – Gentechnik aus der Garage« später als den »Ersten Deutschen Biohack« bezeichnen werden. Einer der Autoren dieses 2013 im Hanser-Verlag erschienenen Buchs ist mit dabei an jenem Osterwochenende. Er heißt Sascha Karberg, ist ein renommierter Wissenschaftsautor und studierter Biologe, und auch er schabt sich im Mund herum, damit sich ordentlich Schleimhautzellen lösen. Die Dritte im Bunde ist Lisa Thalheim aus Berlin, damals Informatikstudentin, Computerhackerin und ebenfalls angehende Biohackerin. Sie hat sich jedenfalls gebraucht eine Maschine zum Vervielfältigen von Erbmaterial gekauft. Es ist ein Gerät, das ein paar Jahre zuvor noch den Wert einer Doppelhaushälfte in einer deutschen Vorstadt hatte, nun aber für weniger als 1.000 Euro zu haben war. Mit seiner Hilfe soll die DNA aus den Mundschleimhäuten der drei Mitstreiter im ersten deutschen Biohack aufbereitet werden.
Allein dass die damals Beteiligten auch fünf Jahre später noch in Sachen Biohacking unterwegs sind, zeigt, dass es nicht jene wirre Idee war, als die sie anfangs von vielen aus dem Bio-Establishment hingestellt wurde. Lisa etwa ist Organisatorin von Biohacking-Aktivitäten in Berlin. Sascha begleitet das Thema ebenso wohlwollend wie kritisch als Autor und Experte. Und Rüdiger ist heute einer der national und international aktivsten Protagonisten der Do-it-yourself-Biologie und arbeitet zudem als Technikfolgenanalyst auf diesem Gebiet.
Und er hat dieses Buch geschrieben. Es ist kein schneller Hack, sondern das Ergebnis jahrelanger Arbeit. Rüdigers Buch ist nichts anderes als ein Meilenstein. Es ist einerseits eine ganz neue Art von Biologiebuch, weil es Sach- und Lehrbuch und Praxisführer in einem ist. Es ist aber auch eine Standortbestimmung der modernen molekularen Biologie – aus einer Perspektive und für einen Standort, die sonst allzu häufig übergangen werden. Es sind Perspektive und Standort des normalen Bürgers und der normalen Bürgerin, die sich mit der typischen »Hände-weg-nur-gucken-das-ist-alles-eh-zu-kompliziert-und-potenziell-gefährlich-für-euch«-Attitüde vieler Profiforscher, Wirtschaftsvertreter und auch Politiker nicht mehr zufriedengeben wollen.
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Zu der Zeit, als dieses Buch kurz vor der Drucklegung steht, läuft in Paris nicht nur gerade die als entscheidend für die Zukunft des Planeten eingestufte Klimakonferenz. In Washington findet gleichzeitig auch eine Tagung zu den jüngsten Entwicklungen der Gentechnik statt. Es geht dort um Methoden, mit denen man gezielt Gene verändern und Erbanlagen reparieren – aber auch manipulieren – kann. Es ist eine Technik, die es zur Zeit des »Ersten Deutschen Biohacks« überhaupt noch nicht gab, die vier Jahre später aber bereits Standard in Labors weltweit ist. Sie und vieles andere, was heute »moderne Wissenschaft« heißt, sind teuer und bislang nur in Hightech-Labors machbar. Doch andere Techniken, die vor zehn Jahren noch genauso kostspielig wie kompliziert waren, sind heute viel einfacher, billiger oder schlicht als Serviceleistungen zu haben. Sie und die Geräte und Reagenzien dafür passen auch ins Budget eines ganz normalen und normalverdienenden interessierten Bürgers.
Die rasante Entwicklung der Biologie und die finanziell und technisch sinkenden Schwellen, zumindest ein bisschen moderne Biologie zu betreiben, sind zwei der Grundvoraussetzungen für Biohacking, DIY-Biologie, Biofrickeln – oder welche Bezeichnung auch immer einem zusagen mag. Die wichtigste Voraussetzung aber ist ein wachsendes Bewusstsein darüber, welche Implikationen moderne molekulare Biologie hat und noch haben wird: Denn diese sich rasant entwickelnde und in der Praxis immer machbarer werdende Wissenschaft samt ihren Technologien bringt vergleichbare Chancen und Risiken mit sich wie etwa der Klimawandel und die Technologien und Strategien, mit denen die Menschheit ihm begegnen wird. Beides ist etwas, was uns alle betrifft.
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Biohacker geben sich gern locker und sagen, sie wollten doch nur spielen. Das mag oft sogar stimmen. Und wer schon einmal erfolgreich einen Versuch durchgezogen hat – egal ob sich das Labor in der Waschküche in Opas Keller oder an einem renommierten Institut befand –, wird wissen, wie viel Spaß und Befriedigung so etwas bringen kann. Doch Biohacking auf eine Stufe mit Modelleisenbahnbastelei oder selbst dem Heimwerker-Restaurieren von Biedermeierkommoden zu stellen, greift doch zu kurz. Es kann zwar reine Spaßfrickelei mit Molekülen satt mit Lötzinn und Schraubenzieher sein, aber auch viel mehr. Und es hat durchaus Parallelen zum Computerhacking: Biohacking ist nicht die einzige, aber eine der potentesten Möglichkeiten, Technologien und Erkenntnisse, die jeden heute und in Zukunft auf diesem Planeten lebenden Menschen betreffen, zu verstehen, zu nutzen und kennenzulernen – und zu den Betroffenen zu bringen. Beziehungsweise zu holen.
Denn gebracht – von den Habenden – wird nach wie vor wenig. Etablierte Wissenschaftler sind ebenso wie Politiker und Administratoren meist, zurückhaltend formuliert, zurückhaltend. Ihr Wissen können Forscher kaum zurückhalten, denn sie müssen es ja publizieren, sonst ist es nichts mit der Karriere. Aber die Anwendung dieses Wissens oder vielleicht gar die hackertypische Umwidmung von Wissen und Technik zu etwas ganz Neuem durch Amateure, Bastler, Hacker ist ihnen nicht geheuer.
Zwar sollen sich Bürger und Wissenschaft näherkommen – an »Tagen der offenen Tür« und in »langen Nächten« sowie über PR, in die Unis und Institute nicht geringe Ressourcen stecken. Auch »Citizen Science«, in der Bürger tatsächlich selbst bei der Wissenschaft mitmachen sollen, ist in aller Munde. Aber Letzteres bitte direkt kontrolliert und dirigiert und eher im Sinne von Zuträgern, Hiwis, Jägern und Sammlern, die Beobachtungen beisteuern oder Proben nehmen und einschicken. Das ist unerlässlich, wenn man etwa flächendeckend herausfinden will, welche Vögel in deutschen Gärten und welche Bakterien in amerikanischen Feuerlöschteichen wachsen. Alles mit klar verteilten Rollen. Aber Gentechnik aus der Dachkammer oder der Garage? Bitte nicht.
Die biotechnologische Gegenwart ist jedoch kein Wunschkonzert für geladene Gäste aus Academia und Politik. Sie ist ein Fakt voller Fakten. Zu diesen Fakten gehört auch, dass Biotechnologie, je machbarer sie wird, auch machbarer wird für ganz normale Leute mit jeder Menge Ideen. Und von denen kann die eine oder andere vielleicht zu einer echten Innovation führen, auf die ein Profiforscher nie gekommen wäre. Aber natürlich wird sie auch machbarer für solche Leute, die tatsächlich besser die Hände davon lassen sollten.
Es ist ein verständlicher Reflex, aufgrund dieser zuletzt genannten Möglichkeit Verbote zu fordern.
Allerdings zeigt die Geschichte aller Verbote und aller verbotenen chemischen, physikalischen und auch biologischen Bastelei – von aufgebohrten Kraftfahrzeugteilen über Schnapsbrennen bis zum Bombenbau –, dass man Bastelei zwar verbieten, aber nicht verhindern kann. Das gilt ganz speziell auch für die Bastelei mit moderner Technologie: das Hacking von elektronischer Hard- und Software.
Es wird auch gelten für die Bastelei mit der Hard- und Software des Lebens.
Es gibt eine Menge Gründe, Biohacking und DIY-Biologie positiv zu sehen. Der schon erwähnte Spaß, den das alles machen kann, ist einer davon. Die Möglichkeit, dass viel Interessantes, Innovatives, Nützliches herauskommt, wenn sich viele Leute mit begrenzten Mitteln, aber mit unbegrenztem Enthusiasmus und grenzenlosen beruflichen, privaten und intellektuellen Hintergründen jenseits von Institutsmauern und Mainstream-Forschung für etwas einsetzen, ist ein...