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E-Book

A bissel was geht immer

Unvollendete Erinnerungen

AutorHelmut Dietl
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783462316513
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Helmut Dietls letzter Film ist dieses Buch Bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr hat der große Filmregisseur Helmut Dietl an seiner Autobiografie gearbeitet. Das Ergebnis ist ein Buch, mit dem Helmut Dietl uns noch einmal überrascht - als exzellenter Schriftsteller. Brillant und auf genau die hintergründig-komische Art, die wir von ihm als Regisseur von »Kir Royal« oder »Rossini« kennen, erzählt Helmut Dietl hier über seine bayerisch-münchnerische Kindheit und seine Aufbrüche ins Leben. Da sind die Großväter, der eine Kommunist und KZ-Häftling, der andere Stummfilmstar. Da sind die sich ewig bekämpfenden Großmütter. Ein undurchsichtiger Vater und eine tapfere Mutter, die sich für ihren Sohn aufopfert. Wir erleben ein Feuerwerk von Liebes-, Trennungs- und Reisegeschichten, seine turbulente Zeit bei den Feldjägern und die ersten Schritte in die Welt des Films an der Seite schillernder Figuren wie Elfie Pertramer oder Walter Sedlmayr. Vor allem aber ist dies eine Hommage an all die Frauen, die Helmut Dietl bereits als junger Mann verzaubert haben. Schon früh wird hier sichtbar, was Helmut Dietl sein ganzes Leben war: ein Mann, der die Frauen liebte. Selten sind die spießigen Fünfziger- und Sechzigerjahre und die frühen Gegenwelten der Schwabinger Boheme sokomisch und unterhaltsam geschildert worden wie in diesem Buch, das von seiner Frau Tamara Dietl herausgegeben wird. Mit einem Nachwort von Patrick Süskind.

Helmut Dietl (1944-2015) war zuerst Aufnahmeleiter und Regieassistent an den Münchner Kammerspielen. Bekannt wurde er durch herausragende TV-Serien wie »Münchner Geschichten« (1974), »Der ganz normale Wahnsinn« (1979), »Monaco Franze« (1983) und »Kir Royal« (1986) sowie durch Kinofilme wie »Schtonk« (1992), »Rossini« (1997) und »Late Show« (1999). Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. 1992 eine Oscar-Nominierung für »Schtonk«.

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Leseprobe

Vorwort


Helmuts letzter Film ist dieses Buch. Wer es liest, wird einem bisher unbekannten Helmut Dietl begegnen. Einem Helmut Dietl aus einer Zeit, als er noch nicht der Helmut Dietl war. Aus der Zeit vor den Münchner Geschichten, dem Monaco Franze und Kir Royal, vor Schtonk und vor Rossini. Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Das war an einem sehr heißen Abend im Sommer 1997, und Helmut war schon lange der Helmut Dietl.

Es war eine Begegnung der Blicke. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Irgendeine Medienfirma hatte zu einem Empfang ins Kölner »Wasserturm«-Hotel geladen. Ich sah Helmut inmitten von Schauspielerinnen, Agentinnen und anderen Damen der Filmwelt. Es war eine Szene wie aus seinen Filmen, und er selbst verkörperte sein eigenes Klischee. Ganz in Weiß gekleidet saß er da und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Mir kamen Szenen aus Rossini in den Sinn, einem seiner größten Erfolge, der zu Beginn desselben Jahres dreieinhalb Millionen Zuschauer in die Kinos gelockt hatte.

Immer wieder schaute er zu mir herüber, und ich schaute zurück. Es war diese melancholische Genugtuung in seinem Blick, die mich zutiefst berührte. Und gleichzeitig war ich irritiert von der irreal anmutenden Mischung aus Fiktion und Wirklichkeit, die sich in dieser Szene spiegelte und die mich noch lange beschäftigte.

 

Drei Monate später sahen wir uns wieder. Diesmal in München, zum Abendessen im »Romagna Antica«, natürlich genau in jenem italienischen Lokal, das als reales Vorbild gedient hatte für das fiktive Restaurant »Rossini«. Wieder mutete die Szenerie irritierend unwirklich an, und irgendwie hatte ich den ganzen Abend das Gefühl, im falschen Film zu sein. Am Tisch hinter Helmut – selbstverständlich wieder in Weiß und natürlich wieder ketterauchend – saß der laut monologisierende Bernd Eichinger mit ein paar Schauspielerinnen, die an seinen Lippen hingen. Helmut plante damals einen Spielfilm über das Leben und Sterben des bayerischen Schauspielers Walter Sedlmayr, den er seit den 1960er-Jahren kannte, der oft bei ihm gespielt hatte und der 1990 ermordet worden war. Ich hatte für SPIEGEL TV eine Dokumentation über den Tod von Walter Sedlmayr gemacht, und Helmut meinte, ich könne ihm deshalb vielleicht bei dem Drehbuch behilflich sein.

 

Irgendwie war jener Abend der eigentliche Beginn unserer Liebe – auch wenn es noch über zwei Jahre dauern sollte, bis wir endgültig zusammenkamen. Es war der Moment, in dem wir unser gemeinsames Lebensthema entdeckten: die großen Fragen des Künstlers an das Zusammenspiel von Realität und Fiktion. Die ganze Nacht philosophierten wir über den Unterschied zwischen dem »echten« Leben und dem Leben auf der Leinwand. Für Helmut, so begriff ich irgendwann in den frühen Morgenstunden, spielten am Ende weder Wirklichkeit noch Fiktion die eigentliche Rolle.

Ihm ging es vielmehr um die Wahrheit; um die Kunst, in all seinen Geschichten die Wahrheit hinter der Wirklichkeit zu erzählen. Mit seinen Komödien und Satiren die Wahrheiten der menschlichen Seele zu entlarven, ihre Schwächen, ihre Stärken, ihre Sehnsüchte, Ängste und auch ihren Selbstbetrug – diese Kunst war sein Leben, und darin war er genial.

Die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens habe ich mit ihm gemeinsam verbracht und die Entstehung von zwei Filmen miterlebt. Habe miterlebt, wie unendlich hingebungs- und mühevoll sein künstlerisches Ringen um eben diese Wahrheit war. Habe miterlebt, wie Zettl, seine Satire über die Berliner Republik, 2012 mit den gnadenlosen Verrissen der Filmkritiker regelrecht hingerichtet worden war. Helmut hat aufs Schmerzlichste unter dieser Häme gelitten – als Mensch und auch als Künstler. Er fühlte sich zutiefst unverstanden durch die Vorwürfe, dass die Republik, wie er sie in Zettl gezeichnet hat, so in Wirklichkeit doch gar nicht sei. Verbittert schüttelte er über so viel Ignoranz den Kopf – weil es ihm eben gerade nicht um die Wirklichkeit, sondern um die Wahrheit der Berliner Republik gegangen war.

Nach dem Flop von Zettl fiel er in eine schwere Depression und eine große Schreibblockade. Nie wieder werde er einen Film machen können – davon war er überzeugt. Er begann Antidepressiva zu nehmen, in der Hoffnung, die Kränkung auf diese Weise bekämpfen zu können. Die Psychopharmaka halfen ihm dabei, nicht völlig in der eigenen, der inneren Dunkelheit zu versinken. Aber die Schreibhemmung konnten sie nicht lösen.

»Ich werde meine Memoiren schreiben«, verkündete er eines Morgens beim Frühstück. Er hatte wieder einmal die halbe Nacht nicht geschlafen und den Kampf gegen die Dämonen im Morgen-Grauen für verloren erklärt.

»Was hältst du davon?«, fragte er mich, ohne meine Antwort abzuwarten. »Wenn ich keinen Film schreiben muss, fällt mir das Schreiben vielleicht wieder leichter.«

 

Und genau so kam es. Helmut begann an seinen Memoiren zu schreiben und überwand auf diese Weise seine Schreibblockade. Wie früher bei seinen Drehbüchern arbeitete er auch diesmal enorm diszipliniert. Jeden Tag mehrere Stunden lang. Mit einem – wesentlichen – Unterschied allerdings. Er schrieb allein. Für das Verfassen seiner Drehbücher hatte er immer ein Gegenüber gebraucht, einen Koautor. »Hat auch was«, sagte er eines Tages amüsiert über sich selbst. »Hat wirklich was, gleichzeitig sein eigener Autor und Koautor zu sein.«

Monatelang schrieb er, ohne dass ich etwas lesen durfte, dafür aber immerhin von seiner zunehmend besseren Laune profitieren konnte. Sein Schreibtisch füllte sich langsam, aber stetig mit seinen kleinen feinen Kalendern der letzten vierzig Jahre, die ihm als Notiz-Tagebücher gedient hatten. Als ich ihn irgendwann einmal nach seinen Fortschritten fragte, antwortete er triumphierend: »Ich bin schon bei fast zweihundert Seiten und noch lange nicht das erste Mal verheiratet.«

 

Es war ein wunderschöner Sommerabend im Jahr 2013, als er mich fragte, ob ich Lust hätte, etwas aus seinen Memoiren zu hören. Unsere Tochter Serafina war bereits ins Bett gegangen, und wir saßen auf unserer Terrasse hoch über den Dächern von München. Er holte eine Flasche Rotwein und sein Manuskript. Dann begann er zu lesen. Die halbe Nacht lang. Und ich begann zu staunen. Das waren nicht die Memoiren, die ich erwartet hatte. Das war Literatur – und zwar vom Allerfeinsten. Wundervolle Prosa, die mich sehr beeindruckte. Eine brillante Erzählung über seine Kindheit und Jugend im München der Nachkriegszeit, die abgöttische Liebe zu seiner Mutter Else, die sich für ihn aufgeopfert hatte, über die latente Verachtung für den alkoholkranken Vater, der die Familie früh verlassen hatte. Seine Aufbrüche ins Leben, die Zeit beim Militär, seine ersten Berührungen mit der Welt des Films. Vor allem aber seine ersten Berührungen mit der Welt der Erotik – seine zärtliche, poetisch-sinnliche Liebeserklärung an die Frauen rührte mich am meisten. Helmut war schon sehr früh das, was er sein Leben lang geblieben ist: ein Mann, der die Frauen liebte.

»Du bist ein Schriftsteller geworden durch die Arbeit an diesem Buch«, sagte ich am Ende seiner Lesung. »Bin ich nicht geworden, Liebling, war ich schon immer«, erwiderte er. »Ich war immer ein Autor. Regisseur bin ich nur deshalb geworden, weil es niemanden gab, der meine Drehbücher genauso gut hätte inszenieren können wie ich selbst.«

 

Helmut schrieb weiter an dieser wunderbaren Geschichte seines Lebens. Mit großer Befriedigung schrieb er daran, jeden Tag, viele Stunden lang.

Bis zum 8. Oktober 2013. Bis zu jenem schicksalhaften Tag, an dem er seine Krebsdiagnose bekam. Danach war Schluss mit dem Schreiben, jedenfalls erst einmal. Über zweihundertfünfzig Seiten hatte er bis dahin geschafft – und war noch immer nicht das erste Mal verheiratet.

Als sich im Frühsommer 2014 sein Zustand nach der Strahlenchemotherapie stabilisierte, wollte er weiterschreiben. Aber es gelang ihm nicht mehr richtig. »Vielleicht kann man als Schwerkranker nicht wirklich gut sein eigener Koautor sein«, bemerkte er eines Tages und rief seinen Freund Patrick Süskind an. Er solle seine Kalender und Tagebücher aus den frühen Jahren mitbringen. Patrick kam, und bei einer »guten Tasse Tee« (Süskind) begannen die beiden die gemeinsame Zeit zu rekonstruieren. Viele Nachmittage ging das so, immer bei einer guten Tasse Tee und, wie mir schien, einer zarten und heiteren Freude über die gemeinsam verbrachte Lebenszeit.

Eines Morgens setzte sich Helmut wieder an seinen Laptop und schrieb weiter. Allerdings nicht da, wo er aufgehört hatte. Sondern da, wo er mit Patrick begonnen hatte, Kir Royal zu erfinden. »Dazu fällt mir im Moment am meisten ein«, sagte er. »Über die Zeit dazwischen werde ich später schreiben.«

 

Zu dem Später ist es nicht mehr gekommen. Im Dezember 2014 begann Helmuts Lungenkrebs Metastasen in die Wirbelsäule zu streuen. Im Februar 2015 gaben wir schließlich die Hoffnung auf Heilung auf und ersetzten sie durch die Hoffnung auf ein würdevolles Sterben bei uns zu Hause. Diese Hoffnung wurde erfüllt. Eine Woche bevor er starb, sprach Helmut noch einmal über seine Memoiren, die nun unvollendet bleiben mussten. Er bat mich, sie nach seinem Tod zu veröffentlichen.

»Für das, was ich nicht mehr geschafft habe, können die Leute ja meine Serien und Filme schauen«, sagte er mit einem Lächeln und dieser melancholischen Genugtuung im...

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