3Kapitel 1: Besser als die Besten
„Wenn ich Musik mache, fühle ich mich wie in
einer wunderschönen, grenzenlosen Welt.”
Im Jahr 2008, mitten im zerstörten Irak – einem Land religiöser und ethnischer Spaltungen, Elend und Krieg – hatte Zuhal Sultan einen Traum. Die 17-jährige irakische Pianistin wollte das erste nationale Jugendorchester ihres Landes gründen und damit ins Ausland reisen. Im Irak gab es jedoch nur wenige, professionell ausgebildete Musiker oder Musiklehrer, geschweige denn hochwertige Instrumente. Dazu kamen die kulturellen Unterschiede zwischen den irakischen Jugendlichen, die Jahrhunderte zurückreichten.
Wo also anfangen? Zuhal recherchierte im Internet und stieß auf Paul MacAlindin, einen schottischen Dirigenten, der sich bereit erklärte, das National Youth Orchestra of Iraq (NYOI) zu leiten.
MacAlindin brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass er sowohl Stratege als auch Musiker sein müsste, da das Orchester keine Chance haben würde, wenn es zu denselben Bedingungen in Wettbewerben anträte, wie andere nationale Jugendorchester. Der Wettbewerb in der Branche war sehr hart und dominiert von altehrwürdigen, europäischen Jugendorchestern aus Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien. Sie bestanden aus sehr gut ausgebildeten jungen Musikern mit großartigen technischen Fähigkeiten, engagierten erstklassigen Gastsolisten und Dirigenten. Sie lieferten brillante Darbietungen klassischer Meisterwerke von Komponisten wie Brahms, Beethoven und Mahler. MacAlindin erkannte, dass man mit traditionellen Gepflogenheiten der Branche brechen musste, um sich hervorzuheben und trotzdem wenig Geld auszugeben. Man müsste neu definieren, was es heißt, ein nationales Jugendorchester zu sein.
Statt sich auf technische Exzellenz und musikalische Raffinesse zu konzentrieren, wollte sich das NYOI lieber darauf fokussieren, durch die Kraft der Musik zu heilen, tiefe Gräben zu überbrücken und den versteckten Glanz des reichhaltigen irakischen Erbes vorzuführen. Darum reduzierte MacAlindin die Abhängigkeit des Orchesters von musikalischer Exzellenz und einem raffinierten europäischen Repertoire und strich renommierte Gastsolisten und Gastdirigenten, wodurch die Kosten dramatisch zurückgingen.
Stattdessen vereinigten MacAlindin und Zuhal eine Gruppe jugendlicher Musiker, die traditionelle irakische Musik sowohl kurdischer 4als auch arabischer Herkunft spielen würden und sie auf dieselbe Basis brachten wie Haydn, Beethoven und Schubert, die sie ebenfalls spielten. Obwohl viele es nicht glauben konnten, brachte das NYOI junge Musikerinnen und Musiker zusammen, die sowohl Sunniten als auch Schiiten waren, Araber oder Kurden. Auf diese Weise bauten MacAlindin und Zuhal ein Orchester auf, das die Hoffnung der jungen Iraker offenbarte und die Verpflichtung, gemeinsam eine leuchtendere Zukunft aus den Trümmern des Krieges aufzubauen. NYOI-Mitglied Mohammed Adnan formuliert es so: „Musik ist die Sprache des Friedens und bringt die Menschen dazu, einander zu lieben. Wenn Musiker zusammensitzen und gemeinsam musizieren, kommunizieren sie genau das.“1
Das Ergebnis: Das NYOI wurde als das „Mutigste Orchester der Welt“ bekannt, ein Titel, den es zum ersten Mal vom britischen Sender Sky News bekam. Es ist sicher nicht die technisch perfekteste Gruppe junger Musiker. Aber es war vielleicht die Inspirierteste. Es setzte sich von anderen nationalen Jugendorchestern ab, gewann Preise, erhielt stehende Ovationen und Aufmerksamkeit in der ganzen Welt. Es lockte neue Zuhörer an, die noch nie zuvor ein klassisches Konzert besuchten und hatte unter den Jugendorchestern die meisten Follower in den sozialen Medien. Darüber hinaus zeigte es jungen Irakern, dass sie für ihr Land eine andere Geschichte schreiben konnten, als die von Zerstörung, Hass und Krieg – eine von Frieden, Hoffnung und Solidarität.2
Paul MacAlindin ist klug und ein guter Dirigent. Er arbeitet hart, um das Beste zu erreichen und hat eine Leidenschaft dafür, etwas zu bewegen. Er behauptet nicht von sich, ein Genie oder ein typischer Unternehmer zu sein. In vielerlei Hinsicht ist MacAlindin wie die meisten von uns. Trotz organisatorischer Beschränkungen, die von knappen Ressourcen bis zur begrenzten Anzahl von Toptalenten reichen, haben MacAlindin und sein junges Orchester eine Strategie entwickelt, die sowohl kreativ als auch preiswert war und die es dem Orchester ermöglichte, abseits des kämpferischen und festgefahrenen Wettbewerbs zu agieren.
MacAlindin und die jungen Musiker des NYOI sind damit nicht allein.
Von Orchestern zu Pommes-Frites-Maschinen
Betrachten wir die Groupe SEB, ein 1857 gegründetes, multinationales Unternehmen aus Frankreich. Wie die meisten großen, etablierten internationalen Konzerne wird die Groupe SEB von erfahrenen Managern geleitet, von denen viele schon seit etlichen Jahren bei dem Unternehmen sind – einem Unternehmen mit etablierter Kultur, seinem Anteil an Bürokratie und interner Politik. Wie die meisten kleineren 5Gerätehersteller sah sich das Unternehmen wachsendem, intensivem Wettbewerb und Margendruck ausgesetzt. Besonders seine elektrische Pommes-Frites-Maschine, die darum kämpfte, ihren Platz in einem Markt zu erobern, der pro Jahr um 10 % schrumpfte, war dafür ein typisches Beispiel.
Christian Grob, der damalige Leiter der Abteilung Elektrisches Kochen, erkannte die Notwendigkeit, aus diesem intensiven Wettbewerb ausbrechen zu müssen und begann zusammen mit seinem Team, die Situation zu verändern. Zahlreiche Manager der Groupe SEB waren einigermaßen skeptisch. Was konnte man denn tun, wenn das einzige Instrument, Verkäufe anzukurbeln, der Preis zu sein schien?
Grob und sein Team argumentierten anders. Was wäre, wenn alle Branchenwettbewerber unter genau denselben Annahmen handeln würden, aber diese Annahmen die Attraktivität und die Nachfrage ihrer Produkte einschränkten? Was würde passieren, wenn diese Annahmen nochmals überdacht würden? Grob und sein Team machten sich daran, genau das zu tun – die grundlegendsten Annahmen der Branche zu identifizieren und zu hinterfragen. Während sie das taten, erlebten sie eine Offenbarung. Grobs Team erkannte, dass es zwei Tatsachen gab, die jeder fraglos akzeptierte – zwei Fakten die im Wesentlichen die Branche definierten. Der erste Fakt war, dass man, um frische Pommes Frites herzustellen, diese frittieren muss. Der zweite Fakt war, dass man zum Frittieren eine Menge Öl benötigt.
Das ist natürlich offensichtlich. Diese ungeprüften Annahmen führten jedoch dazu, dass die Branche es mit einer Menge Problemen zu tun hatte. Die benötigten 2,5 Liter Öl sind teuer und heiße Fritteusen gefährlich. Wenn die Pommes Frites fertig sind, ist es schwierig, das Öl zu entsorgen und das Gerät zu reinigen. Damit nicht genug, macht das Öl die Pommes auch noch ungesund und unglaublich fettig.
Das Infragestellen dieser bis dahin anerkannten Weisheit brachte das Team dazu, das Problem neu zu definieren und zwar von einem, auf das die Branche fokussiert war – wie macht man die beste Fritteuse – hin zu dem, wie man ohne Frittieren verlockende, gesunde Pommes Frites macht. Das Ergebnis war ActiFry – ein völlig neuer Typ von Pommes-Frites-Maschine, der zuerst im Jahr 2006 in Frankreich auf den Markt kam und seither weltweit vertrieben wird. Mit ActiFry muss man nicht frittieren und man benötigt nur einen Löffel Öl, um zwei Pfund Pommes herzustellen, mit ungefähr 40 Prozent weniger Kalorien und 80 Prozent weniger Fett als die gleiche Menge herkömmlicher Pommes Frites. Und darüber hinaus ist das Gerät einfach zu reinigen und es gibt weder Sicherheitsprobleme noch Schwierigkeiten bei der Entsorgung des Öls. Die Pommes schmecken auch noch großartig – außen kross und innen weich. Die überzeugende Kombination aus gesunden, kalorienarmen und leckeren Pommes inspirierte die 6US-amerikanische Talkmasterin Oprah Winfrey, einen Tweet darüber abzusetzen, wie sehr sie ActiFry liebt. „Diese Maschine … ActiFry hat mein Leben verändert“, tweetete sie. „Sie bezahlen mich übrigens nicht dafür, dass ich das sage.“3 Nicht nur, dass in Europa die Nachfrage das Angebot übertraf, nach Oprahs Kommentar stieg der Aktienkurs der Groupe SEB um 5 Prozent, nur durch dieses eine Produkt. Wettbewerber benötigten fünf Jahre, um in den Markt zu kommen und sie konnten dennoch keinen signifikanten Marktanteil erobern, da sie mit dem, was ActiFry bot, nicht mithalten konnten, dank der Patente, die sich die Groupe SEB darauf gesichert hatte. Bis heute, mehr als zehn Jahre später, ist ActiFry der weltweite Marktführer. Mit der Einführung von ActiFry wuchs die Branche auch um fast 40 Prozent im Wert und zog brandneue Kunden in den Markt, die noch nie zuvor eine elektrische Fritteuse gekauft hatten.
Natürlich liegen Welten zwischen einem nationalen Jugendorchester und einer Pommes-Fritteuse. Sie liefern verschieden Angebote, konkurrieren unterschiedlich und haben komplett unterschiedliche Beteiligte. Die beiden Unternehmen sind ebenfalls unterschiedlich. Das National Youth Orchestra of Iraq ist eine Non-Profit-Organisation, letztendlich ein Start-up. Die Groupe SEB ist ein profitorientiertes, multinationales Unternehmen mit einer 150-jährigen Unternehmensgeschichte.
So unterschiedlich diese beiden Unternehmen und ihre Branchenumgebung sind, hatten sie doch auf die gleiche Art und Weise Erfolg. Beide bewegten sich von dem Wettbewerb in überfüllten, bestehenden Märkten hin zu der Erschließung neuer Markträume. Und während beide – so wie alle Unternehmen – unternehmerischen Hürden...