11. Kapitel
Vereinbarungen über den Trennungszeitpunkt und die Dauer des Getrenntlebens
Was sagen Gesetz und Rechtsprechung?
FALL 1. Jonny fühlt sich in seiner Ehe mit Alexandra eingeengt. Bei einem Diavortrag über den Hindukusch lernt Jonny die Politologiestudentin Patricia kennen. Vier Wochen später zieht Jonny aus der Ehewohnung aus und in Patricias Studentenappartement ein. Aufgrund der beengten Wohnsituation bei Patricia lässt Jonny seine Plattensammlung in der Ehewohnung zurück.
FALL 2. Sascha und seine Ehefrau Marion haben wieder einmal eine heftige Auseinandersetzung. Marion räumt daraufhin das eheliche Schlafzimmer und zieht ins Gästezimmer. Da in der gemeinsamen Wohnung nur ein Bad und eine Küche vorhanden sind, nutzen Sascha und Marion diese Räume weiterhin gemeinsam. Sonntags frühstücken Sascha und Marion „wegen der Kinder“ noch zusammen, ansonsten gehen sie sich aus dem Weg. Seine Wäsche lässt Sascha von Tante Helga reinigen.
FALL 3. Im Fall 1 läuft Jonnys Beziehung mit Patricia nicht gut. Immer häufiger besucht Jonny seine Ehefrau Alexandra. Schließlich übernachtet er sogar bei ihr. Am „Morgen danach“ beschließen Jonny und Alexandra, es noch einmal miteinander zu versuchen, und Jonny kehrt in die Ehewohnung zurück. Aber schon bald stellen sich altbekannte, unüberbrückbare persönliche Differenzen ein. Nach zwei Wochen zieht Jonny erneut zu Patricia.
2FALL 4. Stefan ist Seemann. Von seiner Reederei wird er auf der Europa-Asien-Route eingesetzt, so dass er immer für vier Monate unterwegs ist, bevor er wieder zu seiner Ehefrau Rosi zurückkehrt.
Gemäß § 1565 Abs. 1 Satz 1 BGB wird eine Ehe geschieden, wenn sie gescheitert (unheilbar „zerrüttet“) ist. Leben die Ehegatten aber noch nicht ein Jahr getrennt („Trennungsjahr“), kann selbst die gescheiterte Ehe nur in Härtefällen geschieden werden, § 1565 Abs. 2 BGB. Ein Scheitern der Ehe wird andererseits unwiderleglich vermutet, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide die Scheidung wollen, § 1566 Abs. 1 BGB; ein Scheitern der Ehe wird – selbst wenn sich ein Ehegatte der Scheidung widersetzt – unwiderleglich vermutet, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben, § 1566 Abs. 2 BGB (s. S. 10). Zur Aufhebung der Lebenspartnerschaft gemäß § 15 LPartG s. S. 11 ff.
Der Gesetzgeber macht die Scheidung bzw. Lebenspartnerschaftsaufhebung also in der Regel von einem vorangegangenen Getrenntleben der Partner abhängig. Nach der gesetzlichen Definition des § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB leben Ehegatte getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und zumindest ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Entsprechendes gilt gemäß § 15 Abs. 5 LPartG für Lebenspartner.
Die vom Gesetz in § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB geforderte Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft wird am deutlichsten, wenn ein Ehegatte – wie im Fall 1 – aus der Ehewohnung auszieht und seinen privaten Lebensmittelpunkt in eine andere Wohnstätte verlegt. Einer Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft steht es im Fall 1 auch nicht entgegen, dass Jonny persönliche Gegenstände in der Ehewohnung zurückgelassen hat. Jedoch können Jonnys Besuche bei Alexandra im Fall 3 das Getrenntleben beenden, wenn sie regelmäßig erfolgen, Jonny und Alexandra dabei gemeinsam kochen und essen, Alexandra Jonnys Wäsche macht und Jonny Alexandra dafür Haushaltsgeld zahlt.
3Die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft setzt andererseits nicht notwendig den Auszug eines Partners aus der gemeinsamen Wohnung voraus. Vielmehr können die Ehegatten – wie im Fall 2 – auch innerhalb der gemeinsamen Wohnung getrennt leben, § 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB. Erforderlich ist dann aber eine „Trennung von Tisch und Bett “, d. h. die Ehegatten dürfen keinen gemeinsamen Haushalt mehr führen (getrenntes Kochen, getrennte Einnahme der Mahlzeiten, getrennte Haushaltskasse) und es dürfen – über die „Trennung von Tisch und Bett“ hinaus – keine wesentlichen persönlichen Beziehungen zwischen den Ehegatten mehr bestehen (kein gemeinsames abendliches Fernsehen). Putzt Marion im Fall 2 weiterhin die gesamte Wohnung und stellt sie Sascha abends wortlos das von ihr zubereitete Essen in sein Zimmer, ist die häusliche Gemeinschaft folglich nicht aufgehoben (anders wäre es, wenn Marion Sascha diese Versorgungstätigkeiten aufdrängt, obwohl Sascha sich dagegen verwehrt und die von ihm bewohnten Räume selbst in Ordnung hält). Auch muss die Trennung innerhalb der Wohnung räumlich strikt vollzogen werden. Ein bloßes Sich-aus-dem-Weg-Gehen reicht hierfür nicht. Vielmehr dürfen die Ehegatten außer den der Versorgung und Hygiene dienenden Räumen (Küche und Bad) kein Zimmer der Wohnung mehr gemeinsam nutzen; der Wohn- und Schlafbereich des einen muss vom Wohn- und Schlafbereich des anderen getrennt sein. Sind mehrere Bäder/WCs vorhanden, muss auch insoweit eine räumliche Aufteilung zwischen den Ehegatten erfolgen. Der Schein der häuslichen Gemeinschaft darf auch nicht im Interesse der gemeinsamen Kinder (etwa durch die gemeinsame Einnahme aller Mahlzeiten oder die gemeinsame Benutzung des ehelichen Schlafzimmers, wenn auch ohne sexuellen Kontakt) vollständig aufrechterhalten werden; als unschädlich wird es aber zumeist angesehen, wenn die Ehegatten – wie im Fall 2 – im Interesse der Kinder einmal wöchentlich zusammen essen (sich im Übrigen aber selbständig versorgen) oder gemeinsam Erziehungsaufgaben wahrnehmen.
Zum Getrenntleben im Sinne des § 1567 BGB wird die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft nur dann, wenn ein Ehegatte die häusliche Gemeinschaft erkennbar nicht herstellen will (Trennungswille), 4weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt (Trennungsmotiv). Im Fall 4 leben Stefan und Rosi folglich nicht getrennt, weil die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft – wenngleich sie gewollt ist – auf beruflichen Umständen und nicht auf einer Ablehnung der ehelichen Gemeinschaft beruht. Anders wäre es aber, wenn Stefan Rosi einen Brief aus Shanghai schickt, in dem er ihr mitteilt, er habe sich in die Chinesin Lia-Lilu verliebt und werde daher nicht mehr nach Hause zurückkehren. Eine unfreiwillige räumliche Trennung der Ehegatte – etwa weil ein Ehegatte eine Haftstrafe verbüßt oder ein längerer Krankenhausaufenthalt erforderlich ist – bewirkt mangels Trennungswillen ebenfalls kein Getrenntleben im Sinne des § 1567 BGB.
Wie bereits gesehen, ist die Dauer der Trennung für die Scheidung bzw. Lebenspartnerschaftsaufhebung von entscheidender Bedeutung. Andererseits will der Gesetzgeber eine Versöhnung der Ehegatten nicht dadurch erschweren, dass nach jedem noch so kurzem und erfolglosem Versöhnungsversuch die erforderliche Trennungsfrist erneut zu laufen beginnt. Nehmen die Ehegatten – wie im Fall 3 – die häusliche Gemeinschaft zum Zwecke der Versöhnung für kurze Zeit wieder auf und scheitert die Versöhnung, wird die Trennungsfrist hierdurch nicht unterbrochen, § 1567 Abs. 2 BGB. Der Wunsch nach Versöhnung muss jedenfalls ein Motiv für die Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft sein; kehrt Jonny im Fall 3 nur deshalb zu Alexandra zurück, weil er sich eine zweite Wohnung auf Dauer nicht leisten kann, wird die Trennungsfrist endgültig unterbrochen. Auch darf der Versöhnungsversuch nur kürzere Zeit gedauert haben; als Obergrenze wird hier meist ein 3-monatiges Zusammenleben angesehen. Ist die Versöhnung – wenn auch nur für kurze Zeit – erfolgreich, setzt die erneute Trennung auch eine neue Trennungsfrist in Gang.
Zahlreiche gesetzliche Bestimmungen knüpfen an das Getrenntleben der Ehegatten bzw. Lebenspartner an: