Intro
Es begann alles mit einer Idee, einem Stift und einem leeren Blatt Papier. Eines Abends setzte ich mich an meinen Schreibtisch und fing an, meine Gedanken aufzuschreiben. In diesem Moment war das für mich nichts Besonderes. Im Gegenteil. Es fühlte sich ganz natürlich an. Wer hätte schon ahnen können, dass diese paar Zeilen mein ganzes Leben verändern würden?
Wenn ich mich heute umsehe – meine Villa, meine Autos, die Frauen, meine Klamotten, mein Bankkonto, mein Schmuck, der Ruhm –, dann habe ich das einzig und allein dieser einen Idee zu verdanken. Ich denke oft darüber nach, warum ich derjenige bin, der angehimmelt wird, und nicht mein dämlicher Nachbar oder Paolo, der Pizzabäcker von der Oranienstraße. Ich habe aber keine Erklärung gefunden. Es ist ein Phänomen.
Jedes Mal, wenn ich auf meine Uhr sehe und mir meine 6000-Euro-Breitling entgegenfunkelt, werde ich daran erinnert: Alles, was ich habe, kommt von meinen Fans. Sie bezahlen das alles. Sie kaufen meine CDs, Konzerttickets, Klingeltöne, T-Shirts, DVDs – und was mache ich? Ich krieche nachmittags aus meinem Bett, koche Espresso, setze mich in Jogginghose und Unterhemd vor meinen Computer und beobachte, wie mein Bankkonto immer dicker wird. »Wieso kaufen sich die Leute das alles?«, frage ich mich. Ich bin doch nur ein ganz normaler Junge.
Es sind aber nicht nur die materiellen Dinge, die mich immer wieder ins Grübeln bringen. Vielmehr sind es die Emotionen, die ich bei den Menschen erwecke. Auf meinen Konzerten stehen 16-jährige Mädchen in der ersten Reihe und können jede Textzeile mitsingen, sogar von meinen alten, nicht so bekannten Songs. Ich beobachte sie von der Bühne aus sehr genau, wie sie mir kreischend zujubeln, Heulkrämpfe bekommen und sogar in Ohnmacht fallen. Dann schaue ich auf diese riesige Menschenmasse und denke mir: Genauso fühlt sich also Robbie Williams! Nur dass ich cooler bin als er.
Ich muss mich noch nicht einmal besonders anstrengen. Es reicht schon, mit tief heruntergezogener Kapuze auf die Bühne zu gehen und einfach nur bewegungslos dazustehen. Die Leute drehen trotzdem durch. Wenn ich dann noch langsam die Kapuze abnehme und sie mein Gesicht erkennen, schreien sie sich die Lunge aus dem Leib. Verrückt, oder?
Absurd ist auch, dass Rap für mich nicht einmal Arbeit ist. Ich gehe einfach auf die Bühne und ziehe meine Show durch. Obwohl ich nicht sonderlich kreativ bin, weiß ich, dass mindestens die Hälfte der Leute wieder zu einem meiner nächsten Konzerte kommen werden. Was ich bei meinen Fans so krass finde, ist diese unendliche Dankbarkeit, die sie mir entgegenbringen. Man muss sich das mal vorstellen: Die geben 30 Euro für ein Konzertticket aus, erleben ihren Star für zweieinhalb Stunden und sind einfach nur dankbar, dabei gewesen zu sein. Obwohl sie schon 40 Euro für eine CD und ein T-Shirt ausgegeben haben und am nächsten Tag zu spät zur Arbeit kommen, weil sie bis morgens um fünf Uhr am Bahnhof auf den nächsten Zug warten müssen, würden sie es immer wieder tun. Um sich die Wartezeit in der Kälte zu verkürzen, laden sie sich aus Langeweile auch noch neue Klingeltöne von mir herunter. Nicht illegal bei irgendeinem russischen Billiganbieter, sondern ganz offiziell bei »Jamba!«, weil sie sich denken: Scheiß auf die drei Euro, ist ja für Bushido!
Sie geben mir alles und erwarten als Gegenleistung lediglich, dass ich ihnen ein paar Stunden meiner Zeit widme. Und was mache ich, ich Vollidiot? Ich komme mit einer dämlichen roten Sportjacke und ohne Haargel auf die Bühne, pople in der Nase, schnicke den Eumel zur Seite, schnappe mir das Mikrofon und sage: »Magdeburg, ich glaube, ich habe einen Popel in der Nase.« Was passiert? Die Halle tobt! Ich lasse mir wirklich den bescheuertsten Unsinn einfallen, nur um zu sehen, wo die Grenze liegt. So, wie ein kleines Kind Eltern austestet, wie weit es gehen kann. Wirklich! »Die Typen aus meiner Band sind alles Streber«, sage ich dann, oder: »Runzheimer, mein Bassist, sieht aus wie Brad Pitt.« Ganz egal, was ich sage, die Leute drehen durch. Selbst die Mädchen lachen bei meinen schlechten Frauenwitzen, die schon in den 90ern nicht mehr lustig waren. Ich wundere mich ja fast schon selbst, dass sich noch nie jemand darüber beschwert hat. Sie lieben mich einfach, wie ich bin. So etwas nennt man wohl Loyalität. Es mag sich lächerlich anhören, aber für sie bin ich ein Held. Und Helden haben nun mal keine Fehler.
Wenn ich auf der Bühne stehe und meine Witze erzähle, spüre ich sehr genau, wie das Publikum glaubt, wieder etwas Neues über mich erfahren zu haben, wieder ein Stück näher an mir dran zu sein, wieder etwas mehr zu meiner Familie zu gehören. Irgendwie schaffe ich es, in ihnen dieses »Wir-Gefühl« zu wecken. Was konnte Jürgen Klinsmann, was seine Vorgänger nicht konnten? Genau das!
Nach meinen Konzerten gehen diese Kinder wieder nach Hause zu ihren Eltern, die vielleicht Ärzte, Lehrer, Rechtsanwälte oder Beamte sind, und summen Sätze wie »Ich sehe mehr Fotzen als ein Gynäkologe« vor sich hin. Das ist doch richtig abgefahren. Der Vater eines solchen Kindes findet es bestimmt nicht so toll, dass seine Tochter meine Musik hört, aber was will er machen? Verbieten kann er es ihr nicht, also macht er das einzig Richtige und schlägt sich auf ihre Seite, in der Hoffnung, durch mich an sie heranzukommen. Nach dem Motto: Wenn ich meiner Tochter erlaube, auf ein Bushido-Konzert zu gehen, findet sie mich vielleicht auch ein bisschen cool. Das habe ich alles schon erlebt. Die Sache ist ja die: Egal, wo ich hingehe, die Kinder sind überall. Durch sie ziehe ich über kurz oder lang auch die Erwachsenen in meinen Bann. Es ist alles nur eine Frage der Zeit.
Ich wollte immer nur das Beste aus meinem Leben machen, deshalb bereue ich auch im Nachhinein keinen einzigen Tag und keine einzige Tat. Es musste alles genau so passieren, damit ich heute dieses Buch schreiben kann. Was zählt, ist die Gegenwart. Hat mir meine Vergangenheit geschadet? Nein. Auch wenn manche Schmierblätter immer wieder die Erziehungsmethoden meiner Mutter infrage stellen. Ganz ehrlich: Da scheiß ich drauf. Es ist doch so wie im Fußball. Die Eigenheiten eines Trainers können noch so behindert sein, solange seine Mannschaft gewinnt, hat er alles richtig gemacht. Vor der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland wurde Jürgen Klinsmann von allen Seiten wegen seiner ungewöhnlichen Trainingsmethoden ausgelacht. Sechs Monate später war er der Retter des deutschen Fußballs. Mir ging es ähnlich. Früher hat niemand auch nur einen Pfifferling auf mich gesetzt. Nicht einmal meine angeblich besten Freunde haben an mich geglaubt. Heute bin ich Multimillionär und einer der größten Popstars Deutschlands. Und wo sind die anderen geblieben? Ich will damit sagen, das ganze Leben ist eine verfickte Achterbahnfahrt. Damals ging es mir und meiner Familie sehr schlecht, wir hatten kaum genug Geld, um jeden Tag etwas Warmes zu essen. Mittlerweile sieht die Situation zum Glück etwas anders aus, aber wer weiß schon, was in zehn Jahren passiert. Komm damit klar oder du hast verloren! Es kommt immer nur darauf an, dass man an sich und seine eigenen Fähigkeiten glaubt. Du findest mich nicht cool? Kein Problem. Dann verpiss dich aus meinem Leben, aber nerv mich nicht weiter.
Die Mentalität des typischen deutschen Rap-Fans ist die, stocksteif in der Ecke des Clubs zu chillen und dem, der auf der Bühne steht, die kalte Schulter zu zeigen. Nach dem Motto: Ich bin sowieso cooler als du! Auf meinen Konzerten bräuchte ich theoretisch kein Mikrofon, weil meine Fans ohnehin jeden Text auswendig können und laut mitsingen. Bei »Endgegner« lege ich einfach mein Mikrofon auf den Boden, setze mich an den Rand der Bühne, trinke einen Schluck Cola und höre zu, wie meine Fans mir mein eigenes Lied vorrappen. Genau das macht den kleinen Unterschied aus. Diese gegenseitige Liebe, die über Jahre gewachsen ist, vergeht nicht so schnell. Was müsste ich denn tun, damit diese Leute, die mich jetzt so krass verehren, mich nicht mehr cool finden? Dieser Fanatismus kann nicht von heute auf morgen verschwinden. Auch wenn sich das natürlich viele wünschen würden.
Ich war der Erste, der diesen asozialen Gangster-Lifestyle an eine breite Öffentlichkeit herangetragen hat. Und ich bin der Einzige, dem die Kinder zuhören. Was sollen ihnen denn schon eine Sarah Connor, ein Sido, eine LaFee oder ein Xavier Naidoo vom Leben erzählen? Die haben doch selbst nichts zu melden. Was jetzt kommt, klingt sicher ein bisschen blasphemisch, aber es eignet sich gut als Beispiel. Damals, bei den Propheten, war es doch ganz genauso. Man konnte sie fast an einer Hand abzählen und trotzdem veränderten sie die Welt. Sie machten einfach das, woran sie glaubten. Natürlich handelten sie im Namen Gottes, sie verbreiteten seine Geschichte, aber aus irgendeinem Grund folgte ihnen das normale Volk – und zwar bedingungslos. Bei vielen mächtigen Staatsoberhäuptern, Diktatoren oder Freiheitskämpfern war das genauso. Irgendetwas müssen sie in den Menschen ausgelöst haben, dass sie ihnen bedingungslos folgten. In jeder Epoche gibt es sie, eine kleine Zahl von Personen, die diese außergewöhnliche Fähigkeit besitzen, Massen zu begeistern.
Als ich in der neunten Klasse war, fand an meiner Schule eine Schulsprecherwahl statt und alle Streber des Gymnasiums hatten sich zur Wahl gestellt. Ich war mit meiner Freundin Katrin noch einen kiffen, deshalb kamen wir zu spät in die Aula. Wir setzten uns...