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E-Book

Che - Die Biographie

AutorJon Lee Anderson
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl768 Seiten
ISBN9783843710855
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Wichtige Augenzeugen sowie Ches engste Freunde und Mitkämpfer kommen hier zum Teil erstmals zu Wort. Egal ob Guerilleros in Bolivien, KGB-Angehörige in Moskau, CIA-Agenten in Miami, kubanische Geheimdienstoffiziere, Indios und selbst die Militärs, die Che exekutierten und heimlich seine Leiche verscharrten - mit wem auch immer Anderson sprach: Dem Charisma des faszinierenden Banditen konnte sich keiner entziehen.

Jon Lee Anderson wuchs in Südkorea, Kolumbien, Taiwan, Indonesien, in Liberia, England und den USA auf. Seit Mitte der siebziger Jahre berichtet er als Kriegs-Korrespondent aus den Krisengebieten der Welt. Er ist Autor der viel beachteten Biographie über Che Guevara, die 1997 in deutscher Übersetzung bei List erschien. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Dorset.

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Leseprobe

1

Eine Mate-Pflanzung in Misiones

I

Das Horoskop sorgte für Verwirrung. Falls der berühmte Guerillaführer und Revolutionär Ernesto »Che« Guevara wirklich am 14. Juni 1928 das Licht der Welt erblickt hatte, wie es in seiner Geburtsurkunde stand, dann war er ein Zwilling – und ein besonders langweiliger noch dazu. Die Astrologin, eine Freundin von Ches Mutter, rechnete mehrmals nach, doch das Ergebnis war immer dasselbe: Laut Horoskop war Che ein farbloser, unselbständiger Mensch, der ein eintöniges Leben führte. Entweder stimmte ihr persönliches Urteil über Che, oder ihre astrologischen Fähigkeiten waren keinen Pfifferling wert.

Als man ihr das triste Horoskop zeigte, mußte Ches Mutter lachen. Dann vertraute sie ihrer Freundin ein Geheimnis an, das sie seit mehr als drei Jahrzehnten wohl gehütet hatte. In Wirklichkeit war ihr berühmter Sohn einen Monat eher zur Welt gekommen, am 14. Mai. Somit war er also kein Zwilling, sondern ein willensstarker, entschlossener Stier.

Auf dieses Täuschungsmanöver hatte sie zurückgreifen müssen, weil sie am Tag ihrer Hochzeit mit Ches Vater schon im dritten Monat schwanger war. Deshalb zog das Paar auch gleich nach der Hochzeit aus Buenos Aires fort und ließ sich im Dschungel von Misiones nieder.

Während Celias Mann eine Mate-Pflanzung aufbaute, trug sie fernab von den neugierigen Blicken der Gesellschaft in Buenos Aires das Kind aus. Als der Geburtstermin näherrückte, fuhr sie in die Stadt Rosario am Río Paraná, wo sie von ihrem Sohn entbunden wurde. Und um dem Paar einen Skandal zu ersparen, setzte ein befreundeter Arzt einen um einen Monat späteren Geburtstermin in die Urkunde.

Als der Säugling einen Monat alt war, erzählten die beiden Eltern ihren Angehörigen, sie hätten versucht, nach Buenos Aires zu kommen, doch in Rosario hätten bei Celia vorzeitige Wehen eingesetzt. Ein Sieben-Monats-Kind ist schließlich nicht so selten. Sofern von den Freunden und Verwandten jemand Zweifel an dem Geburtsdatum hegte, behielt er sie für sich.

Wäre das Kind nicht zu dem berühmten Revolutionär »Che« Guevara herangewachsen, hätten die Eltern ihr Geheimnis wahrscheinlich mit ins Grab genommen. Jedenfalls gehört Che zu den wenigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, bei denen sowohl das Geburts- als auch das Todesdatum gefälscht wurden. Aber irgendwie paßt es ins Bild, daß schon die Geburt des Mannes, der den Großteil seines Lebens mit konspirativen Aktivitäten verbringen und schließlich einer Verschwörung zum Opfer fallen sollte, von einem Geheimnis umgeben war.

II

Als Ernesto Guevara Lynch im Jahre 1927 seine zukünftige Frau Celia de la Serna kennenlernte, hatte sie gerade die exklusive katholische Mädchenschule Sacré-Cœur abgeschlossen. Die auffallend schöne Zwanzigjährige mit der gebogenen Nase, dem lockigen dunklen Haar und den braunen Augen entstammte einer der besten Familien Argentiniens, die ihre Ursprünge direkt auf die spanischen Eroberer zurückführen konnte. Bei Erreichen der Volljährigkeit sollte Celia, seit der Kinderzeit Vollwaise, ein ansehnliches Vermögen erben.

Der siebenundzwanzigjährige Ernesto Guevara Lynch hingegen war weder besonders groß noch besonders attraktiv. Er hatte ein markantes Kinn und ausgeprägte Backenknochen, und mit seiner Brille – er litt unter Astigmatismus – hätte er eher wie ein durchschnittlicher Büroangestellter gewirkt, wenn da nicht sein überschwengliches, geselliges Wesen, sein aufbrausendes Temperament und seine blühende Phantasie gewesen wären. Auch er stammte aus einer angesehenen Familie; sein Urgroßvater war einer der reichsten Männer Südamerikas gewesen, und zu seinen Vorfahren zählten sowohl spanische als auch irische Adlige. Allerdings hatte die Familie den Großteil des Vermögens im Laufe der Jahre verloren.

Als Ernesto Guevara Lynch neunzehn war, starb sein Vater, und der junge Mann brach sein Architektur- und Ingenieurstudium ab. Er suchte das Abenteuer, wollte sein Glück machen, und als Startkapital diente ihm dazu das bescheidene Erbe seines Vaters.

Den Großteil dieses Vermögens investierte er bei einem reichen Verwandten in eine Jachtwerft. Doch obwohl er in der Astillero San Isidro eine Zeitlang als Aufseher tätig war, konnte das Unternehmen sein Interesse nicht auf Dauer fesseln. Und so ließ er sich zu der Zeit, als er Celia kennenlernte, nur zu gern für ein neues Projekt begeistern. Ein Freund erzählte ihm, er könne ein Vermögen machen, wenn er eine Pflanzung mit yerba mate betriebe, jenem stimulierenden Tee, den Millionen von Argentiniern liebten.

Wenn man von Buenos Aires tausendachthundert Kilometer den Paraná flußaufwärts fährt, gelangt man nach Misiones, jener nördlichen Region, wo Argentinien an Paraguay und Brasilien grenzt. In diesem traditionellen Mate-Anbaugebiet war Land billig. Doch Guevara Lynchs Vermögen steckte noch in der Jachtwerft. Das Paar war auf Celias Erbe angewiesen, um das Land für die Mate-Pflanzung zu kaufen und in das lukrative Geschäft mit dem »grünen Gold« einzusteigen.

Doch Celias gesamte Familie sprach sich gegen eine Heirat mit diesem unliebsamen Bewerber aus. Celia, die noch nicht einundzwanzig war, brauchte die Zustimmung ihrer Angehörigen – sowohl zur Heirat als auch, um das Erbe überschrieben zu bekommen. Trotz all ihrer Bitten wurde ihr das Einverständnis verwehrt. Da sie inzwischen schwanger war, brannte sie mit Ernesto durch, und die Verzweiflungstat des jungen Paares zeitigte den gewünschten Erfolg. Die Familie erklärte sich mit der Heirat einverstanden; um an ihr Erbe zu gelangen, mußte Celia allerdings gerichtliche Schritte einleiten. Ein Richter sprach ihr einen Teil des Vermögens zu: eine Getreide- und Rinder-estancia in der Provinz Córdoba und einige Obligationen aus ihrem Treuhandfonds. Das reichte aus, um in Misiones eine Mate-Pflanzung zu erwerben.

Am 10. November 1927 wurde das Paar im Haus einer verheirateten älteren Schwester Celias getraut. Gleich danach flüchteten sie sich aus Buenos Aires in die Wälder von Misiones. »Wir überlegten uns gemeinsam, wie unser Leben aussehen sollte«, schreibt Guevara Lynch in einem viele Jahre später veröffentlichten Rückblick. »Die Frömmelei, die Prüderie, den engen Kreis von Freunden und Verwandten, die unsere Heirat verhindern wollten, ließen wir hinter uns.«

III

Mit Celias Geld kaufte Guevara Lynch zweihundert Hektar Urwald an den Ufern des Río Paraná. Auf einer Anhöhe über den kaffeebraunen Fluten und den dichten grünen Wäldern auf der anderen Seite des Flusses, die bereits zu Paraguay gehörte, ließen sie ein geräumiges Holzhaus auf Pfählen errichten. Zwar hatten sie die Annehmlichkeiten von Buenos Aires hinter sich gelassen, doch Guevara Lynch war begeistert. Er betrachtete den Urwald mit dem Auge eines Unternehmers, und seiner Vorstellung nach konnte die Zukunft nur glänzend werden.

Vielleicht hoffte er, wie einst seine Vorfahren sein Glück zu machen und reich zu werden, indem er sich mit einem kühnen Schritt in unerschlossenes Gebiet vorwagte. Für ihn war dies nicht eine der vielen rückständigen Provinzen Argentiniens, sondern ein aufregendes Land mit »wilden Tieren, gefährlichen Aufgaben, Raub und Mord, Wirbelstürmen, endlosem Regen und tropischen Krankheiten«.

Ihr Wohnhaus lag in einem Ort namens Puerto Caraguataí – der Name der eingeborenen Guaraní für eine schöne rote Blume. Der puerto allerdings war nicht mehr als ein einfacher Holzsteg. Von hier aus gelangte man in zwei Tagen zu dem alten Handelsposten Posadas, der Nachbarort, eine kleine deutsche Siedlung namens Montecarlo, lag knapp acht Kilometer entfernt.

Einige Monate lang genossen die Guevaras ihr neues Leben, sie richteten sich ein und erkundeten die Umgebung. Sie angelten, machten Bootsausflüge, ritten oder fuhren auf ihrem von einem Maultier gezogenen Einspänner nach Montecarlo.

Doch die Flitterwochen fanden bald ein Ende. Nach ein paar Monaten war Celia hochschwanger, und es wurde Zeit, in die Zivilisation zurückzukehren, wo sie bei der Geburt mit größerem Komfort und besserer medizinischer Versorgung rechnen konnte. Das Paar fuhr flußabwärts nach Rosario. In dieser 300 000 Einwohner zählenden, bedeutenden Hafenstadt am Paraná bekam Celia ihren Sohn Ernesto Guevara de la Serna.

Während Celia sich von »Ernestitos« Geburt erholte, wohnten die Guevaras in einer geräumigen Wohnung in einem Neubaukomplex nahe dem Zentrum von Rosario, die sie extra zu diesem Zweck angemietet hatten und die auch in der Geburtsurkunde angeführt ist. Sie mußten allerdings länger bleiben, als geplant: Kurz nach der Geburt erkrankte der Säugling an einer Lungenentzündung. Guevara Lynchs Mutter Ana Isabel und seine unverheiratete ältere Schwester Ercilia kamen, um bei der Pflege zu helfen.

Laut Ches jüngerem Bruder Roberto hat die Mutter ihm erzählt: »Ernesto wurde am 14. Juni 1928 in Rosario in einem Krankenhaus geboren. Auf der Geburtsurkunde steht die Adresse, wo wir in den ersten Tagen gewohnt haben, nicht der wirkliche Ort seiner Geburt.«

Doch wie Celia später Julia Constenla de Giussani mitteilte (eben jener Freundin, die bei einer gemeinsamen Bekannten Ches Geburtshoroskop in Auftrag gegeben hatte), wurde Che in einem Krankenhaus geboren, und zwar am gleichen Tag, zur gleichen Stunde, in dem einer der streikenden Dockarbeiter namens »Diente de Oro« (Goldzahn) an den Folgen einer Schußwunde starb.

In den vergilbten Archivexemplaren von Rosarios Tageszeitung La Capital finden wir den Rest der Geschichte....

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