II
Konzepte aus der Praxis
Gewappnet sein ist möglich
Issues Management in der Medienarbeit –
Zur Identifizierung und Steuerung von Krisen- und
Chancenthemen durch praxisnahe Begleitforschung
Gero Kalt
„In God we trust. All others have to provide data.“
„Issues Management fand bei uns früher im Gerichtssaal statt.“ David Nicoli, ehemaliger Vice President und Kommunikationsmanager bei Philip Morris, musste es häufig erleben: Fehlendes Präventionsbewusstsein im Management, ungenügende Koordinationsstrukturen zwischen den betroffenen Bereichen sowie mangelhafte Frühwarnsysteme in der Kommunikationsabteilung endeten nicht selten in (absehbaren) Kommunikationskatastrophen mit teuren Folgen.
Anders als viele seiner Kollegen in großen und kleinen Unternehmen hatte Nicoli aus diesen Erfahrungen gelernt: Issues Management mit dem Ziel, Krisenoder Potenzialthemen frühzeitig in den Griff zu bekommen, hat in seinem Unternehmen inzwischen höchste Priorität. Auch deutsche PR-Manager, das belegen Diskussionen in der im Frühjahr 2003 gegründeten „Issues Management Gesellschaft (IMAGE) Deutschland e.V.“, beginnen inzwischen, die Chancen der Disziplin zu erkennen und das Feld zu bearbeiten.
Dies ist erfreulich und notwendig. Denn die Entwicklung nutzwertorientierter und praxisnaher Instrumente zur Begleitung und Kontrolle von Unternehmenskommunikation ist so weit vorangeschritten, dass sie als wichtiger Bestandteil einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit in jedem größeren Unternehmen zu rechtfertigen sind. Die Referenten der Konferenz „Chefsache Issues Management“ im Sommer 2002 in Berlin waren sich jedenfalls einig: Die Möglichkeiten strategischer Kommunikation – oder besser: das mittelfristige und erfolgskontrollierte Management von Issues – sind auf Grund ausgereifter Research-Methoden heute sehr viel effizienter und erfolgreicher geworden. Öffentlichkeitsarbeiter können sich einem aussagekräftigen Controlling unterziehen, ihre mittel- und langfristige Planung optimieren und Krisen und Chancenthemen systematisch identifizieren.
Für die PR-Chefs von heute und morgen bedeutet das: Vergangen sind die Zeiten bequemer Ausreden, mit denen sie die Erfolge oder Misserfolge ihrer Arbeit durch vage Erklärungsmuster wie „Kommunikation lässt sich grundsätzlich nicht messen, planen und steuern“ rechtfertigen konnten. Vorbei die Tage, in denen sich Vorstände und Geschäftsführer damit zufrieden gaben, dass immer nur „plötzlich auftretende äußere Umstände“ für Katastrophenmeldungen, Imagedefizite und mangelnde Vorsorge in der Kommunikation herhalten mussten. Vorbei die Zeiten, in denen man sich darauf berufen konnte, dass es an bewährten und fundierten Instrumenten mangelt, die strategisches Kommunikations-Management möglich machen.
Der praktische Einsatz wissenschaftlicher Begleitforschung ist über die Erprobungsphase längst hinaus. Sie hat in den großen Unternehmen durchgängig Akzeptanz und Eingang gefunden. Jedes Unternehmen dürfte – zumindest unter Hinzunahme externen Know-hows – in der Lage sein, sie für seine Bedingungen zu optimieren und maßzuschneidern. Dass dabei noch nicht alle Wünsche erfüllt sind und viele Ansätze der weitere Optimierung bedürfen, kann nicht bestritten werden. Als Ausrede fürs Nichtstun kann dies aber nicht mehr gelten.
Dynamische Entwicklung für PR-Begleitforschung
Bei aller Variantenvielfalt haben sich vor allem das Medien-Monitoring, flankierende Zielgruppenanalysen sowie Benchmarkings und Effizienzanalysen als die wirkungsvollsten Verfahren in der externen Kommunikation herauskristallisiert. Diese sind im Idealfall inhaltlich und zeitlich miteinander verzahnt und werden als ganzheitliches und kontinuierliches Informations-Tool bzw. Wissens-Management-System aufbereitet. Sie werden auf etablierten Wegen allen relevanten Mitarbeitern zugänglich und für die strategische und taktische Kommunikationsplanung nutzbar gemacht.
Bei der internen Kommunikation sind es vor allem Mitarbeiterbefragungen, Copytests interner Publikationen sowie Effizienz-und Benchmark-Analysen der Organisationsstruktur (etwa der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bzw. ihrer Anbindung an die Unternehmensführung), die zur permanenten Optimierung und Erhöhung der Schlagkraft im Sinne der Kommunikationsziele eingesetzt werden.
Zur Antizipation von Krisen bzw. Kommunikationspotenzialen haben sich – in enger Abstimmung mit den oben genannten Analysen der internen und externen Kommunikation – in der Praxis diverse Ansätze bewährt: Szenario-Techniken, Prognosemodelle oder Trendanalysen sind hier die Stichworte. Sie basieren zum Beispiel auf moderierten Expertendiskussionen, Delphi-Verfahren, Brainstormings oder sonstigen systematischen und zielführend dokumentierten Auswertungsverfahren.
Selbst lang gediente PR-Profis sind immer wieder überrascht, wenn sie Einblicke in die fein aufeinander abgestimmten Kontrollsysteme großer Konzerne wie BASF, DaimlerChrysler, Deutsche Bank, General Motors oder Novartis erlangen können. Kaum noch findet Berichterstattung über das Unternehmen, die Produkte, den Vorstand oder die Aktie statt, ohne dass deren verantwortliche Kommunikations-Manager – wenn gewünscht in Tagesfrist – detaillierte qualitative und quantitative Analysen über die Art der Berichterstattung erhalten. Auf der Basis dieser Daten lässt sich dann kurzfristig reagieren oder geplant langfristig agieren.
Wer also wissen muss, welche Fragen und Themen die Agenda heute und morgen beherrschen, hat gute Chancen, diese in der Vielfalt der denkbaren Themenkarrieren in einem breiten gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Umfeld zu identifizieren, zu selektieren und zu bearbeiten.
Zumindest Zeitgewinn zur rechtzeitigen Prävention ist die wertvolle Währung, in der Kommunikations-Manager nicht selten belohnt werden.
Issues Management: Systematische Beobachtung der
„veröffentlichten Meinung“
Dass diese inzwischen weit entwickelten Analysen vor allem im Arbeitsfeld Issues Management zunehmend Anwendung finden, liegt auf der Hand. Ist es Zufall oder nicht, dass sich dieser Anglizismus so wunderbar buchstabieren lässt als
und somit exakt das beschreibt, was Aufgabe dieser immer bedeutungsvolleren Disziplin ist.
Das Zitat von Robert Heath „If you don’t manage issues, issues will manage you“ kann somit nicht als Aufforderung zur Kapitulation, sondern muss als notwendige Herausforderung verstanden werden. Heath, der amerikanische Issues Management-Papst, will Unternehmen motivieren, sich frühzeitig mit aufkommenden Issues zu befassen.
Für den PR-Chef von besonderer Bedeutung sind dabei natürlich die Medien. Auf ihren zahlreichen Kanälen strukturieren und steuern sie in vielfacher Weise die Informationen, die wichtige Zielgruppen über ein Unternehmen erhalten. Im Zeitalter von Internet, Globalisierung und Informationsüberflutung liegt in dieser Vielfalt (man spricht nicht umsonst vom Mediendschungel) eine enorme Herausforderung, die Orientierung zu behalten.
Das größte Problem liegt wohl in der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes, mit der es der Issues Manager zu tun hat. Die Zahl potenzieller Medienthemen (bzw. potenzieller Issues) ist nahezu unbegrenzt ebenso wie die Zahl der Kanäle, auf denen sie die wichtigen Zielgruppen erreichen. Wer sich der Illusion hingibt, sie „aus dem Bauch heraus“ alle erfassen und behandeln zu können, scheitert bereits im Ansatz.
Abbildung 1: Problem Themenkomplexität: Relevante Issues sind frühzeitig herauszufiltern (Quelle: F.A.Z.-Institut/PRIME Research)
Systematisierung und Pragmatismus auf der Basis von Plausibilitätsüberlegungen helfen – wie wohl so oft im Leben – im ersten Schritt weiter.
Zunächst ist zu beachten, dass Thema nicht gleich Thema, Issue nicht gleich Issue ist und die Bedingungen ihrer „Medienkarriere“ vielfältig sein können. Der Issues Manager wird entsprechend nach „Thementypen“ unterscheiden. Ausgewählte Beispiele:
Spontan-Themen
Spontan-Themen sind Themen, die plötzlich in der Medienberichterstattung auftauchen. Katastrophen oder Unfälle können hierzu zählen. Vielfach gelten sie als unvorhersehbar. Ihre Steuerung ist schwierig, weil die Reaktionszeiten kurz sind. So wundert es nicht, dass so mancher Manager die Möglichkeiten proaktiven Verhaltens bestreitet.
Erfahrene Issues Manager geben sich damit nicht zufrieden: Genügend Beispiele belegen, dass viele Spontan-Themen durchaus hätten antizipiert und mit Schubladenplänen bekämpft werden können. So hat das Thema Sicherheit für die Produkte von Mercedes-Benz eine besondere Bedeutung. Eindrucksvoll schilderte Christoph Walther, der langjährige Kommunikationschef von DaimlerChrysler, wie sich das Unternehmen zum Beispiel auf Unfälle prominenter Persönlichkeiten mit Mercedes-Benz-Fahrzeugen vorbereitet hatte. Als die britische Prinzessin Lady Diana in ihrem Wagen in Paris tödlich verunglückte, war für das Issue „Unfall mit Prominenten“ bereits ein grundsätzlicher Handlungsplan vorbereitet, auf den man zugreifen konnte. Aufkommenden Gerüchten über mangelnde...