Auf Grund fehlender Effizienz und unerwarteter Konflikte bei Auslandaktivitäten westlicher Unternehmungen kamen ab den sechziger Jahren Zweifel auf, ob sich westliche Managementinstrumente auf Länder anderer Kulturkreise übertragen lassen. Schliesslich führte dies zur interkulturellen Managementforschung (vgl. Weber u. a. 2001: 32).
Manzey (2006: o. S.) betont die Wichtigkeit der nationalen Kultur als Einflussfaktor auf die Unternehmung: Die Organisationskultur wird gemäss Manzey massgeblich von 3 Faktoren beeinflusst: einerseits durch von aussen gesteuerten Elementen wie Mission, Strategie und Zielen, andererseits von internen Integrationsfaktoren, wie Allokation von Annerkennung und Status, gemeinsame Sprache, Identität und die Gestaltung von Beziehungen. Drittens von den so genannten tieferen Annahmen betreffend Realität und Wahrheit, Zeit und Raum oder Annahmen betreffend die menschliche Natur und die zwischenmenschlichen Beziehungen, die stark von der nationalen Kultur abhängig sind.
Eine US-amerikanische Studie zur Eruierung der nötigen interkulturellen Kompetenzen für Führungskräfte ergab „self-awareness“ als wichtigste Kompetenz in der intrapersonalen Dimension. Der Begriff self-awareness bedeutet in dieser Studie, dass die Führungskraft sich ihrer eigenen Kultur, wie auch der Kultur der anderen bewusst ist (vgl. Sheridan 2005: 7).
In diesem Kapitel werden nun die Begriffe „Kultur“ und „interkulturell“ definiert und die zwei Kulturräume, mit denen sich diese Arbeit beschäftigt - die westliche Welt und China - abgegrenzt. Anschliessend werden die kulturellen Hintergründe beider Kulturräume dargestellt, um dem Leser dieser Arbeit das nötige Bewusstsein für die westliche und die chinesische Kultur zu vermitteln. In diesem Kapitel 3 wird damit die Grundlage gelegt, die Handlungsanweisungen des Leitfadens im Kapitel 6 nicht nur umzusetzen, sondern in der täglichen Führungspraxis weiterentwickeln zu können.
Da die Grundlage des interkulturellen Managements die Kultur ist, soll vorab dieser Begriff erläutert werden.
Der Begriff „Kultur“ stammt aus dem lateinischen und bedeutet pflegen, bebauen und bestellen einerseits und anbeten anderseits. In der deutschen Alltagssprache wird das Wort Kultur in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Kultur kann sich auf kreative und künstlerische Arbeit beziehen (bildende Künste, Theater, Musik), Menschen verfügen über Kultur oder auch nicht (Kultur bezeichnet hier Bildung, Geschmack, Manieren u. ä.), Kultur wird aber auch in der Landwirtschaft (z.B. Monokultur), Geographie (z.B. Kulturlandschaft) oder der Medizin (z.B. Bakterienkultur) verwendet im Sinne von anbauenden und pflegenden Tätigkeiten. Der Begriff Kultur wird auch häufig als Bezeichnung einer bestimmten Lebensart (beispielsweise die einer fremde Kultur oder einer Subkultur) verwendet, und beschreibt Brauchtum, Sitten, Manieren und Glaubenssätze, den „way of life“ einer Gemeinschaft. Allumfassend bedeutet das Wort Kultur die Veränderung der äusseren und inneren Natur durch Arbeit. Kultur ist demzufolge der Gegensatz zu Natur und setzt Bewusstsein des eigenen Tuns und Vernunft voraus. Eigenschaften, über die Tiere beispielsweise nicht verfügen. Der Mensch ist sowohl Subjekt der Kultur, da er diese erschafft und laufend weiterentwickelt, der Mensch ist aber auch ein Objekt der Kultur, da die Kultur, in der er lebt, ihn formt und sozialisiert (vgl. Hansen 2003: 11ff.).
Hansen (2003: 39ff.) schlägt folgende Definition vor: „Kultur umfasst Standardisierungen, die in Kollektiven gelten. Dementsprechend beschäftigt sich Kulturwissenschaft weder mit dem Individuellen noch dem Anthropologischen, dem Gattungsüblichen, sondern mit dem, was dazwischen liegt“. Kultur besteht gemäss Hansen aus drei Faktoren, aus Standardisierung, Kommunikation und Kollektivität.
Der Philosophieprofessor Höffe (1997: 166) erläutert, wie der Kulturbegriff im traditionellen Verständnis als Kulturwerke (Ergebnis eines Handelns, dass seinen Zweck in sich selbst hat) im Gegensatz zur Zivilisation (als instrumentale, funktionale, von sozialen Zwecken bestimmte Lebensform) verstanden wurde. Weiter erklärt Höffe, wie die Kritik, dass viele Kulturdefinitionen von Eurozentrismus geprägt sind, umgesetzt worden ist: Es wird vom Vorrang des an sittlichen Normen orientierten Handelns über technischen und ökonomischen Errungenschaften ausgegangen. Jene Leistungen haben also einen kulturellen („höheren“) Wert, die sittliche und humane Normen anerkennen.
Der Organisationspsychologe Schein (2004: 17) definiert Kultur als “a pattern of shared basic assumptions that was learned by a group as it solved its problems of external adaptation and internal integration, that has worked well enough to be considered valid and, therefore, to be taught to new members as the correct way to perceive, think, and feel in relation to those problems.“
Das Konzept der Kulturebenen von Schein zeigt auf, dass sich Kultur auf verschiedenen Stufen unterschiedlich zeigt:
Abbildung 4: Kulturebenen nach Schein (2004: 25ff.)
So gesehen ist Kultur der „way of life“ einer Gesellschaft. Technische Errungenschaften machen eine Kultur nicht besser oder wertvoller, eine Kultur kann höchstens auf Grund ihrer Orientierung an sittlichen Normen bewertet werden. Zu beachten gilt immer, dass Kultur auf verschiedenen Ebenen stattfindet, die für einen Beobachter nicht alle gleich einfach zugänglich sind.
Buhl-Böhnert (2004: 13ff.) erläutert den Begriff "interkulturell" wie folgt: interkulturell bedeutet, dass die an einer Beziehung Beteiligten sich nicht ausschliesslich ihrer eigenen Kodes, Konventionen, Einstellungen und Verhaltensformen bedienen, sondern auch die der anderen erfahren. Die Werte der anderen werden dabei als fremd erlebt. Eine interkulturelle Beziehung ist demzufolge eine Beziehung, in der die kulturelle Systemhaftigkeit durch die Überschreitung der Systemgrenzen erfahren wird. Interkulturelles Handeln kann nur bewusst gestaltet werden, wenn Situationen als kulturelle Überschneidungssituationen verstanden werden. Nur wenn die emotionale Einstellung gegenüber Eigen- und Fremdkultur, Bewusstsein eigener Verhaltensmuster und Wissen um kulturspezifische Unterschiede der Beteiligten kombiniert werden, können Handlungskompetenzen für kulturelle Überschneidungssituationen aufgebaut werden. Erfolgreich können interkulturelle Handlungskompetenzen schlussendlich aber nur eingesetzt werden, wenn interkulturelles Handeln als Funktion der Wechselwirkung zwischen Person (mit ihrem Fühlen, Denken und Verhalten), Kultur (als spezifisches Orientierungssystem) und Situation (als fassbares Ereignis) verstanden wird.
In dieser Arbeit wird oftmals der Begriff „Westen“ verwendet. Was besagt dieser nun aber genau? Er kann je nach Kontext recht unterschiedliche Bedeutungen haben und dementsprechend unterschiedliche Länder/Kulturräume ein- respektive ausschliessen. Der Westen wird oftmals für Westeuropa verwendet, zum Teil werden auch Mitteleuropa und Nordamerika hinzugefügt, manchmal sogar auch eng verwandte (ehemalige) Kolonien dieser Länder, deren Identität von der europäischen Kultur stark beeinflusst worden sind. In diesem Sinne würde auch Lateinamerika zum Westen gehören. Die westliche Welt wird oftmals als Gegensatz zum Osten verstanden, wie es auch die zueinander im Gegensatz stehenden Begriffe Orient (Morgenland) und Okzident (Abendland) implizieren. Häufig wird Westen auch gleichbedeutend zum Begriff erste Welt versus zweite Welt (Schwellenländer) und dritte Welt (Entwicklungsländer) benützt, was aber anbetrachts von den im Osten liegenden entwickelten Ländern wie Singapur, Südkorea oder Japan wenig Sinn macht. Da „Westen versus Osten“ über eine starke Assimilation zum Kalten Krieg verfügt, wird auch der Begriff Norden (versus Süden) verwendet. Diese geographische Abgrenzung stellt Asien, Europa und Nordamerika gegenüber von Australien, Afrika und Lateinamerika. In Anlehnung an Huntington (vgl. 1996: 60) soll unter Westen in der folgenden Arbeit prinzipiell Nordamerika, Westeuropa und der australische Kontinent verstanden werden. Es handelt sich hierbei um Länder, die stark christlich geprägt sind, die über ähnliche Wertsysteme (geprägt durch Renaissance und Aufklärung) und eine demokratische Tradition verfügen und ähnliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen besitzen.
Wenn wir von China oder der chinesischen Kultur sprechen, scheint das Problem, eine genaue Abgrenzung zu machen, bedeutend einfacher: China beinhaltet das, was heute innerhalb der politischen Grenzen der VR China liegt. Dies täuscht aber über die Tatsache hinweg, dass das chinesische Staatsgebiet in den meisten Phasen der Geschichte nur Teile der heutigen VR China umfasste und grosse Gebiete wie Tibet, Xinjiang oder Taiwan erst relativ spät oder auch nur zeitweilig ins chinesische Reich eingegliedert wurden und nicht zum Kerngebiet der chinesischen Kultur gehören (vgl. Heilmann 2004: 15). Allerdings ist die VR China (z.B. im Vergleich zur...