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E-Book

Damals in Heidelberg

Eine Jugend zwischen Nostalgie, Träumen und Protest

AutorMarion Fennel-Stüber
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783741223099
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Durch die Ausbombung in ihren Heimatstädten sind die Eltern der Autorin nach dem Zweiten Weltkrieg im unzerstörten Heidelberg gelandet. Dort lernen sie einander kennen, heiraten und gründen eine Familie. Es fehlt an allen Ecken und Enden das Geld und die wenigen Mittel werden nicht nur für die kleine Familie, sondern auch für die Sicherung der Ruine des väterlichen Elternhauses und die Unterstützung von Verwandten gebraucht. Der finanzielle Mangel wird kompensiert durch unermüdliche Arbeit, Sparsamkeit und Verzicht auf jeglichen Wohnkomfort oder technische Erleichterungen. Doch das, was aus heutiger Sicht ein Mangel wäre, wird damals nicht so empfunden. Die Familie ist glücklich, den Krieg überlebt zu haben und blickt optimistisch nach vorne in die Zukunft. Nur ganz im Verborgenen lauern bisweilen noch die unverarbeiteten Traumata. Die humorvollen, absurden, witzigen und nachdenklichen Anekdoten vermitteln einen authentischen Einblick in das Leben der Autorin als Kind, Jugendliche und junge Frau im schönen Heidelberg, und lassen den Leser zum Zeitzeugen einer bewegenden Epoche werden, die eine ganze Generation nachhaltig geprägt hat.

Marion Fennel-Stüber, Jahrgang 1951, sieht das ganze Leben als Reise. Ihre Ziele findet sie in räumlicher Ferne, aber auch bei ihren 'inneren Reisen' zurück in die Zeit ihrer Kindheit und Jugend in Heidelberg. Zu dieser schönen und weltoffenen Stadt hat sie durch den Beruf ihres Vaters von klein auf eine ganz besonders enge, persönliche Bindung. Nach dem Abitur studiert sie hier Biologie und Geowissenschaften und arbeitet während der ganzen Studienzeit zugleich als Heidelberg-Fremdenführerin, um auf diese Art ihr Studium zu finanzieren. Ihre weitere Ausbildung macht sie ebenfalls in ihrer Heimatstadt. Dort verbringt sie auch die ersten Dienstjahre als Lehrerin. 1985 zieht sie aus familiären Gründen an die Schweizer Grenze, bleibt im Herzen aber immer Heidelbergerin. Nach vierzig aktiven Jahren als Biologie-, Geografie- und Geologie-Lehrerin geht sie in den Ruhestand und begibt sich zugleich auf eine Zeitreise zurück in ihre Heidelberger Jugend. Zugleich unternimmt sie auf eigene Faust Individualreisen nach Südamerika, über die sie bereits zwei kurzweilige Erlebnisberichte veröffentlicht hat.

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Leseprobe

Kinderfragen in der Nachkriegszeit


Ruinen


Der Zweite Weltkrieg hinterlässt Ruinen ganz unterschiedlicher Art. Zunächst einmal die der zerbombten Häuser in den Städten, aber auch Ruinen ganz und teilweise zerstörter Lebenspläne, Hoffnungen, sozialer Verbindungen, zerrissener und verlorener Familien und zerstörten Vertrauens. Kriegsruinen treffen gleichzeitig viele Menschen. Man erkennt im Anderen seine eigenen Probleme mit der veränderten Lebenssituation und seine ruinierten Gefühle wieder. Das gemeinsame Leid macht es leichter, jemanden zu finden, der Verständnis und Toleranz besitzt, die Ruinen des Anderen - seien sie an Gebäuden, Gefühlen oder gar an beidem zur gleichen Zeit - erträglich zu machen. Wie es eben so schön heißt: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Man versteht einander, ohne viele Worte machen zu müssen. Der Kummer des Anderen, den man in ähnlicher Form ebenfalls mit sich herumträgt, ist einem nicht fremd. Man weiß, wie schlimm und ruinös die Gefühle dann wüten können, man findet ganz selbstverständlich untereinander die richtigen, tröstenden Worte oder Gesten, vielleicht sogar eine Unterstützung bei der gemeinsamen Bewältigung der neuen Situation.

Ruinen, mit denen man auch zu Friedenszeiten konfrontiert werden kann, treffen hingegen Einzelpersonen. Ihre Mitmenschen wissen zumeist nicht, wie sie sich verhalten sollen und sind dadurch verunsichert. Was können sie noch tun, was sagen, was unterlassen, was raten? Sie haben ja eventuell alles schon gemacht und gesagt, was ihnen dazu eingefallen ist. Scheinbar ohne Erfolg. Der Ruinierte bleibt dennoch am Boden zerstört. „Da kann ich ja doch nicht helfen“ oder „Alles, was ich dir rate, machst du ja doch nicht“, heißt es dann, bevor sie sich frustriert über ihr eigenes Unvermögen zurückziehen. Und das ist oft gerade dann, wenn man sie am meisten gebraucht hätte. Ich betrachte es als eine besondere Form von Egoismus, wenn man es nicht erträgt, sich im Angesicht der menschlichen Katastrophe eines anderen Menschen mit der eigenen Unzulänglichkeit konfrontiert zu sehen und man sich deshalb von einem zurückzieht, der gerade klagend und verzweifelt mitten in dem Schutthaufen seines zerbrochenen Lebens zu ertrinken droht. Dabei wäre es so einfach: Zuhören, in den Arm nehmen, einfach da sein. Das gibt die nötige Kraft, die der Trauernde braucht, bevor er daran gehen kann, sich selbst zu helfen. Es ist in Ruinen-Gefühlslagen viel wichtiger, geduldige Zuhörer und mitfühlende Tröster zu haben als Berater oder gar aktive Macher, die mir die notwendige Zeit nicht geben wollen, meine Lebensruine mit der Zeit, die ich dafür eben benötige, abzutragen und ein neues, eigenes Lebensgebäude an deren Stelle zu errichten. So etwas kann man nicht mal einfach auf die Schnelle erledigen und ein anderer Mensch kann außer durch Trost und Empathie auch nicht wirklich helfen. Meine Eltern und Großeltern haben mir oft davon berichtet, wie sich die Menschen angesichts der Kriegsruinen gegenseitig getröstet haben. Im Angesicht von Ruinen, egal welcher Art, braucht man Menschen, die wissen oder zumindest erahnen, wie man sich fühlt. Nur wer mitfühlt, kann auch echten Trost spenden.

In meiner Kindheit und Jugend ist das Thema Ruinen immer aktuell. Man sieht sie, die Erwachsenen sprechen oft darüber, und wir Kinder suchen nach Erklärungen, wie diese Ruinen denn entstanden sind und weshalb man das nicht hat verhindern können.

In Heidelberg-Handschuhsheim, wo wir bis zu meinem 17. Lebensjahr wohnen, gibt es entweder bebaute Flächen oder Felder. Für uns Kinder existieren dort also keine sichtbaren Kriegsspuren. Ganz anders ist es, wenn ich nach Mannheim komme, wohin ich mit Mami zu ihren Eltern fahre, oder mit Papi zu Dengels, den Eltern seiner verstorbenen ersten Ehefrau. Dort stehen zwischen meistens sehr hässlichen, neuen Nachkriegshäusern, die möglichst schnell und billig hochgezogen wurden, Ruinen oder teilweise zerstörte und irgendwie wieder geflickte Häuser. Jahrelange Absperrungen, die aussehen wie heutige Bauzäune, verhindern, dass Kinder in diesen baufälligen Ruinen spielen. Überall Verbotsschilder: Eltern haften für ihre Kinder. Lebensgefahr. Betreten bei Strafe verboten. Selbstschüsse. Und man sieht in luftiger Höhe Badezimmerfliesen oder Tapeten, die auf makabre Weise vom ursprünglichen Leben in diesen Häusern erzählen. Für uns Kinder, die die schrecklichen Bombennächte nur aus Erzählungen der Eltern kennen, ist Mannheim ein riesiger Abenteuerspielplatz. Und da wir das ehemals wunderschöne, alte Mannheim niemals gekannt haben, ist die Stadt in unseren Augen einfach ziemlich hässlich, was uns aber nicht weiter interessiert. Kinder können sich über architektonische Entgleisungen nicht sonderlich aufregen. Schon gar nicht dann, wenn sie nicht dort leben müssen.

Mami zeigt mir eines Tages die alten Gebäude, die in der Gegend des Wasserturms stehen und die von Bomben weitgehend verschont geblieben sind und erzählt, dass vor dem Krieg noch fast alle Gebäude Mannheims so schön ausgesehen haben sollen. Dort ganz in der Nähe treffen wir dann auch an diesem Tag zufällig ihren ersten Ehemann Hans, der Bauunternehmer ist und uns ganz spontan auf seine riesige Baustelle mitnimmt, einen Neubau mit mindestens fünf Stockwerken. Wir klettern auf Bautreppen hoch bis auf das oberste Geschoss und schauen auf die langsam wieder aus den Ruinen erwachsende Stadt, die in einem grässlichen Stilmix hochgezogen wird. Hans erzählt von dem vielen Geld, das er jetzt verdient. Für ihn ist das kaputte Mannheim der Nachkriegszeit ein einziges riesiges Geschäft. Ich wundere mich während der ganzen Zeit darüber, dass dieser freundliche Mann der böse Vater meiner Halbschwester sein soll. Zum Schluss schenkt er mir sogar noch einen Schokoladenosterhasen, den er aus wundersamen Tiefen seiner Aktentasche hervorzaubert. Mami sagt oft, dass er im Prinzip immer ein netter Mensch gewesen sei, nur als Ehemann habe er nichts getaugt, weil er sie, seine Frau, als seinen Besitz betrachtet und mit blinder Eifersucht gequält habe. Und bisweilen habe er ganz schlicht und ergreifend „eine Meise“, und dann könne man mit ihm nicht mehr reden.

An diesem Nachmittag, meinem ersten und letzten Zusammentreffen mit dem Vater meiner Halbschwester, zeigt er diese Meise nicht, er ist freundlich zu mir und zeigt mir Mannheim aus der Vogelperspektive. Und überall sieht man Lücken, wo früher Häuser waren, die zerbombt und dann abgetragen wurden. Das hat die Besitzer der Ruinen ein Vermögen gekostet zu einem Zeitpunkt, an dem auch die Geldquellen der Zeit vor dem Krieg größtenteils versiegt sind. Auch mein Vater hat zu dieser Zeit noch in Kassel zwei große, ständig einsturzgefährdete Ruinen, deren Absicherung jahrelang gewaltige Summen an Geld verschlingt. Alle ausgebombten Hausbesitzer bekommen dadurch nach dem Krieg ganz erhebliche Starterschwernisse. Sie fühlen sich mindestens doppelt bestraft: Erst wird ihr Hab und Gut in Schutt und Asche gelegt, und dann müssen sie noch fast alle ihre wenigen neuen Mittel investieren, weil sie Ruinen besitzen. Meistens in einem anderen Ort als dem, wo sie nach der Ausbombung leben, was auch noch ständiges Reisen, Telefonieren, Briefeschreiben oder hohe Ausgaben für Verwaltungsgebühren oder Baufirmen bedeutet, die mal die eine, mal die andere Mauer abtragen müssen, damit keine Menschen im Umkreis der Ruine durch herabfallende Steine gefährdet sind. Manch einer muss sich dafür sogar verschulden.

Heidelberger, die nicht ausgebombt sind1, besitzen nach dem Krieg ihre Häuser und bewegliche Habe noch und können von den Mitteln, die sie erwirtschaften, einen Grundstock für die Zukunft legen. Viele unter ihnen sind sich der Tatsache bewusst, dass sie einfach sehr viel mehr Glück gehabt haben als die Ausgebombten der anderen Städte. Sie empfangen die bei ihnen Einquartierten mit offenen Armen und helfen ihnen, so gut es eben geht. Andere unter ihnen tragen hingegen ihre Nase nach dem Krieg sehr hoch, weil sie finanziell viel besser dastehen als die Ausgebombten. Auch diejenigen, die während des Krieges anderen Familien aus dem zerbombten Mannheim Wohnraum abtreten müssen, sind nicht immer anständig ihren unfreiwilligen Gästen gegenüber. So dreht die Familie, der meine Mutter mit ihrer Tochter und beiden Eltern zunächst „zugeteilt“ worden ist, einfach bei ihnen die Heizung ab, obwohl draußen Temperaturen unter null Grad herrschen und meine Mutter den Vermieter immer wieder auf die in der Wohnung herrschende Kälte anspricht. Ihm sei das unerklärlich, meint dieser, bei ihnen sei es nicht kalt, das könne ja gar nicht sein, dass es ausgerechnet in den beiden Zimmern, in denen die einquartierte Familie lebe, kälter sei als bei ihnen, da müssten sie sich eben wärmer anziehen. Der Vater meiner Halbschwester, der bereits erwähnte Bauunternehmer, der folglich auch etwas von Heizungsanlagen versteht, wird von meiner Mutter um Hilfe und Rat gebeten, reist an und repariert mit wenigen Handgriffen den ganz offensichtlich...

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