EINLEITUNG
Es war dämmrig und deshalb schwer genau zu sagen, was diese beiden dunklen Flecke auf der Straße waren. Ich steuerte zufrieden mit siebzig Meilen zwischen einem Kombi und einem Lieferwagen über den Highway, auf dem Nachhauseweg von einer Hütehundprüfung.
Aber als die schwarzen Formen näher kamen, änderte sich meine heitere Laune schlagartig. Es waren Hunde. Lebendige Hunde, wenigstens im Moment noch. Wie einem Walt-Disney-Film entsprungen trotteten ein Golden Retriever und ein erwachsener Cattle Dog Mischling den Highway hinauf und hinab, sich der Gefahr völlig unbewusst. Vor Jahren hatte ich mit ansehen müssen, wie ein Hund frontal von einem Auto erfasst worden war und ich würde viel darum geben, dieses Bild aus meinem Gedächtnis verbannen zu können. Es schien unausweichlich wieder so zu kommen.
Ich fuhr an den Rand und hielt hinter einem Lastwagen. Freunde aus der Prüfung, die vor mir fuhren, hatten die Hunde auch gesehen. Wir tauschten einen erschreckten Blick und rannten auf dem Seitenstreifen gegen den Strom des fließenden Verkehrs zurück in Richtung der Hunde. Die Hunde überquerten die Fahrspuren wie einen reißenden Fluss. Sie sahen freundlich aus, an Menschen gewöhnt, vielleicht waren sie glücklich, etwas mit Beinen anstelle von Reifen zu sehen. Der Verkehr auf allen vier Spuren war schnell. Die Sicht war schlecht. Der Verkehrslärm war ohrenbetäubend; keine Chance, dass die Hunde uns hören und wir zu ihnen sprechen konnten. Genau im falschen Augenblick begannen die Hunde, quer über die Straße in unsere Richtung zu trotten. Wir wedelten mit den Armen wie Verkehrspolizisten und beugten uns nach vorn, um sie zu stoppen. Sie stoppten, eine Sekunde bevor ein Bierlastwagen sie erfasst hätte. Einen Moment lang standen wir da wie angefroren. Die Verantwortung, genau das Richtige tun und durch unser Eingreifen zwischen Leben und sicherem Tod entscheiden zu müssen, wog auf uns wie eine Zentnerlast.
Wir »riefen« ihnen durch eine Lücke im fließenden Verkehr zu, sie sollten kommen, indem wir uns wie zur Spielaufforderung hinabbeugten und unsere Körper dann wegdrehten. Dann wieder drehten wir uns um und stoppten sie wie Verkehrspolizisten, wenn die Autos der nächsten Spur über den Hügel rasten – so schnell, dass ich sicher waren, die Hunde würden überfahren. Dieser stille Tanz von Leben und Tod setzte sich fort, unsere Körper bewegten sich vor und zurück als einzige Möglichkeit der Verständigung durch den Lärm der Motoren. Es schien alles in Lichtgeschwindigkeit abzulaufen, die Hunde, die sich der Gefahr unbewusst auf uns zu bewegten, dann wieder stoppten, dann wieder nachkamen, wenn wir selbst unsere Körper bewegten, um sie durch den Verkehr zu lotsen.
Das reichte zusammen mit einem bisschen Glück aus. Nur mit einer Vorwärtsbewegung und Herausschleudern unserer Arme nach vorn konnten wir sie stoppen, und nur mit Rückwärtsgehen und Wegdrehen konnten wir sie dazu bringen, uns zu folgen. Keine Leinen, keine Halsbänder, keine Kontrollmöglichkeit außer unserer Körpersprache, die ihnen mit der Drehung des Oberkörpers »Stopp« oder »Kommt« sagte. Ich verstehe heute immer noch nicht, wie sie es schafften. Aber sie schafften es. Ich werde ewig dafür dankbar sein, dass Hunde auf die richtigen visuellen Signale reagieren.
Alle Hunde sind brillant darin, die kleinsten unserer Bewegungen wahrzunehmen, und sie nehmen an, dass jede dieser feinen Bewegungen eine Bedeutung hat. Das tun wir Menschen auch, wenn Sie einmal darüber nachdenken. Denken Sie an diese winzige Drehung des Kopfes, die Ihre Aufmerksamkeit erregte, als Sie sich mit jemand verabredet hatten? Überlegen Sie, wie wenig sich jemandes Lippen bewegen müssen, damit ein Lächeln zu einem hämischen Grinsen wird. Wie weit muss sich eine Augenbraue bewegen, damit sich die Botschaft ändert, die wir von diesem Gesicht lesen – zwei Millimeter?
Vielleicht meinen Sie, dass wir dieses Allgemeinwissen automatisch auch in unserem Umgang mit Hunden anwenden. Tun wir aber nicht. Oft sind wir uns gar nicht bewusst, wie wir uns in der Nähe unserer Hunde bewegen. Es scheint eine sehr menschliche Eigenschaft zu sein, dass wir nicht wissen, was wir mit unserem Körper machen und uns nicht bewusst sind, wo unsere Hände sind oder dass unser Kopf sich gerade gedreht hat. Wir senden zufällige Signale aus wie eine verrückt gewordene Verkehrsampel, während unsere Hunde verwirrt zusehen und ihre Augen wie in einem Comicstrip verdrehen.
Diese visuellen Signale haben genau wie unsere übrigen Handlungen einen tiefgehenden Einfluss darauf, was unsere Hunde tun. Wer Hunde sind und wie sie sich verhalten wird zum Teil davon bestimmt, wer wir Menschen sind und wie wir uns verhalten. Haushunde teilen ihr Leben definitionsgemäß mit einer anderen Spezies: mit uns. Deshalb ist dies ein Buch für Hundefreunde, aber nicht nur ein Buch über Hunde. Es ist auch ein Buch über Menschen. Es ist ein Buch darüber, worin wir unseren Hunden ähneln und worin wir von ihnen verschieden sind.
Unsere Spezies hat so viel mit Hunden gemeinsam. Wenn Sie das breite Spektrum allen tierischen Lebens von Käfern bis hin zu Bären betrachten, haben Hunde und Menschen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Genau wie Hunde produzieren wir Milch für unsere Jungen und ziehen sie in einer Sippe auf. Unsere Babys müssen beim Großwerden viel lernen; wir jagen im Team; wir spielen selbst als Erwachsene noch alberne Spiele; wir schnarchen; wir kratzen und strecken uns und gähnen an sonnigen Nachmittagen. Schauen Sie einmal, was die neuseeländische Autorin Pam Brown in ihrem Buch Bond for Life (Ein Bund fürs Leben) über Menschen und Hunde zu sagen hatte:
Die Menschheit fühlt sich zu Hunden hingezogen, weil sie uns so sehr ähneln – sie sind angeberisch, zärtlich, verwirrt, leicht zu enttäuschen, auf Vergnügen aus, dankbar für Freundlichkeit und die kleinste Aufmerksamkeit.
Diese Ähnlichkeiten ermöglichen es den Mitgliedern zweier verschiedener Spezies, eng zusammenzuleben, Nahrung und Erholung zu teilen und sogar die Jungen gemeinsam großzuziehen.1 Das Leben vieler Tiere ist eng mit dem anderer verbunden, aber unsere Verbindung zu Hunden ist wirklich tief. Die meisten von uns gehen mit ihren Hunden spazieren, spielen mit ihren Hunden, essen zur gleichen Zeit wie ihre Hunde (manchmal sogar das gleiche Essen) und schlafen mit ihren Hunden. Manche von uns brauchen Hunde immer noch bei ihrer täglichen Arbeit. Schafhalter in Wyoming oder Milchviehfarmer in Wisconsin brauchen ihre Hunde genauso oder noch mehr wie Maschinen und High-Tech Fütterungssysteme. Wir wissen, dass Hunde das Leben vieler Menschen bereichern, Millionen auf der ganzen Welt Freude bereiten und Trost sind. Studien zeigen sogar, dass sie das Risiko eines zweiten Herzinfarktes senken. Wir plagen uns nicht umsonst mit Fellwechsel, Bellen und dem Wegräumen von Hundekot auf unseren Spaziergängen.
Und schauen Sie einmal, was wir für Hunde getan haben. Canis lupus familiaris, der Haushund, ist heute eines der erfolgreichsten Säugetiere der Welt, weil er seine Flagge neben der unseren gehisst hat. Schätzungsweise gibt es etwa vierhundert Millionen Hunde auf der Welt. Viele amerikanische Hunde ernähren sich von BioKost, gehen zu Hunde-Chiropraktikern und Hunde-Tagesstätten und zerkauen jedes Jahr Millionen Dollar in Form von Spielzeugen. Das nenne ich doch eine erfolgreiche Spezies.
Aber wir haben auch unsere Unterschiede. Wir Menschen wälzen uns nicht genüsslich in Kuhfladen. Auch essen wir, zumindest größtenteils, nicht die Plazenta unserer Neugeborenen auf. Gottseidank begrüßen wir einander nicht, indem wir uns an den Hinterteilen beschnüffeln. Während Hunde in einer Welt von Gerüchen leben, sind wir chemische Analphabeten. Zum Teil sind diese Unterschiede schuld, dass Hunde und Menschen sich so oft missverstehen. Die Auswirkungen dieser Missverständnisse reichen von leichter Irritation bis zur Lebensbedrohung. Manche sind darin begründet, dass die Besitzer nichts von Hundeverhalten und davon, wie Tiere lernen, verstehen. Ich ermuntere alle Hundebesitzer, viele gute Bücher über Hundeerziehung zu lesen. Hundeerziehung, so stellt sich heraus, hat doch nicht so viel mit Intuition zu tun, und je mehr sie lernen, desto leichter und vergnüglicher wird es.
Manche der Missverständnisse in der Kommunikation haben aber nicht nur mit mangelndem Wissen über die Hundeerziehung zu tun, sondern mit den grundlegenden Unterschieden zwischen zwei Spezies. Schließlich sind Hunde nicht die einzigen Tiere in dieser Beziehung. Wir Menschen am anderen Ende der Leine sind auch Tiere, mit unserem eigenen biologischen Verhaltensgepäck, dass sich auf unserer Reise durch die Evolution angesammelt hat. Weder wir noch die Hunde beginnen die Hundeerziehung als unbeschriebene Blätter. Hunde und Hundefreunde wurden beide von verschiedenen evolutionären Hintergründen geprägt, und was jeder von beiden in die Beziehung mitbringt, beginnt mit dem Erbe unserer Naturgeschichte. Auch wenn unsere Gemeinsamkeiten eine bemerkenswerte Verbindung zwischen uns schaffen, so sprechen...