Einleitung
Neustart nach dem Beruf
Männer altern anders!
Als der Verlag Ende 2007 mein Buch Männer altern anders auf den Markt brachte, ließ er sich auf ein ungewisses Unternehmen ein: Wo Männerbücher an sich schon wenig gefragt sind, habe die Kombination von Mann und Alter kaum eine Marktchance – so zumindest die Einschätzung einiger anderer renommierter Verlage, denen ich mein Manuskript angeboten hatte. Inzwischen ist bereits die dritte Auflage erschienen und die Nachfrage ist auch nach zwei Jahren ungebrochen, was sich unter anderem an vielen Vortragsanfragen zeigt. Immer mehr Männer (und ihre Frauen) scheinen sich für den weithin noch unerforschten Kontinent des männlichen Alterns zu interessieren und wollen sich mit diesen Fragen rechtzeitig auseinandersetzen.
In Zuschriften und bei meinen Vorträgen und Seminaren wird immer wieder deutlich:
Menschen im sechsten Lebensjahrzehnt wünschen sich konkrete Hilfestellungen und Anregungen, um den Übergang in den Ruhestand zu bewältigen und um ein sinnerfülltes Leben nach dem Beruf zu gestalten. Besonders die Suche nach sinnstiftenden Tätigkeiten treibt viele Männer und häufig besonders deren Partnerinnen um, die sich vor einem Lebensabschnitt mit einem untätig herumsitzenden Ehemann fürchten. Was kann und soll der Mann anfangen, wenn er am Ende seines fünften Jahrzehnts bei besten geistigen Kräften, nahezu unverminderter körperlicher Leistungsfähigkeit und meist solider materieller Absicherung vor seinem Dritten Lebensalter steht? Das heißt, wenn er im statistischen Durchschnitt noch mit 15 bis 20 guten, aktiven Jahren rechnen kann, bevor dann mit Mitte 80 das Vierte Alter, das eigentliche Alter mit seinen einschränkenden Gebrechen kommt?
Dieses Buch bietet Erfahrungen, Orientierungen und Tipps für die Bewältigung des Unruhestands, jener Zeit der gelegentlich ängstlichen Unruhe, wenn das nachberufliche Leben vor der Tür steht oder eingetreten ist und ein plötzlicher Stand in Ruhe befürchtet wird. Im Fokus dieses Buches steht die Frage, was der Mann im Ruhestand tun kann, manche anderen Themen, wie etwa Gesundheit oder Beziehung kommen eher am Rande vor. Wer sich mit diesen Fragen mehr beschäftigen möchte, sei auf mein Buch Männer altern anders verwiesen. Mit dem Begriff Unruhestand soll allerdings nicht jenes hektische Altern propagiert werden, mit dem manche Vielbeschäftigten ihre Anrede als Ruheständler kokett abtun. Dieses Buch will im schwierigen Gelände der Suchprozesse Orientierungen geben, will im unbekannten Kontinent der nachberuflichen Herausforderungen lohnende Ziele beschreiben; es will Männern jenseits der 50 und all denjenigen, die mit ihnen leben und sich für sie interessieren, Lust und Mut machen für einen Lebensabschnitt, der viele Chancen dafür eröffnet, dass das Beste im Leben noch kommen kann.
Zehn Grundannahmen
Dies ist ein Buch aus Männersicht und für Männer geschrieben, auch wenn sich wahrscheinlich viele Frauen mit ihren Fragen und Themen darin gut aufgehoben fühlen werden. Es beruht auf zehn Grundannahmen, die auf einigen Ergebnissen der Ruhestands- und Alternsforschung beruhen und die besonders männerspezifisch sind beziehungsweise Männer in besonderer Weise ansprechen:
- Männer verdrängen das Alter(n) mehr und können sich das auch länger als Frauen leisten – alt sind eben immer nur die anderen; wenn der Ruhestand dann plötzlich vor der Tür steht, sind viele Männer darauf schlecht vorbereitet. Die späte Freiheit, die dem Mann mit der so genannten »Freisetzung« aus dem Berufsleben geschenkt wird, ist darum ein Präsent, mit dem viele Männer nach 40 Jahren beruflicher »Gefangenschaft« nichts Rechtes anfangen können.
- Der Mann, der Ende 50, Anfang 60 aus dem Beruf aussteigt, ist körperlich, geistig und seelisch im Allgemeinen noch viel zu jung fürs Altenteil und für einen Stand in Ruhe.
- Die meisten Männer erfahren sich zeitlebens weniger im Kommunizieren und mehr im Tun und brauchen deswegen auch im nachberuflichen Leben etwas Handfestes, Schöpferisches und Sichtbares.
- Männer wollen etwas von dem weitergeben und weiterleben lassen, was sie an beruflichen und außerberuflichen Erfahrungen erworben und an Kompetenzen erarbeitet haben.
- Mit dem Berufsaustritt verlieren die meisten Männer bedeutsame oder gar ihre wichtigsten sozialen Beziehungen und müssen sich über geeignete soziale Aktivitäten im Ruhestand neue Kontakte erarbeiten.
- Die Ehe kann mit der »Heimkehr« des Mannes ihre bislang größte Belastungsprobe erfahren.
- Dass Lebenssinn und Erfüllung vor allem in persönlicher Bedeutung für andere gefunden werden können – was Frauen über ihre verschiedenen Netzwerke meist schon immer leben –, müssen viele Männer im Ruhestand erst für sich entdecken.
- Der Mann, als der mehr nach außen Orientierte, ist im Ruhestand in besonderer Weise dazu bereit und aufgerufen, sich für sein Umfeld, für die Umwelt und für unsere Welt insgesamt zu engagieren.
- Wie schon das Alter überhaupt wird insbesondere das hohe Alter von vielen Männern verdrängt und wird dadurch, wie alles Verdrängte, umso bedrohlicher; eine aktive Auseinandersetzung mit der Hochaltrigkeit lässt neben den Verlusten auch Gewinne erkennen. 10. Ein »richtiger« Mann löst seine Probleme im Kopf – Männer brauchen jedoch den Austausch mit anderen Männern (oder wenigstens ersatzweise ein Buch wie dieses), um sich über ihre Alters- und Alternsfragen klar zu werden und ihr Altern konstruktiv zu bewältigen.
Dieses Buch spricht immer wieder von den Männern, wohl wissend, dass es den Mann nicht gibt. Die Vielfalt der Männerleben, der Männerbiografien, der Männerschicksale, der männlichen Lebenslagen ist niemals größer als im Alter. Vieles in diesem Buch basiert auf Untersuchungen, die sich eher an der so genannten männlichen Normalbiografie orientieren, wie sie statistisch gesehen bei den jetzt Älteren noch vorherrscht: ein verheirateter Mann (mit Kindern), der eine nahezu ununterbrochene Vollerwerbsbiografie vorzuweisen hat, der nach dem Ausscheiden aus dem Ruhestand materiell ausreichend abgesichert, mit relativ guten körperlichen und geistigen Kräften noch rund 20 gute Jahre vor sich hat. Männer, die alleinstehend sind, die in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft leben, die geschieden oder verwitwet sind, die körperlich oder psychisch chronisch krank sind, die langzeitarbeitslos waren, die in Armut leben, und andere mehr – auch diese Männer werden sich und ihre Themen in diesem Buch wiederfinden, wenn sie das eine oder andere für sich entsprechend anpassen oder übersetzen.
Vier Wegweiser
Dieses Buch will Männer vor und nach dem Ruhestand in ihren Suchprozessen begleiten, will sie mit den lebendigen Erfahrungen aus vielen Gesprächen anregen, mit konkreten Orientierungen und Tipps unterstützen. Es will nach langen Betriebsjahren an vorgespurtem Leben dazu ermutigen, sich mit Entdeckungslust auf den Weg zu machen, sich durch ein paar Sackgassen (die in jedem Fall die Ortskenntnis erhöhen) nicht beirren zu lassen, um dann das Seine zu finden. 20 Männer im Ruhestand kommen in diesem Buch zu Wort, die über ihre Suchprozesse berichten, von ihren Erfahrungen erzählen und sichtbar machen, dass die Suche nach dem eigenen Projekt nicht immer ganz einfach ist, aber in jedem Fall lohnt.
Für die Orientierung auf der Suche nach einem neuen Sinn im Leben hat sich dieses Buch auch an der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Sinn orientiert. Im Althochdeutschen war Sinn gleichbedeutend mit reisen, beistehen, sich um etwas kümmern. Vier Wegweiser geben Orientierung für eine Reise mit spezifischen Entwicklungschancen, Herausforderungen und Aufgaben.
Ein »richtiger« Mann liest in der Regel allerdings keine Gebrauchsanweisung und fragt nicht nach dem Weg. Deswegen ist ein erstes Kapitel unverzichtbar, das dazu einladen möchte, die unbekannten Schwierigkeiten der neuen Situation nicht zu verkennen und vielleicht doch eine Wanderkarte in die Hand zu nehmen. Denn nicht wenige Männer sehen ihrem Ruhestand hoffnungsfroh entgegen, freuen sich auf das Ende der beruflichen Belastung und Fremdbestimmung, listen bestenfalls aufgeschobene oder zu kurz gekommene Beschäftigungen auf und gehen im Übrigen davon aus, dass sich alles Weitere schon irgendwie geben wird. Hört man genauer hin, erinnern solch optimistische Einschätzungen gelegentlich an das Pfeifen des kleinen Jungen im Wald, wenn er seine ängstlichen Fantasien ob der dunklen Bedrohungen vertreiben will.
Der Übergang in den Ruhestand ist für viele Männer nicht selten die erste und umfassendste Krise in ihrem Leben. Mit dem Ende des Berufslebens sind unter anderem Status, Selbstwert, Lebenssinn und soziales Netzwerk gefährdet, und die Beziehung zur Partnerin steht vor einer ihrer größten Herausforderungen. Die Gefahren dieser Krise wahrzunehmen ist wichtig, um von ihr nicht überrascht und übermannt zu werden.
Die vier Wegweiser für das Leben nach dem Beruf: Chancen, Ressourcen, Potenziale und Entwicklungsaufgaben des Alters
Jede Krise hat zwei Gesichter: Einerseits birgt sie Gefahren, andererseits bietet sie immer auch neue Chancen. Deswegen wird sich das erste Kapitel, der erste Wegweiser, mit den großen späten Freiheiten beschäftigen. Mit diesem Begriff bezeichnete der renommierte Gerontologe Leopold Rosenmayer die historisch völlig neue Chance zur aktiven Gestaltung eines Lebens jenseits...