9 Zur Bedeutung der Pelviskopie in der Reproduktionsmedizin (S. 83-84)
L. Mettler, J. Kleinstein, J. Keckstein
Einleitung
Der nur in Deutschland übliche Begriff der Pelviskopie, die weltweit und auch bei uns heute Laparoskopie genannt wird, stammt von Kurt Semm, der im Unterschied zur internistischen Laparoskopie bzgl. Abklärung der Leber die Abklärung des Kleinbeckens als Pelviskopie bezeichnete [19, 20, 21]. Die ersten Indikationsgebiete für die operative Pelviskopie waren die Sterilisierung, die Diagnostik von Tuben-, Uterus- und Ovarveränderungen sowie gleichzeitig die operative Therapie bei Kinderwunschpatientinnen [22]. Als die einzige diagnostische Möglichkeit bei Eileiterschwangerschaft, bei verschlossenen und verengten Tuben, zur Ovarialzysten- und Myomdiagnostik, bei Verwachsungslösungen, bei Follikelpunktionen oder Abklärung der funktionellen Möglichkeit einer Befruchtung stand und steht die Pelviskopie im Zentrum der Reproduktionsmedizin [23, 24, 25].
Eine definitive Abklärung von Eileiterschwangerschaft, Endometriose sowie die Abschätzung einer Myomenukleation und Ovarialzystenausschälung ist auch heute noch nur durch Einsatz der operativen Pelviskopie neben der natürlich immer möglichen Laparotomie realisierbar. Die Eizellgewinnung zur In-vitro-Fertilisation, zur intrazytoplasmatischen Spermieninjektion und zum Embryotransfer war zunächst nur über die laparoskopische Follikelpunktion möglich [26] und wurde seit 1986 transvaginal durchgeführt [27]. Den heutigen Einsatz der Endoskopie im Rahmen der Reproduktionsmedizin beschreiben wir in 3 Kapiteln: 1) Stellenwert der Laparoskopie zur Behandlung der Endometriose (Jörg Keckstein), 2) Eileiterschwangerschaft, Tuben- und Ovarialchirurgie (Jürgen Kleinstein), 3) Myomenukleation and Adhäsiolyse (Liselotte Mettler).
9.1 Stellenwert der Laparoskopie zur Behandlung der Endometriose
J. Keckstein
Bedeutung der Endometriose für die Reproduktion
Endometriose ist eine proliferative Erkrankung, die durch ektopes Vorhandensein von Endometrium, vornehmlich im kleinen Becken, aber auch in anderen Körperregionen, gekennzeichnet ist. Die Genese dieser Erkrankung ist bisher nicht geklärt, wobei 3 wichtige Erklärungsmodelle immer wieder diskutiert werden. Die von Sampson publizierte These, dass Endometrium durch ein retrogrades Abfließen von Menstruationsblut transplantiert wird, entspricht vornehmlich einer rein mechanistischen Sichtweise. Dem gegenüber steht die Annahme, dass es sich bei der Endometriose um eine Proliferation von multipotenten Zellen außerhalb des Uterus handelt. Eine ähnliche Theorie ist die primäre Fehlanlage bzw. Fehldifferenzierung der Urnierenanlagen. Zusätzlich gibt es multiple weitere Erklärungsversuche unter Einbeziehung des immunologischen Systems sowie Umweltfaktoren etc.
Endometriose verändert die Anatomie sowie die Funktion der Genitalorgane: ,
- ,Ektop gelegenes Endometrium, das durch die endokrine Beeinflussung entsprechende Aktivitäten aufweist, führt zu entsprechenden Funktionsstörungen der betroffenen Organe bzw. Gewebestrukturen. ,
- Proliferative Prozesse, Neoangiogenese, Entzündungsprozesse mit entsprechender Freisetzung von Prostaglandinen, Interleukinen und Vorhandensein von nerve growth factors etc. verursachen einen entsprechenden Umbau der anatomischen Strukturen.
- Die Ausbildung fibrotischer Gewebereaktionen mit Adhäsionsbildung und Organdestruktion ist die Folge
Genitale Strukturen, wie der Bandapparat des Uterus, die Ovarien, Tuben, aber auch die Myometriumstruktur des Uterus selbst, sind davon betroffen. Extragenitale Strukturen wie das Rektosigmoid, Zökum, Appendix, terminales Ileum, Ureter, Blase sind nicht selten mit eingeschlossen. Die Ausbildung von Adhäsionen durch Entzündungsprozesse und proliferative Vorgänge der Endometriose verändern die gesamten anatomischen Verhältnisse im Becken.
Alle beschriebenen pathophysiologischen Vorgänge führen unweigerlich zu einer Veränderung der Fertilität.
Endoskopie, das Verfahren der ersten Wahl zur Diagnostik der Endometriose
Zur Diagnosestellung der Endometriose sind eine ausführliche Anamnese, klinische Untersuchung (bimanuell und rektovaginal), die Vaginalsonographie und ggf. bildgebende Verfahren wie CT, MRT, Röntgen-Kontrast-Untersuchungen notwendig. Die endgültige Sicherung der Diagnose kann allerdings nur durch eine histologische Begutachtung skopische Verfahren, evtl. mit Tubensondierung unter laparoskopischer Sicht, vorgenommen.