Sie sind hier
E-Book

Das Ende der Nacht

Lichtsmog: Gefahren, Perspektiven, Lösungen.

VerlagWiley-VCH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl233 Seiten
ISBN9783527674893
FormatPDF/ePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Jedem Stadtbewohner fällt auf, dass wir nachts aufgrund immer heller werdender künstlicher Beleuchtung kaum mehr Sterne am Himmel sehen können. Doch dies ist nur die Spitze des Eisbergs, was den Verlust natürlicher nächtlicher Dunkelheit betrifft. Menschen und Tiere - darunter Nachtfalter, Zugvögel und Meeresschildkröten - leiden mittlerweile rund um den Globus an der Zerstörung des Tag-Nacht-Rhythmus durch die übermäßige Erhellung der Nacht. Beim Menschen können Krankheiten und eine Zunahme von Stress die Folgen sein. Das gesamte Phänomen, das bisher nur in Fachkreisen bekannt war, wird in diesem Werk erstmals umfassend und reichhaltig illustriert vorgestellt - von Experten aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und den USA. Es ist für jeden geeignet, der sich für ein harmonisches Miteinander von Mensch und Natur sowie einen gesunden Arbeits- und Lebensrhythmus interessiert.
Diese zweite Auflage des Buches 'Das Ende der Nacht' beleuchtet weitere Hintergründe die der 'Verlust der Nacht' mit sich bringt. Unter anderem sind erste Ergebnisse des gleichnamigen Forschungsverbundes der Leibniz-Gemeinschaft in diesem Buch mit aufgenommen worden.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

2


NACHT UND KAMPF GEGEN DIE NACHT AUS KULTURHISTORISCHER PERSPEKTIVE


Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Auch meine Seele ist ein springender Brunnen.“

(Nietzsche)

von Thomas Posch und Walter Seitter

Wie im ersten Kapitel dargestellt, haben wir heute zahlreiche Gründe dafür, von einer Gefährdung, Bedrohung, gar Zerstörung der Nacht und von einem globalen Raubbau am natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus zu sprechen. Die technischen Voraussetzungen dieser Entwicklung – von der Öllampe über das Gaslicht bis hin zum elektrischen Licht – wurden bereits schematisch dargestellt (Abschnitt 1.3). In diesem Kapitel wollen wir nun der Frage nachgehen, wo die kulturhistorischen Anfänge, Motive und Strategien dieser Entwicklung aufzufinden sind; wo die Wurzeln der Aufhebung des naturgegebenen Tag-Nacht-Rhythmus liegen; aber auch, wo sich schon früh Widerstand dagegen regte und inwiefern die Nacht als „Refugium“ propagiert wurde.

ABBILDUNG 2.1: Der Chor der gotischen Kathedrale von Tours (13. Jahrhundert).

2.1 Frühe „Licht-Verherrlichungen“ und „Nacht-Verdammungen“


Es scheint, dass der bisherige „Sonderweg“ des Abendlandes – der uns im Zuge der Globalisierungsbewegungen immer deutlicher bewusst wird – auch in Bezug auf die hier behandelte Thematik vor ungefähr 3.000 Jahren seine ersten Anstöße aus den Hochkulturen des „Morgenlandes“ (Vorderasien und Nordafrika) erhalten hat. Kulturelle Hegemonien und Umbrüche jener weit zurückliegenden Zeiten erscheinen uns überwiegend „religiös“ kodiert, und insofern lässt sich sagen, dass in den traditionellen Polytheismen die Pluralität der Erscheinungswelt, so auch der Rhythmus aus Tag und Nacht, mythologisch und kultisch akzeptiert und zelebriert wurde. Das damit verbundene Gleichgewichtsdenken ist vielleicht erstmalig durch Religionsreformen in Frage gestellt worden, die in Ägypten im 14. Jahrhundert v. Chr. G. von Pharao Amenophis IV. (Echnaton) und in Persien etwas später durch Zoroaster (Zarathustra) durchgeführt worden sind: Erhebung des Sonnengottes zum Übergott und Aufruf zum Kampf für das Licht gegen die Finsternis, für die Wahrheit gegen die Lüge. Beide Religionsreformen setzten sich nicht unmittelbar durch. Doch die ägyptische dürfte zur Ausbildung des israelitischen Monotheismus beigetragen haben, und die zarathustrische hat in der Spätantike weitreichenden Einfluss auf religiöse wie auf philosophische Strömungen ausgeübt: im Sinne des manichäischen oder gnostischen Kampfes- und Fortschrittswillens. Auch wenn die drei vorderasiatischen Monotheismen (Judentum, Christentum, Islam) durch die manichäischen (gnostischen) Vorstellungen geprägt worden sind, haben sie es vermieden, diese in Reinform zu propagieren [1: S. 114ff.]. In der christlichen Mystik finden sich sogar sehr„positive“ Nacht-Metaphern, so etwa das Dunkel als Möglichkeit der Gotteserfahrung [2: S. 205 ff.]. Gnostische Motive haben in die griechische Philosophie Eingang gefunden, ja haben sie mitkonstituiert: so bei Parmenides, der innerhalb der Dualität aus Licht und Nacht letztlich doch nur dem ersteren wahre Realität zuspricht, und bei Platon, der im Höhlengleichnis der Welt aus Schatten- und Lichtspielen die Welt des Sonnenlichts entgegensetzt [3: S. 302; 4: S. 269 ff.; 1: S. 68 ff.].

Als Emblem für die antike Licht-Verherrlichung wie auch Nacht-Verdammung sei ein offizieller Gründungstext des Christentums herangezogen, die Offenbarung des Johannes, in welcher die künftige und unvergängliche Welt ganz konkret geschildert wird: als „Neues Jerusalem“, eine Stadt, die nur aus lichthaltigen, diaphanen, farbigen Steinen besteht und keiner Beleuchtung bedarf. In dieser lichtvollen Stadt bzw. Welt Gottes wie auch der Kinder Gottes wird keine Nacht sein, wie zweimal betont wird [5: Vs. 21.25, 22.5]. Und doch gibt es ein „Aber“: irgendwo in einem Eck dieser Welt ist ein „anderer Ort“, der zwar nicht Nacht genannt wird, aber „Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt“ – der Ort der ewigen Qualen des Teufels und der Ungläubigen [5: Vs. 21.8; 1: S. 116f.].

Sollte die Einführung dieses Ortes ebenfalls unter „Nacht“ subsumiert werden können, so würde es sich um eine explizite „Verteufelung“ der Nacht handeln. Der gesamte Text aber geht noch weit darüber hinaus: schlicht und einfach „Abschaffung“ der Nacht. Und er hat auch direkte Fortsetzungen gefunden, die dann in die Aufklärung einmünden: Via lucis von Johann Amos Comenius (1642), wo der Tag herbeigewünscht wird, „der keinen Sonnenuntergang kennt“ [6: S. 189].

Die prominente Schilderung des „Himmlischen Jerusalem“ hat in der Geschichte des Christentums eine große Wirkung entfaltet. Die Kirchenbaukunst strebte von ihren Anfängen an danach, die Lichtarchitektur schon auf dieser Erde durchzusetzen: eine Ambition, welche die spätantiken und byzantinischen Kirchen ebenso bestimmte, wie sie dann in Westeuropa zur ästhetischen Emanzipation des Abendlandes (vom Mittelmeerraum) geführt hat, indem die opaken Mauermassen der Romanik durch Stangengitter und Glasscheiben ersetzt wurden: Gotik [7: S. 116f.] – vgl. Abb. 2.1.

2.2 Feuerwerke, nächtliche Maskenbälle, Flucht vor dem Tag: Die Explosion des Nachtlebens im Barock


In der Barockzeit kam es besonders an den europäischen Fürstenhöfen zu einer enormen Aufwertung des Nachtlebens. Immer mehr Feste wurden in aristokratischen Kreisen in die Nachtstunden verlegt und oft mit aufwändigen Feuerwerken verbunden [8: S. 134]. Die Nacht bot eine willkommene Gelegenheit, der Welt des Tages und ihren strengen Verhaltensregeln zu entfliehen und – besonders im Rahmen von Maskenbällen – in neue Rollen zu schlüpfen, ja sogar dem Anschein nach das Geschlecht zu wechseln [9: S. 265]. Die Nacht verwischte, schreibt W. Schivelbusch, „die Übergänge zwischen Wirklichkeit und Einbildung“ [8: S. 134]. Von Nathaniel Richards, dem Autor des 1640 publizierten Stücks The Tragedyof Messalina, Empress of Rome, stammen die dazu passenden Verse:

„Jetzt kommt die Zeit, die den Genuss am größten macht,

Nacht wird hier zu Tag und Tag zu Nacht.

Hier sind Erregung, Masken, mitternächt’ge Feste

und alles Ausgefallne, was Begierde macht.“ [9: S. 262]

„Die Nacht zum Tag zu machen: damit begann man in größerem Umfang in der Tat durch die Prunkbeleuchtung und die nächtlichen Feste der Barockzeit. Wie schon im ersten Kapitel erwähnt, ließ Ludwig XIV., der „Sonnenkönig“, im Jahre 1688 – kurz nach dem Umzug des Hofstaats nach Versailles – den dortigen Schlosspark mit 24.000 Laternen erleuchten. Die absolutistischen Herrscher nutzten Licht also als ein Mittel der Selbstdarstellung (wie heute der Finanzkapitalismus in seinen oft rund um die Uhr beleuchteten,Glaspalästen‘). Der „Sonnenkönig“ soll gesagt haben: „Die Leute genießen Spektakel, und wir bemühen uns, zu jeder Zeit ihr Gefallen zu finden.“ Ein kritischer späterer Beobachter meinte bezüglich der Licht-Spektakel der Barock-Herrscher allerdings, der Zweck derselben sei es,,die Leute [= das einfache Volk] im Dunkeln zu halten‘.“ [9: S. 95; 10: S. 85-92]. In der Glorifikation des Lichts hatte sich Ludwig XIV. übrigens schon sehr früh geübt: als 14-jähriger (1653) trat der junge König im „Ballet de la nuit“ von Isaac de Benserade auf – unter anderem, am Ende des Balletts, als „aufgehende Sonne„. Auf den nicht mehr ganz so jungen (noch nicht 30-jährigen) Ludwig XIV. geht auch die Installation der ersten öffentlichen Straßenbeleuchtung in Paris zurück. An diese Errungenschaft erinnert die in Abb. 2.2 gezeigte Münze aus dem Jahr 1667, deren Rückenprägung verkündet: Die Stadt sei gereinigt (mundata) und die Nacht durch Laternen erhellt [11: S. 320]. Genau im selben Jahr 1667 wurde übrigens die heute noch bestehende Sternwarte „Observatoire de Paris“ gegründet. Der französische König ließ indes zwei Jahre später, 1669, noch eine zweite Münze prägen, die abermals die Einführung der Straßenbeleuchtung zelebrierte – diesmal mit folgender Aufschrift auf der Rückseite: „Urbis securitas et nitor“ („Sicherheit und Helle der Stadt”). Dabei wurde wiederum dieselbe Frauengestalt wie in Abb. 2.2 als Symbol verwendet, welche in der rechten Hand eine Laterne und in der linken Hand einen – durch das Licht vor Diebstahl sicheren? – prall gefüllten Geldbeutel hält.

ABBILDUNG 2.2: Rückseite einer Münze, die Ludwig XIV. 1667 anlässlich der Einführung der öffentlichen Beleuchtung in Paris prägen ließ. Eine weitere...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Astronomie - Weltraum - Sternenkunde

Albert Einstein

E-Book Albert Einstein
Genie, Visionär und Legende Format: PDF

Albert Einstein, der größte Physiker seit Newton, wurde 1879 in Ulm geboren. Im Jahre 1929 schrieb er der 'Ulmer Abendpost' auf eine Anfrage: 'Die Stadt der Geburt hängt dem Leben als etwas…

Albert Einstein

E-Book Albert Einstein
Genie, Visionär und Legende Format: PDF

Albert Einstein, der größte Physiker seit Newton, wurde 1879 in Ulm geboren. Im Jahre 1929 schrieb er der 'Ulmer Abendpost' auf eine Anfrage: 'Die Stadt der Geburt hängt dem Leben als etwas…

Vom Universum zu den Elementarteilchen

E-Book Vom Universum zu den Elementarteilchen
Eine erste Einführung in die Kosmologie und die fundamentalen Wechselwirkungen Format: PDF

Das Buch bietet eine leicht verständliche Darstellung der größten Rätsel der Physik. Es führt in die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, die klassische und Quanten-Feldtheorie ein und…

Vom Universum zu den Elementarteilchen

E-Book Vom Universum zu den Elementarteilchen
Eine erste Einführung in die Kosmologie und die fundamentalen Wechselwirkungen Format: PDF

Das Buch bietet eine leicht verständliche Darstellung der größten Rätsel der Physik. Es führt in die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, die klassische und Quanten-Feldtheorie ein und…

Weißt du, wie viel Sterne stehen?

E-Book Weißt du, wie viel Sterne stehen?
Wie das Licht in die Welt kommt Format: ePUB

Der Star der SterneSeit Menschen die Augen gen Himmel richten, haben vor allem die Sterne sie fasziniert. Mythen, Legenden und bizarre Theorien verbinden sich mit den geheimnisvollen hellen Punkten…

Weitere Zeitschriften

BEHINDERTEPÄDAGOGIK

BEHINDERTEPÄDAGOGIK

Für diese Fachzeitschrift arbeiten namhafte Persönlichkeiten aus den verschiedenen Fotschungs-, Lehr- und Praxisbereichen zusammen. Zu ihren Aufgaben gehören Prävention, Früherkennung, ...

Card-Forum

Card-Forum

Card-Forum ist das marktführende Magazin im Themenbereich der kartengestützten Systeme für Zahlung und Identifikation, Telekommunikation und Kundenbindung sowie der damit verwandten und ...

Computerwoche

Computerwoche

Die COMPUTERWOCHE berichtet schnell und detailliert über alle Belange der Informations- und Kommunikationstechnik in Unternehmen – über Trends, neue Technologien, Produkte und Märkte. IT-Manager ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

DER PRAKTIKER

DER PRAKTIKER

Technische Fachzeitschrift aus der Praxis für die Praxis in allen Bereichen des Handwerks und der Industrie. “der praktiker“ ist die Fachzeitschrift für alle Bereiche der fügetechnischen ...

DGIP-intern

DGIP-intern

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP) für ihre Mitglieder Die Mitglieder der DGIP erhalten viermal jährlich das Mitteilungsblatt „DGIP-intern“ ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...