1. KAPITEL
DU BIST EIN BUDDHA
Ich grüße den Buddha in euch. Es mag euch nicht bewusst sein, ihr mögt nie im Traum daran gedacht haben, dass ihr Buddhas seid, dass niemand überhaupt etwas anderes sein kann, dass Buddhaschaft der absolut innerste Kern eures Wesens ist, dass sie nicht etwas ist, das erst in Zukunft passiert, sondern dass sie bereits passiert ist. Sie ist die eigentliche Quelle, aus der ihr kommt. Sie ist die Quelle und auch das Ziel. Buddhaschaft ist es, woher wir kommen, und Buddhaschaft ist es, wohin wir gehen. Dies eine Wort ‚Buddhaschaft‘ enthält alles – den vollen Zyklus des Lebens, vom Alpha bis zum Omega.
Aber ihr schlaft fest. Ihr wisst nicht, wer ihr seid.
Ihr müsst nicht erst zum Buddha werden. Ihr müsst nur erkennen, dass ihr nur einfach zu eurer eigenen Quelle zurückfinden müsst, ihr müsst nur in euch hineinschauen. Eine Konfrontation mit euch selbst wird euch eure Buddhaschaft enthüllen. Am selben Tag, an dem man sich endlich erkennt, wird die ganze Existenz erleuchtet. Nicht, dass da eine Person erleuchtet wird – wie sollte eine Person erleuchtet werden? Schon die Vorstellung, eine Person zu sein, ist Teil des unerleuchteten Geistes. Nicht etwa, dass ich erleuchtet worden wäre – das ‚Ich‘ muss fallen, ehe man erleuchtet werden kann! Wie also kann ‚ich‘ erleuchtet werden? Das ist absurd. Am Tag, als ich erleuchtet wurde, wurde die ganze Existenz erleuchtet. Von jenem Moment an habe ich nichts anderes gesehen als Buddhas – in vielen Formen, mit vielen Namen, mit tausendundeinem Problem, aber dennoch Buddhas. Also grüße ich den Buddha in euch. Ich bin ungeheuer froh, dass sich so viele Buddhas hier versammelt haben. Schon die Tatsache, dass ihr zu mir gekommen seid, ist der Anfang des Wiedererkennens. Die Achtung in eurem Herzen vor mir, die Liebe in eurem Herzen zu mir, ist die Achtung und Liebe für eure eigene Buddhaschaft. Das Vertrauen in mich ist kein Vertrauen in etwas außerhalb von euch, sondern euer Vertrauen in mich ist Selbst-Vertrauen. Indem ihr mir vertraut, werdet ihr lernen, euch selbst zu vertrauen. Indem ihr mir nahekommt, werdet ihr euch selbst nahekommen. Es muss nur ein Wiedererkennen passieren. Der Diamant ist da – ihr habt ihn vergessen oder ihr habt euch von Anfang an nicht an ihn erinnert.
Es gibt einen sehr berühmten Ausspruch von Emerson: „Der Mensch ist Gott in Ruinen.“ Ich stimme ihm zu und ich stimme ihm nicht zu. In dieser Erkenntnis steckt eine gewisse Wahrheit, der Mensch ist nicht, wie er sein sollte. Diese Erkenntnis ist darin enthalten, aber sie steht etwas auf dem Kopf. Der Mensch ist nicht Gott in Ruinen, der Mensch ist vielmehr Gott im Aufbau.
Der Mensch ist ein knospender Buddha. Die Knospe ist da, sie kann jeden Moment aufblühen: einfach ein wenig Mühe, einfach ein wenig Hilfe … Und die Hilfe ist nicht die Ursache. Alles ist ja schon da! Eure Mühe deckt es euch nur auf, hilft euch, das zu entfalten, was da ist – im Verborgenen! Es ist eine Entdeckung, aber die Wahrheit ist bereits da. Die Wahrheit ist ewig.
Hört euch diese Sutras an, denn das hier sind die wichtigsten Sutras in der großen buddhistischen Literatur. Daher heißen sie Das Herz-Sutra – weil es genau das Herz der buddhistischen Botschaft ist.
Aber ich möchte gern ganz von vorn anfangen; nur von dort aus wird der Buddhismus relevant. Lasst es da sein in eurem Herzen: „Du bist ein Buddha!“ Ich weiß, es mag anmaßend wirken, es mag sehr hypothetisch wirken, ihr könnt der Sache nicht allzu sehr trauen. Das ist natürlich. Ich versteh das. Lasst es da sein – aber als Saatkorn. Mit diesem Faktum als Mittelpunkt kann vieles anfangen zu passieren, und nur mit diesem Faktum als Mittelpunkt werdet ihr diese Sutras verstehen können. Sie sind ungeheuer machtvoll – wenn auch sehr klein, sehr gedrängt, saatförmig. Aber auf diesem Boden, mit dieser Vision im Sinn – dass du ein Buddha bist, dass du ein knospender Buddha bist, dass du potenziell fähig bist, einer zu werden, dass nichts fehlt, alles bereitsteht, alles nur in die richtige Anordnung gebracht werden muss, dass nur ein bisschen mehr Wachheit dazu gehört, ein bisschen mehr Bewusstsein dazu gehört …
Der Schatz ist da; du brauchst nur ein Lichtchen in dein Haus zu bringen. Ist die Finsternis erst einmal fort, wirst du kein Bettler mehr sein, wirst du ein Buddha sein, wirst du ein Souverän sein, ein Kaiser. Dieses ganze Königreich ist dein, du brauchst es nur einzufordern. Du brauchst nur deinen Anspruch geltend zu machen. Aber du kannst es nicht beanspruchen, solange du glaubst, dass du ein Bettler bist. Du kannst es nicht beanspruchen, du kannst nicht einmal von Ansprüchen träumen, solange du glaubst, dass du ein Bettler bist.
Diese Vorstellung, dass du ein Bettler bist, dass du unwissend bist, dass du ein Sünder bist, ist seit Jahrhunderten von so vielen Kanzeln herab gepredigt worden, dass es zu einer tiefen Hypnose in euch geworden ist. Diese Hypnose gilt es zu brechen. Um sie zu brechen, beginne ich mit: „Ich grüße den Buddha in euch.“ Für mich seid ihr Buddhas.
All eure Mühen, erleuchtet zu werden, sind lächerlich. Wenn ihr dieses fundamentale Faktum nicht akzeptiert … Es muss einfach zu einem stillschweigenden Pakt werden – dass ihr es seid! Das ist der richtige Anfang, sonst geht ihr fehl. Das ist der richtige Anfang. Beginnt mit dieser Vision und macht euch keine Sorgen, dass daraus eine Art Ego entstehen könnte – dieses: „Ich bin ein Buddha!“. Seid unbesorgt, denn der ganze Verlauf des Herz-Sutra wird euch klar machen, dass das Ego die einzige Sache ist, die nicht existiert – das einzige, was nicht existiert! Alles andere ist real.
Es hat Lehrer gegeben, die sagen: Die Welt ist illusorisch, und die Seele ist existent – das Ich ist wahr, und alles andere ist illusorisch, ist Maya. Buddha sagt genau das Umgekehrte. Er sagte: Nur das Ich ist unwahr, und alles andere ist real. Und ich gebe eher Buddhas Standpunkt recht als dem anderen. Buddhas Einsicht ist sehr tief, sie ist die tiefgründigere. Niemand ist je bis in solche Dimensionen, solche Tiefen und Höhen der Wirklichkeit vorgedrungen.
Aber fangt mit dieser Vorstellung an – mit diesem Klima um euch, mit dieser Vision. Lasst es jeder Zelle in eurem Körper und jedem Gedanken in eurem Geist gesagt sein; lasst es jedem Winkel und jeder Ecke in eurem Wesen gesagt sein: „Ich bin ein Buddha!“ Und keine Sorge wegen dem Ich … mit dem werden wir schon fertig. ‚Ich‘ und Buddhaschaft können nicht zusammen existieren. Sobald die Buddhaschaft aufgedeckt ist, verschwindet das ‚Ich‘ – so wie die Dunkelheit verschwindet, sobald man Licht hineinbringt. Bevor wir auf die Sutras eingehen, mag es helfen, einen kleinen Rahmen, ein kleines Raster zu verstehen. Die alten buddhistischen Schriften sprechen von sieben Tempeln. Genau wie die Sufis von sieben Tälern sprechen und die Hindus von sieben Chakren sprechen, sprechen die Buddhisten von sieben Tempeln. Der erste Tempel ist körperlich, der zweite Tempel ist psychosomatisch, der dritte Tempel ist psychologisch, der vierte Tempel ist psycho-spirituell, der fünfte Tempel ist spirituell, der sechste Tempel ist spirituell-transzendental, und der siebte Tempel – der höchste, der Tempel der Tempel – ist transzendental.
Diese Sutras gehören zum siebten. Das hier sind Aussagen von einem, der den siebten Tempel betreten hat, den transzendentalen, den absoluten. Das ist mit dem Sanskrit-Wort Prajnaparamita gemeint – die Weisheit des Jenseits, vom Jenseits, im Jenseits; die Weisheit, die erst kommt, wenn man alle möglichen Identifikationen abgestreift hat, niedrigere wie höhere, diesseitige wie jenseitige, wenn man alle möglichen Identifikationen transzendiert hat, wenn man absolut nicht mehr identifiziert ist, wenn nur eine reine Flamme der Bewusstheit zurückbleibt, unverhüllt durch jeglichen Rauch.
Aus diesem Grunde verehren die Buddhisten dieses Büchlein, dieses winzige Buch. Und sie nannten es das Herz-Sutra – das wahre Herz der Religion, ihr wahrer Kern.
Der erste Tempel – der körperliche – kann auf der Hindu-Leiter mit dem Muladhar Chakra verglichen werden; der zweite, der psychosomatische, mit dem Svadisthan Chakra; der dritte, der psychologische, mit Manipura; der vierte, der psycho-spirituelle, mit Anahatta; der fünfte, der spirituelle, mit Vissudha; der sechste, der spirituell-transzendentale, mit Sahasrar. Sahasrar bedeutet tausendblättriger Lotus. Das ist das Symbol des endgültigen Aufblühens: Nichts ist jetzt verhüllt; alles ist unverhüllt, offenbar geworden. Der tausendblättrige Lotus hat sich geöffnet, der ganze Himmel ist erfüllt von seinem Duft, seiner Schönheit, seinem Segen.
In der Moderne hat eine große Sucharbeit nach dem innersten Kern der menschlichen Existenz eingesetzt. Es wird gut sein zu verstehen, wie weit uns unsere modernen Bemühungen führen.
Pawlow, B.F. Skinner und andere Behavioristen drehen sich immer nur um das Körperliche...