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Stand der Technik in der LC-MS-Kopplung
O. Schmitz
1.1 Einleitung
Die drastisch gestiegenen Anforderungen an qualitative und quantitative Analysen von immer komplexeren Proben stellen eine immense Herausforderung für die moderne instrumentelle Analytik dar. Für komplexe organische Proben (z. B. Körperflüssigkeiten, natürliche Produkte oder Umweltproben) erfüllen nur chromatografische oder elektrophoretische Trennungen mit anschließender massenspektrometrischer Detektion diese Anforderungen. Aktuell ist jedoch ein Trend zu beobachten, bei dem eine komplexe Probenvorbereitung und Vortrennung durch hochauflösende Massenspektrometer mit Atmosphärendruck-Ionenquellen ersetzt werden.
Dabei sind jedoch zahlreiche Ionen-Molekül-Reaktionen in der Ionenquelle – vor allem bei komplexen Proben, aufgrund einer unvollständigen Trennung – möglich, weil die Ionisation in typischen Atmosphärendruck-Ionisationsquellen unspezifisch ist [1]. Somit führt diese Vorgehensweise oft zu einer Ionensuppression und Artefaktbildung in der Ionenquelle, vor allem bei der Elektrospray-Ionisation (ESI) [2].
Trotzdem können Quellen wie die ASAP (atmospheric pressure solids analysis probe), DART (direct analysis in real time) und DESI (desorption electrospray ionization) oft sinnvoll eingesetzt werden. In ASAP wird ein heißer Stickstofffluss aus einer ESI oder APCI (atmospheric pressure chemical ionization)-Quelle als Energiequelle für die Verdampfung eingesetzt und die einzige Änderung gegenüber einer APCI-Quelle ist die Installation einer Einschubmöglichkeit, um die Probe in den heißen Gasstrom innerhalb der Ionenquelle zu platzieren [3]. Diese Ionenquelle ermöglicht eine schnelle Analyse von flüchtigen und schwerflüchtigen Verbindungen und wurde beispielsweise eingesetzt, um biologische Gewebe [3], Polymeradditive [3], Pilze und Zellen [4] und Steroide [3, 5] zu analysieren. ASAP hat viele Gemeinsamkeiten mit DART [6] und DESI [7]. Die DART-Ionenquelle erzeugt einen Gasstrom, der langlebige elektronisch angeregte Atome enthält, die mit der Probe interagieren können und so eine Desorption mit anschließender Ionisation der Probe mittels Penning-Ionisation [8] oder Protonentransfer von protonierten Wasserclustern [6] induzieren. Die DART-Quelle wird für die direkte Analyse von festen und flüssigen Proben eingesetzt. Ein großer Vorteil dieser Quelle ist die Möglichkeit der Analyse von Verbindungen auf Oberflächen, wie z. B. illegale Substanzen auf Dollarnoten oder Fungizide auf Weizen [9]. Im Gegensatz zu ASAP und DART ist der große Vorteil von DESI, dass – wie bei der klassischen ESI – die Flüchtigkeit der Analyten keine Voraussetzung für eine erfolgreiche Analyse ist. DESI ist am empfindlichsten für polare und basische Verbindungen und weniger empfindlich für Analyten mit einer geringen Polarität [10]. Diese sehr nützlichen Ionenquellen haben einen gemeinsamen Nachteil. Alle oder fast alle in der Probe befindlichen Substanzen sind in der Gasphase und während der Ionisation zeitgleich in der Ionenquelle vorhanden. Die Analyse komplexer Proben kann daher zu einer Ionensuppression und Artefaktbildung in der Atmosphärendruck-Ionenquelle aufgrund von Ionen-Molekül-Reaktionen auf dem Weg zum MS-Einlass führen. Aus diesem Grund werden einige ASAP-Anwendungen mit steigender Temperatur des Stickstoffgases in der Literatur beschrieben [5, 11, 12]. Auch wurden DART-Analysen mit verschiedenen Heliumtemperaturen [13] oder mit einem Heliumtemperaturgradienten [14] eingesetzt, um eine teilweise Trennung von Analyten aufgrund der unterschiedlichen Dampfdrücke der Analyten zu realisieren. Eine mit DART und ASAP verwandte und erst 2012 beschriebene Ionenquelle, die direct inlet probe-APCI (DIP-APCI) der Firma Scientific Instruments Manufacturer GmbH (SIM) nutzt eine temperierbare Schubstange zum Direkteinlass von festen und flüssigen Proben mit anschließender chemischer Ionisation bei Atmosphärendruck [15]. Abbildung 1.1 zeigt eine DIP-APCI-Analyse einer Safranprobe (Feststoff, Gewürz) ohne Probenvorbereitung mit den safranspezifischen Biomarkern Isophoron und Safranal. Als Detektor wurde ein Agilent Technologies 6538 UHD Accurate-Mass Q-TOF eingesetzt. In Abb. 1.1a ist der TIC der gesamten Analyse und in Abb. 1.1b exemplarisch das Massenspektrum zum Zeitpunkt 2,7 min dargestellt. Die Analyse wurde bei 40 °C gestartet und die Probe mit 1 °C/s auf eine finale Temperatur von 400 °C aufgeheizt.
Abb. 1.1 Analyse von Safran mittels DIP-APCI und einem hochauflösenden qTOF-MS.
So nützlich und zeitersparend diese Ionenquellen auch sein mögen, um komplexe Proben qualitativ und quantitativ analysieren zu können, ist eine chromatografische oder elektrophoretische Vortrennung sinnvoll. Neben der Reduzierung von Matrixeffekten ermöglicht der Vergleich der Retentionszeiten zudem noch eine Analyse von Isomeren (eine entsprechend leistungsstarke Trennung vorausgesetzt).
1.2 Ionisationsmethoden bei Atmosphärendruck-Massenspektrometern
In den letzten zehn Jahren wurden einige neue Ionisationsmethoden für Atmosphärendruck (AP)-Massenspektrometer entwickelt. Davon stehen manche nur in einigen Arbeitskreisen zur Verfügung, weshalb hier lediglich vier kommerziell erhältliche Ionenquellen näher vorgestellt werden sollen.
Die am weitesten verbreitete Atmosphärendruck-Ionisierungstechnik (API) ist ESI, gefolgt von APCI und APPI (atmospheric pressure photoionisation). Eine deutlich geringere Bedeutung hat die APLI (atmospheric pressure laser ionization), die allerdings für aromatische Verbindungen hervorragend geeignet ist und für z. B. die PAK (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe)-Analytik den Goldstandard darstellt. Dieses Ranking spiegelt mehr oder weniger die chemischen Eigenschaften der Analyten, die mit API-MS bestimmt werden, wider:
Die meisten Analyten aus dem pharmazeutischen und biowissenschaftlichen Bereich sind eher polar, wenn nicht sogar ionisch, und werden somit effizient mit ESI ionisiert (Abb. 1.2). Es besteht jedoch auch ein beträchtliches Interesse an API-Techniken zur effizienten Ionisierung von weniger oder gar nicht polaren Verbindungen. Für die Ionisation solcher Substanzen ist ESI weniger geeignet.
1.2.1 Übersicht API-Methoden
Ionisationsmethoden, die bei Atmosphärendruck arbeiten, wie z. B. die „atmospheric pressure chemical ionization“ (APCI) und die „electrospray ionization„ (ESI), haben den Anwendungsbereich der Massenspektrometrie sehr stark erweitert [17–20]. Durch diese API-Techniken können chromatografische Trennverfahren wie beispielsweise die Flüssigchromatografie (LC) leicht an Massenspektrometer gekoppelt werden.
Ein fundamentaler Unterschied zwischen APCI und ESI besteht im Ionisationsmechanismus. Bei der APCI erfolgt die Ionisierung des Analyten in der Gasphase nach der Verdampfung des Lösungsmittels. Bei ESI erfolgt die Ionisierung bereits in der flüssigen Phase. Beim ESI-Prozess werden i. d. R. durch Protonierung bzw. Deprotonierung Quasimolekülionen aus stark polaren Analyten gebildet. Eine Fragmentierung wird selten beobachtet. Dagegen erfolgt die Ionisierung von weniger polaren Substanzen bevorzugt mittels APCI durch Reaktion von Analyten mit Primärionen, die mithilfe einer Koronaentladung erzeugt werden. Die Ionisierungseffizienz von unpolaren Analyten ist mit beiden Techniken sehr gering.
Abb. 1.2 Geeigneter Polaritätsbereich von Analyten für die Ionisation mit verschiedenen API-Techniken. Hinweis: Der erweiterte Massenbereich der APLI gegenüber APPI und APC ergibt sich aus der Ionisation von unpolaren aromatischen Analyten in einem Elektrospray. Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von O.J. Schmitz, T. Benter, Advances in LC-MS Instrumentation: Atmospheric pressure laser ionization, Journal of Chromatography Library, Vol. 72 (2007), Chapter 6, Pages 89–113.
Für diese Substanzklassen wurden andere Methoden entwickelt, wie beispielsweise die Kopplung der ESI mit einer elektrochemischen Vorstufe [21–32], das „coordination ionspray“ [32–47] oder die „dissociative electron capture ionization“ [38–42]. Die von Syage et al. [43, 44] vorgestellte Atmosphärendruck-Fotoionisation (APPI) bzw. die von Robb et al. [45, 46] als dopant-assisted (DA) APPI weiterentwickelte Methode stellen ein relativ neues Verfahren zur Fotoionisation (PI) von unpolaren Substanzen mittels Vakuum-UV (VUV)-Strahlung dar. Beide Techniken basieren auf der Einphotonenionisation, die schon seit Längerem in der Ionenmobilitätsmassenspektrometrie [47–50] und im Fotoionisationdetektor (PID) [51–53] eingesetzt wird.
1.2.2 ESI
In der Vergangenheit war eines der Hauptprobleme massenspektrometrischer Analysen von Proteinen oder anderen Makromolekülen, dass deren Massen außerhalb des Massenbereiches der meisten Massenspektrometer lag. Um größere Moleküle wie beispielsweise Proteine analysieren zu können, musste eine Hydroiyse von Proteinen und dann die Analyse dieser Peptidmischungen durchgeführt werden. Durch ESI ist es nun möglich, auch große Biomoleküle ohne vorherige Hydrolyse ionisieren und mittels MS analysieren zu...