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E-Book

Das islamische Totenbuch

AutorHelmut Werner
VerlagEdition Lempertz
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl284 Seiten
ISBN9783943883954
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die Welt ist nicht mehr dieselbe, wenn der eigene Tod für manche seinen Schrecken verloren hat. Die jüngsten Ereignisse zeigen, welch tief greifenden Einfluss religiöse Vorstellungen des Islam auch auf den Westen haben. Das hier neu vorgelegte alte arabische Glaubensdokument beschreibt die uns oft rätselhaften Jenseitsvorstellungen der islamischen Überlieferung: Was erlebt die Seele beim Tod, in der Zeit danach, in der Hölle, im Paradies, bei der Auferstehung und dem Jüngsten Gericht? Eine umfangreiche Einleitung und zahlreiche Erläuterungen öffnen die noch ungewohnte Welt des islamischen Glaubens - und der Leser wird überrascht erkennen, wie sehr sich die islamischen Jenseitsvorstellungen aus denselben Quellen speisen wie die christliche und die jüdische Lehre. So lernen wir im Fremden das Eigene erkennen. Ein Buch zum Verständnis der Gegenwart.

Helmut Werner, geboren 1942, studierte nach dem Abitur Orientalistik, Judaistik, Indogermanistik und Klassische Philologie in Frankfurt, München und Göttingen. Nach der zeitweisen Tätigkeit als Gymnasiallehrer trat er als Sachbuchautor mit dem Schwerpunkt Esoterik, Mystik und Geheimsekten der orientalischen Völker hervor. Er gab u.a. Lexika, Anthologien und Sachbücher heraus.

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Leseprobe

14
VOM HERAUSGEHEN DER SEELE AUS DEM KÖRPER


In der Tradition heißt es: Wenn der Mensch sich im Todeskampf befindet und seine Zunge gefesselt ist, treten vier Engel zu ihm, und es spricht der erste: »Friede sei mit dir! Ich bin der Engel, der mit deinem Lebensunterhalt betraut ist. Ich habe auf der Erde den Osten und den Westen durchsucht, aber für deine Nahrung keinen Bissen mehr gefunden, bis ich jetzt zu dir gekommen bin.« Es tritt dann der zweite Engel zu ihm und spricht: »Friede sei mit dir! Ich bin der Engel, der damit betraut ist, dir Wasser und anderes zum Trinken zu beschaffen. Ich habe den Osten und den Westen durchsucht, aber für dich keinen Trunk Wasser mehr gefunden, bis ich jetzt zu dir gekommen bin.« Dann tritt der dritte Engel zu ihm und spricht: »Friede sei mit dir. Ich bin der über deine Atemzüge gesetzte Engel. Ich habe den Osten und den Westen durchsucht, aber nicht einen Atemzug mehr gefunden, der für dich bestimmt ist.« Schließlich tritt der vierte Engel zu ihm und spricht: »Friede sei mit dir! Ich bin der mit deinem Lebensende und deiner Lebensdauer betraute Engel. Ich habe auf der Erde den Osten und den Westen durchsucht, aber nicht eine Stunde mehr für dich gefunden.« Hierauf treten die edlen Schreiber zu ihm hin. Der eine kommt von der Rechten und spricht: »Friede sei mit dir! Ich bin der Engel, der über deine Werke gesetzt ist.« Er zieht dann ein weiß glänzendes Blatt hervor, hält es ihm hin und spricht: »Sieh auf deine Werke!«, und da freut der Sterbende sich. Hierauf tritt der andere von der Linken hervor und spricht: »Ich bin der über deine bösen Taten gesetzte Engel.« Er zieht dann ein schwarzes Blatt hervor, hält es dem Sterbenden hin und spricht: »Sieh!« Da fließt ihm vor Angst der Schweiß herunter. Dann blickt er, weil er Angst davor hat, das Blatt zu lesen, nach rechts und links. Da fasst ihn der Engel mit seiner Hand an und hebt ihn mit dem Kopfkissen empor. Hierauf entfernt sich der Engel, und der Todesengel tritt ein, während zu seiner Rechten die Engel der Barmherzigkeit und zu seiner Linken die Engel der Strafe sind. Von diesen ziehen die einen die Seele mit Gewalt heraus und reißen sie mit Heftigkeit weg, aber die anderen nehmen sie sanft und weich dahin.

Wenn die Seele bis zum Gaumen gelangt ist, so nimmt sie der Todesengel. Wenn der Sterbende zur Seligkeit bestimmt ist, so wird er zu den Engeln der Barmherzigkeit gerufen. Ist er aber zur Verdammnis bestimmt, so wird er zu den Engeln der Strafe gerufen. Es nehmen dann die Engel die Seele und steigen mit ihr zum Herrn der Geschöpfe empor. Gehört der Mensch zu den zur Seligkeit Bestimmten, so spricht Gott: »Bringt die Seele wieder zu ihrem Leib, damit sie sieht, was aus ihrem Körper werden wird.« Dann steigen die Engel mit der Seele herab und setzen sie mitten in die Wohnung. Da sieht sie, wer um sie betrübt ist und wer nicht. Aber sie kann nicht sprechen. Hierauf folgt sie der Leiche bis zum Grab.

Bezüglich dieses Umstandes, dass Gott die Seelen zu ihrem Körper zurückkehren lässt, weichen die Überlieferungen voneinander ab. Einige sagen, die Seele werde in dem Zustand in den Körper gebracht, in welchem sie in der Welt war: Sie sitzt und wird gefragt. Andere sagen, die Prüfung der Seele geschehe ohne den Körper. Wiederum andere sagen, die Seele gehe in den Körper bis zur Brust. Und andere sagen schließlich, die Seele weile zwischen dem Körper und dem Leichentuch. Über all dies sind auch Aussprüche des Propheten überliefert. Aber als Wahrheit gilt bei den Männern der Wissenschaft nur dies: Der Mensch wird von der Strafe des Grabes heimgesucht. Der früher erwähnte Gottesgelehrte, dem Gottes Barmherzigkeit zuteil werden soll, sagt: »Wer von der Strafe des Grabes befreit werden will, der muss vier Dinge einhalten und von vier Dingen sich fern halten. Was die ersteren betrifft, so sind es diese: sorgfältige Verrichtung des Gebetes, Mildtätigkeit, Lesen des Korans und häufiges Lobpreisen Gottes. Denn diese Dinge werden Licht verbreiten im Grab und es weit machen. Was aber die letzteren anbelangt, so sind es: die Lüge, der Betrug, die Verleumdung und die Unsauberkeit der Kleidung.« Hierüber sagt der Prophet: »Versucht vom Urin frei zu sein, denn die Strafe des Grabes hat gewöhnlich hierin ihre Ursache.«

Es steigen dann zwei furchtbare Engel herab, welche mit ihren Krallen die Erde auseinander reißen. Dies sind Munkar und Nakir. Sie sprechen zu dem Toten: »Wer ist dein Herr und wer dein Prophet, und was ist deine Religion?« Wenn er zu den zur Seligkeit Bestimmten gehört, antwortet er: »Gott ist mein Herr, Mohammed, der Gottgesandte, mein Prophet, und der Islam ist meine Religion.« Und sie sprechen dann zu ihm: »Schlafe sanft, wie der Bräutigam schläft!« Dann öffnen sie an der Seite seines Hauptes ein Fenster, und durch dieses sieht er auf den ihm bestimmten Ort und Sitz im Paradies. Es steigen dann die Engel mit der Seele zum Himmel empor und setzen sie auf einen an dem oberen Thron Gottes aufgehängten Leuchter.

Von Abu Huraira, dem Gott gnädig sein möge, wurde im Namen des Gottgesandten, dem Gott Gnade schenken und Heil verleihen möge, Folgendes mitgeteilt. Gott sagt: »Ich lasse keinen von meinen Knechten, dem ich Vergebung zuteil werden lassen will, aus der Welt scheiden, bevor ich das Böse, das er getan hatte, durch ein körperliches Leid - Mangel an Lebensmittel oder Trauer, die ihn trifft - an ihm getilgt habe. Wenn aber doch etwas Böses ungetilgt zurückgeblieben ist, lasse ich ihn die Bitterkeit des Todes so stark empfinden, dass er von dem Bösen völlig befreit zu mir zurückkommt. Und bei meiner Macht und Erhabenheit! Ich lasse keinen meiner Knechte, dem ich nicht vergeben will, aus der Welt scheiden, ohne dass ich ihn vorher für alles Gute, das er getan hat, durch körperliches Wohlbefinden, durch Freude, die ihm zuteil geworden ist, oder durch reichlichen Lebensunterhalt belohnt habe. Wenn aber doch etwas von seinen guten Werken zurückgeblieben ist, für das er keinen Lohn empfangen hat, so mildere ich ihm den Todesschmerz, damit er ohne etwas Gutes zu mir kommt.«26

Al-Aswad sagte: »Wir waren bei Aischa, der Gott gnädig sein möge, als ein Zelt auf einen Menschen fiel und die Anwesenden lachten. Da sprach Aischa: >Ich habe den Gottgesandten sagen hören, es werde niemand von den Gläubigen durch einen Dorn verwundet, ohne dass ihm dafür eine gute Tat angerechnet und eine böse abgezogen würde.<« Und so wird auch gesagt: »Es ist nichts Gutes in einem Körper, den keine Krankheiten heimsuchen, und auch nicht in einem Vermögen, das keine unglücklichen Zufälle kennt.«

In einer Überlieferung des Propheten heißt es: Wenn ein Gläubiger von dieser Welt sich trennen und in eine andere eingehen soll, so steigen zu ihm Engel vom Himmel mit weiß glänzendem Gesicht herunter. Es hat den Anschein, als ob ihr Antlitz wie die Sonne leuchtet. Sie führen Leinentücher und wohlriechende Gewürze des Paradieses mit sich und setzen sich zum Sterbenden in einer Entfernung, so weit der Blick zu reichen vermag. Dann kommt der Todesengel, setzt sich an sein Haupt und spricht: »Geh heraus, du zur Ruhe gekommene Seele, und begib dich zum Ort der Vergebung und Gnade Gottes.«27 »Es geht dann«, sagt der Prophet, »die Seele aus dem Körper heraus, und zwar entfließt sie ihm so leicht wie der Tropfen dem Wasser.«28 Die Engel nehmen sie, legen sie aber nicht in ihre Hände, sondern hüllen sie in jene mitgebrachten Tücher. Es entsteigt ihr dann ein moschusartiger Duft. Der Prophet sagt ferner: »Sie steigen nicht zu den anderen Engeln empor, ohne dass diese sagen: >Was ist dies für ein Geruch?<, und sie antworten: >Es ist die Seele dieses Menschen!<, und sie nennen ihn mit dem schönsten der Namen, mit denen er in der Welt genannt worden ist.« Wenn sie mit ihr bis zum Himmel gelangt sind, so werden ihr die Himmelspforten geöffnet, und aus jedem Himmel bringen Engel ihr Grüße dar und begleiten sie, bis sie zum siebten Himmel kommt. Dann ruft ein Herold vor Gott, dem Mächtigen und Erhabenen: »Schreibt ihr Buch in Illijjun und bringt sie zurück zur Erde«, wie es im Koran heißt29: »Aus der Erde haben wir euch erschaffen, zu ihr lassen wir euch zurückkehren, und aus ihr werden wir euch dereinst wieder hervorbringen.«

Ferner ist vom Propheten, über dem Heil sei, überliefert, dass die Engel dann seine Seele in den Körper zurückkommen lassen, und es kommen zwei schreckliche Engel zu ihm, die sich bei ihm niedersetzen und sprechen: »Wer ist dein Herr, wer dein Prophet, und was ist deine Religion?« Nachdem er hierauf die rechte Antwort gegeben hat, fragen sie ihn weiter: »Was sagst du zu dem Mann« - damit meinen sie Mohammed -, »der zu euch gesandt worden ist?« Und er spricht: »Es ist der Gesandte Gottes, dem der Koran geoffenbart worden ist, und ich glaube an ihn und halte ihn für wahrhaftig.« Nun fragen sie ihn: »Wie hat er gehandelt?« Er antwortet: »Ich habe die Schrift Gottes gelesen!« Da ruft Gott vom Himmel:...

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