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Wir decken die Mythen auf
Man hat mir erzählt, dass Steve Martins Film Vater der Braut eine Komödie sei. Ich habe ihn mir angesehen – und ich habe geweint. Als der zweite Teil in die Kinos kam, wähnte ich mich auf der sicheren Seite – schließlich hatte ich, wie George im ersten Film, bereits den Anblick überwunden, wie meine Tochter am Arm eines anderen Mannes davonzieht. Steve Martin würde mir nicht mehr wehtun können. Ich hatte mich allerdings getäuscht. Vater der Braut 2 ist noch quälender. Die Handlung spielt einige Jahre später und George erfährt, dass seine Tochter schwanger ist. Er gibt sich die größte Mühe, einen erfreuten Eindruck zu machen, aber in einer Nebenszene erfahren wir seine wahren Gefühle: „Zuerst stiehlt mir dieser Lümmel meine Tochter und jetzt macht er auch noch einen Großvater aus mir!“
George wird anfangs nicht gerne als „Großvater“ etikettiert, aber am Ende entdeckt er, wie wahr die Worte eines Autoaufklebers sind: „Hätte ich gewusst, dass Enkelkinder so viel Spaß machen, hätte ich sie schon früher bekommen.“ Ich stimme dem zu. Aber mit dem Großelterndasein ist es wie bei allen schönen Dingen im Leben: Es besteht nicht nur aus Vergnügen. Manchmal feiern wir in unserer neuen Rolle Erfolge und manchmal scheitern wir kläglich. Das Gute ist: Wir können voneinander lernen, wie man das Abenteuer am besten meistert. Ich möchte Ihnen einige Lektionen anvertrauen, die ich in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren von erfahrenen Teilnehmern im Großelternspiel gelernt habe. Während dieses Vierteljahrhunderts habe ich in der nationalen Wohlfahrtsorganisation Care for the Family gearbeitet und bei Veranstaltungen auf der ganzen Welt mit beinahe einer Million Menschen gesprochen. Ich habe mit allen möglichen Arten von Familien gearbeitet – mit Paaren, mit alleinerziehenden Elternteilen, mit Patchwork-Familien, mit den Eltern von behinderten Kindern und auch mit jenen, die das Trauma eines Todesfalls durchleben. Dabei durfte ich den Geschichten vieler verschiedener Familienmitglieder zuhören. Die faszinierendsten Berichte kamen von Großeltern, die, nachdem sie selbst alles durchgemacht haben, nun von der Seitenlinie aus zusehen, wie ihre eigenen Kinder ihnen in die Elternrolle nachfolgen.
Ich habe dieses Buch für alle Großeltern geschrieben. Aber vielleicht ist unter meinen Lesern jemand, der zum ersten Mal in die Fußstapfen des Großelternseins tritt und dem Freunde vorgeschwärmt haben, wie toll es sein wird. Dann sagen Sie sich womöglich: „Ich kann es nicht erwarten. Ich möchte jetzt alles darüber lesen, bevor es passiert. Ich werde eine Superoma (oder ein Superopa)!“
Wenn Sie in dieser Lage sind, möchte ich Ihnen zu Anfang einige Weisheiten verraten. Obwohl der Jahrmarkt des Großelterndaseins wundervoll aufregend und abwechslungsreich ist, sollten Sie grundsätzliche „Sicherheitshinweise“ beachten, die es bei allen abenteuerlichen Fahrgeschäften des Rummels gibt. Sonst werden Sie im Erste-Hilfe-Zelt für Großeltern landen und sich fragen: „Was ist bloß passiert?“ Zweitens sollten Sie die Öffnungszeiten kennen, denn Sie möchten die Attraktion sicherlich geöffnet vorfinden. Es ergibt keinen Sinn, unerwartet (und vielleicht in dem Moment unerwünscht) aufzutauchen.
Zu Beginn dieses Buches möchte ich neben den Grundregeln auch einige allgemeine Erkenntnisse mit Ihnen teilen: Zuerst einmal haben viele Großeltern mir anvertraut, dass Gleichgesinnte den „Spaßfaktor“ oft übertrieben darstellen. Natürlich ist es toll, Opa oder Oma zu sein und wir wären es nicht ohne unsere Enkel. Aber in Wahrheit sind viele von uns noch nicht über den Schock hinweggekommen, dass unsere Kinder Sex haben, geschweige denn selbst Kinder. Wir erinnern uns noch genau an den Moment, in dem unsere Liebsten uns mit der Neuigkeit überrumpelt haben: „Mutti, Paps – Laura und ich bekommen ein Kind.“ Rückblickend bin ich mir ziemlich sicher, dass wir lächelten. Und wir sind überzeugt, dass unsere Worte ermutigend klangen – wir murmelten wohl: „Ein Baby!“ (als ob es eine unter vielen Möglichkeiten wäre, wie „eine Giraffe!“ oder „ein Pferd!“), und wir hauchten: „Wundervoll!“ Aber einige unter uns Großeltern erinnern sich genauso klar daran, dass sie hohle Plattitüden von sich gaben, während sie in Gedanken versuchten, Hunderte von unsinnigen Einfällen wegzudrängen, wie: „O weh, ihr armen Kinder!“ oder: „Mach dir mal noch keine Gedanken ums Kinderkriegen – hast du denn die Erdkunde-Hausaufgaben schon fertig?“ und vor allen Dingen: „Es wäre nett gewesen, wenn ihr mich gefragt hättet – ich bin nicht sicher, ob ich dafür schon bereit bin.“
Wenn wir schon dabei sind, könnte es sich lohnen, einige weitere Mythen zu entzaubern – wie zum Beispiel: „Zum Glück haben Großeltern keine Elternpflichten.“ Versuchen Sie einmal, das den Zehntausenden von Großeltern zu erzählen, die jahrein, jahraus für kostenlose Kinderbetreuung sorgen. Tatsächlich übernehmen Großeltern mehr als 40 Prozent der Kinderbetreuung, während die Eltern auf der Arbeit sind oder ihrem Studium nachgehen. In der übrigen Zeit decken sie sogar zu 70 Prozent 1 den Bedarf an Babysittern, was einem Gegenwert von vier Milliarden Pfund (über fünf Milliarden Euro) gleichkommt2. Oder was ist mit dem Spruch: „Großeltern zu sein ist klasse, weil man sich die Rosinen herauspicken kann und nur die angenehmsten Momente mit den Kindern verbringt“? In Wirklichkeit ist es genauso wahrscheinlich, dass die kleinen Freudenspender im Supermarkt einen Wutanfall in Ihrer Begleitung bekommen, wie in Gesellschaft ihrer eigenen Eltern. Der einzige Unterschied ist der, dass Sie mit Disziplinierungsmaßnahmen nicht so verfahren dürfen, wie Sie selbst es für richtig halten, sondern dem Erziehungsstil der Eltern entsprechen müssen. Wie ein Großvater einmal sagte: „Wenn Sie denken, Sie hätten Ihre Kinder nicht unter Kontrolle, warten Sie erst einmal, bis Sie Enkelkinder haben!“
Der wahrscheinlich größte Mythos von allen ist: „Die Enkel kann man jederzeit zurückgeben.“ Nun, das ist nicht immer der Fall und garantiert können Sie die kleinen Racker manchmal gar nicht schnell genug loswerden. In manchen Fällen wiederum, wenn Sie die Kinder zurückgeben müssen, weil eine Familie gerade auseinanderbricht, ist es viel zu endgültig.
Wenn wir hinter die Fassade dieser Mythen schauen, können wir die Großelternrolle endlich als das entdecken, was sie sein soll: als eine Quelle der Freude am neu entstandenen Leben, das sich nun entwickelt, als eine Möglichkeit, unsere Kinder in der ehrwürdigen Aufgabe der Elternschaft zu unterstützen und als eine Chance, die Geschichten und Werte weiterzugeben, die dem jungen Leben eine gute Grundlage bereiten. Darüber hinaus haben Großeltern das Privileg, ein wenig zu verjüngen, wenn sie sich auf das Staunen der Kinder einlassen und ihre ehrliche, unvorhersehbare Art miterleben.
Alle möglichen Arten von Großeltern
Schließlich – und dies ist vielleicht am wichtigsten – müssen wir nur noch einen Fakt im Auge behalten: Es gibt alle möglichen Arten von Großeltern. Natürlich gibt es immer noch die Großväter, die nach zehn Minuten mit Klein-Amy und Jack genug von den Enkeln haben und sie der Großmutter überlassen – diese unterbricht dann ihr Backen, wischt sich die mehlbestäubten Hände an der Kittelschürze ab und nimmt die Kinder auf ihren Schoß, um ihnen eine Geschichte zu erzählen. Aber es gibt auch Großmütter, die in Rockbands spielen, die multinationale Konzerne leiten oder Fallschirmspringen; genauso gibt es Großväter, die am liebsten immer noch nach ihrem Personalausweis gefragt werden würden, wenn sie im örtlichen Supermarkt eine Flasche Schnaps kaufen.
Aber es gibt Unterschiede, die noch tiefer gehen. Manche Großeltern möchten so viel wie nur irgend möglich einbezogen werden und andere haben genau davor die größte Angst. Etliche Großeltern strotzen nur so vor Energie und begrüßen die neue Rolle freudig, und andere sind so müde, dass sie kaum aus dem Bett kommen, geschweige denn Kraft finden, einem Zweijährigen durch den Park hinterherzuhetzen. Da sind die Großeltern, die mit Zuversicht an die anstehenden Aufgaben herangehen, und da sind die anderen, die befürchten, einen unverzeihlichen Fehler zu begehen: Sie liegen wach im Bett und stellen sich vor, wie die Polizei nach dem Kleinkind sucht, das sie im Kaufhof verloren haben. Manche Großeltern können es kaum erwarten, so viel Zeit wie möglich mit dem Neuankömmling zu verbringen, während andere ihre Kinder zwar so gut es geht unterstützen wollen, andererseits aber gerade das Trauma überwinden, sie aufgezogen zu haben. Sie fühlen sich überhaupt nicht bereit, sich so schnell wieder ins Gefecht zu stürzen. Tatsächlich stimmten in einer Umfrage 39 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Jetzt, wo meine Kinder groß sind, möchte ich ein Leben führen, das frei ist von zu vielen familiären Verpflichtungen.“3
Alle möglichen Arten von Großeltern, mit allen möglichen Hoffnungen, Ängsten und Erwartungen: Manche sind bereit für die neue Rolle, andere haben eine Heidenangst davor; einige wollen voll und ganz einbezogen werden, andere sind sich da nicht so sicher; manche haben das Gefühl, dass das Warten viel zu lange gedauert hat und einige sind schockiert, dass es schon so weit ist. Und dann gibt es noch jene, die befürchten, dass sie ihre Enkel gar nicht kennenlernen werden, weil die...