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E-Book

Das Kunstmuseum

Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion

AutorWalter Grasskamp
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl188 Seiten
ISBN9783406688423
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Darf ein Kunstmuseum Werke aus seinem Bestand verkaufen? Darf es mit Kunst Handel treiben? Sammeln, Erhalten und Forschen - das sind doch seine Kernaufgaben. Aber kann eine Institution, die unter schrumpfenden Etats zu leiden hat und mit Besucherrekorden aufwarten soll, diese Arbeit weiter leisten? In sieben Kapiteln geht Walter Grasskamp der Frage nach, wie zeitgemäß das Kunstmuseum noch ist. Er greift prominente Streitfälle der letzten Jahre auf und führt hinter die Kulissen einer ehrwürdigen Institution, die zunehmend nur noch als Ausstellungshalle wahrgenommen wird. Ist das Museum gar ein Opfer seines Erfolgs? Oder sind die vom Autor identifizierten Paradoxien des Kunstmuseums Schuld an der Krise? Denn nicht nur fehlende Anschaffungsetats machen den Museen zu schaffen, auch die Kunst selbst: Wie soll man mit Werken umgehen, die sich gegen ihre Erhaltung wehren? Wie hoch ist der Depotschwund? Und verdrängt die monumentale Gegenwartskunst ausgerechnet im Museum die historische Sammlung?

Walter Grasskamp, geb. 1950, Kunstkritiker und von 1995 bis 2015 Professor für Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden Künste in München, ist Vorstandsmitglied der «Bayerischen Museumsstiftung zur Förderung der staatlichen bayerischen Museen». BeiC.H.Beck gab er 2006 die Anthologie «Sonderbare Museumsbesuche. Von Goethe bis Gernhardt» heraus;2014 erschien «André Malraux und das imaginäre Museum. Die Weltkunst im Salon».

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Leseprobe

PARADOXIEN DES KUNSTMUSEUMS


Wie man Folgekosten erwirbt, die man nie wieder loswird


Gern hält man die Probleme des Kunstmuseums für akzidentiell, als wären sie mit etwas Geld und gutem Willen leicht zu beheben. Viele Gründe für die Krisenanfälligkeit des Kunstmuseums sind aber in seiner Konstruktion angelegt, die von Grund auf paradox ist. Sie gehören in eine spezifische Ökonomie des Kunstmuseums, wie sie sich weder der Betriebswirtschaft noch der Volkswirtschaftslehre ganz erschließt, sondern nur einer Würdigung von Tradierungsprozessen. Ökonomische Handlungstheorien setzen gerne Akteure voraus, die rational, kohärent und zielbewusst handeln, individuelle Interessen verfolgen und dabei an Bedürfnisbefriedigung oder Gewinn orientiert sind. In der Kulturökonomie greifen solche Modelle nicht. Ihre Protagonisten handeln widersprüchlich und irrational, neigen zu Verschwendung und schwer auslotbarer Emotionalität, problematisieren ihre Bedürfnisse und erkunden sie bis hin zur Selbstzerstörung, verhalten sich unberechenbar und riskant statt ergebnisorientiert und motivsicher. Man muss Georges Batailles elegische Theorie der Verschwendung nicht als Vorbild einer solchen Kulturökonomie betrachten, um die Handlungsmodelle einer transaktionsorientierten Ökonomie von Produktion, Handel und Konsum für die Kultur als unpassend anzusehen, weil es dort eher unübersichtlich und paradox zugeht.[1]

Als erstes ökonomisches Paradox des Kunstmuseums kann gelten, dass es Objekte erwirbt, für die es zugleich hohe Folgekosten übernimmt, nämlich für Transport und Versicherung, Lagerraum und Klimatisierung, Bewachung und Konservierung sowie Restaurierung und Präsentation – Kosten also, deren Höhe absehbar ist, die aber im Wortsinne in Kauf genommen werden. Weil das Museum diese Kostenübernahme auf lange Dauer garantiert, tendenziell auf ewig, erwirbt es mit jedem Objekt Folgekosten, die es nie wieder loswird – das zweite Paradox. Betriebswirtschaftlich gesehen, muss es als Fehlinvestition erscheinen, wenn eine Organisation etwas teuer erwirbt, das ihr nur Kosten bereitet, ohne dass sie es jemals wieder abstoßen oder gewinnbringend veräußern darf. Hinzu kommt, dass Kunstmuseen von Beginn an nicht dazu gedacht waren, kostendeckend zu arbeiten, etwa durch die Erhebung von angemessenen Benutzergebühren, und daher weder die in Kauf genommenen noch später hinzukommende Folgekosten aus eigener Kraft abdecken konnten oder sollten – das dritte Paradox.

Dabei gilt für das Kunstmuseum die Besonderheit, dass es das einzige Museum ist, das Dinge sammelt, die eigens für das Sammeln hergestellt worden sind – das vierte Paradox: Weil das Kunstmuseum seit rund zweihundert Jahren systematisch nur dafür hergestellte Objekte erwirbt, ist es eine Institution mit einer Tendenz zur kulturellen Tautologie. Mehr als je zuvor werden heute aber Dinge mit dem Anspruch hergestellt, gesammelt und aufbewahrt zu werden, weil sie als Kunstwerke firmieren. Sie werden in einem Ausmaß hergestellt, das in anderen Branchen als heillose Überproduktion gelten müsste. So verwundert es kaum, dass nicht alle auch das Ziel erreichen, in eine der zahlreichen Institutionen des Aufbewahrens aufgenommen zu werden. Aber viele schaffen es, und so ist inzwischen eine Traditionsmasse herangewachsen, die mit einer immer dichter werdenden Streuung der Sammlungsstätten korrespondiert: Wie Knoten in einem feinmaschigen Wegenetz von Zulieferung, Warenannahme, Lagerung und Präsentation nehmen die dafür zuständigen Gebäude nicht nur an Zahl stetig zu, sondern auch an Umfang.

Dabei wachsen sie vor allem nach innen, denn es werden systematisch mehr Sammelobjekte erworben, als das Museum überhaupt zeigen kann. Die Differenz zwischen den Depotbeständen und den vergleichsweise wenigen Exponaten in den Schauräumen wächst ebenso rapide wie inkongruent und so entsteht – das fünfte Paradox – eine spezifische Dynamik des Verbergens. Schätzungen, auf die man in diesem Feld angewiesen ist, vermuten 95 bis 99 Prozent der Bestände in den Depots. Zu Recht hat Kasper König daher den Spruch geprägt: «Ein Kunstmuseum ist ein Depot mit Schauräumen».

In einer der interessantesten Museumsausstellungen des letzten Jahrzehnts ist es gelungen, dieses Verhältnis einmal museumsfüllend zu veranschaulichen: Als Reinhard Spieler 2009 seinen Dienst als Direktor des Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museums antrat, übernahm er ein leeres Museumsgebäude, denn wegen der Gebäudesanierung waren alle Werke ausgelagert gewesen, die er nun wieder in Empfang nehmen konnte. Das tat er allerdings sehr gründlich, denn für seine erste Ausstellung «Alles» verteilte er alle Rückkehrer flächendeckend über die renovierten Museumswände und -böden. Das war ein ebenso erstaunliches wie ernüchterndes Unternehmen, ließ doch die Zahl von über neuntausend Werken für ein gerade mal dreißig Jahre altes Stiftermuseum die Dynamik des Verbergens sehr anschaulich werden.

Um alle 3000 Gemälde, Plastiken und Objekte zu zeigen, musste man sie eng gedrängt aufhängen, wobei die meisten der rund 6000 Grafiken in Schrankschubladen zugänglich gemacht wurden. In der bewusst unkonventionellen und «unästhetischen» Hängung bildete die Ausstellung «Alles» zugleich die Entropie des Depots ab. Das intellektuell Beglückende an dieser Schau war vor allem, dass sie zeigte, wie man die normale Museumspraxis mit Museumsmitteln zur Kenntlichkeit entstellen kann.

Mit der folgenden Präsentation kehrte Spieler mit seinem Team die Perspektive um: In einer affirmativen Parodie der museumsüblichen Amtsanmaßung des ästhetischen Urteils zeigte er auf den nunmehr radikal ausgemagerten Schauflächen «simply the best». Sie versammelte nur einen Kernbestand von rund 150 klar positionierten «Schlüsselwerken» der Sammlung, eben jene «Meisterwerke», auf die sich Kustoden und Besucher historisch irgendwie einigen können und die vom Publikum eingeklagt werden, sollten sie einmal im Depot verschwinden oder ausgeliehen sein. Nun sah man deutlich, dass sich die museale Auratisierung der Kunst vor allem durch die rabiate Verdrängung der Sammlung in die Depots bewerkstelligen lässt.

Die großen, leeren Resonanzflächen, die bei der Ausstellung «simply the best» um die «Spitzenstücke» belassen wurden, konnten dann in einem dritten Schritt mit wechselnden Nachbarstücken aus dem Depotbestand angefüllt werden, in einem wiederholten Szenenwechsel namens «Hackordnung», der insgesamt sechs Mal den Bestand umwälzte. Der ironisch auf den Stifternamen des Museums gemünzte Titel taugt auch zur Bezeichnung für die enorme Fluktuation der Wertschätzung, für die Museen immer nur Momentaufnahmen in einer historischen Zeitlupe sind, welche die Besucher dann für ihre Gegenwart halten.

In keiner Kunstausstellung der letzten Jahrzehnte hat man so viel über die Dynamik des Verschwindens lernen können, wie durch diese drei kuratorischen Kunstgriffe. Mit ihnen wurde das dialektische Verhältnis von Depot und Schausammlung ausgelotet, das in der Museumstheorie lange zu den weniger diskutierten Themen gehörte, weil «zu viel über das Exponieren und seine Ästhetik und zu wenig über das Deponieren nachgedacht worden ist», wie Gottfried Korff 2007 in seinen «13 Anmerkungen zur aktuellen Situation des Museums» konstatierte.[2] Das hat sich inzwischen mit der Konjunktur von Schaudepots geändert. Auch in der Historiographie des Museums ist das Thema angekommen, wie 2013 das Buch «Tabu Depot. Das Museumsdepot in Geschichte und Gegenwart» von Martina Griesser-Stermscheg lesenswert belegt hat.[3]

Obwohl die Museen also stets mehr verbergen als zeigen, hören sie aber nicht auf weiterzusammeln – ihr sechstes Paradox. Im Gegenteil gilt das Sammeln immer noch als die eigentliche Tätigkeit eines Kunstmuseums. So lobte die Presse Kasper König zum Abschied aus dem Kölner Museum Ludwig dafür, dass er in nur zehn Jahren 2000 Kunstwerke ins Haus geholt hatte – wenn man nachrechnet also jeden Werktag eines, was in der Tat rekordverdächtig wäre. Werner Schmalenbach hatte es in seiner Amtszeit von immerhin 28 Jahren lediglich auf rund 200 gebracht, also nur etwa alle zwei Monate ein Bild erworben. Die Kölner Zahl kann als repräsentativ für eine gesteigerte Akquisitionskinetik gelten, mit der die...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Impressum4
Motto5
Inhalt7
Einleitung: Diskurs und Alltag11
Paradoxien des Kunstmuseums: Wie man Folgekosten erwirbt, die man nie wieder loswird29
Der Traum des Kämmerers: Darf man Museumsbesitz verkaufen?43
Tauschhandel44
Für eine Handvoll Euro47
Diskursversagen51
Strategische Verkäufe53
Double Andy56
Bildergier58
Wohlstandsverkäufe61
Demut62
Tradition als Generationenvertrag: Die Entkernung des Kunstmuseums69
Sammeln70
Bewahren75
Erforschen77
Rhetorik80
Kündigungsformeln82
Subvention84
Quotendruck88
Generationenverwerfung91
Medienverwerfung93
Laufender Kommentar95
Bringschuld97
Bildwechsel: Schausammlung und Wechselausstellung101
Provisorien102
Museen ohne Sammlung104
Überblendung106
Die Aura als Baustelle: Der Künstler als Widersacher der Restauratorin111
Materialermüdung112
Historischer Materialismus113
Münchner Farbenstreit116
Salamitaktik118
Dialektischer Materialismus121
Sklavenhaltung125
Postproduction127
Spielregeln128
Stützmaßnahmen131
Ausstellungskunst133
Exhibition copy136
Bleibeverhandlungen des Zeitgeistes: Die museale Verdrängung der Vergangenheit141
Teppichboden142
Dielenboden144
Signaturräume147
Balance150
Zunehmendes Nachlassen: Die kleine Ewigkeit der Kunst155
Regelfall156
Ars brevis159
Nachbemerkung165
Anmerkungen167
Abbildungsnachweis187
Zum Buch188
Über den Autor188

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