Wie man Folgekosten erwirbt, die man nie wieder loswird
Gern hält man die Probleme des Kunstmuseums für akzidentiell, als wären sie mit etwas Geld und gutem Willen leicht zu beheben. Viele Gründe für die Krisenanfälligkeit des Kunstmuseums sind aber in seiner Konstruktion angelegt, die von Grund auf paradox ist. Sie gehören in eine spezifische Ökonomie des Kunstmuseums, wie sie sich weder der Betriebswirtschaft noch der Volkswirtschaftslehre ganz erschließt, sondern nur einer Würdigung von Tradierungsprozessen. Ökonomische Handlungstheorien setzen gerne Akteure voraus, die rational, kohärent und zielbewusst handeln, individuelle Interessen verfolgen und dabei an Bedürfnisbefriedigung oder Gewinn orientiert sind. In der Kulturökonomie greifen solche Modelle nicht. Ihre Protagonisten handeln widersprüchlich und irrational, neigen zu Verschwendung und schwer auslotbarer Emotionalität, problematisieren ihre Bedürfnisse und erkunden sie bis hin zur Selbstzerstörung, verhalten sich unberechenbar und riskant statt ergebnisorientiert und motivsicher. Man muss Georges Batailles elegische Theorie der Verschwendung nicht als Vorbild einer solchen Kulturökonomie betrachten, um die Handlungsmodelle einer transaktionsorientierten Ökonomie von Produktion, Handel und Konsum für die Kultur als unpassend anzusehen, weil es dort eher unübersichtlich und paradox zugeht.[1]
Als erstes ökonomisches Paradox des Kunstmuseums kann gelten, dass es Objekte erwirbt, für die es zugleich hohe Folgekosten übernimmt, nämlich für Transport und Versicherung, Lagerraum und Klimatisierung, Bewachung und Konservierung sowie Restaurierung und Präsentation – Kosten also, deren Höhe absehbar ist, die aber im Wortsinne in Kauf genommen werden. Weil das Museum diese Kostenübernahme auf lange Dauer garantiert, tendenziell auf ewig, erwirbt es mit jedem Objekt Folgekosten, die es nie wieder loswird – das zweite Paradox. Betriebswirtschaftlich gesehen, muss es als Fehlinvestition erscheinen, wenn eine Organisation etwas teuer erwirbt, das ihr nur Kosten bereitet, ohne dass sie es jemals wieder abstoßen oder gewinnbringend veräußern darf. Hinzu kommt, dass Kunstmuseen von Beginn an nicht dazu gedacht waren, kostendeckend zu arbeiten, etwa durch die Erhebung von angemessenen Benutzergebühren, und daher weder die in Kauf genommenen noch später hinzukommende Folgekosten aus eigener Kraft abdecken konnten oder sollten – das dritte Paradox.
Dabei gilt für das Kunstmuseum die Besonderheit, dass es das einzige Museum ist, das Dinge sammelt, die eigens für das Sammeln hergestellt worden sind – das vierte Paradox: Weil das Kunstmuseum seit rund zweihundert Jahren systematisch nur dafür hergestellte Objekte erwirbt, ist es eine Institution mit einer Tendenz zur kulturellen Tautologie. Mehr als je zuvor werden heute aber Dinge mit dem Anspruch hergestellt, gesammelt und aufbewahrt zu werden, weil sie als Kunstwerke firmieren. Sie werden in einem Ausmaß hergestellt, das in anderen Branchen als heillose Überproduktion gelten müsste. So verwundert es kaum, dass nicht alle auch das Ziel erreichen, in eine der zahlreichen Institutionen des Aufbewahrens aufgenommen zu werden. Aber viele schaffen es, und so ist inzwischen eine Traditionsmasse herangewachsen, die mit einer immer dichter werdenden Streuung der Sammlungsstätten korrespondiert: Wie Knoten in einem feinmaschigen Wegenetz von Zulieferung, Warenannahme, Lagerung und Präsentation nehmen die dafür zuständigen Gebäude nicht nur an Zahl stetig zu, sondern auch an Umfang.
Dabei wachsen sie vor allem nach innen, denn es werden systematisch mehr Sammelobjekte erworben, als das Museum überhaupt zeigen kann. Die Differenz zwischen den Depotbeständen und den vergleichsweise wenigen Exponaten in den Schauräumen wächst ebenso rapide wie inkongruent und so entsteht – das fünfte Paradox – eine spezifische Dynamik des Verbergens. Schätzungen, auf die man in diesem Feld angewiesen ist, vermuten 95 bis 99 Prozent der Bestände in den Depots. Zu Recht hat Kasper König daher den Spruch geprägt: «Ein Kunstmuseum ist ein Depot mit Schauräumen».
In einer der interessantesten Museumsausstellungen des letzten Jahrzehnts ist es gelungen, dieses Verhältnis einmal museumsfüllend zu veranschaulichen: Als Reinhard Spieler 2009 seinen Dienst als Direktor des Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museums antrat, übernahm er ein leeres Museumsgebäude, denn wegen der Gebäudesanierung waren alle Werke ausgelagert gewesen, die er nun wieder in Empfang nehmen konnte. Das tat er allerdings sehr gründlich, denn für seine erste Ausstellung «Alles» verteilte er alle Rückkehrer flächendeckend über die renovierten Museumswände und -böden. Das war ein ebenso erstaunliches wie ernüchterndes Unternehmen, ließ doch die Zahl von über neuntausend Werken für ein gerade mal dreißig Jahre altes Stiftermuseum die Dynamik des Verbergens sehr anschaulich werden.
Um alle 3000 Gemälde, Plastiken und Objekte zu zeigen, musste man sie eng gedrängt aufhängen, wobei die meisten der rund 6000 Grafiken in Schrankschubladen zugänglich gemacht wurden. In der bewusst unkonventionellen und «unästhetischen» Hängung bildete die Ausstellung «Alles» zugleich die Entropie des Depots ab. Das intellektuell Beglückende an dieser Schau war vor allem, dass sie zeigte, wie man die normale Museumspraxis mit Museumsmitteln zur Kenntlichkeit entstellen kann.
Mit der folgenden Präsentation kehrte Spieler mit seinem Team die Perspektive um: In einer affirmativen Parodie der museumsüblichen Amtsanmaßung des ästhetischen Urteils zeigte er auf den nunmehr radikal ausgemagerten Schauflächen «simply the best». Sie versammelte nur einen Kernbestand von rund 150 klar positionierten «Schlüsselwerken» der Sammlung, eben jene «Meisterwerke», auf die sich Kustoden und Besucher historisch irgendwie einigen können und die vom Publikum eingeklagt werden, sollten sie einmal im Depot verschwinden oder ausgeliehen sein. Nun sah man deutlich, dass sich die museale Auratisierung der Kunst vor allem durch die rabiate Verdrängung der Sammlung in die Depots bewerkstelligen lässt.
Die großen, leeren Resonanzflächen, die bei der Ausstellung «simply the best» um die «Spitzenstücke» belassen wurden, konnten dann in einem dritten Schritt mit wechselnden Nachbarstücken aus dem Depotbestand angefüllt werden, in einem wiederholten Szenenwechsel namens «Hackordnung», der insgesamt sechs Mal den Bestand umwälzte. Der ironisch auf den Stifternamen des Museums gemünzte Titel taugt auch zur Bezeichnung für die enorme Fluktuation der Wertschätzung, für die Museen immer nur Momentaufnahmen in einer historischen Zeitlupe sind, welche die Besucher dann für ihre Gegenwart halten.
In keiner Kunstausstellung der letzten Jahrzehnte hat man so viel über die Dynamik des Verschwindens lernen können, wie durch diese drei kuratorischen Kunstgriffe. Mit ihnen wurde das dialektische Verhältnis von Depot und Schausammlung ausgelotet, das in der Museumstheorie lange zu den weniger diskutierten Themen gehörte, weil «zu viel über das Exponieren und seine Ästhetik und zu wenig über das Deponieren nachgedacht worden ist», wie Gottfried Korff 2007 in seinen «13 Anmerkungen zur aktuellen Situation des Museums» konstatierte.[2] Das hat sich inzwischen mit der Konjunktur von Schaudepots geändert. Auch in der Historiographie des Museums ist das Thema angekommen, wie 2013 das Buch «Tabu Depot. Das Museumsdepot in Geschichte und Gegenwart» von Martina Griesser-Stermscheg lesenswert belegt hat.[3]
Obwohl die Museen also stets mehr verbergen als zeigen, hören sie aber nicht auf weiterzusammeln – ihr sechstes Paradox. Im Gegenteil gilt das Sammeln immer noch als die eigentliche Tätigkeit eines Kunstmuseums. So lobte die Presse Kasper König zum Abschied aus dem Kölner Museum Ludwig dafür, dass er in nur zehn Jahren 2000 Kunstwerke ins Haus geholt hatte – wenn man nachrechnet also jeden Werktag eines, was in der Tat rekordverdächtig wäre. Werner Schmalenbach hatte es in seiner Amtszeit von immerhin 28 Jahren lediglich auf rund 200 gebracht, also nur etwa alle zwei Monate ein Bild erworben. Die Kölner Zahl kann als repräsentativ für eine gesteigerte Akquisitionskinetik gelten, mit der die...