Fürstin Gabi Hatzfeldt
Bei dem Ordnen meiner spärlichen Tagebuch-Notizen lese ich einige Worte, die meinen ersten Besuch in Schloß Leipnick (Mähren) bei meiner alten lieben Freundin Hatzfeldt im Jahre 1894 schildern, und es leuchtet dabei zu vollem Bewußtsein wieder in mir auf, wie groß und wertvoll meine Freundschaft mit dieser originellen, vortrefflichen und klugen Frau nicht nur rein menschlich für mich war, sondern auch zu welcher Bedeutung diese Freundschaft für meine, mir in Österreich gestellten dienstlichen Aufgaben wurde.
Ich verdanke ihr sehr wesentlich jenes schnelle Eindringen in die maßgebenden Kreise Österreichs, die immer noch in dem Hochadel zu suchen sind, weil dieser als eine Einheit fest geschart um die »Burg« steht und das Eigentliche der kaiserlichen Regierung darstellt. Nur im engen Zusammenhange mit dieser Kaste wird man in der Lage sein, zu beurteilen, wie der Wind im Lande Österreich weht. Und was vielen deutschen Vertretern erst nach Jahren – oft überhaupt nicht – gelang, wurde mir, dank der Freundschaft Gabi Hatzfeldts, in wenigen Wochen zuteil.
Man darf in Wien nicht vergessen, daß der deutschösterreichische Liberale heute noch von der herrschenden Kaste – die auch deutsch spricht wie er – mehr gehaßt wird als alle anderen, unter dem kaiserlichen Zepter vereinigten Nationalitäten: »denn diese, die zu den deutschen Kreisen Österreichs gehören, schielen hinüber zu dem deutschen Reich als Abtrünnige und Hochverräter.«
So denkt »die Burg«. Und darum wird es immer für den deutschen offiziellen Vertreter eines gewissen Taktes bedürfen, einerseits die deutschen Liberalen Österreichs freundlich zu behandeln, andererseits durch das Benehmen ihnen gegenüber nicht »die Burg« zu verletzen.
In allen solchen und vielen anderen Fragen konnte ich mich stets auf das kluge und sichere Urteil meiner Freundin verlassen. Sie orientierte mich – als treue deutsche Bundesgenossin - über alles, was in gewissen hohen Kreisen vorging, denen sie durch ihre äußerst vornehme Geburt angehörte, und ich war dadurch in der glücklichen Lage, öfters sowohl Mißverständnisse, wie auch ernstere Machenschaften, die dem deutsch-österreichischen Bündnisse hätten schädlich werden können, auszugleichen, ehe sie öffentlich in Erscheinung traten.
Bei dieser Bedeutung, die der Verkehr mit meiner alten Freundin, und ihrem, von mir hochverehrten Gatten, während der Dauer meiner amtlichen Tätigkeit in Wien, in den Jahren 1894 bis 1902, hatte, will ich hier Mitteilungen aus einer Aufzeichnung wiedergeben, die in einer meiner familiengeschichtlichen Arbeiten »Die Nachbarin« enthalten sind; sie lauten wie folgt:
Die Mitglieder der Hatzfeldt-Wildenburgschen Linie, die mir in meinen späteren Lebensjahren liebe teuere Freunde geworden sind, waren der Chef der zweiten Linie des Hauses Hatzfeldt, Fürst Alfred von Hatzfeldt-Wildenburg (geb. 1825) und seine Gattin Gabriele (Gabi), geborene Gräfin von Dietrichstein, Tochter des letzten Fürsten von Dietrichstein (geb. 1825).
Fürst Alfred hatte das typische, häßliche, bartlose Gesicht dieser Linie Hatzfeldt, rötliche Hautfarbe und helles, straffes, blondes Haar, kaum Augenbrauen, da sie zu lichtblond waren, um bemerkt zu werden, dazu graue, etwas matte Augen. Doch rührte mich seine freundliche, angenehme Sprechweise, und begeisterten mich immer sein phänomenales Gedächtnis und sein Verstand. Uber allem ausgebreitet lag ein rührender Zug von Ergebenheit in sein Schicksal, das durch die Lebensführung seines einzigen Sohnes traurig gestaltet war.
Dieser, Prinz Franz (Franzi), geb. 1853, war mein Studienfreund von Straßburg aus den Jahren 1874 und 1875. Er glich dem Vater auf ein Haar, doch leider nur äußerlich. Unleugbar war er klug, doch unklug in seinen Sportgelüsten und anglomanen Neigungen. Als er in Aachen das Gymnasium besuchte, hielt er sich, ohne Wissen seines Vaters, Rennpferde und ritt selbst in gelber Jockeybluse und schwarzer Kappe unter dem Namen Captain Yellow. Sein Vater, der sich für Pferderennen soweit interessierte, als er die Berichte in den Zeitungen las, gewann Interesse für die Erfolge eines gewissen, ihm unbekannten Engländers Captain Yellow. Da der Schüler Franzi aber beichten mußte, daß er 100000 Mark Schulden gemacht habe, führte er zu seiner »Entschuldigung« an, daß er Captain Yellow sei. Leider führte der Reichtum der Eltern und die Leidenschaft des Sportes den Captain Yellow immer tiefer in Schulden, die schließlich phantastische Formen annahmen. Er war so vollkommen Engländer geworden, daß er sich nur in England wohl fühlte, sich in London niederließ und sich 1889 mit der sehr hübschen und recht angenehmen Adoptivtochter des amerikanischen Eisenbahn-Milliardärs Huntington, Clara Huntington, vermählte. Sein Fürstenhut dürfte ihr wohl besonders gefallen haben, denn was darunter saß, war schließlich – sonderbar. Für pathologisch konnte es allerdings eine Amerikanerin nicht halten, während ich die Anglomanie, wenn sie in den Formen wie bei Franzi auftritt, unbedingt dazu rechnen muß.
Das Ehepaar Franzi mietete den Landsitz Draykothouse, wohin das sehnsuchtsvolle Herz der Mutter Gabi diese bisweilen hinzog, obgleich sie England und die Engländer aus tiefster Seele verabscheute.
Ich sah Franzi nach langen Jahren wieder. Wir feierten ein gutes Wiedersehen im Schlosse Talcum, nahe Düsseldorf, bei seinen Eltern, und er war froh und freundlich. Als ich aber am Tage unseres Wiedersehens vor dem Essen Franzi in seinem Zimmer aufsuchte, fand ich ihn fast blaurot im Gesicht mit gläsernen Augen und lallender Zunge: er war total betrunken. Er hatte in England leider auch den Sport des Whiskytrinkens den Engländern abgelauscht – und war zu einem hoffnungslosen Säufer geworden. Ich litt entsetzlich unter diesem Eindruck in Gegenwart der unglücklichen Eltern. Wir schwiegen alle drei. Aber auf den Zügen der beiden Alten lagerte ein Kummer, dessen Eindruck heute noch auf mir lastet.
Die interessanten Erzählungen des alten Fürsten Alfred werden mir unvergeßlich sein. Besonders wenn er von seinen Erlebnissen aus dem Jahre 1848 sprach, wo er übrigens nur dank der Beziehungen seiner seltsam berühmten Mutter Sophie zu Ferdinand Lassalle, mit dem Leben davonkam. Das geschah in Berlin bei den Straßenkämpfen. Das Gedächtnis des Fürsten erregte stets meine Bewunderung. Aber er lachte mich aus, wenn ich davon sprach. »Das ist nur Übungssache«, sagte er, »und ein jeder ist in der Lage, für ein gutes Gedächtnis zu sorgen.«
Dennoch weiß ich sehr genau, daß nicht ein jeder den ganzen Faust, den ganzen Hamlet und auch noch Romeo und Julia auswendig lernen würde.
Stets sah ich den guten Alten in seinem langen dunklen Paletot, ein dickes, weißes Tuch um den Hals und einen kleinen schwarzen Hut über dem schmalen, roten Gesicht mit den weißen Haaren, morgens in den Gärten von Schloß Taleum, Schloß Schönstein oder Schloß Leipnick umherwandern und sich – ganz versunken in irgendeinen Akt dieser herrlichen Werke – einzelne Szenen daraus hersagen.
Selten hat mich eine geistige Errungenschaft in größeres Erstaunen gesetzt, es schlug auch niemals eine Probe fehl, die ich mit ihm anstellte. Nur einen Mann kannte ich außer ihm, der allerdings »nur« den Faust vollständig auswendig wußte und berühmte Szenen aus Shakespeares Werken: das war Professor Bernays, ein fürchterlich schielender Jude mit einem klaffenden Maul, aus dem die herrlichen Goetheschen Verse mir nach den braunen, hohlen Zähnen zu riechen schienen, die er scheußlich fletschte, wenn er als schmachtender Faust, Gretchen kosend anredete.
Selten aber hat mich auch eine Unterhaltung über Tagesereignisse und Politik mehr angezogen, als wenn ich solche Fragen mit Fürst Hatzfeldt erörterte. Er war vielleicht nicht so genial wie sein Bruder Paul, der bekannte Botschafter in London, doch hatte er auch dessen klaren Blick und das seine Abwägen der Dinge.
Mit seiner Gattin Gabriele Dietrichstein hatte der Fürst sich 1852 nicht nur eine treue, kluge, gewissenhafte und herzensgute Frau erheiratet, deren Ehrlichkeit bisweilen vielleicht weh tun konnte, zugleich aber auch eine reiche Erbin, die darum imstande war, die Millionen zu zahlen, die ihr geliebter Franzi auf dem Altar des Sportes mit so vielen anderen Affen niedergelegt hatte.
Fürstin Gabriele war eine der vier Töchter des unermeßlich reichen letzten Fürsten Dietrichstein, der ohne männliche Erben 1858 starb. Seine Töchter waren die Gräfin Therese Herberstein (die kurz nach meinem Amtsantritt in Wien starb), Gräfin Clothilde Clam- Gallas, Gräfin Aline Mensdorff (die den Titel einer Fürstin Dietrichstein mit dem Besitz von Nikolsburg erhielt), und schließlich Fürstin Gabriele Hatzfeldt-Wildenburg, Herrin der Herrschaften Leipnick und Weißkirchen in Mähren, – meine alte Freundin.
Wir hatten uns schon in Berlin kennengelernt und zwar in den siebziger Jahren, als bei der Fürstin Stolberg-Wernigerode in ihrem Palais in der Wilhelmstraße eine Theateraufführung durch Mitglieder der Hofgesellschaft stattfand. Es war in dem schönen alten Palais, wo ich stets so glückliche Ostertage als Kind verlebte, wenn die damalige Besitzerin, Gräfin Sophie Schwerin, geb. Gräfin Dönhoff, die bildschöne alte Dame und intime Freundin meiner lieben Mutter, uns Kindern in ihrem Garten ein großes Eiersuchen veranstaltete. Das war in den Jahren 1854-1858.
Bei der Stolbergschen Theatervorstellung gab Fürstin Gabi Hatzfeldt meisterhaft die Rolle einer rothaarigen, dicken Schustersfrau, deren Äußeres (ich muß es leider gestehen) von täuschender Echtheit war. Mit Graf Ferdinand...