Johannes der Täufer. – Jesu Reise zu Johannes und sein Aufenthalt in der Wüste von Judäa. – Er nimmt von Johannes die Taufe an.
Ein außergewöhnlicher Mensch, dessen Rolle aus Mangel an Dokumenten für uns teilweise rätselhaft ist, erschien in dieser Zeit und hatte gewisse Beziehungen zu Jesu. Diese Beziehungen sollten wohl den jungen Propheten aus Nazareth von seiner Bahn ablenken, brachten ihn jedoch auf den Gedanken zu mehreren wichtigen Zuthaten seiner religiösen Einrichtung; und allenfalls lieferten sie seinen Jüngern eine sehr starke Autorität, um ihren Meister in den Augen einer bestimmten Klasse der Juden zu empfehlen.
Gegen das Jahr 28 u. Z. – im 15. Jahr der Regierung des Tiberius – verbreitete sich in ganz Palästina der Ruf eines gewissen Johanan oder Johannes, eines jungen Asketen voll Leidenschaft. Johannes stammte von einem Priestergeschlecht und wurde vermutlich in Jutta bei Hebron, oder in Hebron selbst geboren. Hebron, die berühmte Patriarchenstadt, zwei Schritte von der Wüste von Judäa und wenige Stunden von der großen arabischen Wüste gelegen, war damals, was es noch heute ist: ein Bollwerk semitischen Geistes in seiner starrsten Form. Von seiner Kindheit an war Johannes ein Nasir (Luk. I, 15.), daß heißt einer gewissen Enthaltsamkeit durch Gelübde unterworfen. Die Wüste, die ihn sozusagen umgab, zog ihn schon frühzeitig an. (Luk. I, 80.) Hier führte er das Leben eines indischen Yogis, kleidete sich mit Fellen oder Stoffen aus Kameelhaaren und nährte sich nur von Heuschrecken und wildem Honig. Eine Zahl Jünger hatten sich ihm zugesellt, sie teilten seine Lebensweise und stellten Betrachtungen an über sein strenges Wort. Man hätte sich an die Ufer des Ganges versetzt wähnen können, wenn nicht eigenartige Züge in diesem Einsiedler den letzten Abkömmling der großen Propheten Israels erwiesen hätten.
Seitdem das jüdische Volk mit einer Art Verzweiflung über sein Schicksal nachzudenken begonnen hatte, kehrte die Phantasie des Volkes gern zu den alten Propheten zurück. Aber von allen Persönlichkeiten der Vergangenheit, deren Angedenken das Volk erweckte und erregte, wie der Traum einer unruhigen Nacht, war der größte Elias. Dieser Riese unter den Propheten, der sich in den düstern Karmel zurückgezogen hatte, wo er dem wilden Tiere gleich lebte und in Felshöhlen hauste, von wo er wie ein Blitzstrahl hervorbrach, um Könige einzusetzen oder abzusetzen – war durch allmähliche Umwandlungen in der Volksmeinung zu einem übernatürlichen Wesen geworden, das bald sichtbar, bald unsichtbar wäre, und der nie den Tod gekostet hätte. Man glaubte allgemein, Elias werde kommen und Israel wieder herstellen. Das strenge Leben, das er führte, die fürchterlichen Erinnerungen, die er hinterlassen, deren Eindruck heute noch im Orient fühlbar ist, dieses düstere Bild, das bis auf unsere Tage zittern macht und tötet, diese ganze Mythologie voll Rache und Schrecken übten einen gewaltigen Eindruck auf die Gemüter aus und drückten gewissermaßen allen Volksschöpfungen ein Geburtszeichen auf. Wer eine große Rolle unter dem Volke spielen wollte, der mußte Elias nachahmen; und da das Einsiedlerleben ein wesentlicher Zug dieses Sehers war, so gewöhnte man sich daran, den "Mann Gottes" als einen Eremiten zu betrachten. Man bildete sich ein, daß alle heiligen Personen ihre Tage der Buße, ihr strenges Wüstenleben gehabt hätten. (Himmelfahrt des Jesaias II, 9-11.) Die Zurückgezogenheit in der Wüste war derart die Bedingung und das Präludium hoher Bestimmung.
Kein Zweifel, daß dieser Nachahmungsgedanke Johannes viel beschäftigt hat. Das Einsiedlerleben, das dem Geiste des alten jüdischen Volkes so entgegen war, und mit dem Gelübde von der Art jene den Nasir und Rechabiten nichts zu thun hatten, drang von allen Seiten in Judäa ein. Die Essäer oder Therapeuten hatten sich nahe der Heimat des Johannes, am östlichen Ufer des Toten Meeres niedergelassen. Man bildete sich ein, daß die Obern der Sekte Einsiedler sein müßten, mit ihren Regeln und besonderen Einrichtungen, so wie die Stifter religiöser Orden. Die Lehrer der jungen Leute waren zuweilen gleichfalls Anachoreten (Josephus Vita 2), ähnlich den Guru, den geistlichen Lehrern des Bramahanentums. Zeigt sich nicht wirklich hier ein gewisser Einfluß der indischen Muni? Hatten vielleicht einige buddhistische Wandermönche, die die Welt predigend durchzogen – wie später die ersten Franziskaner – und Leute, die ihre Sprache nicht verstanden, durch ihr würdiges Gehaben bekehrten, ihren Schritt nach Judäa hingelenkt, so wie sie ihn zweifellos gegen Syrien und Babylon hingelenkt hatten? Wir wissen es nicht. Babylon war seit einiger Zeit zum Herd des Buddhismus geworden. Budasp (Bodhisattwa) genoß einen Ruf als chaldäischer Weiser und als Stifter des Sabismus. Was aber war der Sabismus? Wie seine Etymologie andeutet, die Taufe selbst, das heißt, die Religion der wiederholten Taufen, der Ursprung der heute noch existierenden Sekte, die Johannischristen oder Mendaiten genannt wird, und die von den Arabern mit El-Mogtasila, die Baptisten, bezeichnet werden. In diese unbestimmten Analogien Klarheit zu bringen, ist schwer. Die zwischen Judentum, Christentum, Wiedertäufer und Sabismus schwankenden Sekten, welche im ersten Jahrhundert u.Z. in der Gegend jenseits des Jordans vorhanden waren, bieten infolge der Verwirrung in den uns überlieferten Mitteilungen, der Kritik ein schwieriges Problem. Immerhin läßt sich annehmen, daß mehrere äußere Bräuche der Johannes, der Essäer, und der damaligen jüdischen Lehrer von Hochasien aus beeinflußt wurden. Der Hauptbrauch, welcher die Sekte des Johannes charakterisiert und ihr den Namen gab, entstand in Nieder-Chaldäa und schuf hier eine Religion, die sich bis auf unsere Zeit erhalten hat.
Dieser Brauch war die Taufe, oder das völlige Untertauchen. Waschungen waren den Juden, wie allen orientalischen Religionen vertraut. Die Essäer hatten ihnen eine besondere Ausdehnung gegeben (Jos. B. J. II; VIII, 5, 7, 9, 13). Die Taufe war zu einer gewöhnlichen Ceremonie der Einführung von Proselyten im Schoß der jüdischen Religion geworden, zu einer Art Weiheakt. (Mischna Pes. VIII, 8; Talmud v. Baly. Jebam. 46, b; Kerith. 9, a; Aboda Zara 57, a; Masseket Gerim.) Johannes hatte zum Schauplatz seiner Thätigkeit jenen Teil der Wüste von Judäa gewählt, der an das Tote Meer grenzt. So oft er eine Taufe vollziehen wollte, begab er sich an die Ufer des Jordans (Luk. III, 3), nach Bethanien oder nach Bethabora, auf der Ostseite, etwa Jericho gegenüber, oder nach dem Ort der Aeaon, die Quellen, genannt wurde, wo es viel Wasser gab. Dahin kamen viele, besonders aus dem Stamme Juda, und ließen sich taufen. So wurde er denn in wenigen Monaten einer der einflußreichsten Männer Judäas, mit dem jeder rechnen mußte.
Das Volk hielt ihn für einen Propheten (Matth. XIV, 5; XXI, 26) und viele glaubten, er sei der wiedererstandene Elias (Matth. XI, 14; Mark. VI, 15; Joh. I, 21). Der Glaube an solchen Auferstehungen war sehr verbreitet. Man wähnte, Gott werde einige der alten Propheten aus ihren Gräbern erstehen lassen; um Israel als Führer zu seiner Endbestimmung zu dienen, andere wieder hielten Johannes für den Messias selbst, obgleich er solches nie behauptet hat. (Luk. III, 15; Joh. 1, 20). Die Priester und Schriftgelehrten, als Gegner der Wiedergeburt des Prophetentums, verachteten ihn. Doch die Beliebtheit des Täufers legte ihnen Zwang auf und sie wagten es nicht gegen ihn aufzutreten (Matth. XXI, 25; Luk. VII, 30). Es war dies ein Sieg des Volksgefühls über die priesterliche Aristokratie. Wenn die Oberpriester aufgefordert wurden, sich klar über diese Sache zu äußern, so gerieten sie in große Verlegenheit.
Übrigens war die Taufe für Johannes nur ein Zeichen das Eindruck machen sollte, und die Gemüter auf eine große Bewegung vorbereiten. Zweifellos war er von der messianischen Hoffnung im hohen Grade beseelt und sein Hauptwirken erfolgte in diesem Sinne. "Thut Buße," sprach er, "denn das Himmelreich ist nahe." (Matth. III, 2.) Er verkündete einen "großen Zorn", das heißt, das Nahen schrecklicher Katastrophen (Matth. III, 7), und erklärte, die Axt sei schon an die Wurzel des Baumes gelegt und der Baum werde bald ins Feuer geworfen werden. Seinen Messias schilderte er, wie er, mit einer Wurfschaufel in der Hand, das Korn sammelt und die Spreu verbrennt. Buße, deren Bild die Taufe war, Almosenspenden, Besserung der Sitten waren für Johannes die großen Mittel der Vorbereitungen zu künftigen Ereignissen. Wir wissen nicht genau, wie er diese Ereignisse auffaßte. Sicher ist jedoch, daß er machtvoll gegen dieselben Gegner eiferte wie Jesus gegen reiche Priester, Pharisäer, Schriftgelehrte, mit einem Worte, gegen das offizielle Judentum und daß, sein Anhang, ebenso wie der Jesu, hauptsächlich aus der verachteten Klasse bestand. (Matth. XXI, 32; Luk. III, 12-14.) Den Titel, Kinder Abrahams, führte er auf nichts zurück und meinte, Gott könne aus den Steinen am Wege Kinder Abrahams schaffen. (Matth. III, 9.) Es will scheinen, daß er den großen Gedanken, der den Triumph Jesu bildete, auch nicht im Keime besessen habe; allein er leistete diesem Gedanken einen mächtigen Dienst, indem er die vorgeschriebenen Ceremonien, die für die Priester nötig waren, durch einen Privatritus ersetzte, so wie ungefähr die Flagellanten des Mittelalters Vorläufer der Reformation waren, indem sie dem offiziellen Klerus das Monopol der Sakramente und der Absolution nahmen. Der Ton seiner Predigten war im allgemeinen streng und kraftvoll. Die...