Herabsteigen des heiligen Geistes. – Ekstatische und prophetische Erscheinungen.
Klein, beschränkt, unwissend waren die Jünger Jesu, wie man es nur sein kann. Ihre Geisteseinfalt ging bis zum Äußersten; ihre Leichtgläubigkeit hatte keine Grenzen. Aber sie hatten eine Eigenschaft: sie liebten ihren Meister bis zur Thorheit. Die Erinnerung an Jesu blieb das einzig Bewegliche ihres Lebens; es war eine fortwährende Besessenheit und es ist klar, daß sie einzig nur von dem leben würden, das sie während zwei oder drei Jahren so stark an sich angezogen und gefesselt hatte. Für untergeordnete Seelen, die Gott nicht unmittelbar lieben können, d. h. Wahres finden, Schönes schaffen, durch sich selbst Gutes thun, ist es das Heil jemand zu lieben, in welchem ein Strahl des Wahren, Schönen und Guten leuchtet. Die meisten Menschen bedürfen eines doppelgradigen Kultus. Die Menge der Anbeter will einen Vermittler zwischen sich und Gott.
Ist es einer Person gelungen durch ein hehreres moralisches Band mehrere andere Personen an sich zu fesseln und stirbt diese Person, so kommt es immer vor, daß die Überlebenden, die bis daher durch Eifersüchteleien und Meinungsverschiedenheiten voneinander getrennt waren, die besten Freunde werden. Tausend teure Bilder der Vergangenheit bilden ihren gemeinschaftlichen Schatz. Auch das bekundet die Liebe für den Toten, wenn man diejenigen liebt, mit denen man ihn verbunden wußte. Man strebt, sich zu vereinen, um sich der entschwundenen glücklichen Tage zu erinnern. Ein tiefes Wort Jesu (Matth. XVIII, 20) erfüllt sich dann buchstäblich: der Tote ist in der Mitte derjenigen Personen anwesend, die sich im Gedenken seiner versammeln.
Die Neigung, welche die Jünger während Jesu Leben füreinander hatten, verzehnfachte sich nach seinem Tode. Sie bildeten eine kleine zurückgezogene Gesellschaft, die nur für sich lebte. Es befanden sich ihrer in Jerusalem etwa hundertundzwanzig.Ihre Frömmigkeit war lebhaft und noch ganz von den Formen der jüdischen Frömmigkeit umschlossen. Der Tempel war der große Ort ihrer Verehrung (Luk. XXIV, 53; Apostelg. II,46; vgl. Luk. II, 37; Hegesippus, in Euseb. Hist. eccl. II, 23). Zweifellos erwarben sie sich ihren Lebensbedarf durch Arbeit, aber die Handarbeit der damaligen jüdischen Gesellschaft beschäftigte nur sehr wenig. Jeder hatte da sein Handwerk, was keineswegs hinderte, daß einer ein unterrichteter oder gut erzogener Mensch war. Bei uns sind die materiellen Bedürfnisse so schwer zu befriedigen, daß einer, der von seiner Hände Arbeit lebt, verpflichtet ist, täglich zwölf bis fünfzehn Stunden zu arbeiten; nur der Müßige kann sich mit den Angelegenheiten der Seele beschäftigen; die Erwerbung von Kenntnissen ist eine seltene und teuere Sache. Aber in diesen alten Gesellschaften, von denen der Orient von heute uns noch eine Vorstellung zuläßt, in diesem Klima, wo die Natur so verschwenderisch dem Menschen giebt und so wenig fordert, hatte das Leben des Arbeiters viele Mußestunden. Eine Art gemeinschaftlicher Unterricht machte jeden mit den laufenden Ideen seiner Zeit vertraut. Nahrung und Kleidung waren ausreichend (5. Mos. X, 18; 1. Tim. VI, 8); man konnte sie sich mit einigen Stunden mäßigen Arbeitens verschaffen. Der Rest gehörte dem Traum, der Leidenschaft. Die Leidenschaft hatte in diesen Seelen einen für uns unbegreiflich hohen Grad der Energie erreicht. Die Juden jener Zeit (s. Geschichte des jüd. Krieges von Josephus) scheinen uns wie wahre Besessene, jeder blindlings dem Antrieb der Idee, die ihn beherrschte, gehorchend.
Der vorherrschende Gedanke in der christlichen Gemeinschaft war in dem Moment, von dem hier die Rede ist und wo die Erscheinungen aufgehört hatten, die Ankunft des heiligen Geistes. Man wähnte ihn in einem geheimnisvollen Hauche, der vorüberzog, zu erhalten. Viele glaubten, es sei der Hauch von Jesus selbst (Joh. XX, 22). Jede innere Tröstung, jede Bewegung des Mutes, jeder Aufschwung der Begeisterung, jedes Gefühl froher und sanfter Heiterkeit, das man empfand, ohne zu wissen woher, war das Werk des heiligen Geistes. Diese guten Gemüter führten, wie immer, die in ihnen entstandenen zarten Gefühle auf eine äußere Ursache zurück. Besonders die Versammlungen waren es, wo diese seltsamen Erscheinungen von Erleuchtungen zum Vorschein kamen. Als alle versammelt waren und im Schweigen die Inspiration von oben erwartet wurde, ließ ein Murmeln, ein zufälliges Geräusch, die Ankunft des heiligen Geistes annehmen. In der ersten Zeit waren es die Erscheinungen Jesu, die sich derart hervorbrachten. Jetzt aber hatte sich der Gedankengang verändert. Es war der göttliche Geist, der über die kleine Gemeinde ging und sie mit himmlischen Ausflüssen erfüllte.
Diese Gläubigkeit stand mit Ansichten, die aus dem Alten Testament entnommen waren, in Verbindung. In den hebräischen Büchern wird der prophetische Geist als ein Hauch geschildert, der den Menschen durchdringt und verzückt. In der schönen Vision des Elias (1. Kön. XIX, 11, 12) zieht Gott als leichter Hauch vorüber, der nur ein leises Rauschen hervorbringt. Diese alten Bilder hatten in früheren Epochen Glaubensansichten geschaffen, die denen unserer heutigen Spiritisten ähnlich waren. In der "Himmelfahrt des Jesaias" (dieses Werk scheint zu Beginn des zweiten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung entstanden zu sein) wird die Ankunft des Geistes von einem gewissen Thürknarren begleitet (VI, 6 etc. äthiop. Übers.). Häufig, fast immer, galt diese Ankunft als zweite Taufe, nämlich als "Taufe des heiligen Geistes", die viel höher stand als die Taufe Johannes (Matth. III, 11; Mark. I, 8; Luk. III, 16; Apostelg. I, 5, XI, 16, XIX, 4; 1. Joh. V, 6 ec). Die Hallucinationen des Gefühls kamen sehr häufig bei Personen vor, die ebenso nervös wie exaltiert waren. Der geringste Lufthauch, begleitet von einem Geräusch, inmitten der Stille, wurde als Vorüberziehen des Geistes betrachtet. Der eine glaubte zu fühlen; bald fühlten alle (vgl. Misson, Le théâtre sacré des Cévennes , London 1707, S. 103) und der Enthusiasmus teilte sich nach und nach mit. Die Analogie dieser Erscheinungen mit denen, die man bei allen Visionären aller Zeiten findet, ist leicht zu begreifen. Sie äußern sich täglich, teils unter dem Einfluß des Lesens der Apostelgeschichte, bei den englischen und amerikanischen Sekten der Quäker, Jumper, Shäker, Irvingianer ( Revue des deux mondes . Sept. 1853, S. 966 ec.), bei den Mormonen (Jules Remy, Voyages au pays des Morm. Paris 1860, Buch II und III, z. B. Band I S. 259, 260, Band II S. 470 ec.) in den "Camp-Meetings" und den "Revivals" von Amerika (Astié, Le réveil relig. des États-Unis , Lausanne 1859). Man sah sie bei uns in der Sekte der sogenannten "Spiritisten" wieder erscheinen. Aber ein gewaltiger Unterschied muß gemacht werden zwischen Abirrungen ohne Ziel und Zukunft und den Illusionen, welche die Begründung eines neuen religiösen Gesetzbuches für die Menschheit begleitet haben.
Unter allen diesen "Herabsteigungen des Geistes," die ziemlich häufig vorgekommen zu sein scheinen, war eine, die in der werdenden Kirche einen tiefen Eindruck zurückließ (Apostelg. II, 1–3; Justin. Apol . I, 50). Eines Tages, als die Brüder versammelt waren, brach ein Gewitter los. Ein heftiger Wind, riß die Fenster auf; der Himmel war feurig. Die Gewitter werden in diesen Ländern von starken Lichtentwickelungen begleitet; die Atmosphäre ist wie von allen Seiten von Feuergarben durchfurcht. Sei es, daß das elektrische Fluidum in das Gemach selbst gedrungen, sei es, daß ein leuchtender Blitz plötzlich aller Antlitz erhellte: man war überzeugt, daß der Geist eingetreten, daß er sich über dem Haupt eines jeden in Gestalt von Feuerzungen niedergelassen habe (der Ausdruck "Feuerzunge" bedeutet im Hebräischen einfach nur Flamme (Jesai. V, 24), vgl. Verg. Aen. II, 682–684). Es war eine in der theurgischen Schule von Syrien verbreitete Meinung, daß die Äußerung des Geistes durch ein göttliches Feuer in Form eines mysteriösen Glanzes geschehe (Jamblichus De myst. , Absch. III, Kap. 6 stellt diese ganze Theorie der leuchtenden Herabsteigungen des Geistes dar). Man glaubte allem Glanz des Sinai beigewohnt zu haben, einer göttlichen Offenbarung, gleich der von einstigen Tagen.Die Taufe des heiligen Geistes wurde von nun ab auch eine Feuertaufe. Die Taufe des Geistes und des Feuers wurden der Wassertaufe entgegengestellt, der einzigen, die Johannes kannte, und ihr vorgezogen (Matth. III, 11; Luk. III, 16). Die Feuertaufe äußerte sich nur bei seltenen Gelegenheiten. Die Apostel allein und die Jünger der ersten Verbindung sollen sie erhalten haben. Aber der Begriff, daß der Geist sich in Gestalt von Feuerflammen, ähnlich glühenden Zungen, auf sie verbreitet habe, gab einer Reihe der seltsamsten Gedanken Ursprung, die eine bedeutende Stelle unter den Imaginationen jener Zeit einnehmen.
Die Zunge des inspirierten Menschen sollte angeblich eine Art Sakrament empfangen. Man behauptete, daß mehrere Propheten vor ihrer Mission stotterten (2. Mos. IV, 10, vgl. Jerem. I, 6), daß der Engel Gottes ein Stück Kohle über ihre Lippen geführt habe, wodurch diese gereinigt und mit der Beredsamkeit begabt wurden (Jes. VI, 5 etc.; vgl. Jer. I, 9). Es wurde auch angenommen, daß bei der Predigt der Mann nicht aus sich selbst heraus spreche (Luk. XI, 12; Joh. XIV, 26). Seine Zunge galt als das Organ der Gottheit, die sie inspirierte. Diese Feuerzungen erschienen nun als ein auffallendes Symbol. Man hielt sich überzeugt, daß Gott dermaßen zeigen wollte,...