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Das logotherapeutische Konzept Viktor Emil Frankls in seiner Bedeutung für die Heilpädagogik

Zur Möglichkeit einer sinnorientierten Erziehung am Beispiel des Jugendalters

AutorClaudia Pöpping
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl79 Seiten
ISBN9783638804523
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: Sehr Gut, Hochschule Zittau/Görlitz; Standort Zittau, 82 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Logotherapie bewegt sich, vereinfacht ausgedrückt, in einem Grenzgebiet zwischen Psychologie, Medizin und Philosophie - manche Autoren fügen hier noch die Religion hinzu. Viktor Emil Frankl- Begründer der Logotherapie- geht von einem unbedingten Willen zum Sinn im Menschen aus. Dieser Wille sei die Grundmotivation des Lebens überhaupt. Menschen, denen dieser Wille zeitweilig fehlt, kann die Logotherapie helfen, den Sinn des Lebens (neu) aufzuspüren. Aufzuzeigen, warum gerade junge Menschen den Sinn ihres Lebens manchmal aus den Augen verlieren und ebenso Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man eine sinnorientierte (heil) pädagogische Begleitung gestalten kann, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. Sie gliedert sich in vier wesentliche Teile: im ersten Teil soll die Logotherapie Frankls in ihren Grundgedanken vorgestellt werden. Im zweiten Teil wird der Bezug zum Jugendalter als dem Lebensabschnitt hergestellt, in welchem der persönlichen Sinnsuche eine besondere Bedeutung zukommt. Speziell wird dabei auf die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters und damit verbundenes Risikoverhalten eingegangen. Ebenso soll geprüft werden, ob es Schutzfaktoren gibt, die für den Entwicklungsverlauf Heranwachsender bedeutsam sind. Hier werden aktuelle Erkenntnisse der Resilienzforschung sowie der Salutogenese nach Antonovsky aufgegriffen. Im dritten Teil wird die Relevanz der bisherigen Erkenntnisse für die Fachwissenschaft Heilpädagogik dargestellt, die Autorin entwirft ihr persönliches berufliches Selbstverständnis. Eigene Reflexionen aus einem Praktikum an einer Förderschule für Kinder und Jugendliche mit sogenannter geistiger Behinderung dienen dazu, Frankls Theorie zu prüfen. In Auseinandersetzung mit vorhandenen Konzepten soll eine ganzheitlich sinnorientierte Heilpädagogik konstruiert werden. Im vierten und letzten Teil werden konzeptionelle und methodische Möglichkeiten aufgezeigt, die ermöglichen können, Jugendliche auf ihrem Weg zur Sinnfindung (heil)pädagogisch zu begleiten.

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Leseprobe

3 Auf der Suche nach Sinn- Entwicklung Jugendlicher zwischen Risiko und Resilienz


 

„Die Sinnfrage in ihrer ganzen Radikalität kann einen Menschen geradezu überwältigen. Dies ist zumal in der Pubertät häufig der Fall, zur Zeit also, wo die wesenhafte Problematik des menschlichen Daseins dem geistig reifenden und geistig ringenden jungen Menschen sich auftut“ (Frankl 2005, S. 67).

 

Bevor ich auf die Problematik des Jugendalters und auf die Bedeutung der Resilienzforschung eingehen werde, möchte ich den Begriff „Sinn“ näher untersuchen, da er als zentraler Terminus der Logotherapie auch Bestandteil einer sinnorientierten (Heil) Pädagogik ist.

 

3.1 Zum Sinnbegriff


 

„Sinn ist die gelebte Antwort auf die brennende Frage: Wozu leben?“ (Längle 1989 zitiert nach Waibel 2002, S. 97).

 

Der Begriff „Sinn“ stellt einen zentralen Begriff für die Logotherapie dar und ist auch für Jugendliche zentrale Frage auf ihrem Weg zu Autonomie. Der Begriff findet seinen Ursprung in dem althochdeutschen Wort „sinnan“, was „eine Reise unternehmen, eine Fährte suchen“ aber auch „streben“ bedeutet. Jemand der nach Sinn sucht, geht gedanklich auf eine Reise, er sucht nach einem Weg. Je nach den verschiedenen wissenschaftlichen Betrachtungsweisen gibt es verschiedene Auffassungen des Sinnbegriffs. Sinn bezeichnet z.B. die Körpersinne als spezifisch biologische Fähigkeit, durch die der Mensch fähig wird, die Welt wahrzunehmen. Sinn wird auch als Zweck gesehen (Dilthey), als Wert (Spranger), als Lebens- oder Daseinssinn (Frankl), als Ergebnis von Erfahrungen oder als Bedeutung (Husserl) (vgl. Biller 1995, S. 102- 105).

 

Frankls Sinnbegriff ist sicher nicht umfassend, er vermag auch keine Definition des Begriffes Sinn zu geben und generell gibt es nur wenige wissenschaftliche Erklärungen.

 

Einen Erklärungsansatz fand ich bei Wolfgang Jantzen in Auseinandersetzung mit der Tätigkeitstheorie. Die Tätigkeitstheorie knüpft an die rationalistische Sichtweise von Sinn an, in der sich der Mensch (Subjekt) als der Welt (Objekt) gegenüberstehend sieht. Ausgehend von der jeweils subjektiven Lebenswelt eines Menschen, wird auch die Bedeutung die man dem Geschehen innerhalb dieser Lebenswelt zuschreibt, subjektiv und somit zum subjektiven Sinn. Die Entstehung des subjektiven Sinns entsteht in Abhängigkeit vom Motiv und von den Bewertungen des Menschen.

 

Nach Jantzen wird das Konzept des „Sinns“ von Leontjew in die Psychologie aufgenommen, um damit die „Engagiertheit, die Gerichtetheit der Tätigkeit zu klären“ (Jantzen 1994, S. 16). Das Leben ist ein ständiger Prozess aus Sinn und Bedeutung, der „Sinn sucht Bedeutungen, in denen er sich ausdrücken kann“ (Jantzen 1994, S. 16). Sinn und Bedeutung bilden eine psychologische Einheit, deren Abbild sich aus dem hierarchisch organisierten und sinnhaften Begreifen der Welt ergibt (vgl. Jantzen 1994, S. 16). Laut Jantzen scheint die Dimension des Sinns geeignet, um damit den Begriff der „Seele“ zu erklären.

 

Sinn entwickelt sich aus den Bedürfnissen des Menschen, die zu entsprechender Aktivität (Tätigkeit) führen. Diese Tätigkeiten entstehen durch entsprechende Motive und werden von Emotionen begleitet. Im Laufe menschlicher Entwicklung ergeben sich so Bedeutungssysteme, die aus Handlungen zwischen Objekt und Subjekt zu Tätigkeitsmotiven und damit zur Tätigkeit selbst führen und entsprechend emotional bewertet werden (vgl. Jantzen 1994 S. 80). Durch den Austausch mit der Welt, durch die Beziehung des Menschen zu anderen Menschen oder zu Gegenständen entsteht ein wechselseitiger Aufruf zwischen Welt und Bedeutungen. Emotional- affektive Bewertungen dieses Austausches werden zu Erfahrungen und ereignen sich als solche in der Dimension von Vergangenheit und Gegenwart. Sie rufen bestimmte Bedürfnisse in Form von Motiven hervor, die nun auf die Zukunft gerichtet sind (vgl. Jantzen 1994, S. 83).

 

Was der Mensch durch seine Tätigkeit als persönlich bedeutsam empfindet, ist für ihn auch sinnvoll, er wird somit zum Schöpfer seines persönlichen Sinns (Mann 1999, S. 29).

 

Sinn ergibt sich also aus den Bedeutungen, die wir aus dem Austausch mit der Welt für uns persönlich erkennen und die uns persönlichen Sinn ermöglichen. Die gewonnenen Erfahrungen, von uns entsprechend positiv oder negativ emotional bewertet, geben uns neue Motive (Ziele) für künftige Handlungen (mit Objekten), die Handlungen mit den Objekten können als die subjektiv umgesetzte Tätigkeit beschrieben werden, die wiederum ganz persönliche Bewertungen hervorruft. So entstehen immer wieder „Modelle des Künftigen“ (Bernstein 1987 zitiert nach Jantzen 1994, S. 83). Diese „Modelle des Künftigen“ sind m.E. durchaus mit dem vergleichbar, was Frankl als Übersinn bezeichnet.

 

Die Relevanz dieser Erklärung von Sinn liegt für mich im wissenschaftlichen Anspruch der Fachwissenschaft Heilpädagogik. Betrachtet man die Grundaussagen von Jantzen mit denen V.E. Frankls, so lassen sich durchaus Übereinstimmungen finden. Diese möchte ich kurz zusammenfassen.

 

1. Sinn braucht den Austausch mit der Welt, braucht die menschliche Begegnung entsprechend des Leitsatzes „der Mensch wird am Du zum Ich“ (Buber) oder wie es Iris Mann formuliert: „Liebe deinen Nächsten, damit du dich selbst lieben kannst“(Mann 1999, S. 30).

2. Sinn wird über Bedeutungen erschlossen, eingeordnet in das „übergreifende Allgemeine“ (Jantzen 1994, S. 81). Das ist vergleichbar mit der Aussage Frankls, dass Sinn aus der Situation des Augenblicks entsteht, also sich der jeweilige Einzelsinn im Laufe des Lebens zum Sinnganzen erschließt.

3. Bedeutungen, die sich einem Menschen erschließen, sind vergleichbar mit den Einstellungswerten, die Frankl selbst als die höchste Form der Werteverwirklichung betrachtet. Sie ergeben sich vor allem durch die Auseinandersetzung mit schöpferischen Werten und Erlebniswerten- also durch aktives Handeln, das immer auch an Emotionen geknüpft ist.

4. Die Tätigkeit des Menschen ergibt sich aus dem Aufgabencharakter des Lebens. Der Mensch muss sich, um zu existieren, die Welt aneignen und mit ihr in Beziehung treten. Er muss sie verändern, um sich zu verändern.

5. Jeder Mensch ist einzigartig und muss seinen Sinn suchen. Sinn entsteht aus der persönlichen Bewertung von Situationen und führt zu persönlichen Bedeutungen und Motiven für Lebensziele.

 

Die Sinnfrage erschließt sich aus dem Aufgabencharakter des Lebens. Durch schöpferische, tätige Auseinandersetzung erschließen sich dem Menschen Bedeutungen, Motive und somit persönlicher Sinn. Dieser ist jeweils eingebettet in ein übergeordnetes Ganzes. „Der Mensch ist auf den Dialog mit der Welt existentiell angewiesen (...), im Wechselspiel von gegenseitigem Geben und Nehmen entsteht also Sinn“ (Fornefeld 2001, S. 32/33). Deutlich wird dies besonders anhand des ökosystemischen Ansatzes nach Bronfenbrenner, der die Welt in verschiedene Systeme aufgliedert. Jedes einzelne System ist dabei Teil des Ganzen.

 

Innerhalb der Dynamik die sich zwischen den einzelnen Systemen und dem Individuum ereignet, kann die Suche nach Sinn immer wieder von Krisen unterbrochen werden. Gerade im Jugendalter wird die Frage nach der eigenen Rolle im übergeordneten Ganzen besonders wichtig, deshalb möchte ich in den folgenden Kapiteln die Ursachen und Bedingungen für das Auftreten solcher Krisen speziell im Jugendalter klären.

 

3.2 Begriffsbestimmung Jugend


 

Jugend ist eine Phase innerhalb der Lebensspanne eines Menschen, „die durch das Zusammenspiel biologischer, intellektueller und sozialer Veränderungen zur Quelle vielfältiger Erfahrungen wird“ (Oerter/Dreher 1998, S. 310).

 

Als Jugendalter wird in Anlehnung an Oerter/ Dreher eine Altersspanne von 11 bis 17 Jahre bezeichnet. Dies schließt die Phasen der Vorpubertät und der frühen Adoleszenz ein. Ab dem 18. bis zum 21. Lebensjahr kann man von der späten Adoleszenz sprechen. Die Begriffsbestimmung in der Literatur erfolgt nicht einheitlich. Ich möchte deshalb in meiner Darstellung überwiegend von Jugendlichen zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr ausgehen, weil ich hier Erfahrungen aus meinem Praxissemester einbringen kann. Ich verstehe unter dem Begriff Jugend Heranwachsende in einer Übergangsperiode vom Kind zum Erwachsenen. Gesellschaftliche und speziell pädagogische Aufgabe ist es, die jungen Menschen auf die Anforderungen der individuellen Lebensbewältigung vorzubereiten. Diese Anforderungen werden je nach der Einbindung des Jugendlichen in sein Ökosystem (Bronfenbrenner) unterschiedlich wahrgenommen bzw. bewältigt. Auf der bio- psycho- sozialen Ebene ist der Heranwachsende dabei vielfältigen Störungen ausgesetzt.

 

3.3 Veränderungen auf bio- psycho- sozialer Ebene


 

Ausgehend von der ganzheitlichen Betrachtung des Menschen als einer bio- psycho- sozialen Einheit möchte ich die einzelnen Ebenen, die speziell die Lebensphase Jugend kennzeichnen, näher beschreiben. Dies soll zum besseren Verständnis der Darstellung der Veränderungsprozesse dienen und gleichzeitig die Komplexität der Entwicklungsaufgaben verdeutlichen, die der Jugendliche zu bewältigen hat. In der Praxis muss stets von der Komplexität...

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