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E-Book

Das Mosaik des Islam

AutorPerry Anderson, Suleiman Mourad
VerlagBerenberg Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783946334378
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Wird die Gegenwart kompliziert, hilft es, einen Blick zurück zu werfen. Im Gespräch mit seinem Kollegen Perry ­Anderson zeichnet der Historiker Suleiman ­Mourad die Geschichte des Korans und des muslimischen Glaubens nach. Dass hier ein sachkundiger Mediävist und ­Kenner der politischen und intellektuellen Landschaft der Gegenwart Rede und Antwort steht, ist das große Glück ­dieses über die Dauer eines Jahres geführten Dialogs. Der Bogen spannt sich von den ­Anfängen des Korans über ­Mohammed, die sunnitisch-schiitische ­Spaltung, die Entwicklung des ­Dschihad und Reformbestrebungen bis hin zum modernen Islam und seinen heutigen Herausforderungen. 'Andersons Fragen sind präzise, prägnant und kraftvoll, ­Mourads Antworten klug, verständlich und unvoreingenommen. Unentbehrlich!' Le Monde

Suleiman Mourad, geboren in Beirut, Libanon, studierte Mathematik und ­Geschichte des Nahen Ostens und promovierte in Yale im Fach Arabische und Islamische Studien. Seit 2010 ist er Professor für Religion am Smith College, wo er vor allem über mittelalterliche Islam­geschichte und religiöse Ideengeschichte forscht, darunter die Ideologie des Dschihad, Jerusalem und den Koran. Perry Anderson, geboren 1938, lehrt Geschichte an der University of California in Los Angeles. Seine Beiträge erscheinen in der 'London Review of Books' und der 'New Left Review', deren Herausgeber er lange Jahre war. Bei Berenberg erschienen u.?a. 'Nach Atatürk. Die Türken, ihr Staat und Europa' (2009) und 'Die indische Ideologie' (2014).

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Leseprobe

2


Ausbreitung des Islams und Entwicklung des Dschihad


Wenn wir uns den arabischen Eroberungen im siebten und achten Jahrhundert zuwenden, offenbart sich ein beachtlicher Widerspruch zwischen dem sehr ökumenisch ausgerichteten Glauben, wie ihn Fred Donner und andere beschreiben, und einer erstaunlich rasanten Ausdehnung der Religion mit Waffengewalt. Augenscheinlich kursieren vor allem zwei Lesarten dessen, was sich abgespielt haben könnte. Eine findet sich bei Donner, der erklärt, es könne nur wenige Kämpfe gegeben haben, weil für größere Zerstörungen in dieser Periode keine archäologischen Belege vorlägen; es mag zu Gewaltausbrüchen gekommen sein, die jedoch vorübergehend waren, und wenn geplündert wurde, dann vermutlich überwiegend von Räubern. Für einen Historiker wie Hugh Kennedy dagegen ergab sich die islamische Expansion aus der Dynamik, die Mohammeds Einigung der Arabischen Halbinsel entfaltete; die Lebensweise der Beduinenstämme sei von Raubzügen bestimmt gewesen, in denen jeder Mann definitionsgemäß Krieger war. Als die Stämme in einem gemeinsamen Glauben geeint waren, so die Argumentation, seien solche Raubzüge nicht mehr erlaubt gewesen und die kriegerische Energie der Beduinen habe sich auf eine beeindruckende Abfolge von Eroberungszügen nach außen übertragen. In Abwandlung von Kennedys Position erkennt Patricia Crone das Neue am Islam darin, dass er die Idee eines universellen Glaubens mit der Idee eines universellen Reichs vermählte; schon vorher hatte es einerseits universelle Eroberer wie Alexander den Großen und andere gegeben, die aber keinen Glauben transportierten; und es hatte andererseits universelle Religionen gegeben, besonders das Christentum, denen jedoch die Vorstellung eines universellen Reichs völlig fremd war.14 Einig sind sich diese Experten darin, dass die Eroberungen dem massenhaften Übertritt zum Islam vorangingen und erst gegen Ende des neunten Jahrhunderts auf dem Gebiet des heutigen Nahen Ostens eine mehrheitlich muslimische Bevölkerung entstand. Wie bewerten Sie diese Interpretationen?

Es war lange üblich, von islamischen Eroberungen zu sprechen, doch heute wissen wir, dass der Begriff irreführend ist. Es handelte sich um arabische Eroberungen oder um arabisch-islamische Eroberungen. Mohammed hatte die Einigung Arabiens überwiegend mit Gewalt – daraus machte die Überlieferung keinen Hehl – und in einigen Fällen durch Bündnisse erreicht. Nach dem Tod des Propheten konnten neue Allianzen die Ordnung auf der Halbinsel verändern, und so entsandte Abu Bakr seine Generäle, damit sie die jüngst erlangte Einheit auch in Stämmen durchsetzten, die nun die Gelegenheit zum Widerstand ergriffen. Doch anschließend kanalisierte der scharfsinnige Kalif die von seinem Kriegszug entfachte Wut der Beduinen-Stämme nach außen, sodass sie sich in den Gebieten jenseits der Halbinsel entlud. In dieser Hinsicht ähneln die später als arabische Eroberungen bezeichneten Kriegszüge anderen nomadischen Eroberungen der Geschichte – den mongolischen oder türkischen etwa –, in denen für die berittenen Krieger die Plünderungen den wichtigsten Anreiz boten. Die meisten arabischen Kämpfer lockte ganz einfach die Aussicht auf Beute – sie hatten nicht vor, neue Alleinherrscher der im Altertum bekannten Welt zu werden. Insofern ist Crones Ansicht unhaltbar, denn sie betrifft eine viel spätere Entwicklung zu Zeiten der Umayyaden und Abbasiden, als sich Muslime als Herrscher über riesige Gebiete betrachteten und ihre Religion der gesamten Menschheit anpriesen. Zu Zeiten der arabischen Eroberungen spielten universelle Religion und universelle Macht noch keine Rolle.

Es ergab sich, dass die arabischen Angreifer just zu einer Zeit von der Halbinsel ausschwärmten, in der die beiden Supermächte der antiken Welt, das Byzantinische und das Persische Reich – ohnehin schon erschöpft von einem halben Jahrhundert heftiger Kriege, die sie all ihre Kraft und Geldmittel gekostet hatten –, von religiösen Streitigkeiten und internen Palastputschen belastet waren. Die Araber gelangten daher in Gebiete, in denen sich die Bevölkerung nach Stabilität sehnte, und trafen Gesellschaften an, die sich lieber ihrer Herrschaft ergaben, als weiter von den Sassaniden und Byzantinern unterdrückt zu werden. Das heißt nicht, dass die Eroberer Beute verschmäht hätten. Doch in den fruchtbaren Landschaften und reichen Kulturen Palästinas, Syriens, Ägyptens, des Irak und Persiens veränderte sich die Logik der Beutezüge. Es ging nicht mehr darum, eine andere Wüstensippe zu überfallen und sich mit der Beute davonzumachen, sondern nun kamen sie in Gemeinwesen und Städte, die ihnen viel mehr zahlen konnten, als sie durch Plünderung hätten erbeuten können. Für das, was sich beim Eintreffen der arabischen Streitkräfte in Damaskus abspielte, sind zwei Versionen überliefert: dass sie die Stadt mit Waffengewalt einnahmen und dass sie sie gegen eine Tributzahlung friedlich betraten. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem, doch die Machtergreifung fand im Wesentlichen ohne größere Schlacht statt. Jerusalem wurde gegen Zahlung eines Tributs friedlich eingenommen. Ein Großteil Ägyptens fiel auf die gleiche Art. Ausnahmen bildeten offenbar vor allem Irak und Iran, wo Reste der Sassaniden-Armee den Arabern heftige Gegenwehr leisteten. Doch dort spielte wahrscheinlich auch die Religion eine Rolle. In Syrien und Ägypten stießen die Araber auf weniger Widerstand, weil der Glaube der Eroberer – und das würde zu Donners Argumentation passen – dem der eroberten Gemeinden so ähnlich war. Der Irak war damals überwiegend christlich oder jüdisch, stand jedoch unter der Herrschaft eines Perserreiches, dessen zoroastrischer Kult nicht recht in das monotheistische Weltbild passte.

Diese gegensätzlichen Eroberungsmethoden spiegeln sich im islamischen Recht wider. Die meisten Ländereien in Syrien und Ägypten gingen nicht im eigentlichen Sinne in den Besitz der Muslime über, sondern gehörten weiterhin der örtlichen Bevölkerung, die den Muslimen eine Steuer zahlten, Dschizya. Im Irak und Iran dagegen gehörte das Land den Muslimen, weil sie es mit Waffengewalt erobert hatten. Das deutet stark darauf hin, dass die arabischen Eroberungen andernorts im Nahen Osten mit relativ wenig Gewalt auskamen. Donner verweist völlig zu Recht darauf, dass es für großflächige Zerstörungen keine archäologischen Belege gibt, was angesichts des gewaltigen Ausmaßes der militärischen Landnahme erstaunlich ist. Lange wurde vermutet, dass archäologisch nachgewiesene Zerstörungen (besonders in Palästina und Ägypten) auf das Werk arabischer Armeen zurückgehen, doch bei einer genaueren Untersuchung stellte sich heraus, dass sie von der persischen Eroberung im Jahr 614 stammen. Die arabischen Eroberungen lassen sich besser als eine Expansion kriegerischer Stämme begreifen, die, von der wohl an Überbevölkerung leidenden Arabischen Halbinsel ausgehend, anfangs nach traditionellem Muster ablief, dann jedoch auf ein soziales und intellektuelles Umfeld traf, auf das die arabischen Eroberer nicht gefasst waren.

Als die Araber im Fruchtbaren Halbmond und Ägypten eintrafen, wurde ihnen bewusst, dass sie in den Gebieten, die sie nun regieren mussten, nicht nur eine religiöse, sondern auch eine ethnische Minderheit darstellten. Nach Arabien wollten sie nicht zurückkehren. Mekka hatte der dort ansässige Stamm weitgehend in Richtung Damaskus, Ägypten und den Irak verlassen. Nur sehr wenige der einstigen Einwohner blieben in Mekka oder Medina, und nicht anders war es in vielen anderen Siedlungen. Gesellschaft und Wirtschaft der Araber hatten nicht viel zu bieten – die Halbinsel war trocken, die Menschen waren arm –, doch nun konnten sie die Paläste und den Luxus der beiden Reiche genießen, die sie übernommen hatten. Warum sollten sie zurück in die Wüste? So ließen sich die Araber in den eroberten Gebieten nieder, in dem Bewusstsein, dass sie dort eine ethnische, linguistische und religiöse Minderheit bildeten. Der Überlieferung zufolge untersagten sie in dieser Zeit den Übertritt zum Islam, und hier und da gründeten sie, besonders im Irak, ihre eigenen Städte und Viertel. Das belegt, dass die Eroberungen durchaus nicht religiös motiviert waren: Hier offenbart sich das genaue Gegenteil vom stereotypen westlichen Bild des Kriegers mit dem Koran in der einen und dem Schwert in der anderen Hand – da wir den Koran nur in die rechte Hand nehmen dürfen, hätten diese arabischen Krieger ja auch noch mit der linken kämpfen müssen. Tatsächlich blieb die Bevölkerung Syriens, Ägyptens und des Irak bis ins neunte oder zehnte Jahrhundert überwiegend christlich, und daneben gab es auch eine beachtliche jüdische Gemeinde. Die iranische Gesellschaft war bis ins neunte Jahrhundert je nach Region mehrheitlich zoroastrisch oder christlich. Wenn Menschen zum Islam übertraten, geschah das nicht unter Zwang, sondern vielmehr um der Vorteile willen, denn ein Posten in Verwaltung oder Armee, diverse Dienstleistungen und Anstellungen waren Muslimen leichter zugänglich.

Gab...

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