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Das Nachbarsprachenmodell in der Praxis. Einstellungen und Motivation zum Erlernen der zweiten Fremdsprache

Untersuchung am binationalen und bilingualen Augustum-Annen-Gymnasium Görlitz

AutorJustyna Wieczorek-Hecker
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783638486255
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Didaktik - Deutsch - Deutsch als Fremdsprache, Note: 1,3, Technische Universität Dresden (Germanistik), 125 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die Motivation zum Erlernen der polnischen bzw. deutschen Sprache im binationalen-bilingualen Zweig des Augustum-Annen-Gymnasiums Görlitz zu erforschen sowie die Motivation im Sachfachunterricht mit bilingualen Modulen. Im Weiteren soll untersucht werden, wie die Schüler selbst als Teilnehmende ihren Unterricht beurteilen, welche Schwierigkeiten der bilinguale Sachfachunterricht mit sich bringt und welche Vorteile sie darin sehen. Darüber hinaus sollte in Erfahrung gebracht werden, ob bilingualer Unterricht auch das Verhalten und Interessen der Schüler beeinflusst, sie beispielsweise dazu ermutigt, Kontakte mit polnischen/deutschen Gleichaltrigen zu suchen oder polnische/deutsche Medien zu nutzen. Inhaltliche Leitlinien der Arbeit: Die vorliegende Arbeit besteht aus sieben Kapiteln, wobei das erste und das letzte Kapitel der Einleitung bzw. der Zusammenfassung vorbehalten sind. Im zweiten Kapitel werden bildungspolitische Rahmenbedingungen für das Erlernen von Fremdsprachen sowie verschiedene Aspekte der Vermittlung von Mehrsprachigkeit in Grenzregionen (das Nachbarsprachenmodell) erörtert. Das 3. Kapitel stellt eine komprimierte Skizze der Entwicklung und Struktur der bilingualen Bildungsangebote in Deutsch-Polnischem Kontext dar. Der theoretische Teil zur Bildungspolitik, unter besonderer Berücksichtigung der Grenzregion Görlitz erklärt, weswegen es bilinguale Bildungsgänge überhaupt gibt. Schwerpunkt des Theorieteils ist das darauf folgende Kapitel zur Motivationsforschung, in dem sowohl unterschiedliche Motivationskonzeptionen für den Fremdsprachenunterricht als auch Motivationen der Lerner für die Verwendung einer Fremdsprache im Sachfachunterricht in Bezug auf verschiedene Fachliteratur analysiert werden. Daraus ergeben sich die theoretischen Grundlagen für die nachfolgende empirische Untersuchung der Motive und Einstellungen. Darauf folgt die Beschreibung und ausführliche Darstellung der eigentlichen Untersuchungen. Die empirische Analyse beinhaltet die explizite Erklärung und Begründung der Untersuchungsfragen und Untersuchungsmethoden, denen die Vorstellung der Schule Augustum-Annen-Gymnasium Görlitz vorangestellt wird. Eine kritische Prüfung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse und deren Rückschlüsse auf die Motivation und Einstellungen im bilingualen Sachfachunterricht bilden den Abschluss der Arbeit. Im empirischen Teil wird die Methode der schriftlichen Befragung eingesetzt.

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Leseprobe

3. Vermittlung von Mehrsprachigkeit im Rahmen bilingualer Bildungsgänge


 

3.1. Begriffsbestimmungen


 

Als eine der markantesten Schwierigkeiten in der Zweitsprachenerwerbsforschung dürfte die Uneinheitlichkeit der in der einschlägigen Literatur verwendeten Terminologie und Begrifflichkeit gelten. Dennoch ist verständlich, dass ein pädagogisches Konzept, das sich in mehreren Ländern weitgehend independent entwickelte, nicht von Anfang an eine allseits gleichermaßen akzeptierte Begrifflichkeit beinhalten kann.

 

Unter mehrsprachigen Bildungsgängen werden laut Wolff Unterrichtsansätze verstanden, in welchen Sachfächer in einer Fremdsprache unterrichtet werden.[42] Der Schwerpunkt des Unterrichts liegt bei diesen Ansätzen auf der Verbindung zwischen sprachlicher und fachlicher Kompetenz. Charakteristisch ist dabei, dass die fremde Sprache als Unterrichtsmedium verwendet wird.[43]

 

Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich in Deutschland der Begriff bilingualer Sachfachunterricht etabliert. In der Fachliteratur stößt diese Bezeichnung jedoch immer wieder auf Kritik. In Anbetracht der Tatsache, dass sie einen Unterricht bezeichnet, der tatsächlich vorwiegend einsprachig in einer Fremdsprache gehalten wird und somit keine wirkliche Bilingualität vorweist, ist sie in soziolinguistischer Hinsicht unpräzis.[44] Wie Hoffmann richtig bemerkt, trägt die Nähe des Begriffs zu zwei verwandten Unterrichtungsformen, dem Immersionsunterricht und der bilingualen Erziehung (bilingual education) zur weiteren Kritik am Sprachgebrauch bilingual bei.[45]

 

In der fremdsprachendidaktischen Literatur findet man auch Bezeichnungen wie fremdsprachiger Sachfachunterricht und fremdsprachlicher Sachfachunterricht[46]. Dabei impliziert das entsprechende Suffix unterschiedliche Zielvorstellungen: fremdsprachiger Unterricht bedeutet „in einer fremden Sprache gehaltener Unterricht“, fremdsprachlicher Unterricht hingegen „über eine Fremdsprache gehaltener Unterricht“[47]. Trotz terminologischer Differenzierung werden in der Fachliteratur in Bezug auf den bilingualen Unterricht beide Adjektive zur Beschreibung herangezogen.

 

In den letzten Jahren hat sich für diese Ansätze im englischen und französischen Sprachraum ein Begriff etabliert, der in immer stärkerem Maße Verwendung findet und sich unter Fremdsprachendidaktikern großer Beliebtheit erfreut: Content and Language Integrated Learning (abgekürzt eng. CLIL und frz. EMILE). Inzwischen wird versucht, den englischen Begriff CLIL ins Deutsche zu übertragen. Beispielsweise bezeichnet Wolff CLIL als Inhaltsbezogenes Fremdsprachenlernen.[48]

 

Ungeachtet der Kritik hat sich der Begriff bilingualer Sachfachunterricht dennoch als Bezeichnung einer in Deutschland und einigen europäischen Staaten verbreiteten Unterrichtsform durchgesetzt, in der ein oder mehrere Sachfächer in einer Sprache unterrichtet werden, die weder die allgemeine Schulsprache noch die Umgebungs- bzw. Landessprache und demzufolge eine Fremdsprache im schulischen Verständnis ist. In dieser Bedeutung wird der Begriff bilingualer Sachfachunterricht im Weiteren verwendet. Er überwiegt nicht nur in Schüler-, Eltern- und Lehrerkreisen, sondern auch in bundesdeutschen Debatten bis hin zu kultusministeriellen Verordnungen.

 

3.2. Ziele und Motive für die Einrichtung bilingualer Angebote


 

Mit der Einrichtung der bilingualen Angebote verbinden die Schulen und Kultusministerien bestimmte Erwartungen und Intentionen. Die unterschiedlichen Zielsetzungen lassen sich aus verschiedenartigen Schul- und Unterrichtssituationen herleiten. Dennoch wird generell für einen ungesteuerten Spracherwerb plädiert, der im Rahmen des bilingualen Unterrichts jederzeit ohne besondere Fokussierung auf Sprache und sprachliche Form stattfinden kann. Die Hoffnung auf erheblichen Zugewinn fremdsprachlicher Kompetenzen ist und bleibt eines der wesentlichen Motive zur Teilnahme an bilingualen Unterrichtsangeboten.[49]

 

Die Dissertation von Weber enthält einen Überblick über Adressaten, Methoden und Ziele der einzelnen bilingualen Konzeptionen.[50] Laut Weber stimmt der bilinguale Unterricht in der BRD am ehesten mit der Konzeption bilingual immersion education (Abb. 3) überein. Für die bundesdeutsche Konzeption des bilingualen Zweiges sind ebenso der verstärkte Fremdsprachenunterricht, die zunehmende Erteilung von Fachunterricht in der Fremdsprache und die Integration von muttersprachlichen und fremdsprachlichen Schülern im Klassenverband repräsentativ.

 

 

Abb.3: Überblick über Adressaten, Methoden und Ziele der einzelnen bilingualen Konzeptionen

 

Eine umfassende Analyse und Zwischenbilanz der Entwicklung der bilingualen Bildungsansätze in Deutschland wurde zum Thema des Beitrages von Thürmann.[51] Die Linguistin stützt sich dabei auf mehrjährige Erfahrungen mit deutsch-englischen und deutsch-französischen Bildungsgängen und hat die Argumente zusammengestellt (Tab. 4), die den Einsatz bilingualer Angebote bestätigen.

 

Wie diese Ergebnisse zeigen, beachten die Schulen die spezifischen Wirkungen der Verwendung einer Fremdsprache als Arbeitssprache in Sachfächern zu wenig. Die Sensibilität dafür, dass über bilinguales Lernen fachsprachliche Kompetenzen in der Fremdsprache entwickelt werden können, die sich sonst in der Schule auf anderem Wege kaum herstellen lassen, wird entweder wenig wahrgenommen oder in ihrer argumentativen Wirkung für die Schulöffentlichkeit nicht sehr hoch eingeschätzt. Bei Einrichtung bilingualer Bildungsgänge spielen allgemeine Kommunikationsfähigkeit, Förderung beruflicher Chancen oder Einstellung auf Internationalisierung der Lebenswelten an den Schulen eine immer größere Rolle.

 

 

Tab. 4: Motive zur Einrichtung bilingualer Angebote

 

Interessant sind dabei die Unterschiede der Motive für die Einrichtung bilingualer deutsch-englischer und deutsch-französischer Bildungsangebote. Englisch als Arbeitssprache orientiert sich vorwiegend an der Funktion des Englischen als lingua franca, zielt demnach auf globale Kommunikation und interkulturelle Kompetenzen. Französisch als Arbeitssprache ist hingegen stärker dem Verständnis des Partnerlandes und der Partnerkultur verpflichtet und strebt vorwiegend annähernde Zweisprachigkeit an.

 

Die Konzentration auf das Partnerland hat auch der Sprachforscher Mäsch in seinen Beiträgen wiederholt akzentuiert und als wichtigste Ziele des bilingualen Sachfachunterrichts „[…] die Schaffung einer kooperativen, auf Verständigung und Annäherung zielenden emotional positiven Einstellung zu unserem Nachbarvolk und seinen Kulturkreis“[52] sowie die fremdsprachliche Kompetenz für Beruf und Studium hervorgehoben.

 

Die vorliegende Studie wurde in Deutschland im bilingualen Bildungsgang mit polnischen Deutsch- und deutschen Polnischlernern durchgeführt. Zum besseren Verständnis werden zunächst einige grundsätzliche Informationen zu diesem speziellen Forschungskontext, zur Gestaltung und Struktur des bilingualen Lernens in der BRD und in Polen, gegeben.

 

3.3. Bilinguale Bildungsgänge in Deutschland und in Polen


 

Bilinguale Bildungsgänge, deren Status und Stellung von Staat zu Staat variieren, sind in den meisten europäischen Ländern Teil des regulären Bildungsangebotes, wenn auch derzeit nur für eine Minderheit der Schüler.

 

Laut Wolff sind die Tendenzen im Hinblick auf die sprachliche Umgebung der jeweiligen Schule interessant. In einem von der EU unterstützen Forschungsprojekt wird versucht, den gegenwärtigen Stand des bilingualen Lernens in Europa umfassend darzustellen. Die Untersuchungen zeigen eindeutig, dass in mehr als einem Drittel aller Fälle in der Nachbarschaft der Schule eine andere Sprache als die Muttersprache der Schüler gesprochen wird. Eine mehrsprachige Umgebung trägt offenbar zur Förderung des CLIL-Angebotes an der Schule bei.[53] Diese Entwicklungstendenz war auch Anlass für die Bildung der ersten bilingualen Züge in Deutschland (Kapitel 3.3.1.) und ist ebenso in der gegenwärtigen Sprachenpolitik der BRD präsent, wie die Gründung des deutsch-polnischen Bildungsganges am Augustum-Annen-Gymnasium Görlitz (Kapitel 5.1.) bzw. die bilinguale deutsch-tschechische Ausbildung am Friedrich-Schiller Gymnasium Pirna beweist.

 

3.3.1. Gestaltung und Struktur des bilingualen Lernens in Deutschland


 

Seit über 30 Jahren wird bilingualer Unterricht in den einzelnen Bundesländern in unterschiedlichen Modellen und Ausprägungen realisiert.[54] Entstanden ist er Ende der sechziger Jahre im Gefolge des deutsch-französischen Kooperationsvertrages[55] von 1963 mit der Intention, über das Verstehen der jeweils anderen Sprache und Kultur zur Verständigung der beiden Nachbarvölker beizutragen.

 

Gemäß Beschluss vom 11.10.1991 versteht die...

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