1 Basiswissen und häufige Irrtümer
Warum wird man eigentlich zuckerkrank? Was läuft da schief? Zunächst wollen wir Ihnen einige Basisinformation zu Ihrer Erkrankung geben und verbreitete Irrtümer aufklären.
1.1 Was bedeutet »zuckerkrank«?
Glukose (Traubenzucker) ist die Energiewährung unseres Körpers; das ist der Treibstoff, der Vorgänge im Körper, die Energie benötigen, ermöglicht und antreibt. Unsere Nahrung wird im Verdauungstrakt abgebaut und die enthaltenen Zuckerbausteine ins Blut aufgenommen; mit dem Blutstrom werden sie im Körper verteilt, sodass überall, wo Energie benötigt wird, diese bereitsteht. Doch wie der Name Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) schon andeutet, gibt es hierbei zu viel Zucker im Blut. Wenn der Körper zu lange mit Zucker überschüttet wird, wird er sehr krank. Wenn Sie schon einmal eine zuckrige Lösung, zum Beispiel ein Limonadengetränk, verschüttet haben, wissen Sie, wie sehr Zucker klebt. Etwas Ähnliches passiert im Körper bei zu hohen Blutzuckerwerten: Die Blutgefäße verkleben regelrecht, womit das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko stark ansteigt. Auch wichtige Eiweißstrukturen werden »verzuckert«, kleben zusammen und funktionieren nicht mehr so, wie sie sollen. Das Ziel ist es daher, den Blutzuckerspiegel so zu senken, dass möglichst keine Folgeschäden entstehen.
1.1.1 Typ-2-Diabetes ist häufig
In Deutschland gibt es rund 6,7 Millionen diagnostizierte Diabetiker, jeden Tag kommen fast 1000 Menschen dazu, bei denen erstmals Diabetes festgestellt wird. Es gibt verschiedene Diabetesformen. Der Großteil jedoch – nämlich etwa 95 % – hat Typ-2-Diabetes (Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2016). In diesem Buch geht es ausschließlich darum, was man bei Typ-2-Diabetes tun kann.
1.2 Wie unterscheiden sich Typ-1- und Typ-2-Diabetes?
Typ-1- und Typ-2-Diabetes unterscheiden sich maßgeblich. Typ-1-Diabetes tritt meist bereits im Kindes- oder Jugendalter auf; er kann jedoch auch erst im Erwachsenenalter beginnen. Er macht sich durch Beschwerden wie Durst, vermehrtes Wasserlassen und Gewichtsabnahme bemerkbar.
Typ-1-Diabetes gehört zu den Autoimmunerkrankungen; dabei bekämpft das Immunsystem, das eigentlich eindringende Krankheitserreger unschädlich machen soll, eigenes Körpergewebe. Dabei werden die Zellen der Bauchspeicheldrüse, die Insulin produzieren, zerstört. Das sind die sogenannten Beta-Zellen in den Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse. Da Insulin dafür verantwortlich ist, den Blutzucker in die Körperzellen zu schleusen, entgleist der Stoffwechsel, wenn der Körper nicht mehr in der Lage ist, ausreichend Insulin herzustellen, weil die Produktionsstätten unwiederbringlich zerstört sind. Typ-1-Diabetiker sind darauf angewiesen, lebenslang dieses fehlende Insulin von außen zuzuführen. In der Regel sind Menschen mit Typ-1-Diabetes schlank.
Beim Typ-2-Diabetes spricht man vom Altersdiabetes, weil er überwiegend bei Erwachsenen nach dem 40. Lebensjahr auftritt. Im Gegensatz zum Typ-1-Diabetes treten in der Regel beim Typ-2-Diabetes keine typischen Symptome auf und auch die Ursachen der Erkrankung sind andere: Die Bauchspeicheldrüse ist in Ordnung und produziert auch Insulin. Durch falsche Ernährung, oft auch Übergewicht mit sehr viel Bauchfett und Bewegungsmangel, kommt es zu einer sogenannten Insulinresistenz. Das heißt, die Körperzellen stumpfen gegenüber dem Insulinsignal ab. Es ist Insulin im Blut, in der Regel sogar mehr als bei Gesunden (dieses Phänomen nennt sich basale Hyperinsulinämie), doch die Körperzellen lassen keinen Zucker mehr herein. Das Problem beim Typ-2-Diabetes ist also zunächst kein Insulinmangel, sondern vielmehr die Insulinresistenz und die basale Hyperinsulinämie. Wie diese genau entstehen und was man tun kann, um sie wieder loszuwerden, erläutern wir Ihnen in diesem Buch ausführlich.
1.3 Typ-2-Diabetes: zu viel Insulin und Insulinresistenz
Wir gehen davon aus, dass die Entstehung des Typ-2-Diabetes durch eine zu kohlenhydratlastige Ernährung begünstigt wird. Die Hauptmahlzeiten selbst sind oft sehr kohlenhydratreich, zwischendurch werden Schokolade oder andere Süßigkeiten genascht und zum Nachmittagskaffee gibt es natürlich Kuchen oder Kekse.
Basale Hyperinsulinämie: Das ist für den Körper eine Dauerbelastung: Jedes Mal wenn Kohlenhydrate aufgenommen werden, muss er Insulin ausschütten. In frühen Stadien der Erkrankung kursiert bei Menschen mit Übergewicht und Typ-2-Diabetes daher unablässig viel zu viel Insulin im Blut. Das führt zu einem erhöhten Insulinspiegel auch im nüchternen Zustand, was als basale Hyperinsulinämie bezeichnet wird.
Insulinresistenz: Insulin hat die Aufgabe, die Zuckeraufnahme in die Körperzellen zu unterstützen. Bei anhaltend hohen Insulinspiegeln und reichlicher Kalorienzufuhr werden die Körperzellen jedoch »resistent« gegen die Insulinwirkung. Sie »möchten« keinen weiteren Zucker mehr aus dem Blut aufnehmen, da ihr Energiebedarf gedeckt ist. Man spricht dann von Insulinresistenz.
Nach einer Nahrungsaufnahme kommt es jedoch im Gegensatz zu Gesunden nicht zu einer gesteigerten Insulinausschüttung, sodass dann die Glukosespiegel im Blut stark ansteigen. Der Körper registriert, dass die Insulinwirkung ausbleibt, und lässt den Insulinspiegel nicht absinken. Dies geht so lange, bis in einem Spätstadium der Erkrankung die Bauchspeicheldrüse völlig erschöpft ist und die Insulinproduktion weitestgehend einstellt.
Studie zur basalen Hyperinsulinämie
Amerikanische Wissenschaftler untersuchten die basale Insulinproduktion, also den Insulinspiegel im Blut in nüchternem Zustand, bei fünf Gruppen (Pories u. Dohm 2012):
gesunden, schlanken Kontrollpersonen
gesunden Übergewichtigen
Übergewichtigen mit pathologischer Glukosetoleranz (das heißt, hier kann nach einer Mahlzeit der Zucker nicht schnell genug verstoffwechselt werden und bleibt als erhöhter Wert im Blut messbar)
Übergewichtigen mit Typ-2-Diabetes und Nüchternblutzucker < 140 mg/dl
Übergewichtigen mit Typ-2-Diabetes und Nüchternblutzucker > 140 mg/dl
Sie fanden einen stufenartigen Anstieg des basalen Insulinspiegels bei den fünf Gruppen mit den höchsten Werten bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern mit schlechter Blutzuckereinstellung. Diese Gruppe hatte einen mehr als 8-fach höheren basalen Insulinspiegel als die gesunde Kontrolle.
1.4 Ein hoher Insulinspiegel verhindert das Abnehmen
Eine Folge des hohen Insulinspiegels im Blut ist eine »Abnehmbremse«. Das Insulin signalisiert den Fettzellen, fest verschlossen zu bleiben, da ja genügend schnell verfügbare Energie in Form von Zucker vorhanden ist. Ein Fettabbau ist somit für den Körper nicht notwendig und auch wenn nur sehr wenig gegessen wird, leider nicht möglich. Da Insulin den Fettabbau verhindert, haben Übergewichtige keine Chance abzunehmen, solange ihr Insulinspiegel viel zu hoch ist.
1.5 Den Teufelskreis durchbrechen
Da in der Geschichte der Diabetesforschung die Insulinresistenz zuerst erkannt wurde (und die Beobachtung der basalen Hyperinsulinämie noch relativ neu ist), wurden viele Medikamente entwickelt, die als Wirkmechanismus die körpereigene Insulinproduktion steigern sollen. Solche Medikamente bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und basaler Hyperinsulinämie in der Frühphase der Erkrankung einzusetzen, halten wir für den falschen Ansatz. Unsere wissenschaftlichen Studien haben gezeigt, dass durch eine kohlenhydratreduzierte Ernährung sowie eine anfängliche Formuladiät die Blutzuckerwerte rasch sinken. Mithilfe des hier vorgestellten 12-Wochen-Programms kann es daher gelingen, den Teufelskreis aus basaler Hyperinsulinämie und Insulinresistenz zu durchbrechen. Diese Zusammenhänge werden auf den folgenden Seiten detailliert erläutert.
1.6 Die zehn häufigsten Irrtümer über Typ-2-Diabetes
Über den Typ-2-Diabetes kursieren viele veraltete Vorstellungen und Fehlinformationen, die wir gern aus der Welt schaffen würden.
1.6.1 Irrtum 1: Ich bin jetzt lebenslang krank
Die Annahme, »man sei nun lebenslang krank«, stimmt für viele Menschen, die einen Typ-2-Diabetes entwickelt haben, so nicht. Vielfach lässt sich der aus dem Ruder gelaufene Stoffwechsel – vor allem wenn der...