3. Tiergestützte Pädagogik mit Pferden
In diesem Kapitel wird als erstes ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Bedeutung von Tieren in der Pädagogik gegeben. Danach wird speziell auf den geschichtlichen Verlauf der Tiergestützten Pädagogik mit Pferden eingegangen. Im Anschluss werden die vier Säulen der Tiergestützten Arbeit mit Pferden vorgestellt und die Ausbildung von Reitpädagogen sowie die Finanzierung ihrer pädagogischen Maßnahmen diskutiert. Folgend wird die Ausgangsbasis der Tiergestützten Pädagogik erklärt und die Bedeutung des pädagogischen Einsatzes von Pferden bei verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern erläutert.
3.1 Tiere und Pädagogik
Der amerikanische Kinderpsychotherapeut Boris M. Levinson entdeckte bereits in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, dass sich sein Hund in einer Therapiesitzung Zugang zu einem kontaktgestörten Kind verschaffen konnte. In den 1970er griffen andere Wissenschaftler aus den USA diese Erkenntnis auf und forschten zu dieser Thematik weiter. Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts beschäftigen sich nun auch deutsche Forscher mit der helfenden und heilenden Wirkung von Tieren auf die menschliche Psyche. Forschungsziel ist es herauszufinden, inwiefern Tiere im Stande sind, mit Hilfe ihrer artspezifischen Verhaltensweisen Menschen positiv zu beeinflussen, ihre Genesung zu beschleunigen oder ihren Alltag bewusster zu gestalten. Mehrere Forscher fanden heraus, dass vor allem Menschen, die sich in einem problematischen Lebensabschnitt befinden, große Vorteile - aus Sicht der Medizin und Psychologie - durch die Anwesenheit von Tieren nutzen können. Aufgrund dieser Erkenntnis haben sich in den letzten Jahren Tiere als therapeutische Helfer in Deutschland etabliert und es entstanden u.a. Streichelzoos und Tierbesuchsdienste (vgl. Tipi 2011). Auf diesem wissenschaftlich begründeten Ansatz beruht auch die Tiergestützte Pädagogik, ein Gebiet, welches sich in den letzten Jahren rasant entwickelt hat.
In einigen Schulen, vor allem in sonderpädagogischen Förderschulen, gibt es inzwischen ‘Schulhunde‘, die komplett in das Konzept des Unterrichts mit integriert werden. Der Hund, welcher während des Unterrichts anwesend ist, wirkt beruhigend und begünstigt die soziale Interaktion sowie die Impulskontrolle der Schüler. Er bereichert folglich den Unterricht auf beträchtliche Weise, indem er motivierend und konzentrationsfördernd auf die Schüler wirkt. Aktuell gibt es unzählige einzelne Initiativen und Konzepte in ganz Deutschland, bei denen Hunde in Kindergärten und Schulen im Rahmen von Besuchen mit ihren Besitzern in den Unterricht kommen. Dadurch sollen Kinder und Jugendliche auch den Umgang mit Hunden und das Verhalten von Hunden verstehen lernen sowie ihre Angst gegenüber diesen Tieren abbauen (vgl. Bonengel 2008, S. 1174).
Es gibt aber auch andere Tierarten, die innerhalb der Tiergestützten Pädagogik eingesetzt werden. Hierzu zählen u.a. Pferde, Esel, Lamas sowie Kleintiere, wie z.B. Meerschweinchen oder Kaninchen.
Diese Tiere wirken auf Kinder und Jugendliche „über ihre menschenzugewandte Art, über Anblick, Körperkontakt, Kommunikation und Interaktion“ (Tipi 2011). Im Vergleich zu Menschen lassen sich Tiere nicht von Äußerlichkeiten oder Behinderungen eines Menschen bzgl. ihres Verhaltens beeinflussen oder abschrecken. Sie gehen meist offen auf alle Kinder und Jugendliche zu, denn das Tier akzeptiert den Menschen so, wie diese ihm begegnet. Da eine pädagogische Absicht jedoch nicht vom Tier aus verfolgt wird, ist der Einsatz einer pädagogischen Fachkraft unabdingbar (vgl. Tipi 2011).
3.2 Der geschichtliche Verlauf der Tiergestützten Pädagogik
mit Pferden
Der Einsatz von Pferden bei therapeutischen Maßnahmen hat eine lange Geschichte und lässt sich bis zu den Griechen im Altertum nachverfolgen. Mit der Zähmung und Züchtung, der sogenannten Domestizierung, von Pferden entdeckten die Griechen weitere Eigenschaften dieser Tiere. Sie beschäftigten sie sich u.a. mit der Wechselwirkung von Mensch und Pferd und stellten eine heilsame Wirkung des Rhythmus von Pferden auf den menschlichen Körper und dessen Psyche fest (vgl. Kläschen 2011a, S. 4).
Das aktuell gültige Prinzip, dass der Reiter die Bewegungen des Pferdes in sich aufnehmen und diese mit den Bewegungen des eigenen Körpers in Einklang bringen müsse, erkannte bereits 1663 der Mediziner Bartholomäus Castellius. Ab dem 18. Jahrhundert wuchs die Beachtung der Erkenntnis, dass die Gesellschaft mit Tieren im Menschen Gefühle auslösen und aktivieren könne (vgl. ebd.).
Auch der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe, der das Reiten liebte, stellte fest, dass das Reiten eine heilende Wirkung mit sich bringen würde (vgl. Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten 2011).
Nachdem im 19. Jahrhundert das Reiten als Therapieform nicht beachtet wurde, entdeckte man es in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts erneut (vgl. Gäng 2009, S. 12).
Nach dem zweiten Weltkrieg führte ein Chefarzt Rehabilitationsmaßnahmen bei körperbehinderten Menschen, deren gestörtes Gleichgewicht mit Unterstützung des Pferdes wieder aufgebaut wurde, durch. 1953 wurde der Begriff „Reiten als Therapie“ durch den Arzt Max Reichenbach geprägt (vgl. Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten 2011).
Hinsichtlich der Pädagogik und Heilpädagogik wurde in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts das Heilpädagogische Voltigieren und Reiten in Deutschland entwickelt (vgl. Gäng 2009, S. 12).
Das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. (DKThR), der Fachverband für alle Berufsgruppen im Therapeutischen Reiten und für die Institutionen, wurde 1970 gegründet und verfolgt das Ziel bzgl. des Therapeutischen Reitens
wissenschaftliche Grundlagen zu erarbeiten, Fachkräfte fort- und weiterzubilden, Informationen zu vermitteln, Zusammenarbeit und Beratung zu fördern sowie Kostenfragen zu regeln (Kläschen 2011a, S. 6).
Aktuell werden Pferde häufig bei Therapiemaßnahmen aufgrund von Behinderungen oder Krankheiten eines Menschen eingesetzt. Bei verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen kommen Pferde speziell in pädagogischen Maßnahmen zum Einsatz. Hierauf wird im Folgenden genauer eingegangen.
3.3 Die Vier Säulen der Tiergestützten Arbeit mit Pferden
In diesem Kapitel werden nicht nur die pädagogischen Maßnahmen mit dem Pferd, sondern insgesamt der Vollständigkeit wegen die vier Bereiche der Tiergestützten Arbeit mit Pferden vorgestellt. Als Grundlage dienen die aktuell vorgegebenen Säulen des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten. In der Fachliteratur und beim Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten wird der Obergriff ‘Therapeutisches Reiten‘ für die therapeutische Arbeit mit Pferden verwendet. Dieses wiederrum umfasst die Bereiche Hippotherapie, Heilpädagogische Förderung, Reiten für Menschen mit Behinderung und Ergotherapeutische Behandlung mit Pferden, die den Fachdisziplinen der Medizin, Psychologie / Pädagogik und Hippologie / Sport entsprechen. Die Übergänge zwischen diesen Gebieten sind oft fließend, daher werden wahrscheinlich u.a. die Begriffe und Ausdrücke ‘Pferdegestützte Therapie‘, ‘Pferdegestützte Pädagogik‘ und ‘Tiergestützte Pädagogik mit Pferden‘ im Internet sowie in der Fachliteratur oft synonym verwendet.
3.3.1 Hippotherapie
Der Begriff ‘Hippotherapie‘ leitet sich von den griechischen Wörtern „hippos“ (= Pferd) und „therapeia“ (= Behandlung) ab (vgl. Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten 2011).
Die Hippotherapie ist eine physiotherapeutische Einzelbehandlung auf neurophysiologischer Grundlage mit und auf dem Pferd. Sie stellt eine wertvolle Ergänzung neurophysiologischer / krankengymnastischer Behandlungen dar (ebd.).
Diese krankengymnastische Behandlung wird durch einen Physiotherapeut mit einer Zusatzausbildung in der Hippotherapie auf dem Pferd durchgeführt. Während der Behandlung wird das Pferd von einer weiteren ausgebildeten Person, angeleitet durch den Hippotherapeuten, am langen Zügel geführt.
Die Therapie findet in der langsamsten Gangart Schritt statt, da sich so die neurophysiologisch wirksamen Elemente komplett entfalten können. Dessen Grundlage sind die verwandten Bewegungsmuster von Pferd und Mensch. Schwingungen in dreidimensionaler Form werden auf den Patienten übertragen und die dabei entstehenden Impulse verhelfen zu einer bewussten Übung „der Haltungs-, Gleichgewichts- und Stützreaktionen sowie [der] Regulierung des Muskeltonus“ (Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten 2011).
Somit ist die Hippotherapie besonders bei Schädigungen oder Funktionsstörungen des Zentralnervensystems und des Stütz- und Bewegungsapparates geeignet. Insbesondere...