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Mein wertvollster
Schatz bin ich!
Unzählige Male haben wir den Satz an Pinnwände und Flipcharts geschrieben und munter über PowerPoint-Präsentationen laufen lassen. Mit großen Augen blickten uns die Frauen an; wir konnten fast zusehen, wie sich dieser Satz nach und nach, Buchstabe für Buchstabe hinter Ponys und straffen Haaransätzen immer wieder neu zusammensetzte. »Mein wertvollster Schatz bin ich!« Man muss sich die Aussage mal langsam auf der Zunge zergehen lassen, um zu begreifen, wie revolutionär sie in vielen Frauenköpfen klingt: Nicht mehr die eigene Familie, der Job, die betagten Eltern haben Priorität, sondern man selbst ist sich die Nächste – und das Wichtigste, das es im eigenen Leben gibt. Sich selbst die Nächste zu sein ist keine Aufforderung zu einer exzentrischen Lebensführung, also dem Kreisen um sich selbst. Hier handelt es sich um ein Erkennen der eigenen Persönlichkeit, um die Potenziale, die in einem stecken, um Selbstachtung, Selbstmitgefühl sowie die exakte Kenntnis darüber, wo und wann die Tritte in den eigenen Hintern perfekt sitzen müssen, damit man jenen Wertesten auch hebt … Sich nah zu sein und wichtig zu nehmen setzt sich aus entsprechend vielen Erfahrungen, Talenten und Eigenschaften zusammen.
Auch Sie sind ein Mensch mit vielen Facetten, schillernd wie eine Muschel in der See und abwechslungsreich wie ein Kaleidoskop. Jedes Steinchen stimmt. Und jede Facette sollte gewürdigt und ernst genommen werden. In der Psychologie spricht man von inneren Anteilen, der Kommunikationsexperte Schulz von Thun auch gerne vom inneren Team.2 In vielen systemischen Coachings arbeitet man mit den inneren Anteilen, weil sie ein wichtiger Schlüssel sind, wenn es darum geht, Konflikte oder Blockaden aufzubrechen und Lösungen zu finden. Sich selbst die Nächste zu sein fordert uns also dazu auf, die Vielfalt ins uns zu entdecken und zu würdigen. Wenn wir uns gut kennen, unsere verschiedenen Seiten respektieren und gleichzeitig um all die Erfahrungen wissen, die sie uns schon ermöglicht haben, dann sind wir nicht mehr nur Annette, Silvia oder Greta-Marlen …, sondern ein buntes Schätze-Durcheinander in einer prall gefüllten Kommode, wie auch Pippi sie in ihrem Schlafzimmer stehen hat.
»Pippi öffnete die Schubladen und zeigte Thomas und Annika die Schätze, die sie dort verwahrt hatte. Da waren seltsame Vogeleier und merkwürdige Schneckenhäuser und Steine, kleine hübsche Schachteln, schöne silberne Spiegel und Perlenketten und vieles andere.«3
Jede Veränderung kann ein Schritt in
eine neue berufliche Zukunft sein
Wir selbst haben schon diverse berufliche Erfahrungen sammeln dürfen, die als Schätze in uns ruhen und die wir bei Bedarf aus unserer inneren Kommode ziehen. Wir waren …
- Erzieherin in einem Kinderheim
- Lehrerin
- Heiratsvermittlerin
- Ghostwriter
- Verkäuferin für Unterwäsche
- Pool-Planerin
- Putzfrau
- Mutter
- Rundfunkmoderatorin
- Werbetexterin
- Tagesmutter
- Empfangsdame
- Bratwurstwenderin in einer Pommes-Bude
- Festival-Organisatorin
- Kellnerin
- Beraterin
- Dozentin
- Buchexpertin im Fernsehen
- Redakteurin
- Lektorin
- Betriebswirtin
Und nicht zuletzt die Speaker und Beraterinnen, die wir heute sind.
Nicht jeder Job war Erfüllung und Freude pur. Es ist verdammt anstrengend, in der knalligen Sonne auf einem Kohlegrill brutzelnde Bratwürste zu wenden; das eine oder andere Kind kann einem auf den ersten Blick unsympathisch sein, obwohl man von sich erwartet, jedes Kind wenigstens zu mögen; und für Statistiken, die man als Betriebswirtin braucht, fehlt uns einfach ein bestimmtes Vergnügungs-Gen.
Fazit: Es war nicht immer lustig, aber jede Erfahrung …
- war wertvoll.
- brachte uns an den Punkt, an dem wir heute stehen.
- überraschte und bereicherte uns mit Wissen, das wir für neue Aufgaben brauchen.
Wir haben gelernt, dass auch Jobs und Kinder wie Kommoden sind. Sie verbergen spannende Eigenschaften, Wesenszüge oder Inhalte, die sich nicht auf den ersten Blick offenbaren. Ein genaueres Hinschauen ist nötig, will man alle Schätze heben – und Durchhalten und permanente Neugier sind unerlässlich, damit aus einem Job eine berufliche Erkenntnis und positive Erfahrung wird. Ja, es ist fast immer möglich, etwas zu entdecken, das die »Freude im Drögen« weckt! Zwei Kunsthandwerksverkäuferinnen haben uns zum Beispiel einmal erzählt, wie sie mit Hingabe selbst Dinge verkaufen, die sie für überflüssig halten. »Wir machen eine Wette daraus, wer von uns beiden auch in völlig hirnrissigen Gegenständen wie in Aschenbechern mit Katzenohren etwas findet, das dadurch zu etwas ganz Besonderem wird. Das Verkaufen und Dekorieren verwandelt sich so in pures Vergnügen.«
Nun haben wir zwar keine Katzenohren, sind aber jederzeit in der Lage, das Wissen und die Erfahrungen, die uns unser Berufsweg bis heute großzügig beschert hat, neu zu sichten und zu ordnen.
Ein Beispiel: Christine hat 1977 in einem ländlichen Kaufhaus Unterhosen verkauft. Wohlgemerkt keine Dessous! »Es war einer der besten Ferienjobs, den ich hatte«, erinnert sie sich. »Es war Volkstheater pur. Nie wieder bin ich mit Menschen in Berührung gekommen, die nach Feinripp Größe 52 gefragt haben. Es war ein Kaleidoskop der Typen.« Da wir auch Romane schreiben, sind solche Begegnungen pures Gold. Aber: Man muss gewillt sein, das Gold auch zu sehen. Tatsächlich besitzen wir alle einen reichen Schatz und sind wie eine Kommode, in der sich Bratwürste neben einsamen Herzen, Mikrofonen und systemischen Beratungstools vergnüglich tummeln.
Nur wenn wir erkennen, was wir alles in uns »bergen«, können wir wagen und planen, was uns heute vielleicht noch wie eine Vision erscheint.
Eine Kommode mit vielen Schätzen
Pippi weiß ganz genau, was in ihrer Kommode nur darauf wartet, entdeckt oder wiederbelebt zu werden. Sie kennt die innere Ordnung und weiß um den Wert der einzelnen Dinge. Sie hortet jedoch nicht, sondern teilt.
Werfen Sie einen Blick in die eigene Seelenkommode: Was finden Sie dort Wertvolles? Gut möglich, dass Sie – ganz nebenbei – auch wieder mehr beruflichen Überblick gewinnen …
Wo stehen Sie gerade?
Was erfüllt Sie im Beruf?
Was ist die Quintessenz verschiedener Berufe?
Gibt es etwas, das alle Erfahrungen miteinander verbindet?
Was tragen Sie aus Ihrem Privatleben dort hinein?
Wo stecken Ihre Fähigkeiten?
Gibt es verborgene Talente?
Was bereitet Ihnen Vergnügen und warum?
Wofür arbeiten Sie? Kennen Sie den Sinn oder Impuls?
Erst wenn Sie wissen, was alles in Ihnen steckt, können Sie es auch herausholen und einsetzen. Machen Sie Ihr persönliches Projekt daraus. Dabei werden Sie vielleicht erstaunt feststellen, dass Zufriedenheit kein Status, sondern eine Entwicklungssache ist.
Interessant ist, was Sie nicht sofort sehen!
Ihre Kommode enthält mit Sicherheit eine Menge an Talenten, die Sie in Ihrem Leben gesammelt und verfeinert haben. Die moderne Talentforschung sucht aber nicht mehr nur nach dem, was sich schon zeigt, sondern auch nach dem, was sich bei einem Menschen zeigen könnte. Sie spürt den versteckten Ressourcen, den noch nicht richtig wahrgenommenen Fähigkeiten, den Potenzialen nach. Wir wissen schließlich nicht, ob die Mitarbeiterin, die heute einen super Job macht und an der für sie und das Unternehmen richtigen Stelle sitzt, morgen vielleicht schon auf einem anderen Platz gebraucht wird. Die Frage lautet also: Was können Sie über das schon Bekannte hinaus?
Bei anderen Menschen sind wir in der Regel viel eher in der Lage, heimliche Schätze zu identifizieren, als bei uns selbst.
Nehmen Sie doch einfach mal die Perspektive des Talentscouts ein und betrachten Sie an Ihrer Person folgende Indikatoren:
- Sie kann sich selbst und andere motivieren.
- Sie ist neugierig auf Menschen und neue Aufgaben.
- Sie hat einen genauen Blick, will entdecken.
- Sie gibt so schnell nicht auf.
- Sie zieht andere mit, kann begeistern.
- Sie ist fähig, sowohl für sich als auch mit anderen zu arbeiten.
- Sie ist mutig genug, auch unausgereifte Ideen auszusprechen.
- Sie ist kreativ und lösungsorientiert.
- Sie verfügt über unternehmerisches Denken …
- … und Weitsicht.
Vielleicht haben Sie bei...