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Das Tiroler Landlibell von 1511

Zur Geschichte einer Urkunde

AutorMartin P. Schennach
VerlagUniversitätsverlag Wagner
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783703009051
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
ZUSTANDEKOMMEN UND FORTWIRKEN EINER DER BEKANNTESTEN URKUNDEN DER TIROLER GESCHICHTE IM VERLAUF VON 500 JAHREN Das Landlibell, eine auf den 23. Juni 1511 datierte, feierliche Kaiserurkunde Maximilians I. für die Tiroler Landstände, galt lange Zeit als eine der zentralen Verfassungsurkunden der Tiroler Geschichte, als einzigartig in Mitteleuropa in Bezug auf die Wehrverfassung und deren lange Geltungsdauer. Die vorliegende Publikation behandelt nunmehr sowohl das Zustandekommen des Landlibells als auch sein Fortwirken in den folgenden Jahrhunderten im steten Vergleich mit der Entwicklung in anderen Ländern und gelangt dabei zu einer neuen Beurteilung der Urkunde. Wenngleich Entstehungsart und -zeitpunkt, die Art des Zustandekommens unter Mitwirkung der Landstände und selbst die äußere Form eines feierlichen kaiserlichen Privilegs durchaus nicht ohne Parallelen in anderen Territorien waren, so bleibt die Partikularität dieser Urkunde erhalten. Das Aufkommen des Eigennamens ('elfjähriges Landlibell') um 1550 markiert das Einsetzen der Instrumentalisierung des Landlibells, das von den Tiroler Landständen zunehmend als eine Landesfreiheit angesehen und als Mittel herangezogen wurde, weitreichendere Belastungen der Verteidigungskraft des Landes durch den Landesfürsten nach Möglichkeit zu unterbinden.

Martin Schennach MAS, Priv.-Doz. DDr., geb. 1975 in Innsbruck, studierte Geschichte, Deutsche Philologie, Romanistik und Rechtswissenschaften in Innsbruck und Jena. 2001 promovierte er sub auspiciis zum Doktor der Philosophie und 2004 zum Doktor der Rechtswissenschaften. 1998-2001 absolvierte er als Stipendiat des Wissenschaftsministeriums den 62. Ausbildungskurs am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien. 2001-2002 war Schennach Vertragsassistent am Institut für Österreichische Geschichtsforschung, seit 2002 ist er beim Amt der Tiroler Landesregierung als Historiker im Tiroler Landesarchiv beschäftigt.

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Leseprobe

II. Die Vorgeschichte des Landlibells

1. Spätmittelalterliche Aufgebote der Städte und Gerichte

1.1. Zur militärischen Bedeutung der Aufgebote

Die Wendung „steuern und raisen“ bezeichnete im Spätmittelalter konzis die beiden wesentlichen Verpflichtungen der Untertanen gegenüber dem Landesfürsten, nämlich die Pflicht zur Aufbringung von Steuern einerseits und zur Leistung von Kriegsdienst im Rahmen des so genannten „Aufgebots“ oder „Zuzugs“ andererseits. „Raisen“ im Sinne einer solchen Beteiligung an Kriegszügen ist in Tirol noch im beginnenden 17. Jahrhundert belegt.1

Die Aufbietung der städtischen und ländlichen Bevölkerung zu Verteidigungszwecken war durchaus kein Tiroler Spezifikum;2 vielmehr stellten derartige Aufgebote um 1500 in ganz Kontinentaleuropa neben dem Söldnertum und dem formal bis in das 17. Jahrhundert beibehaltenen Lehensaufgebot eine der Säulen der Kriegsführung dar und blieben dies weitgehend bis in das 18. Jahrhundert.3 Freilich hatte sich die anteilige Bedeutung dieser drei konstitutiven Elemente des mittelalterlichen Kriegswesens bis in die Zeit Maximilians I. aufgrund der Veränderungen in der Kriegsführung fundamental gewandelt: Das Lehensaufgebot zu Pferd, dessen Einsatz in Tirol wie in anderen Territorien zeitlichen und räumlichen Beschränkungen unterlag, hatte bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts seine Bedeutung weitgehend verloren.4 Parallel hierzu hatte, einhergehend mit dem sukzessiven Bedeutungsgewinn von Schusswaffen, dem Anwachsen der Heeresstärken und der sich immer deutlicher abzeichnenden Überlegenheit von Fußtruppen gegenüber schwer gepanzerten Reitern, die Relevanz von Söldnern zugenommen.5 In maximilianeischer Zeit stellten Soldtruppen in Europa das Kernelement jeder größeren militärischen Operation dar.6 Dennoch hafteten der Kriegsführung mit Söldnern aus Sicht des Kriegsherren erhebliche Nachteile an: Ihre Aufbringung durch Anwerbung war ebenso kostspielig wie zeitintensiv, ihr Unterhalt und ihre Besoldung während eines Kriegszugs verschlang Unsummen: In Kriegszeiten wurden nahezu sämtliche dem sich formierenden frühmodernen Staat zur Verfügung stehenden Finanzmittel vom militärischen Sektor absorbiert.7 Schließlich war ihr Einsatz mit erheblichen Risiken vor allem disziplinärer Natur verbunden. Im Fall von verzögerten oder ausbleibenden Soldzahlungen drohten Meutereien; Versorgungsdefizite wurden häufig sogar im Territorium des Kriegsherren durch Übergriffe auf die Zivilbevölkerung abgedeckt. Selbst nach Ende eines Kriegszugs, der mit der „Abdankung“ (Entlassung) der Söldner endete, stellten sie häufig ein sicherheitspolizeiliches Problem dar, indem abgedankte Kriegsknechte („Gartknechte“) einzeln oder gruppenweise auf der Suche nach einem neuen Dienstgeber umherstreiften und für die Bevölkerung des von derartigen Durchzügen betroffenen Gebiets eine erhebliche Belastung darstellten. Angesichts dieser Nachteile des Söldnereinsatzes kam dem Aufgebot der Untertanen eine komplementäre Funktion im Rahmen der Kriegsführung zu:8 Die städtischen und ländlichen Aufgebote waren vergleichsweise rasch und flexibel aufzubringen und, da die Kosten der Truppenwerbung wegfielen, kostengünstig: Zwar waren sie ebenfalls zu unterhalten und grundsätzlich sollten die dienstpflichtigen Männer während des Einsatzes den gleichen Sold wie ein professioneller Kriegsknecht (à vier Gulden im Monat) erhalten, doch waren bei den Aufgeboten die Konsequenzen ausbleibender Zahlungen bei weitem nicht so verheerend. Diesen Vorteilen des Landesdefensionswesens stand aus landesfürstlicher Sicht der Nachteil gegenüber, dass sich Einsätze der Mannschaftskontingente nur für eine defensive Kriegsführung eigneten, da die Verwendung generell auf das jeweilige Land beschränkt war. Zudem war die Einsatzdauer ebenfalls (häufig auf einen Monat) limitiert. Nochmals sei betont, dass die Verwendungsbeschränkung der Zuzugskontingente auf das jeweilige Land in Abweichung von der früher hartnäckig ventilierten Ansicht kein Tiroler Spezifikum ist – geschweige denn ein den Tiroler Landständen von Maximilian erteiltes Privileg –, sondern dem Wesen und Charakter der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Landesdefensionswerke immanent ist.

1.2. Die Aufgebote der Städte

Hervorgehoben werden muss, dass im Mittelalter in Tirol wie in anderen spätmittelalterlichen Ländern die militärische Bedeutung der Städte zunächst – zumindest bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts – größer war als jene des ländlichen Aufgebots.9 Die Verteidigung der eigenen Stadt gehörte allgemein zu den wesentlichen Pflichten und Rechten eines jeden Bürgers und war die ursprüngliche und primäre Aufgabe der städtischen Aufgebote.10 Wie in Tirol ist es jedoch auch in den anderen österreichischen Erbländern belegt, dass städtische Kontingente, sofern die eigene Stadt nicht unmittelbar bedroht war, in entfernter gelegene Landesteile entsandt wurden.11

Es ist bezeichnend, dass in jener Urkunde von 1369, mit der Leopold III. Rudolf von Ems das Oberkommando in Tirol übertrug,12 nur die Bürger, dagegen nicht die ländlichen Aufgebote genannt sind. Die Relevanz der Städte ergab sich bereits aus ihrem Charakter als befestigte Orte, gehörte doch die Stadtmauer zu den konstitutiven Elementen einer städtischen Gemeinschaft.13 In Verbindung mit den Burgen bildeten sie „auch in den Gebirgsregionen während des gesamten Mittelalters das Rückgrat für Angreifer und Verteidiger bei allen kriegerischen Auseinandersetzungen“.14

Als Beleg für die wichtige Rolle der Städte im Rahmen der Landesverteidigung können die einschlägigen Bestimmungen und Maßnahmen während des Vormundschaftsstreites der Tiroler Landschaft mit Friedrich III. gelten: 1443 wurden die Städte ermächtigt, für den Fall, dass sich dhainerlay lantgeschray oder zug auf das lant ereigne und die Benachrichtigung des Landeshauptmanns zu viel Zeit in Anspruch nähme, die vom Adl bei In gesessn und auch ander gericht aufzubieten;15 und für das Jahresende 1443 lässt sich in der Tat belegen, dass die Stadt Hall in die gericht umb etwe vil knecht geschikcht hatte.16

1.3. Die Aufgebote der ländlichen Gerichte

Trotz der Relevanz der Städte für die Landesverteidigung wird man die Bedeutung der ländlichen Aufgebote nicht hintansetzen dürfen. Erste Hinweise auf Aufgebote der Landbevölkerung stammen aus der Zeit Meinhards II.: Eine Urkunde aus dem Jahre 1290 erwähnt die Heerfahrtspflicht der Bürger von Bozen und der Gerichtsinsassen von Neuhaus bzw. Terlan.17 Die bislang edierten frühesten Tiroler Rechnungsbücher geben noch weitere Hinweise auf die grundsätzliche Zuzugspflicht zu dieser Zeit, beispielsweise für die Leute von Villanders (1292), von Mühlbach (1292) oder von Brixen (1303).18 Aus dem 14. Jahrhundert haben sich eine Vielzahl einschlägiger Nachrichten erhalten.19 Eine wesentliche Rolle spielten die bürgerlichen und bäuerlichen Aufgebote schließlich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts unter Herzog Friedrich IV. „mit der leeren Tasche“, der mit ihrer Unterstützung die Adelsopposition in Tirol niederschlug.20 Doch erst die Regierungszeit Sigmunds brachte die zumindest rudimentäre administrative Regulierung des ländlichen Aufgebotes.21 Die früher vertretene Ansicht, dass u. a. die „Wehrfähigkeit“ und „Wehrfreiheit“ die verfassungsgeschichtliche Sonderstellung der Tiroler Bauern und ihre Repräsentanz auf den Landtagen bedingt hätten, gilt heute jedoch als überholt.22 Unbestritten bleibt – wie Schulze am Beispiel der innerösterreichischen Länder nachweisen konnte –,23 dass Kriegsdienstleistung die ländliche Bevölkerung grundsätzlich zu einem politischen Faktor werden ließ, das bäuerliche Selbstbewusstsein stärken und unter Umständen einen Emanzipationsprozess in Gang setzen bzw. fördern konnte.24 Die monokausale Erklärung „Wehrfähigkeit, ergo Landstandschaft“ greift jedoch zweifellos zu kurz: In Tirol ermöglichte erst die besondere politisch-militärische Situation unter Herzog Friedrich IV. die Repräsentanz des Bauernstandes auf den Landtagen, wobei die militärische Nutzbarmachung dieses Standes in den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den führenden Tiroler Adelsgeschlechtern als Katalysator wirkte.

2. Zum Umfang des landesfürstlichen Aufgebotsrechts im Spätmittelalter

2.1. Allgemeines

Das Landlibell lässt keinen Zweifel daran, dass im Prinzip alle männlichen Untertanen der Gefürsteten Grafschaft Tirol zu jenem Personenkreis gehören, dem...

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