2. Was du wissen musst, um das medizinische Angebot sinnvoll nutzen zu können
Um mit Eingriffen in den Geburtsverlauf selbstbestimmt umgehen zu können, musst du wissen, welche Interventionen an Kliniken besonders häufig durchgeführt werden und welche Gründe dahinterstecken. Ein Vorteil der Klinikgeburt besteht darin, dass du – wenn es für dich wichtig wird – jederzeit Zugriff auf eine breite Palette an Hilfsmitteln hast, die den Geburtsverlauf unterstützen können. Gleichzeitig besteht aber genau darin auch die Gefahr: Wenn diese Mittel voreilig, unbedacht und im Übermaß eingesetzt werden, können sie viel Schaden anrichten. Eine unumstößliche Regel der Geburtshilfe sollte daher lauten: Störe niemals einen Geburtsverlauf, mit dem Mutter und Kind gut zurechtkommen!
Es spielt keine Rolle, wie langsam oder schnell eine Geburt voranschreitet, wie regelmäßig oder sprunghaft sich der Muttermund öffnet und wie lange eine Geburt schlussendlich dauert. So lange es Mutter und Kind gut geht, ist eine abwartende Haltung in Kombination mit einer respektvollen und bedürfnisorientierten Betreuung die beste Unterstützung für einen gesunden Geburtsverlauf. Mehr dazu erfährst du in Teil 2 des Buches.
Eine sinnvolle und hilfreiche Strategie für eine selbstbestimmte Klinikgeburt besteht darin, Interventionen nicht kategorisch abzulehnen, sondern Alternativen zu schaffen und somit Interventionen hinauszuzögern – so lange, bis sie für dich tatsächlich sinnvoll werden. Hierbei sind die Vorbereitung und die Zusammenarbeit mit deinem Geburtsbegleiter sehr wichtig.
Du wirst während der Geburt ganz mit der Geburtsarbeit beschäftigt und ausgelastet sein, und du wirst dich dieser Geburtsarbeit viel besser hingeben können, wenn du einen freien Kopf hast. Daher ist es wichtig, dass du dich vor der Geburt damit beschäftigst, wie du mit Interventionen umgehen möchtest. Außerdem sollte dein Geburtsbegleiter darüber Bescheid wissen, was du dir wünschst, und auch dazu bereit sein, diese Wünsche nach außen zu tragen und – wenn es tatsächlich sein muss – zu verteidigen. Man könnte sagen, bei der Geburt bist du für den Körper zuständig und dein Geburtsbegleiter für den Kopf.
Sinn und Unsinn von Eingriffen in den Geburtsverlauf
Um zu verstehen, ob ein Eingriff dem Geburtsverlauf, deinem Baby und dir nützt oder schadet, müssen wir überlegen, wann Interventionen sinnvoll sind.
Wenn es dem Baby nicht mehr gut geht
Das ist selbstverständlich der sinnvollste Grund für eine Intervention und das Kriterium, das in Kliniken ohnehin an oberster Stelle steht. Wenn es tatsächlich zu einer kritischen Situation für dein Baby kommen sollte, wird in der Klinik rasch und effizient gehandelt, indem jene Intervention gesetzt wird, die notwendig ist; das sollte natürlich erst erfolgen, nachdem du informiert wurdest und deine Einwilligung gegeben hast. Eine solche Situation tritt sehr selten ein, aber wenn es dazu kommt, musst du dem Klinikpersonal vertrauen. Genau darum bist du ja wahrscheinlich in einer Klinik, um in einer solch akuten Situation alle medizinischen Ressourcen ausnutzen zu können. Das ist das Gute an deiner Entscheidung für eine Klinikgeburt: Die Gesundheit deines Babys steht dort unumstößlich an der Spitze der Prioritätenliste, und wenn dein Baby tatsächlich in Gefahr ist, dann werden umgehend alle medizinischen Möglichkeiten genutzt.
Wenn es dir nicht mehr gut geht
Du wirst erstaunt sein, wie fantastisch dein Körper bei der Geburt deines Babys arbeitet und wie viel wunderbare Kraft in ihm steckt. Dennoch durchläuft jede Frau während einer Geburt ein ganzes Universum an Gefühlen. Die körperliche Intensität der Wehen und ihr ungewisser Verlauf mit all seinen Veränderungen kann dich im Laufe der Geburt immer wieder an eine Grenze bringen. Das ist ganz normal, und du wirst merken, dass du in einer solchen Situation Zeit und liebevolle Unterstützung brauchst, um in diesem Grenzbereich neue Möglichkeiten auszuloten oder Altbewährtes durchzuhalten, bis sich der neue Rhythmus eingespielt hat.
Wenn du aber trotz deiner Geduld und trotz unterschiedlicher Varianten irgendwann spürst, dass der Schmerz oder die Anstrengung ein erträgliches Maß, mit dem du arbeiten kannst, schon länger verlassen hat, dann geht es dir nicht mehr gut. Du alleine bestimmst darüber, wann du Hilfe brauchst.
Die häufigsten Eingriffe
Auf den folgenden Seiten geht es um ein Thema, das bislang keine Beachtung in den Vorbereitungskursen findet. Ich bin davon überzeugt, dass klare Informationen zu den gängigen Interventionen in Kliniken die einzige Möglichkeit sind, um dir einen kompetenten Umgang damit zu ermöglichen. Die Interventionszahlen sind tatsächlich – wie du gleich sehen wirst – nicht besonders ermutigend. Ich kann dazu nur sagen: Wenn du beschließt, im April Urlaub in Österreich zu machen, dann kannst du hoffen, dass die Sonne scheint. Wenn du allerdings losfährst, ohne den Wetterbericht zu lesen, und den Regenschirm zu Hause lässt, dann kannst du dir zwar mit dem Kopf im Sand strahlenden Sonnenschein ausmalen, wahrscheinlich wirst du aber ungeschützt und frierend im Regen stehen.
Ja, in Kliniken ist die Wahrscheinlichkeit, einen Interventionsregen zu erleben, leider recht hoch. Du kannst die Zahlen erst einmal einfach nur mit staunendem Kopfschütteln lesen, entmutigen lassen musst du dich davon nicht. Wir beschäftigen uns detailliert mit jeder einzelnen Intervention, und du wirst erfahren, aus welchen Gründen sie eingesetzt wird, in welchen Situationen sie tatsächlich sinnvoll ist, wann du sie besser noch hinauszögerst und welche alternativen Handlungsmöglichkeiten du hast. Es geht los!
Die häufigsten Interventionen in Kliniken
- PDA oder andere Anästhesien: 66,9 Prozent
- Schmerzmittel: 29,8 Prozent
- Zervixreifung21 und Geburtseinleitung: 29,1 Prozent
- Wehenmittel: 26,3 Prozent
- Dammschnitte: 19,2 Prozent
- ungeplante Kaiserschnitte: 16,2 Prozent
- geplante Kaiserschnitte: 14 Prozent
- Saugglocke: 6,9 Prozent
- Kristeller-Handgriff: nicht dokumentiert
Im Vergleich dazu im Folgenden die Zahlen der außerklinischen Geburtshilfe. Diese sind deshalb als Vergleichswert interessant, da gesunde Frauen mit gesunden Babys davon ausgehen können, dass bei einer kompetenten Geburtsbegleitung auch in der Klinik nicht mehr Eingriffe notwendig sind als an außerklinischen Geburtsorten.
Die häufigsten Interventionen an außerklinischen Orten
- PDA oder andere Anästhesien: 0 Prozent
- Schmerzmittel: 10,8 Prozent
- Zervixreifung und Geburtseinleitung: 0 Prozent
- Wehenmittel: 1,9 Prozent
- Dammschnitte: 3,3 Prozent
- ungeplante Kaiserschnitte (nach Verlegung): 5,6 Prozent
- geplante Kaiserschnitte: 0 Prozent
- Saugglocke: 2,7 Prozent
- Kristeller-Handgriff: nicht dokumentiert
Schmerzmittel und PDA
Schmerzmittel, die den Wehenschmerz tatsächlich dämpfen können, müssen eine sehr starke Wirkung haben, und Medikamente, die stark wirken, haben immer auch Nebenwirkungen. Es existiert kein Schmerzmittel, das dir eine schmerzfreie Geburt ermöglicht, dein Empfinden und dein Baby aber ansonsten nicht beeinträchtigt. Das ist wichtig zu wissen, denn deine Erwartungen an ein Schmerzmittel oder eine PDA sind die Basis, aufgrund der du Entscheidungen triffst. Wir sehen uns daher nun an, welche Schmerzmittel in Kliniken besonders häufig eingesetzt werden, wie sie wirken und welche Nebenwirkungen sie haben.
Krampflösende Mittel
Bei beginnenden Wehen oder zur Entspannung des Muttermundes wurde lange Zeit am Anfang einer Geburt Buscopan gegeben, welches eine krampflösende Wirkung hat. Leider wurde das Monopräparat vom Markt genommen und die erhältlichen Kombinationspräparate enthalten Wirkstoffe, die für die Geburt nicht förderlich sind. Viele Hebammen haben einen großen Erfahrungsschatz den Einsatz pflanzlicher, alternativer Mittel betreffend, weshalb du gerne die Hebamme nach einer Alternative zu Buscopan fragen kannst. Ziel eines krampflösenden Mittels ist es, dass du bei unregelmäßigen Wehen und langsamem Geburtsbeginn noch einmal etwas schlafen oder dich ausruhen kannst und sich auch dein Muttermund entspannt.
Lachgas
Immer häufiger wird in Kliniken Lachgas als Schmerzmittel eingesetzt. Dieses wird über eine Atemmaske aufgenommen und hat eine unmittelbare Entspannung zur Folge. Häufig werden alle Empfindungen und auch die Umgebung gedämpft wahrgenommen, daher wird die Wirkung oft mit der eines leichten Rausches verglichen. Über die Dosierung kannst du meist selbst bestimmen, indem du die Maske nach Bedarf auf- oder absetzt. So schnell das Lachgas wirkt, so schnell verliert es seine Wirkung auch wieder. Sobald die Maske abgesetzt wird und du ein paar Atemzüge ohne Lachgas atmest, verfliegt der Effekt.
Mögliche Nebenwirkungen:
- Übelkeit und Erbrechen
- Schwindel
- All deine Empfindungen sind – wie bei einem leichten Rausch – etwas eingeschränkt, und es fällt dir wahrscheinlich schwerer, dich auf dein Baby zu...