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E-Book

Den Zweifel umarmen

Die eigene Krise als Zeichen des Vorankommens

AutorAnselm Grün
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783641250294
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Zwischen Zweifel und Gewissheit
Oft wird 'Zweifel' negativ gesehen. Wer zweifelt oder zaudert, verpasst sein eigenes Leben und wird verunsichert. Im Zweifel wird man passiv und verpasst das eigene Leben. Oft heißt es: 'Erfolgreich wird nur, wer sich nicht hinterfragt'. Anselm Grün geht der Frage nach, wie sich Zweifel und die Sehnsucht nach Gewissheit einander ergänzen und welche Rolle der Zweifel in unserem Leben spielt und wie wir mit der Verzweiflung umgehen, die immer wieder über uns kommt. Denn der Zweifel kann auch den Menschen weiterbringen, so Anselm Grün. Er kann verkrustete Strukturen aufbrechen und Neues erfahrbar machen.

Pater Anselm Grün, geboren 1945, ist Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach, deren Cellerar (wirtschaftlicher Leiter) er 36 Jahre lang war. Als Kursleiter und geistlicher Begleiter ist er viel unterwegs. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und erreicht mit zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen Millionen von Menschen.

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Leseprobe

Zweifel und Glauben


Der Karmelit Reinhard Körner schreibt über die Beziehung von Glauben und Zweifel: Der Zweifel »entspricht der Eigenart Gottes und seiner Geheimnisse, die immer größer sind als das, was über sie gedacht und ausgesagt werden kann. Ein ehrliches geistliches Leben, das nicht Ideologie und ›Überzeugung‹, sondern die Wirklichkeit Gottes sucht, wird wenigstens von Zeit zu Zeit in die ›Krise‹ kommen müssen«. (Körner, Lex Spi1471) Für die katholische Theologie gehört der Zweifel wesentlich zum Glauben. Martin Luther dagegen sieht den Zweifel als Gegensatz zum Glauben. Er identifiziert den Zweifel mit dem Unglauben. Glauben bedeutet für Luther ein »Innesein der Wahrheit«. (Beiner TRE 770) Daher schließt er den Zweifel aus. Allerdings weiß auch Luther, »dass das Leben im Glauben immer von Zweifel und Anfechtung bedroht ist«. (Ebd. 770)

Der evangelische Theologe Paul Tillich sieht den Zweifel als ein Wesenselement des Glaubens: »Der unendliche Abstand zwischen Gott und Mensch kann niemals überbrückt werden, er ist identisch mit der Endlichkeit des Menschen… Der Glaube wäre nicht Glaube, sondern unio mystica, wenn er des Elements des Zweifels in sich beraubt wäre.« (Tillich, Sys III 275) Tillich nennt zwei Wege, den Zweifel in Gewissheit zu verwandeln: die Orthodoxie, die in der katholischen Kirche die Unterwerfung unter die Autorität wäre; und den Pietismus, der in der inneren Erfahrung die Möglichkeit des Zweifels beseitigen möchte. Aber beide Wege können den Zweifel nicht wirklich überwinden. Auch in der Einigung des Menschen mit Gott kann letztlich der Abstand zwischen Gott und dem Menschen nicht aufgehoben werden.

Tillich sieht den Grund für den Zweifel aber nicht nur im Abstand des unendlichen Gottes vom endlichen Menschen, sondern auch in der Endlichkeit des Menschen. »Endlichkeit schließt Zweifel ein, da nur das Ganze die Wahrheit ist. Aber kein endliches Wesen hat das Ganze. Daher bedeutet es Bejahung unserer Endlichkeit, wenn wir erkennen, dass der Zweifel zum Wesen des Menschen gehört.« (Sys II 82) Dieser essenzielle Zweifel treibt den Menschen dazu, die Wirklichkeit immer wieder neu zu analysieren. Von diesem essenziellen Zweifel, der zum Wesen des Menschen gehört, unterscheidet Paul Tillich den existenziellen Zweifel. Der existenzielle Zweifel ist Ausdruck der Entfremdung des Menschen vom Sein, vom Ewigen, von Gott. »Wenn im Zustand der Entfremdung die Einheit mit dem Ewigen zerrissen ist, wird die Unsicherheit absolut und treibt zur Verzweiflung. Auch der Zweifel wird absolut und treibt den Menschen in einen Zustand, in dem er sich weigert, überhaupt eine Wahrheit anzunehmen.« (Sys II 83)

Die Gedanken von Paul Tillich zeigen, dass wir Zweifel und Glauben von verschiedenen Seiten aus betrachten können. Wir können die Beziehung vom Wesen Gottes und vom Wesen des Menschen her bedenken. Und wir können über den Zweifel nachdenken, je nachdem der Mensch sich selbst und dem Neuen Sein, das in Christus erschienen ist, entfremdet ist oder ob er Anteil hat am Neuen Sein.

Bevor ich theologisch über die Beziehung von Zweifel und Glauben nachdenke, möchte ich einige biblische Beispiele anführen und sie auf unsere Situation von Zweifel und Glauben hin auslegen.

Biblische Beispiele für den Zweifel


Schon die Bibel bringt uns genügend Beispiele dafür, dass Glaube und Zweifel zusammengehören. Wichtige Säulen des Glaubens beschreibt uns die Bibel immer auch als zweifelnde Menschen. Durch den Zweifel sind sie in ihrem Glauben gewachsen. Diese Beispiele wollen uns einladen, uns ehrlich mit unseren Zweifeln an Gott und am Glauben auseinanderzusetzen.

Petrus geht unter


Ein bekanntes Beispiel für den Zweifel ist die Geschichte vom Seesturm. Die Jünger geraten in einen Gegenwind. Die Wogen werden immer größer. Die Jünger bekommen Angst, unter zu gehen. Da kommt Jesus um die vierte Nachtwache über das Wasser auf sie zu. Sie erschrecken vor Angst. Sie meinen, Jesus sei ein Gespenst. Doch als Jesus ihnen zuredet, sie sollten Vertrauen haben, bekommt Petrus auf einmal Mut. Und er sagt zu Jesus: »Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.« (Mt 14,28) Jesus fordert ihn auf, er solle kommen. Petrus steigt wirklich aus dem Boot aus. Und es gelingt ihm, über das Wasser zu gehen. Doch dann sieht er den Wind und die hohen Wellen und bekommt Angst. Und die Angst führt dazu, dass er im Wasser versinkt. Er schreit um Hilfe. Jesus packt ihn an der Hand und sagt: »Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?« (Mt 14,31) Petrus ist also hin- und hergerissen zwischen einem tiefen Vertrauen, das ihn aus dem Boot aussteigen lässt, und der Angst und dem Zweifel. Die Angst vor den hohen Wellen lässt ihn zweifeln an der Zusage Jesu, er solle zu ihm über das Wasser kommen. Jesus sieht den Grund für den Zweifel in seinem geringen Glauben. Bei Markus und Johannes geht es immer um die Alternative: Glaube oder Unglaube. Bei Matthäus geht es dagegen um den Gegensatz zwischen einem festen und tragenden Glauben und dem Kleinglauben. Der Kleinglaube führt zum Zweifel. Der Zweifel ist mit Angst verbunden. Dabei ist nicht klar, ob der Zweifel zur Angst führt oder ob die Angst den Zweifel bewirkt. Auf jeden Fall gehören Angst und Zweifel zusammen. Der ängstliche Mensch zweifelt daran, dass Gott ihn vor den tobenden Wassern errettet.

Der Zweifel lässt zwar den Petrus im Wasser untergehen. Aber zugleich führt er zur Rettung. Denn Jesus selbst packt den zweifelnden Petrus an seiner Hand und zieht ihn heraus und betritt mit ihm gemeinsam das Boot. So wird der Zweifel zur Bedingung für die Erfahrung des Heils, das dem Petrus widerfährt. Jesus tadelt den Zweifel des Petrus. Aber zugleich antwortet er auf seinen Zweifel durch sein rettendes Handeln.

Wenn wir die Geschichte auf uns beziehen, so befreit sie uns vom schlechten Gewissen, wenn wir an Gottes Hilfe zweifeln. Es gibt auch für uns Situationen, in denen uns das Wasser bis zum Hals reicht. In diesen Situationen erleben wir uns als hoffnungslos und zweifelnd. Wir zweifeln, ob Gott uns wirklich aus dieser Gefahr befreien wird. Die biblische Szene will uns einladen, unseren Blick dann nicht auf die hohen Wellen und den Gegenwind zu richten, der uns ins Gesicht bläst, sondern auf Jesus, der über das Wasser geht. Aber wie Petrus sind wir immer hin und her gerissen zwischen dem Blick auf Jesus und dem Blick auf die tosenden Wasser, in denen wir unterzugehen drohen. Wir sollen die Gefahr nicht übersehen, sondern aus ihr heraus aufsehen, um auf Jesus zu schauen. Dann wird er unseren Zweifel in die Erfahrung von Heil und Rettung verwandeln.

Meditiere die Szene, wie sie uns Matthäus beschreibt. Stelle dir vor, wie du im Boot sitzt und voller Angst bist, dass das Boot untergehen könnte. Dann kommt Jesus über das Wasser auf das Boot zu. Wie würdest du darauf reagieren? Dann versetze dich in die Gestalt des Petrus. Vielleicht bekommst du auch auf einmal Mut, aus dem Boot auszusteigen und Jesus entgegenzugehen. Dann stelle dir wieder die hohen Wellen vor, die dir über dem Kopf zusammenschlagen. Wie würdest du da reagieren? Würdest du genauso zweifeln wie Petrus? Dann lass dich von Jesus an der Hand nehmen und dich sicher über die Wogen deiner Unsicherheiten hinwegführen. Nimm die Geschichte als Bild für dein Leben und frage dich: Wo hatte ich in meinem Leben schon einmal Angst, unterzugehen? Wo habe ich daran gezweifelt, dass ich die Aufgabe schaffe, die mir gestellt wurde? Wo habe ich gezweifelt, dass Gott mir hilft, wenn mir das Wasser bis an den Hals reichte? Dann stelle dir jeweils vor, wie das wäre, wenn Jesus vor der schwierigen Aufgabe, in der Situation von Ausweglosigkeit, dir die Hand reicht und dich durch alle Ängste und Zweifel hindurchführt, zurück in das sichere Boot.

Kohelet der Prediger


Ein typischer Zweifler ist Kohelet. Kohelet zweifelt alles Glück der Menschen an. Er sieht hinter die Dinge. Er sieht, dass alles nur Windhauch ist, dass nichts bleibt. Er stellt alles infrage: den Besitz, den Erfolg, das Leben des Menschen, das Wissen, das Glück. Alles ist nur Windhauch. Nichts trägt wirklich. Doch inmitten dieses radikalen Zweifels hält Kohelet fest an der Überzeugung, dass alles mit Gottes Willen geschieht und dass Gott es durchaus gut mit dem Menschen meint. Nur muss der Mensch seine Illusionen aufgeben, um sich der Realität unter zu ordnen. Kohelet zweifelt daran, dass die Richter Recht sprechen. »An der Stätte, wo man gerechtes Urteil sprechen sollte, geschieht Unrecht.« (Koh 3,16)

Kohelet beschreibt in dem Abschnitt 6,11-9,6 zehn Hauptthemen der weisheitlichen Bildung, wie sie damals sowohl von Griechen wie Juden verkündet wurden. Und er zweifelt alle an. Diese Lehren klingen gut. Aber sie stimmen nicht. So zweifelt er etwa den Grundsatz an: »Wissen ist soviel wie Erbbesitz.« (Koh 7,11) Er bringt Beispiele, wie Gebildete elend enden. Daher mahnt er die Leser: »Sei nicht maßlos im Erwerb von Wissen! Warum solltest du dich selbst ruinieren?« (Koh 7,16) Kohelet beschreibt den Zweifel an allem menschlichen Wissen, an der Sehnsucht nach Gerechtigkeit, an der Sehnsucht nach einem frommen Leben: »Alles ist Windhauch.« Alles ist Schein. Der Mensch kann das Leben und das Geheimnis seiner Existenz nicht verstehen. Der einzige Halt, der ihm bleibt, ist der Verweis auf Gott. Gott allein kennt den Sinn all dessen, was für uns als sinnlos erscheint. Und Gottes Tun allein ist vollkommen. Alles menschliche Wissen, alles menschliche Streben ist letztlich nur Windhauch. Bei all seinem Streben nach Wissen sieht Kohelet ein, »dass der Mensch, selbst wenn er seinen Augen bei Tag und Nacht keinen Schlaf gönnt, das Tun Gottes in seiner...

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