3. Kapitel: Das Problem der Bestimmung von Inhalten (S. 61-62)
1. Vom Ausdruck zum Inhalt
Die Zugänge zur Philosophie über die Philosophen, ihre Meinungen, Werke und theoretischen Leistungen sind, wie wir sehen, gerade aus rezeptionsgeschichtlichen Gründen ambivalent: Einerseits hätten wir gern den direkten Zugang zu ihrem subjektiven Erleben und ihren personalen Mitteilungsabsichten. Andererseits wissen wir,dass wir als Leser ihnen Inhalte auf der Basis dessen zuschreiben, was sie uns an Texten real hinterlassen oder welche Texte wir ihnen zuschreiben. Damit bemerken wir die kategoriale Differenz und zugleich sinnkonstitutive Beziehung zwischen Text und Inhalt, zwischen sprachlich-symbolischer Repräsentation und repräsentiertem Gedanken. Jede Geschichte der Entwicklung von Ideen oder von Begriffen, also auch jede diachrone Analyse und Explikation der Inhalte von Texten oder der Bedeutung von Sätzen und Wörtern, ist damit aus methodischen Gründen als eine Art Regietheater aufzufassen. Wir führen jeweils ein altes Drehbuch neu auf. Wir übersetzen die Texte in unsere Sprache und unsere Zeit. Robert Brandom spricht, leicht selbstironisch, in diesem Kontext von bebop history35.Das drückt aus, dass wir in Interpretationen von Texten nicht anders als in Interpretationen von Musik-oder Theaterstücken die Stücke selbst immer auch variieren. Allerdings gilt es dann zu beurteilen, wie weit die Variationen inhaltsinvariant sind und damit als rein äußerliche Variationen des Gleichen helfen, den wesentlichen Inhalt in verschiedenen äußeren Formen als solchen wiederzuerkennen, oder ob der Inhalt und das Wesentliche gerade verloren geht. Dabei ist sowohl die Faktentreue zu beachten als auch die Perspektive der jeweiligen Zeit von der Entwicklungsgeschichte im Rückblick zu unterscheiden. Hegel erklärt dazu:
Man muß nur historisch zu Werke gehen, nur dies ihr [der Geschichte] zuschreiben, was uns unmittelbar angegeben wird. (…) Es liegt nur gar zu nahe, die alten Philosophen in unsere Form der Reflexion umzuprägen. (…) Wir müssen daher nur die eigensten Worte gebrauchen; das Entwickeln sind fernere Gedankenbestimmungen, die noch nicht zum Bewußtsein jenes Philosophen gehören (Vorlesungen I, S. 62f.) Es ist zwar möglichst klar zu trennen, was man den damaligen Autoren zuschreiben kann und was ein „Heraussetzen des innerlich Enthaltenen“ ist, dessen also, was sich ex post aus einem Satz oder Text richtig heraussetzen lässt, unabhängig davon, ob es schon (damals oder entsprechend explizit herausgesetzt ist oder nicht (Vorlesungen I, S. 63). Es sollte aber klar bleiben, dass wir Inhalte nur verstehen, wenn wir in der Lage sind, äußere Variationen der Präsentation des gleichen Inhalts als solche zu erkennen. Daher führt unsere Grundfrage, wie Sätze ihre Bedeutung erhalten und Texte ihre Inhalte repräsentieren, zur Frage, was es heißt, verschiedene Sätze oder besser schon verschiedene Äußerungen von Sätzen und verschiedene Interpretationen von Texten als inhaltsgleich zu bewerten, und das auch noch auf angemessene, richtige, Weise.
W.V.OQuine hat mit Recht betont, dass die Rede über Bedeutungen, Intensionen oder Propositionen gewisse Äquivalenz-oder Gleichgültigkeitsbeziehungen, nämlich der Inhaltsgleichheit oder Synonymie, zwischen verschiedenen Ausdrucksweisen voraussetzt. Dabei übersieht er allerdings, dass wir, und wie wir,aufgrund eines impliziten Ideationsprozesses über Bedeutungen als mehr oder minder klar bestimmte Gegenstände formell reden können.
Formal gesehen haben Ausdrucksweisen denselben Inhalt, wenn man sie für einander in gewissen Kontexten substituieren kann, ohne dass sich der wesentliche Inhalt ändert. D.h. die Rede von der Inhaltsgleichheit von Ausdrucksteilen wird auf die Inhaltsgleichheit ganzer Sprechhandlungen zurückgespielt, wobei der je relevante kommunikative Kontext zu beachten bleibt. Wenn wir uns dabei weder mit dem Problem belasten, wie dieser Kontext zu bestimmen ist, noch mit dem Problem, ob Synonymien von einem materialen Wissen unabhängig und in diesem Sinn rein analytisch sind oder nicht, dann können wir Synonymien grob als besondere, weil in zwei Richtungen gültige, empraktische Inferenzformen oder Schlusskriterien charakterisieren. Derartige Formen oder Kriterien lassen sich in der Form zulässiger Schlussregeln explizit machen. So sind zum Beispiel die Sätze „es regnet“ und „it rains“ synonym oder bedeutungsgleich, gerade weil wir aus der Aussage „es regnet“ die Aussage „it rains“ folgern dürfen und umgekehrt. Und es sind zum Beispiel die Wörter „le soleil“ und „die Sonne“ bzw.„briller“ und „scheinen“ (beide im Sinne des lateinischen Wortes „lucere“) wenigstens in dem Sinn paarweise synonym, als „die Sonne scheint“ mit „le soleil brille“ zu übersetzen ist und umgekehrt