Kapitel 1: Drei Anläufe zur Durchsetzung der Elektroautos. Oder: Es geht bei E-Mobilität nicht um Klimapolitik
Bei den Elektromobilherstellern herrscht Goldgräberstimmung. Die Marktprognosen versprechen bis zu einer Million verkaufter E-Mobile in den nächsten fünf Jahren.
VCD-Zeitschrift »Fairkehr«, März 1991
Ein Star der Messe ist in diesem Jahr [2018; W.W.] der Silverado, den die Marke Chevrolet [eine Tochter von GM; W.W.] gerade auf den Markt gebracht hat. Ein Pick-up, mehr als fünf Meter lang, voll beladen rund sechs Tonnen schwer. Nur wenige Schritte entfernt davon zeigt Ford den F-150, das meistverkaufte Auto Amerikas. Es ist sogar noch ein wenig größer als der Chevy, noch bulliger. Der Hype, der derzeit um elektrische, selbst fahrende, vernetzte Pkw herrscht, spielt auf der NIAS [Automesse von Detroit; W.W.] keine allzu große Rolle. In der alten Autostadt Detroit ist mehr Gegenwart als Zukunft zu betrachten. All die glamourösen Ankündigungen großer Firmen und kleiner Start-ups […] täuschen über die Realität auf Amerikas Straßen hinweg. Pick-ups dominieren das Bild. – noch immer.
Stefan Beutelsbacher und Benedikt Fuest, Revolution im Automobilbau, »Die Welt« vom 20. Januar 2018
Der Weg scheint vorgezeichnet: Mit Elektroautos in eine sonnige Zukunft. In Deutschland wurde im Herbst 2018 die »Nationale Plattform Elektromobilität« gleich mal umbenannt in »Nationale Plattform Zukunft der Mobilität«. So wie der Begriff Elektromobilität, den seit mehr als 100 Jahren elektrisch betriebene Eisenbahnen, S-Bahnen, Stadtbahnen und Straßenbahnen für sich in Anspruch nehmen konnten, gekapert wurde, so soll es zukünftig bei E-Autos gleich um »die Mobilität als solche« gehen. Und zwar ausschließlich um erstens motorisierte Mobilität und zweitens um eine solche auf Straßen mit Pkw. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier führte anlässlich der Vorstellung der »Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität« aus: »Deutschland muss auch im nächsten Jahrzehnt die Zukunft der Mobilität mitgestalten, wenn nicht anführen. Batteriezellfertigung und autonomes Fahren sind hier zentral. Entscheidend wird sein, dass wir Innovationen in Deutschland nicht nur entwickeln. Wir müssen sie – im wahrsten Sinne des Wortes – auch hier auf die Straße bringen!«1
Angesichts einer solchen Grundstimmung wirken kritische Einwände wie aus einer vergangenen Dino-Welt. So meldete sich im Januar 2019 Volker Schmidt, der Niedersachsenmetall-Hauptgeschäftsführer und Vertreter des niedersächsischen Metall-Unternehmerverbandes, zu Wort. Die EU versuche, »Elektromobilität mit der Brechstange einzuführen«, meinte er. Dabei sei »Elektromobilität äußerst CO₂-intensiv«. Im Übrigen sei zu bedenken: »Wenn wirklich im prognostizierten Umfang E-Autos gekauft werden, steigt der Stromverbrauch bei uns exorbitant an. […] Diese Rechnung macht bei uns interessanterweise niemand auf. Dann kann es passieren, dass wir unser Ziel von 50 Prozent erneuerbarer Energie bis 2030 erst gar nicht erreichen und stattdessen mehr Kohle- oder importierten Atomstrom benötigen. Die Einführung der E-Mobilität ist vorne und hinten nicht zu Ende gedacht.«2 Es sieht gerade Anfang 2019 stark danach, dass dieses Ziel bei weitem verfehlt wird. Denn fast zur gleichen Zeit war in deutschen Medien zu lesen, wie dramatisch die deutsche Energiewende im Jahr 2018 ausgebremst wurde. So hieß es in der ökologisch engagierten Tageszeitung taz im Januar 2019: »Das Arbeitspferd der Energiewende lahmt: 2018 hat sich der Windkraftausbau mehr als halbiert. […] Mit dem absehbaren Szenario dürfte die Energiewende, deren wichtigste Säule die Windkraft ist, in den kommenden Jahren heftig ins Stocken geraten. Ein Ausgleich für die Windflaute ist kaum möglich. Den Zuwachs für die Photovoltaik hat die Bundesregierung klar begrenzt.« Wobei es dann noch heißt: »Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gilt als Bremser der Erneuerbaren«.3 Das ist derselbe Mann, der die Elektro-Pkw-Offensive betreibt. Schließlich kommt der Strom aus der Steckdose. Oder eben aus der Ladesäule.
Volker Schmidt, der ohne Zweifel die Interessen von VW vertritt, genauer, der die alte VW-Strategie vertritt und der die gewaltigen Investitionen von VW in die Fertigung von Elektro-Pkw noch nicht verinnerlicht hat (siehe Kapitel 3), verwies beim Stichwort »CO₂-intensive Elektromobilität« auf die Studie des Swedish Environmental Research Institute mit dem Titel »The Life Cycle Energy Consumption and Greenhouse Gas Emissions from Lithium-Ion Batteries«, auf die wir auch noch genauer eingehen werden (siehe Kapitel 6).4 Umgehend erhob sich ein Chor von Gegenstimmen. So wurde – beispielsweise in der österreichischen Tageszeitung Der Standard – betont, es handle sich da ja gar nicht um eine »echte Studie«; der knapp 50-seitige Text biete »nur einen Überblick über die Ergebnisse vorhandener Studien über den aktuellen Stand der Technik«.5 Als ob eine Studie, die eine größere Anzahl von Studien miteinander vergleicht und die auf dieser Basis zu dem verheerenden Ergebnis einer »CO₂-intensiven Elektromobilität« kommt, nicht ernst zu nehmen wäre. Als »Entlastung« wird dann in deutschen Medien und im zitierten Standard eine neue Studie der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) in München angeführt, die die Feststellungen in der schwedischen Studie relativiert. Nicht erwähnt wird, dass die Münchner Forschungsstelle vor allem die Interessen der deutschen Energiewirtschaft – also die der Stromproduzenten – vertritt. Aldi Süd gab sich jüngst als Kofinanzier der FfE aus. Diese Lebensmittelhandelskette informierte uns über ihr Engagement für Elektromobilität wie folgt: »Für die Stadt ist so ein Elektroauto ja praktisch. Freunde besuchen und zur Arbeit fahren. […] Abends noch schnell in den Biergarten (natürlich auf ein alkoholfreies Bierchen). Alles kein Problem mit einem umweltfreundlichen E-Auto. In Städten und als Zweitauto hat sich das Elektroauto schon oft bewährt. Etwas verzwickter wird es, wenn das E-Auto für längere Fahrten genutzt wird […] Die Praxis-Reichweite von Elektroautos liegt aktuell bei gut 200 Kilometern. [… ] Gut, dass ALDI SÜD sich auch hierzu Gedanken gemacht hat. Im Sommer 2018 erhalten 28 weitere ALDI SÜD Filialen eine Schnellladestation. Das Besondere daran: Diese liegen im Abstand von maximal 160 Kilometern. Sie sind über das ganze ALDI SÜD Gebiet verteilt und ganz nah an den wichtigsten Autobahnen.«6
Derzeit erleben wir den dritten Anlauf zur Durchsetzung des Elektroautos. Einen ersten gab es Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Henry Ford mit der Massenproduktion von Autos mit Verbrennungsmotoren startete, hatte die Mehrzahl der im Verkehr befindlichen Automobile einen Elektroantrieb (siehe Kapitel 8). Weitgehend in Vergessenheit geraten ist der zweite Anlauf Anfang der 1990er-Jahre. Tatsächlich gab es vor drei Jahrzehnten ähnliche Debatten über das Elektroauto wie heute. Damals wurden auch bereits vergleichbare kritische Stimmen laut wie diejenigen, die heute vorgetragen werden. Die Umweltbehörde, die damals konkrete gesetzliche Vorgaben für Elektro-Pkw entwickelte, trägt den Namen California Air Ressources Board (CARB). Es handelt sich um dieselbe Behörde, die 2015 maßgeblich dazu beitrug, dass die Kampagne der deutschen Autokonzerne »Clean Diesel« sich zu einem VW-Skandal und zu Dieselgate entwickelte. 1991 wurde von CARB für Kalifornien festgelegt: Zwei Prozent aller dort neu zugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeuge müssten ab dem Jahr 1997 einen Elektroantrieb haben. Bis 2003 müsste dieser Anteil bei 10 Prozent liegen.7 Letzteres ist der Anteil, der in China seit dem 1. Januar 2019 gilt. In Europa gab es einen »Solar- und Elektromobil-Salon«, der mehrmals stattfand, das dritte Mal beispielsweise im März 1991 in Basel. Auf dieser – nach Selbstdarstellung – »weltweit einzigen Informations- und Verkaufsmesse« für Solar- und Elektromobile wurden bereits 1991 u.a. »zehn typengeprüfte, im gewerblichen Raum gefertigte Elektromobile« vorgestellt, die »über gut ausgebaute Händlernetze landesweit [= Schweiz-weit; W.W.] vertrieben und teilweise exportiert« wurden.8 Damals ging man fest von einem großangelegten Einstieg der führenden Autokonzerne in den Bau von Elektroautos aus. In dem zitierten Bericht der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) heißt es diesbezüglich: »Vor dem Hintergrund, dass mehrere Autokonzerne für die zweite Hälfte des Jahrzehnts [der 1990er-Jahre; W.W.] die Serienfabrikation von Elektroautos angekündigt haben, sieht beispielsweise Max Horlacher, wohl erfahrenster Konstrukteur in der Schweiz, Erfolgschancen eher in den Bereichen Prototypen und Komponentenbau.«
Es gab damals auch in dem soeben wiedervereinigten Deutschland konkrete Modelle von Elektrofahrzeugen, die sich im Einsatz befanden. In Bonn wurden im März 1991 von dem damaligen Bundesforschungsminister Riesenhuber zwei VW-Jetta-Modelle mit Elektromotor vorgestellt. Dazu hieß es in einem Bericht: »Anstatt mit Bleibatterien werden sie [die VW Jetta; W.W.] mit einer Natrium-Schwefel-Hochenergiebatterie...