Reich werden mit den Aldis
Einmal wurde einer sehr reichen, sehr liebenswürdigen Frankfurterin die Frage gestellt, was ihr Reichtum bedeute. Man saß in ihrer riesigen, wunderschönen Wohnung mit Blick auf den Main, eine Wand ging sicherlich zehn Meter hoch ins Obergeschoss und hing dicht an dicht voller Gemälde, und da sowohl die Dame als auch ihr Mann mäzenatisch nach vielen Richtungen ihr Geld verschenkten und stifteten, stand zu erwarten, dass sie auf die Frage, was ihr Geld bedeute, das Übliche sagen würde: Es macht nicht glücklich, aber es beruhigt, und man kann damit ganz doll viel Gutes tun. Aber die Dame reagierte völlig unvermutet. Sie warf die Arme hoch, strahlte übers ganze Gesicht und jubelte förmlich: »Ich finde es herrlich, reich zu sein. Ich genieße es jeden Tag!«
Ungewöhnlich. Die allermeisten Reichen behaupten, Geld mache ihnen eher Sorgen. Aber so richtig überzeugen kann das nicht. Warum würden sonst die Reichen so heftig daran arbeiten, noch reicher zu werden? Nein, da halten wir es doch lieber mit dem saudischen Prinzen al-Walid ibn Talal Al Saud, der als eine Art Schnäppchenjäger auf hohem Niveau unter anderem mit dem Ankauf maroder Firmen oder mit Beteiligungen an angeschlagenen, aber im Kern gesunden Unternehmen reich geworden ist. Und was antwortet der Prinz in ›Bunte‹ auf die Frage, ob Geld glücklich mache: »Jeder Mensch, der das Gegenteil sagt, hat unrecht. Geld erzeugt Fröhlichkeit und Glücksgefühle.«
Weil dies so ist, wollen Sie jetzt sicherlich wissen, wie man es eigentlich anstellt, reich zu werden, und in wem Sie sich ein Vorbild suchen könnten. Dann nehmen Sie sich bitte als Erstes Kurt Tucholskys Feststellung zu Herzen: »Zu dir kommt kein Geld, weil du es nicht zündend genug liebst. Na ja, du möchtest es gern haben. Aber damit ist es nicht getan! Gern haben? Du sollst nicht nur begehren deines Nächsten Bankkonto – du musst Geld inbrünstig lieben!«
Wer aber sein Geld inbrünstig liebt, der gibt es auch nicht unbekümmert her.
Nicht grundlos ranken sich unzählige Legenden um die Sparsamkeit, ja den Geiz der Reichen: Friede Springer wurde dabei beobachtet, nach Abendeinladungen in Berlin weder eine Limousine mit Fahrer noch ein Taxi zu ordern. Vielmehr steuerte sie einen unauffälligen Golf Diesel selbst nach Hause; Ingvar Kamprad, reichster Mann Schwedens, fährt einen uralten Volvo, Erivan Haub und seine Frau (ihnen gehört immerhin Tengelmann) rufen ihre Kinder tagsüber nicht in Übersee an, sondern warten auf den günstigeren Nachttarif; Lidl-Gründer Dieter Schwarz leistete sich seinen S-Klasse-Benz nur als Auslaufmodell; der unermesslich reiche Öltycoon J. Paul Getty notierte noch im Alter von sechsundsechzig Jahren die Ausgaben eines Tages: »Haarschnitt 25 Centime, Trinkgeld 2 Centime«. Theo Albrecht (Aldi) aber trug bei seiner Entführung einen so billigen Anzug, dass die Kidnapper sich fragten, ob sie überhaupt den Richtigen erwischt hatten, und sich erst einmal seinen Ausweis zeigen ließen; Rod Stewart lässt sich im Restaurant schon mal die Reste einpacken. Nur Rudolf Augstein ging viel lässiger mit seinem Geld um, als er eines Tages in seiner Hamburger Stadtvilla von zwei Einbrechern überrascht wurde. Er feilschte nicht lange, musste allerdings feststellen, dass er die geforderten 50000 Mark nicht im Haus hatte. Also rief er seinen Verlagsleiter Alfred Theobald an. Der pumpte sich schnell von solventen Bekannten das Bargeld zusammen, fuhr zu Augsteins Haus und übergab die Summe. Die ganze Zeit über hatte der Spiegel-Herausgeber die nervösen Einbrecher beruhigt. Alles ging gut, Geiz wäre in diesem Fall bestimmt lebensgefährlich geworden.
Nun aber zurück zu der Frage, wegen der Sie ja dieses Kapitel lesen: Wie schafft man es, reich zu werden? Sieht man sich die einschlägigen Listen an, in denen, wie verlässlich auch immer, die reichsten Menschen erfasst und bewertet werden, so kommt man als Erstes zu dem Ergebnis, dass wohl – zumindest in Deutschland – die vielleicht wichtigsten Eigenschaften reicher Menschen Diskretion, Understatement und Zurückhaltung heißen. Unter Deutschlands Milliardären finden sich Namen, die man selten in der ›Bunten‹ liest: Hasso Plattner, Andreas und Thomas Strüngmann, Michael Otto, Reinhold Würth, Adolf Merckle, Curt Engelhorn, Dieter Schwarz und – als Einzige vom Glanz des Geheimnisvollen umweht – die Aldi-Gründer Karl und Theo Albrecht. Sie alle geben keine oder nur selten Interviews, leben zurückgezogen, laden zu den Hochzeiten ihrer Kinder keine bunten Blätter ein und kommentieren ihre Jahresabschlüsse nicht vor laufenden Kameras auf Pressekonferenzen.
Reichtum kann zahlreiche Wurzeln haben. Es gibt Vermögen, die über viele Generationen so ansehnlich geworden sind, dass der verstorbene Fürst Johannes von Thurn und Taxis sagen konnte: »Ein so großes Vermögen kann man nicht versaufen, nicht verhuren, nicht verfressen, man kann es nur verdummen.« Und es gibt Vermögen, die in erster Generation entstehen, weil ihre Erzeuger eine umwerfende Idee hatten. Betrachten wir solche Ideen und fragen uns, was es außer diesem genialen Einfall noch brauchte, um Reichtum zu schaffen.
Erster Fall: Karl und Theo Albrecht. Geboren 1920 und 1922 im Ruhrgebiet. Vater Kumpel, Staublunge, danach Hilfsarbeiter. Die Mutter betreibt einen Lebensmittelladen in Essen, 35 Quadratmeter. 1946 – beide Albrechts waren aus dem Krieg zurück – übernahmen Karl und Theo den Laden der Mutter. Von diesem Moment an beginnt ein sagenhafter Aufstieg. Weil die beiden eine Idee haben, die wie die meisten genialen Einfälle ganz einfach ist. Unter dem Namen »Albrecht Discount« eröffnen sie im Ruhrgebiet einen Laden nach dem anderen und setzen in der Nachkriegszeit nur auf den Preis. Sie verzichten auf Regale, sie verzichten auf alles, was den Einkauf zum »Erlebnis« macht. Der Triumph des Schlichten wird später einmal der Titel eines Buches lauten, das den Erfolg der Brüder nachzeichnet: Sie stapeln die Ware auf Paletten auf den Boden, der Kunde greift unter dem Schein schmuckloser Neonröhren nach Zucker und Mehl – sogar nach »guter Butter«. Denn obwohl es in den ersten Jahren keine Tiefkühltruhen gibt, also auch kein Fleisch, keine Milch, keine Joghurtprodukte, zählt Butter von Anfang an zum Grundsortiment, sie wird abends zum Kühlen in den Keller gebracht. Verkäufer? Wozu! Die Waren erklären sich von selbst, und vor allem sind sie so wunderbar billig. Weil sich die Brüder zunächst auf wenige Artikel mit hohem Absatz konzentrieren, können sie günstiger einkaufen als andere. Den Preisnachlass, den die Konkurrenz in Form von Rabattmärkchen gewährt, gibt es bei Albrecht sofort an der Kasse, ohne Umweg.
Zu Beginn der sechziger Jahre trennen sich die Wege der Brüder. Sie taufen ihre Firma in »Aldi« um, Karl übernimmt das Geschäft in Süd-, Theo das in Norddeutschland. Bald verliert das Unternehmen sein Arme-Leute-Image, vor allem, nachdem sich herumspricht (und von der Stiftung Warentest bestätigt wird), dass die Sachen dort zwar preiswert, aber nicht schlecht sind. Die Geiz-ist-geil-Mentalität beschert neue Kunden, heute fährt man auch im Porsche bei Aldi vor. Die Läden sind irgendwie kultig geworden, es erscheint ein Kochbuch nach dem anderen mit Aldi-Produkten, man ist nicht mehr peinlich berührt, wenn man am Weinregal einen Bekannten trifft, und noch immer ist man frappiert von der bunten Kühnheit der potthässlichen Zeitungsannoncen, an denen wohl noch nie ein Graphik-Designer seine Spuren hinterlassen durfte.
Reich geworden sind die Albrecht-Brüder also durch eine Idee, durch den Mut zur Schlichtheit. Auf Ideen freilich können viele kommen. Sie werden nicht reich, wenn es Ihnen an Grundtugenden wie Fleiß und Beharrlichkeit fehlt und – wie im Falle der Albrecht-Brüder – an der Entschlossenheit, einem einmal als richtig erkannten Prinzip treu zu bleiben. Vor allem ist an den beiden mittlerweile alten Männern, die als reichste Deutsche gelten, eines mit Erstaunen zu registrieren: ihre mangelnde Eitelkeit. Ein so tolles Konzept zu ersinnen, mit solcher Konsequenz eine äußerst erfolgreiche Marke zu schaffen und darüber auch noch milliardenschwer geworden zu sein – jeder andere würde Bände über sich schreiben lassen und obendrein eine dicke Autobiographie veröffentlichen, würde mindestens dann und wann vor Fernsehkameras Auskunft geben über diesen beispiellosen Aufstieg: Von den Albrechts lernen heißt Bescheidenheit lernen.
Und was lernen wir von unserem zweiten Fall, von Hasso Plattner? Er hat es gemeinsam mit seinen Kollegen Hans-Werner Hector, Dietmar Hopp und Klaus Tschira auf die Milliardärsliste gebracht – und das in relativ wenigen Jahren. Plattner und die anderen Herren gründeten im Jahr 1972 ein Unternehmen in der Provinz. Sie nannten es wenig aufregend »Systemanalyse und Programmentwicklung«, aus den Initialen wurde SAP. Hasso Plattner und die anderen Informatiker und Manager hatten zuvor alle für den Computergiganten IBM gearbeitet. Und sie hatten – wie die Albrecht-Brüder – eine einfache, jedoch grundlegend neue Idee.
Bis dahin waren die EDV-Programme in den Unternehmen wie Maßanzüge gewesen. Als Systemberater hatten die SAP-Gründer aber festgestellt, dass sich viele Arbeitsabläufe in den Unternehmen glichen, dass also für Firmen völlig unterschiedlicher Branchen immer gleiche oder doch ähnliche Programme zu entwickeln waren. Also begannen sie, Anwender-Software als Standardprodukte zu programmieren. Aus den...