Frauen treten erstmals aus dem Dunkel der Geschichte – »Josefine« und das Mittelalter
Die fruchtbaren Markgräfinnen
Ganz einfach war es nicht, heidnische Vorstellungen und christliches Gedankengut miteinander zu verbinden: Eifrig wurde diskutiert, ob Frauen denn überhaupt Menschen wären. Den reichen und mächtigen Damen gestand man dies bald zu, denn der Wert der Frau hing eng mit ihrer sozialen Stellung zusammen. Und so ist es nicht weiter erstaunlich, wenn wir aus dem frühen Mittelalter nur von Privilegierten Kunde haben, besonders von den Frauen der Markgrafen. Seit 976 n. Chr. die Babenberger von Kaiser Otto II. mit der neu gebildeten Mark im Osten belehnt worden waren, strebten diese danach, ihre Macht und ihr Ansehen zu vergrößern. Ein probates Mittel dazu waren günstige Eheverbindungen.
Markgraf Leopold II. (?–1095) vermählte sich mit Itha von Formbach-Ratelnberg, der Überlieferung nach war sie die Erbin von Wien4. Sie war nicht nur reich, sondern auch wunderschön und so fromm, dass ihr Sohn Leopold (III.) es bis zum Heiligen und Landespatron brachte. Die fruchtbare Markgräfin gebar ihrem Mann sieben Kinder, aus einer früheren Ehe hatte sie bereits zwei Söhne. Als 55-jährige Witwe ging ihre Abenteuerlust mit ihr durch, und sie zog mit Kreuzfahrern, die sich damals in Wien versammelten, ins Heilige Land. Die Teilnahme an einem Kreuzzug war damals große Mode und ein unvergessliches Erlebnis: Voran zogen Krieger und Kriegerinnen, dahinter im Tross unzählige Händler, Köchinnen, Wäscherinnen und Prostituierte, die sich fern der Heimat der Gläubigen erbarmten. Itha ritt zwischen den Kriegern, als diese im September 1101 auf den Feind trafen. Wie die Legende erzählt, geriet die anmutige Markgräfin in türkische Gefangenschaft, kam in den Harem des Sultans und wurde dessen Lieblingsfrau.
An Liebeskraft wurde Itha von ihrer Schwiegertochter, der zweiten Gattin des heiligen Markgrafen Leopold III. (1075–1136) und Königstochter Agnes, bei weitem übertroffen. Sie war die Witwe Friedrichs I. von Staufen und hatte bereits zwölf Kinder, als sie 1106 den Markgrafen heiratete. Von ihm bekam sie weitere 19, von denen sieben jung verstarben. Macht zusammen 31! Unglaublich, doch hat man anhand ihres Skeletts nachgewiesen, dass sie tatsächlich mehr als 25 Kinder geboren hat. Diese erstaunliche Frau erreichte ein Alter von über siebzig Jahren. Unter ihrem Sohn Leopold (IV.) wurde Wien 1137 als »civitas« bezeichnet, war also endlich zu einer richtigen Stadt mit allen Privilegien geworden.
Leopolds Bruder Heinrich (II.) vermählte sich in zweiter Ehe mit der 15-jährigen Prinzessin Theodora Komnena, einer Nichte des Kaisers von Byzanz. Sie wurde 1156 gemeinsam mit ihrem Mann mit Österreich als Herzogtum belehnt, das in Zukunft – im Falle des Aussterbens des Mannesstammes – auch an Töchter vererbt werden konnte. 1155 machte das Herzogspaar Wien zu seiner Residenz.
Die Herzogin hatte Handwerker aus Byzanz mitgebracht, darunter Baumeister. Sie errichteten neben festen Häusern für die wachsende Bevölkerung einen Wirtschaftshof mit zwei Kapellen und einen großen Saal für das Herzogspaar, davor ein Kloster für irische Mönche und eine schöne neue Kirche. Hof und Bürger suchten in ihr seelische Erbauung, aber außerhalb wollten sie mit Wein, Weib und Gesang unterhalten werden. Gaukler, Spielleute und Sänger fanden ihr Publikum. Reinmar von Hagenau, ein geborener Elsässer, machte Wien zu seiner neuen Heimat und sang hier das »Lob der Frauen«:
»Und ist daz mirs mîn sælde gan …«
Und sollte mir mein Glück vergönnen,
dass ich von ihrem Munde, während sie spricht,
einen Kuss stehlen kann,
gibt Gott, dass ich ihn dann mit mir fortbringe,
so will ich ihn heimlich bei mir tragen
und immer verbergen.
Sollte sie das aber für eine schwere Kränkung halten und mich meiner Untat wegen hassen,
was tu ich dann, ich Unglücklicher?
Dann nehme ich ihn und lege ihn wieder dorthin,
woher ich ihn nahm,
wozu ich gewiss imstande bin.
Galten die Reime einer hohen Dame oder einer hübschen Bürgerin? »Ich versichere dennoch, sie hat nie einen Schritt aus dem Kreis der weiblichen Tugenden hinaus getan … So lasse ich es denn auch neidlos geschehen, wenn jemand behauptet, er habe größere Freuden erlangt. Mag er!« So sang Reinmar in aller Öffentlichkeit, wer weiß, was er an Tratsch und Eifersucht damit ausgelöst hat.
Eine Wiener Sage überliefert eine Eifersuchtstragödie: Ritter Brennberger besang die Reize der schönen Herzogin so innig, dass es ihrem Gemahl zu viel wurde. Er ließ ihm den Kopf abschlagen, das Herz kochen und dieses seiner Frau servieren. Diese aß es mit gutem Appetit. Als der Herzog fragte: »Frau, wisst Ihr, was Ihr gegessen habt?«, verneinte sie. Höhnisch grinsend klärte er sie auf. Verzweifelt schluchzte da die Herzogin: »Unschuldig hat er den Tod erlitten um meinetwillen; er kam mir nie so nah, dass ihn meine Arme umfangen hätten.« Sie schloss sich in ihre Kammer ein, aß und trank nicht mehr und starb nach zwölf Tagen.
Reinmar von Hagenaus berühmtester Schüler war Walther von der Vogelweide, der bis 1198 am Wiener Hof weilte. Auch er liebte die Schönheit der Frauen und die »niedere« Minne. Er sang vom Liebeslager unter der Linde, dem Bett aus Rosen, von tausend Küssen und der Verschwiegenheit: »Was er mit mir tat, das soll nie jemand erfahren als er und ich und ein kleines Vögelein, tandaradei; das wird gewiss verschwiegen sein.«
Drall, mit rosigen Wangen und lachenden grauen, blauen oder hellbraunen Augen, so wird sie wohl ausgesehen haben, diese kleine »Wienerin« mit ihrer Vorliebe für die Natur. Eine »Hübschlerin« im Mutzenbacherischen Sinne war sie deswegen noch lange nicht. »Hübschlerinnen« nannte man die freien »gemainen Frauen«, die sich der Männer von Berufs wegen erbarmten. Das Wort »huer« war als Schimpfwort bereits bekannt: Am 9. Juli 1192 verbot Herzog Leopold V. das Wort »Hurensohn« bei Strafe. Fluchen und Schimpfen war damals gang und gäbe: Man wünschte jemandem das Fieber, die Krämpfe, den Veitstanz, man legte haarsträubende Schwüre ab bei Gottes Lunge oder Leber, bei Gottes Blut oder Darm, bei Gottes Laus oder Schweiß. Man rief: »Dass dich Gottes fünf Wunden schänden! Dass dich der Teufel oder Gottes Leichnam schände!«
Adeliger Zeitvertreib: Turniere, Kreuzzüge
Auch in Wien war für die adelige Gesellschaft das höchste aller Vergnügen das Turnier. Von weit her kamen die Ritter, um im Angesicht der Frauen ihre Kräfte zu messen. Rund um den Turnierplatz (heute: Platz Am Hof) war die »Schranke« errichtet, die Ritter mussten dort Schild und Rüstung mustern lassen. War eine der Damen von einem Ritter beleidigt worden, so warf sie Schild und Rüstung von der Schranke und der Getadelte durfte nicht am Kampf teilnehmen. Für die Damen waren Tribünen errichtet, wo ihnen nichts vom edlen Streit entging. Sie konnten durch die Wahl ihrer Kleiderfarben ihrem Galan Botschaften vermitteln. Rot stand für brennende Liebe, Blau für Treue, Grau für Trauer und Schwarz für das Ende der Liebe, Weiß für Unschuld und Herzensreinheit. Grün wurde selten getragen, es galt als Hexen- und Teufelsfarbe. Gelb wurde vermieden, es war als Farbe der Schande Juden, Bettlern und Prostituierten zugeteilt. Letztere waren in großer Zahl anwesend und ermunterten die Ritter durch ihre freizügig zur Schau gestellten Reize.
Doch die edlen Ritter lockte auch die Ferne. Herzog Leopold V. nahm – wie fast alle christlichen Fürsten – am dritten Kreuzzug teil, dieser führte 1198 seinen Vetter Friedrich I. Barbarossa zum zweiten Mal über Wien. Der Kaiser hielt auf der Simmeringer Heide zwei Wochen lang Reichstag mit Heerschau und rauschenden Festen, bevor das Heer mit Kaiser und Herzog an der Spitze nach Osten weiter zog. Im Heiligen Land geriet Leopold vor Akkon mit dem berüchtigten Raufbold Richard Löwenherz von England aneinander. Als der Engländer dann auf der Heimreise Schiffbruch erlitt, blieb ihm nur der Landweg, und der führte über Wien. Sicherheitshalber verzichtete Löwenherz auf königliches Gepränge und verkleidete sich als Mönch, trotzdem wurde er am 21. Dezember 1192 in einer Schenke in Erdberg erkannt. Leopold warf ihn in den Kerker, zuerst in Wien und später in Dürnstein, und zahlte ihm so die Beleidigung vor Akkon heim.
Siegespreis beim Turnier: freizügige »Hübschlerinnen«
(Buchmalerei aus dem »Breviaire d’Amour«)
1192 war für Herzog Leopold V. ein gutes Jahr, das ihm nicht nur das Anrecht auf sechs Tonnen englisches Silber als Lösegeld für König Richard, sondern auch die Steiermark einbrachte. Sein Glück stimmte den...