Wie ein Vater Kinder prellt
So war ich über fünf Jahre alt geworden, als wir einmal an einem Sonntage Dorf bekamen, was eine sehr seltene Sache in unserm Hause war. Auf einem Wägeli kam ein großer dicker Bauer und ein mächtiges vierschrötiges Mädchen mit plumpen Gesichtszügen, kleinen Augen und gewaltigen Händen. Ihr Staat zeugte von Reichtum; aber sie hatte ihn angezogen, als ob ein Küherknecht ihre Kammerjungfer gewesen wäre (so äußerte sich meine Mutter); ihr ganzes Betragen trug das Gepräge bäurischen Stolzes und Hochmutes. Der jüngste Sohn nahm das Roß ab, das einen halbzentnerschweren Kommet an hatte und in demselben dahertrampelte, fast wie die Tochter in ihrem Putz. Die Großeltern empfingen die Gäste mit sichtbarer Freude; auf meine übrigen Onkeln und Tanten hingegen wirkte die Erscheinung dieser Leute, wie das Erblicken eines Habichts auf eine Truppe Tauben, sie schossen nach allen vier Winden hin. Einige Zeitlang sah man noch bald das eine, bald das andere hinter einer Ecke oder aus einem Türspalt hervorgucken; bald aber verschwanden sie alle, und keines zeigte sich mehr bis am späten Abend; ja, zwei der Onkel kamen erst am Morgen wieder zum Vorschein.
Die Gäste wurden in die Hinterstube geführt, welche in jedem Bauernhause eine sehr wichtige Rolle spielt und noch oft vorkommen wird. Die Großmutter ging alsobald wieder in die Küche, nachdem sie mit der Schürze die weißgefegten Bänke abgewischt hatte, ich, an ihrem Kittel hängend, natürlich mit. Großmutter wollte in der Ordnung aufwarten und vor allem mit einem Kaffee, weißes Brot gehörte dazu, nachher aber mit allem, was Sitte ist. Nun war viel zu tun: Kaffee mußte geröstet, gemahlen, Brot, Wein geholt, Nidle gewellt, Fleisch herabgeschnitten, Schnitze gewaschen, Küchliteig angemacht, und vor allem ein tüchtiges Feuer angeblasen und unterhalten werden. Sie war eine rüstige Frau; aber zehn Beine und zwanzig Hände hatte sie doch nicht, sie rief daher: «Stüdeli, Lisebetli, Bäbeli», dann «Stüdi, Lisebet, Bäbi!», aber niemand gab Bescheid; sie rief: «Hansli, Joggeli, Christi, Peterli», und wieder «Hans, Joggi, Christen, Peter!», aber niemand kam. Man kann sich denken, welchen Zorn die gute Großmutter verwerchete; sogar ich bekam einen Mupf; dazu durfte sie ihn nicht laut werden lassen und alles mußte doch gemacht werden, wenn sie nicht mit Schanden bestehen sollte, ob welchem Gedanken es ihr fast g'schmuechten wollte. Trotz meinem erhaltenen Mupf tröstete ich die Großmutter und versicherte sie: ich und meine Geschwister wollten ihr so gut und besser helfen als die andern; und so geschah es auch.
Wir vier armen Kinder halfen mit Jubel und Lust die Mahlzeit bereiten, die uns aus dem Hause, in die Wüste, ins Elend trieb. Kätheli holte das Brot und wusch die Schnitze, Benzli holte den Wein, und Anneli röstete, mahlte, erwellte, und alle machten der Großmutter es zum Dank, vor allem ich, der zum Feuer sah und ihr das Leiterli hielt, als sie Speck und Fleisch herunterschnitt. Der Kaffee war bald gemacht, und, nachdem ein schön gelöchert Tischlachen gebreitet war, aufgetragen, aus dem Buffert mit Glasfenstern die geblümten Kacheli herausgenommen, mit der Schürze der Staub ausgewischt und eingeschenkt. Was beim Kaffee weiter vorging, weiß ich nicht: ich mußte heraus zu meinem Feuer; dorthin vergaß Großmutter nicht mir meinen Teil zu bringen.
Nachdem Großmutter den Nidlehafen noch einmal zugefüllt hatte, denn sie machte heute den Kaffee recht weiß, und die Gäste ihre Kacheli umgestürzt ins Plättli gestellt und das Meitschi beteuert hatte: es müeßt sy S...l oben ab gäh, wenn es noch mehr nähme, führte der Großvater die Gäste hinaus, ihnen seine Herrlichkeit zu zeigen. Sami, der jüngste Sohn, stolperte einige Schritte hintendrein, kam aber nicht recht mit Reden z'weg und blieb im Stall beim Roß zurück und musterte das Pferdegeschirr, als ob er ein Sattler werden wollte. Wenn ich Scheiter holte, so sah ich den Großvater, wie er neben dem Bauern herwanderte durch Wald und Felder, sah hintendrein die Tochter marschieren und dachte dabei nichts anderes, als es geschähe darum, damit die Großmutter, die ärger schwitzte als eine arme Seele im Fegfeuer, mit allen ihren Gerichten fertig werden könnte. Großvater stand oft stille und verwarf die Hände; dann verwarf sie der Bauer auch, und die Tochter glaubte ich einige Male sogar zu hören. Unterdessen war das Fleisch lind geworden; die Küchli standen an der Wärme, ein Teil des Weines bereits in einer schönen Flasche auf dem Tische; da mußte Sami die Spazierenden rufen, welche endlich so langsam daherkamen als möglich, damit man ja nicht glaube, sie hätten etwa Lust zu Speis und Trank. Meine Geschwister wurden, jedes mit einer Küchlischnitte, fortgeschickt; ich durfte mit der Großmutter in die Stube, wohin man endlich gelangte, nachdem sie unzählige Male «Göt doch yche» hatte sagen müssen. In meinem Leben kommen mir nicht viele Dinge wieder so wunderlich und seltsam vor, als dieses Essen, und was sich dabei zutrug. Ich war gewohnt, daß man beim Essen sonst nicht viel sprach; jedes aß wacker und ohne Unterbrechung fort, sei es Erdäpfel oder Kraut, bis es fertig war; dann wischte es den Mund mit dem Ärmel, den Löffel mit dem Tischtuch ab, pflanzte die Ellbogen auf den Tisch, hielt die Kappe vors Gesicht und ging dann seiner Wege. Hie und da gab der Vater einem Sohne einen Schnauz oder klagte über ein Mißgeschick oder die schlechten Zeiten usw., oder die Großmutter sprach zu einem der Kinder: «Hest no nit gnue? es düecht mi, du chönntisch's afe mache.»
Wie ging das jetzt anders zu! Da bot die Großmutter die Schüsseln herum und legte den Gästen gar wohl aufs Teller, als ob sie keine Arme hätten; sie sagte in einem fort: «Nät doch! Äßit doch!» Dann entschuldigte sie sich, daß man es so schlecht bei ihnen habe, daß sie nicht besser aufwarten könne, und rief dann wieder. «Sami, schäych doch y, u mach G'sundheit!» Obgleich alles so gut war, aßen der Bauer und seine Tochter doch als ob ihnen das Essen zuwider sei; sie gabelten auf dem Teller herum, als ob sie Spreuer in demselben hätten, und doch rühmten sie die Großmutter und ihr Essen; mit dem Trinken machten sie es ebenso; nur der Bauer nahm zuweilen im Vergeß einen großen Schluck. Zwischendurch wurde viel geredet und gerühmt; ich kannte den Großvater gar nicht wieder ob dem Gerühmsel, das er anbrachte über seine Habe und über seine Kinder. Daß die Großmutter eine Welle Tuch nach der andern zu zeigen brachte und nicht ruhte, bis sie das Vreneli, so hieß nämlich das große Mensch, in den Speicher geführt und ihm dort ihre Schätze gezeigt hatte, wunderte mich weniger. Hinwiederum rühmten auch der Bauer und seine Tochter so viel sie z'Platz kommen konnten. Der erstere, wieviel Heu er dem Küher gebe, wieviel Korngarben er gemacht, und von Ausgeliehenem ließ er mehr als ein Wort fallen. Die letztere, wie frühe sie aufstehe, für wieviel Schweine und wie viele Menschen sie koche, wieviel sie zwischendurch spinne usw. Das Reden schien ihnen Hunger zu machen; je länger sie aßen und tranken, desto geschwinder wurden sie mit ihren Gläsern fertig und desto geschwinder räumten sie ihre Teller ab. Ja, als es zu dunkeln anfing, und von der Heimreise die Rede war, konnte Sami mit Einschenken nicht fertig werden, so daß es der Großmutter Angst machte, sie hätte nicht Wein genug holen lassen, und sie nach und nach mit Pressieren nachließ; aber sie nahmen unpressiert; mit den Küchlene und dem Fleisch ging es ebenso; es war, als ob sie alles reue, was sie übrig lassen müßten. Ich saß da ganz voll Verwunderung, hatte längst genug und konnte mich endlich nicht enthalten zu sagen: «Großmuetter, es düecht mi, sie chönnti's afe mache!» Ich erhielt die erste Ohrfeige in meinem Leben, ohne zu wissen, was ich eigentlich gefehlt, und wurde zur Stube hinausgeschickt. Diese Behandlung schmerzte mich tief; ich weinte bitterlich, bis Sami das Roß einspannte, die Gäste aufbrachen und aufsaßen unter vielen Danksagungen und Entschuldigungen von allen Seiten. Großvater hieß den Sami mitgehen, weil es bös sei durch den Wald zu fahren, wenn man nicht recht bekannt sei. Sami ging und kam den Abend nicht wieder. Es war ein trauriger Abend, nichts als Schelten und Brummen im Hause. Die weggelaufenen Söhne und Töchter stellten sich nach und nach wieder ein, wurden furchtbar ausgescholten, und wenn nicht allzu viel Versäumtes nachzuholen gewesen wäre, so daß die Großmutter keine Zeit zum Prügeln hatte, die Töchter keine, sich prügeln zu lassen, sie hätte eine nach der andern in die Finger genommen. Unter all dem Lärmen schlief ich betrübt ein und erwachte erst am andern Morgen wieder, als die Großmutter mit der alten Liebe mich aufweckte, und ich wie gewohnt zum Großvater ins Bett konnte.
Alles sah am Morgen noch zerstört aus; wo man hinsah, steckten einige die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander. Ich glaubte, sie klagten sich ihre gestern erhaltenen Scheltungen, bis ich von der Mutter die Wahrheit vernahm. Sie lockte mich beiseits, um mich auszufragen, wie in der Stube alles zu- und hergegangen, was geredet, was gegessen worden und wie man einander angesehen, usw. Hier hörte ich, die Gäste seien der reiche Bauer Niegenug zu Unsegen samt seiner Tochter gewesen, welche der Onkel Sami heiraten solle. Nun zog die Mutter los, zuerst über den Bauern und seine Tochter, dann über Großvaters. Über die ersten wußte sie hundert Geschichten von ihrem Geiz und Stolz und dem gewöhnlich damit verbundenen Unverstand. So behauptete sie, der Bauer stehle seinen Knechten die Knöpfe von den Kleidern; von seiner Frau und Tochter, daß sie immer beim Spinnen auf dem bloßen Hemde säßen, um die Kittel nicht zu...