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Der Deutsche Bund

1815-1866

AutorWolf D. Gruner
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2012
ReiheBeck'sche Reihe 2495
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406636110
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der Deutsche Bund steht historisch zwischen dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und dem deutschen Kaiserreich von 1870/71. Zwischen 1815 und 1866 sicherte er Frieden und Entwicklung in Europa. Dennoch spielt er im historischen Bewusstsein der Deutschen kaum eine Rolle. Trotz seiner Schwächen und Defizite ist es an der Zeit, ihn gerechter zu beurteilen. Wolf D. Gruner bettet die Geschichte des Deutschen Bundes in die europäischen Zusammenhänge ein, zeigt, dass er mit seiner föderativen Organisation ein geeignetes Band für die deutsche Nation darstellte und verdeutlicht, dass die deutsche Geschichte keineswegs zwangsläufig auf die Gründung eines Nationalstaates hinauslief.

Wolf D. Gruner ist Professor für Europäische Geschichte und Jean Monnet Professor für Europäische Integrationsgeschichte an der Universität Rostock.

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Leseprobe

1. «Oh Bund! Du Hund! Du bist nicht gesund»? – Eine Einführung


Der Deutsche Bund als föderatives «Band der deutschen Nation» und als Organisationsform des «deutschen Mitteleuropa» (Helmut Rumpler) zwischen 1815 und 1866 wurde 1815 auf dem Wiener Kongress als Nachfolgeorganisation für das 1806 aufgelöste Heilige Römische Reich deutscher Nation gegründet. Er ist heute eine vergessene und verdrängte Form deutscher Staatlichkeit im 19. Jahrhundert. Im historischen Gedächtnis dieses Raumes ist der Deutsche Bund praktisch nicht mehr präsent.

Otto von Bismarck, seit dem Frühjahr 1851 preußischer Gesandter in der Bundesversammlung, beklagte sich in seiner Privatkorrespondenz immer wieder, dass es in Frankfurt «grässlich langweilig» sei, dass seine Berichte in «Berlin kein Echo oder Resultat» fänden, dass die Bundestagsgesandten sich mit «lauter Lappalien» quälten, alle mit Wasser kochten, aber «eine solche nüchterne einfältige Wassersuppe, in der auch nicht ein einziges Fettauge von Hammeltalg zu spüren ist». Er mache «reißende Fortschritte» in der «Kunst mit vielen Worten gar nichts zu sagen» und schreibe Berichte, «die sich rund und nett wie Leitartikel lesen». In den Sitzungen der Bundesversammlung müsse er «ganz unglaublich langweiligen» Vorträgen zuhören: »Ich gewöhne mich daran», schrieb er im Dezember 1853 an seine Schwester Melle und schmeichelte sich, «den Bund allmählich mit Erfolg zum Bewußtsein seines Nichts zu bringen nicht unerheblich beigetragen zu haben […] Das bekannte Lied von Heine, oh Bund, du Hund, du bist nicht gesund […] wird bald durch einstimmigen Beschluß zum Nationalliede der Teutschen erhoben werden.»

Das vernichtende Urteil Bismarcks über den Deutschen Bund, der sich als Bundestagsgesandter in Berlin zu wenig wahrgenommen fühlte, der die langen Entscheidungsprozesse, die Unfähigkeit, Eitelkeit, Ignoranz, Inkompetenz und Vergreisung der anderen Bundestagsgesandten beklagte, diente lange dazu, den Deutschen Bund als Intermezzo und gescheiterte Form deutscher Staatlichkeit, als Hort von Partikularismus und Separatismus zu stigmatisieren. Der Deutsche Bund sei von Anbeginn ein ungeeignetes Band der deutschen Nation gewesen, zu keiner positiven Entwicklung fähig. Sicherlich spielten hierbei das Denken in nationalstaatlichen Kategorien sowie die Gründung des deutschen Kaiserreiches von 1871 und das Bedürfnis, das preußisch-kleindeutsche Kaiserreich historisch zu legitimieren, eine gewichtige Rolle. Zudem wurde die Nationsidee im langen 19. Jahrhundert zum erstrangigen europäischen Gestaltungsprinzip, von einem Eliten- zu einem Massenprojekt. Das Zusammenleben der Nation im nationalen Staat wurde als die einzig sinnvolle Form der Organisation von menschlichen Großgruppen angesehen. So konnte die Nationsidee bis 1945 auch alle Überlegungen und Konzepte, die Einheit Europas durch einen europäischen Völkerbund zu schaffen und die internationalen Beziehungen auf neue, den Frieden sichernde Grundlagen zu stellen, verdrängen. Erst der Untergang des kleindeutschen Nationalstaates in der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges machte den Blick frei für eine differenzierte Betrachtung und Bewertung der deutschen Geschichte zwischen 1789 und 1871. Die Erfahrungen Europas mit den Nationalstaaten und ihren blutigen Zusammenstößen in zwei Weltkriegen erneuerten das Interesse an einer föderativen Organisation des Zusammenlebens von Nationen. Vergessene Formen von Staatlichkeit, die vielfach im 18. und 19. Jahrhundert als europäische Einigungsmodelle vorgeschlagen worden waren – zu ihnen zählten das Heilige Römische Reich deutscher Nation und der Deutsche Bund –, wurden wiederentdeckt.

In den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich auch die historische Forschungslandschaft. Neue Fragen und Methoden sowie komplexere und erweiterte Ansätze ließen schließlich eine deutsche und europäische Geschichte jenseits des Nationalstaats sichtbar werden und ermöglichten eine neue Betrachtung des Deutschen Bundes. Erhellend ist in diesem Zusammenhang eine Feststellung des amerikanischen Historikers James Sheehan, wenn er mit Blick auf die deutsche Geschichte meinte, dass unsere deutsche Gegenwart «eine eigene Legitimität besitzt, die nicht aus ihrem Bezug zum deutschen Kaiserreich herrührt, sondern vielmehr aus ihrer Stellung in einer breiteren Tradition. Die deutsche Gegenwart ist nicht ein Postskriptum zur Vergangenheit des Kaiserreichs; sie ist ein neues Kapitel in einer viel älteren Geschichte.» Eine Geschichte des Deutschen Bundes leistet einen Beitrag in diesem Sinne. Sie ebnet den Weg zur notwendigen und längst überfälligen Föderalisierung der deutschen Geschichte und vernetzt diese europäisch.

Der Deutsche Bund konnte und wollte kein Nationalstaat, kein nationaler Einheitsstaat sein. Er sollte nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation eine Organisationsform für dessen Gebiete schaffen, die der staatlichen Vielfalt dieses Raumes Ausdruck gab und am besten den historischen Traditionen der einzelnen deutschen Geschichtslandschaften entsprach. Eine Darstellung seiner Geschichte muss daher stets verschiedene, eng miteinander verknüpfte Betrachtungsebenen berücksichtigen. Nur so kann ein ausgewogenes Bild des Deutschen Bundes als föderative Form von Staatlichkeit im deutschen Mitteleuropa entstehen. Neben der deutschen Ebene – repräsentiert durch die Frankfurter Bundesversammlung sowie zwischenzeitlich durch die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und die Provisorische Reichsgewalt – ist die einzelstaatliche Ebene der großen, mittleren und kleinen Bundesglieder mit ihren Interessen und Zielen von grundlegender Bedeutung. Dort entschieden sich die Handlungsspielräume des Bundes – ob es Reform oder Stillstand gab, ob es zur Angleichung und Vereinheitlichung einzelstaatlicher Gesetzgebungen im Bund kam, ob zentralisierende Schritte eingeleitet werden konnten oder die einzelstaatliche Souveränität erhalten wurde. Durch den doppelten Gründungsauftrag des Deutschen Bundes von 1815, als «Centralstaat» und als europäischer «Friedensstaat» die Sicherheit und Unabhängigkeit Deutschlands und die Ruhe und das Gleichgewicht Europas zu wahren, kommt zu dem die europäische Ebene in den Blick. Diese begleitete den Deutschen Bund seit seiner Gründung. Sie beeinflusste die Entwicklung des Bundes, doch ebenso wirkte die Bundespolitik auf das europäische Umfeld zurück.

Den Bund über ein Mehrebenensystem darzustellen, hat den Vorteil, dass die verlorengegangene multidimensionale Komplexität deutscher Geschichte auf dem Weg vom Alten Europa zum Europa der Moderne wieder sichtbar wird. Dabei kommt zum einen die Frage nach der historischen Verankerung föderativer Ordnungsmodelle wieder in den Blick. Diese treten uns in den Diskussionen über den Charakter und die Form der Nachfolgeorganisation für das Alte Reich zwischen 1813 und 1815 entgegen. Sie spielten aber ebenso bei der Ausgestaltung einer Bundeskriegsverfassung eine Rolle wie in den die Geschichte des Bundes zwischen 1830 und 1866 begleitenden Bundesreformdiskussionen. In der europäischen Revolutionszeit 1848/49 mit ihrer gescheiterten deutschen Nationalstaatsgründung trat die Frage nach der Organisationsform deutscher Staatlichkeit zwischen unitarischen und föderativen Staatsmodellen zudem in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Zum anderen wird deutlich, welchen Beitrag der Deutsche Bund für die innere Nationsbildung der Deutschen in vielen Bereichen geleistet hat, sei es bei der Rechtsangleichung, beim Urheberrecht, bei Maßen und Gewichten, bei der Erarbeitung eines deutschen Handelsgesetzbuches oder bei den Verteidigungseinrichtungen des Bundes. Trotz aller organisatorischer Schwächen und der bei den Bundesgliedern häufig zu beobachtenden Politik, Entscheidungen der Bundesversammlung auf verschiedenste Weise zu verzögern, war Frankfurt der zentrale «Beobachtungsturm für Mitteleuropa» (Alexander Malet) und dessen Informationsbörse. Hier schlug der Puls der Nation. Daher wurden von den Mitgliedstaaten meistens die besten Köpfe als Bundestagsgesandte und Bevollmächtigte Minister nach Frankfurt entsandt. Häufig trugen sie vorher oder auch nachher als Minister und Ministerpräsidenten in ihren Ländern Verantwortung. Bundestagsgesandter in Frankfurt war im Deutschen Bund der wichtigste und interessanteste zu vergebende diplomatische Posten. Das Agieren auf der nationalen Frankfurter Bühne, der Informationsaustausch untereinander, der über den amtlichen Rahmen hinausgehende persönliche Kontakt waren, anders als Bismarck es in seinen Briefen schilderte, wichtige Elemente der Zusammenarbeit beim Bund.

Zwar gelang es nicht, die «föderative Nation» in den Deutschen Bund zu integrieren. Doch war dies keineswegs zwangsläufig. Deutscher Bund und deutsche Nation hätten durchaus zueinanderfinden können. Es gab zahlreiche Versuche, durch eine Reform des Bundes und seiner Organe oder durch politische, rechtliche und wirtschaftliche Reformen die Nation stärker in den Deutschen Bund einzubinden und sie am politischen Entscheidungsprozess teilhaben zu lassen. Hierzu boten sich nicht allein die deutschen...

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