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E-Book

Der doppelgesichtige Tarot

und die enantiodrome Dynamik seiner verborgenen Seite

AutorNama Rupa
Verlagtao.de
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl512 Seiten
ISBN9783962403102
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Nach der transpersonalen Psychologie C. G. Jungs ist der Tarot ein synchronistisches System, das eine Korrespondenz zwischen unbekannten Regionen der Seele, der Umwelt und den Karten herstellt. Das vorliegende Werk bietet auf der Grundlage der Jungschen Psychologie Deutungen auf der psychologischen Ebene, als hermetisch-esoterischer Erkenntnisweg und zu divinatorischen Zwecken. Das revolutionär Neue am hier vorgestellten System ist die Möglichkeit, pro Karte vier verschiedene Aspekte auszudeuten, indem die Kartenrückseite mit berücksichtigt wird. Diese Deutungsweise berücksichtigt erstmals verborgen in der Karte liegende Aspekte, die aus der Dynamik der Enantiodromie entstehen, das heißt nach C. G. Jung: dem Umschlag eines Sachverhalts in sein Gegenteil. Das enantiodrome Tarot ergründet als einzige Weiterentwicklung des klassischen Tarot dieses bislang übersehene Universum weiterer Bedeutungen.

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Leseprobe

Teil 1: Theoretische Einführung

1. Entstehung und Bedeutung des Tarot

Ein Satz Tarotkarten besteht aus 78 Karten, die zwei sehr unterschiedliche Abteilungen bilden. 22 Karten werden seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts als „Große Arkana“ bezeichnet und 56 weitere Karten als „Kleine Arkana“. Beide Abteilungen haben historisch vermutlich unterschiedliche Ursprünge. Die 56 Kleinen Arkana ähneln den 52 Karten des französischen Skatblatts. Es gilt als erwiesen, dass beide Kartenspiele denselben Ursprung haben. Dieser liegt vermutlich irgendwo in Asien, denn von China, Persien, dem Mogulreich in Indien und den türkischen Mamelucken weiß man, dass sich dort irgendwann während unseres Mittelalters Kartenspiele (ungewiss ist, ob desselben Ursprungs) verbreiteten.1 Um 1370 war eine Form dieses Spiels, das uns nicht erhalten geblieben ist, mit vier Sätzen und drei männlichen Hofkarten in Europa angekommen. Bekannt ist dieser Prototyp der heutigen Spielkarten uns nur, weil uns gesetzliche Verbote dieses Zeitvertreibs aus verschiedenen Regionen Westeuropas überliefert sind. Es ist sicher, dass es sich hierbei um einen Import aus türkischen oder maurischen Gebieten handelt, denn seine damaligen Bezeichnungen, naibbe, naipe etc., lassen sich vom arabischen Wort naib („Stellvertreter“) ableiten. Offenbar gebrauchte man die Namen von zwei der drei männlichen Hofkarten des arabischen Spiels zur Bezeichnung des gesamten Spiels, denn diese hießen „Herrscher“, „Stellvertretender Herrscher“ und „Zweiter Stellvertreter“. Aus ihnen entstanden in Westeuropa die Hofkarten König, Ritter und Bube. Erst später wurde ihnen die Königin als weibliche Hofkarte hinzugefügt. Während das Tarot die neue Tradition von somit jetzt vier Hofkarten fortführte, verlor das Skatblatt den Ritter und schrumpfte so auf die ursprüngliche Zahl von 52 Karten zurück, bereichert um eine weibliche anstelle einer männlichen Figur. Nach allem, was wir wissen, dienten diese Karten zunächst nur dem Zweck der Unterhaltung und erst später, durch die Kartenleger des 17. und 18. Jahrhunderts, erhielten sie eine divinatorische Bedeutung.

Die 22 Großen Arkana scheinen eine gänzlich andere Herkunftsgeschichte aufzuweisen. Historisch sind sie erstmals unter dem Namen trionfi („Triumphe“ oder „Trümpfe“) im Norditalien des 15. Jahrhunderts belegt. Dieses Wort, von dem das deutsche Wort „Trumpf“ indirekt abstammt, könnte mindestens drei Ursprünge haben: Erstens gab es in der norditalienischen Renaissance den Brauch so genannter Triumphzüge, bei denen Kostümierte und bunt geschmückte Festwagen durch die Straßen zogen. Die „Trümpfe“ könnten Nachbildungen dieser Festwagen sein. Zweitens existiert ein gleichnamiges Gedicht des Renaissancedichters Petrarca, in dem dieser einen Triumphzug beschreibt, bei dem die jeweils niedrigere Kraft von der nachfolgenden, stärkeren überwunden wird – die Keuschheit die Liebe und der Tod alles Vorhergehende überwindet. So könnten die Trumpfkarten als Spiel mit einer Hierarchie von „Triumphen“ ihre Inspiration aus Petrarcas Allegorie bezogen haben.2 Drittens existiert ein Wahrsagebuch für die Technik des Würfelns, das um 1500 entstanden sein könnte und dessen Titel den „Triumph Fortunas“, der Glücksgöttin, verkündet. Möglicherweise gab es schon frühere Bücher dieser Art und sie bildeten eine Vorlage für die spätere Ausarbeitung von „Tr(i)umphkarten“ anstelle von Würfeln.3

1425 scheint der Maler Michelino da Besozzo das vielleicht erste derartige Spiel mit insgesamt 60 Karten erstellt zu haben, das aber 16 griechische Gottheiten und nicht die heute bekannten Motive der Großen Arkana zeigte und uns leider nicht erhalten geblieben ist. Die frühesten teilweise noch erhaltenen Sets der 78 Tarotkarten (italien. tarocchi) bzw. der darin enthaltenen trionfi stammen aus Mailand. Dabei handelt es sich um das ca. 1441 entstandene Visconti-Modrone-Tarot, das in der Yale-Bibliothek aufbewahrt wird (deshalb auch: Cary-Yale-Tarot genannt), von dem 11 Trumpfkarten erhalten sind, die im Unterschied zu anderen Versionen auch die drei theologischen Tugenden enthalten; das Brambilla-Tarot, das nur noch zwei Trumpfkarten enthält und um 1447 entstanden sein könnte; sowie das vermutlich wenig später, 1450 oder 1452, entstandene Deck der Mailänder Familien Visconti und Sforza, das oft kurz als Visconti-Tarot bezeichnet wird und von dem alle Trumpfkarten außer zweien (dem Teufel und dem Turm) erhalten sind. Um 1470 entstand vermutlich in der norditalienischen Stadt Ferrara ein anderes, heute in Paris aufbewahrtes, frühes Tarot-Deck, das der Ferrarischen Familie Este gehörte. Alle diese Kartensätze besitzen Ähnlichkeiten, aber auch charakteristische Unterschiede, so dass nicht von einem einheitlichen frühen Urtyp der Trumpfkarten gesprochen werden kann.

Interessanterweise stammen sechs der erhaltenen 20 Karten des Visconti-Decks nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht von demselben Künstler wie die übrigen Karten. Aufgrund schriftlicher Hinweise aus anderen Quellen der Zeit kann gefolgert werden, dass diese sechs Karten (sowie eine der beiden verlorenen) später ergänzt wurden und das ursprüngliche Set nur aus 14 Trumpfkarten bestand. Erst um 1500 ist die heutige Zahl von 22 Trumpfkarten sicher belegt, deren Motive und Reihenfolge (die Nummerierung auf den Karten selbst fehlte) gemäß einer Aufstellung aus dieser Zeit, von einigen Ausnahmen abgesehen, den späteren Tarotdecks entsprach.4 Nicht viel später als in Norditalien, vermutlich ebenfalls um das Jahr 1500, tauchten die Tarotkarten mit ihren Trümpfen im nicht weit entfernten Marseille auf. Wie diese Karten aussahen, können wir nicht wissen, denn leider ist uns diese ursprüngliche Marseiller Variante nicht erhalten geblieben. Allerdings kennen wir die von Nicolas Conver um 1760 geschaffenen Karten, die heute die ältesten aus der Marseiller Tradition darstellen. Falls Conver seine Abbildungen an ältere Vorbilder anlehnte und der frühe Marseiller Tarot bereits dieselben Bilder aufwies, dann haben sich die 22 Mailänder Trumpfkarten irgendwann zwischen 1500 und 1760 in Marseille zu komplexeren, symbolisch aufgeladeneren Bildern entwickelt. Denn es ist die Marseiller – nicht die Mailänder – Bildgestaltung der Trumpfkarten, die sich bis heute in vielen Gestaltungen fortsetzt und auch im aktuell am weitesten verbreiteten Tarotdeck weiter fortwirkt, dem so genannten Rider-Tarot (benannt nach seinem Verleger), das von der Künstlerin Pamela Smith und dem Okkultisten Arthur Edward Waite zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde.

Diese historische Abstammung der Tarotkarten widerspricht allerdings dem esoterischen Anspruch mancher Tarotfreunde, wonach die Karten ihren Ursprung im alten Ägypten oder in Indien hätten. Bereits einer der Pioniere der esoterischen Tarotinterpretation, Court de Gébelin (1719-84), behauptete, der Tarot sei das Produkt ägyptischer Priester, die in ihm der Nachwelt ihre Geheimlehren zu übermitteln trachteten. Das ist aber historisch nicht glaubhaft und überdies als Prädikat völlig unnötig, denn selbst wenn die Idee zum Tarot zunächst nur aus dem Interesse des Menschen am Spiel entstanden sein sollte und der Tarot als Spielkartenset nicht vor dem 15. Jahrhundert entstand, ist es möglich, dass die Bilderwelt der großen Arkana von Anfang an mit altem esoterischem Gedankengut verbunden wurde. Esoterisch heißt im Fall der großen Arkana hermetisch. Die spätantiken Lehren, die unter dem Namen des Hermes Trismegistos (deshalb „hermetisch“) zunächst in der Spätantike entstanden, waren im Italien der Renaissance gerade wiederentdeckt worden und erfreuten sich großer Beliebtheit in gebildeten Kreisen. Es ist geradezu zu erwarten, dass man die Bilder der Großen Arkana mit Motiven dieser in Mode gekommenen esoterischen Lehre verband.

Hermes Trismegistos (wörtlich: „der dreifach größte Hermes“) ist eine legendäre Gestalt, die eine Kombination des ägyptischen Gottes Thot und des griechischen Gottes Hermes bildet. Thot, Gott der Wissenschaft und Schreibkunst sowie Seelenführer, wurde schon im zweiten vorchristlichen Jahrhundert als „der dreimalgrößte“ („trismegistos“) angerufen. Die Griechen setzten ihn mit ihrem Gott Hermes gleich, dem Psychopompos, dem Seelenführer. Es war für die antiken Kulturen nichts Ungewöhnliches, die eigenen Gottheiten in den Göttern fremder Völker wiederzufinden. Der Alleinvertretungsanspruch, den der ägyptische Monotheismus des Sonnengottes und der israelitische Jahwe-Glaube einführten, war anderswo völlig unüblich. Zudem erkannten die Griechen Ägypten als das ältere, das magischere Kulturland an (so Platon im Timaios) und führten viele ihrer eigenen spirituellen Lehren auf ägyptische Ursprünge...

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