Sie sind hier
E-Book

Der Einfluss von Heimtieren auf die Entwicklung von Kindern, insbesondere auf den Erwerb emotionaler Kompetenzen

AutorSabine Mirring
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl117 Seiten
ISBN9783638039895
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Pädagogik - Allgemein, Note: 1,5, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 146 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: In welchen Lebenswelten, unter welchen Bedingungen müssen Kinder heute die 'Aufgaben des Großwerdens meistern'? Inwiefern können Tiere zu einem gesun-den Verlauf der Entwicklung von Kindern beitragen? Diesen Fragen wird in der vorliegenden Arbeit nachgegangen. Die Umfeldbedingungen und Anforderungen heutiger Kindheit unterscheiden sich massiv von denen vorangegangener Generationen. In Fachkreisen sind für die bedeutsamsten Modernisierungstendenzen von Kindheit und die damit verbundenen veränderten Entwicklungsbedingungen in den letzten Jahren verschiedene Begriffe geprägt worden, die zunächst einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden. In einer theoretischen Auseinandersetzung mit der Lebensphase Kindheit werden eingangs aus einer interdisziplinären und ressourcenorientierten Perspektive neuere Erkenntnisse der modernen Kindheitsforschung dargestellt. Es stellt sich die Frage, welchen protektiven Faktoren für eine gesunde Entwicklung von Kindern unter modernen Lebensbedingungen eine besondere Bedeutung zu-kommt: Welches 'Rüstzeug' benötigen Kinder in ihrer modernen Lebenswelt? Wie können Heimtiere dazu beitragen, kindliche Ressourcen zu stärken? Im zweiten Teil der Arbeit wird zunächst eine grundlegende Darstellung der kulturgeschichtlichen Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung vorgenommen. Dabei ist es unmöglich, alle Aspekte umfassend zu beschreiben, denn die Beziehung zwischen Menschen und Tieren gestaltet sich ähnlich facettenreich wie zwischenmenschliche Interaktionen: 'gesellig und freundschaftlich wie utilitaristisch und nutzungsorientiert, zugewandt und liebevoll wie feindselig und gewaltförmig, kooperativ und hilfreich wie konkurrent, belastend und schädigend' . Nachfolgend werden die wichtigsten Stationen der tiergestützten Pädagogik und Therapie nachgezeichnet.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

3. Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung


 

Der Mensch nimmt sich gerne aus der Gesamtheit der Lebewesen aus, möchte ein Aliud, ein Anderes sein; ein Nicht-Tier? Der Mensch hat sich früh vom Tier geschieden, sucht aber eh und je einerseits ebenso das Gleiche im Animalischen, wie das Unterschiedene, um sich seiner selbst zu vergewissern.[137]

 

Ob als Götterbild, Opfergabe, Mythen- und Fabelwesen, Lastenträger, Existenzgrundlage, Nahrungsmittel, Statussymbol oder treuer Begleiter des Menschen – stets spielte das Tier eine Rolle im Leben des Menschen.

 

Betrachtet man das heutige Verhältnis von Mensch und Tier, so zeigt sich ein paradoxes Bild: Die Ausrottung zahlreicher Tierarten schreitet stetig voran – gleichzeitig wird das Tier zunehmend als Partner des Menschen (und damit als Subjekt) gesehen, als Heimtier geschätzt und zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Einerseits steigt die Zahl der Tierhotels und -friedhöfe, auf der anderen Seite werden Tiere in grenzenloser industrieller Tierproduktion als ‚Ware’ bzw. in Tierversuchen als Objekte behandelt.[138] Greiffenhagen stellt angesichts dieser ambivalenten Beziehung die Frage: „Sind die Tiere für uns Sachen oder Genossen, nur nützlich oder unentbehrlich, von anderer oder von unserer Art?“[139]. Beeinflusst durch religiöse, philosophische und naturwissenschaftliche Vorstellungen wurden in verschiedenen kulturgeschichtlichen Phasen unterschiedliche Antworten formuliert, die im Folgenden überblickartig skizziert werden.

 

3.1 Historische Entwicklung


 

Greiffenhagen sieht die Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung eng verknüpft mit der wachsenden Entfremdung des Menschen von der Natur. Zu Zeiten der Jäger und Sammler sieht der Mensch sich selbst als Teil der Natur und spricht dem Tier eine ebenbürtige Stellung zu, es ist Gefährte und Nahrungsmittel zugleich. Auch eignen sich die Menschen über den Umgang mit Tieren Wissen über Umweltzusammenhänge an.[140] Der Psychologe Prof. Dr. Erhard Olbrich spricht von einem „respektvollen Miteinander von Spezies“[141] zu Beginn einer sozialen Mensch-Tier-Beziehung. Die Verhaltensforscherin Dr. Carola Otterstedt merkt an, dass man in vielen Kulturen das Tier nicht nur als dem Menschen gleichgestellt betrachtete. Vielmehr wurden – und werden in einigen Naturvölkern noch heute – Tiere als Brücke zwischen Menschen und Göttern verehrt, Tiertötungen mit Beschwörungs- und Entschuldigungsriten begleitet.

 

Man kann davon ausgehen, dass der Hund das älteste Haustier der Menschen ist (seit ca. 13000 - 7000 v. Chr.). Durch seine Funktion als Jagd- und Wachhund entwickelte sich eine enge emotionale Bindung zum Menschen.[142]

 

Einhergehend mit der Naturbeherrschung des Menschen (Domestikation, beginnende Viehzucht und Landwirtschaft) sowie aus religionsphilosophischer Sicht mit der Entwicklung zum Monotheismus (der Glaube an einen einzigen Gott entbehrt das Tier als göttlichen Vermittler) wandelt sich die vormals durch Respekt geprägte Beziehung zum Tier hin zu einer durch Dominanz und Ausbeutung bestimmte: „Die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Tier bewegt sich zwischen diesen beiden Polen: der Verwendung, der Kontrolle einerseits und der Sehnsucht nach dem ‚Bruder-Tier’, der Hingabe andererseits“[143].

 

Olbrich weist auf die Bedeutung der Sprachentwicklung des Menschen hin und sieht in ihr den entscheidenden Schritt in der Trennung von Mensch und Tier. Der Mensch kann im Unterschied zum Tier sich und seine Umwelt kognitiv repräsentieren, ihr Wissen instrumentell nutzen und an die nächste Generation weitergeben.

 

Und mit dieser Entwicklung gingen Menschen wohl ein Stück aus einer bislang selbstverständlichen und ganzheitlich gelebten Gemeinsamkeit mit ihrer nichtmenschlichen Umwelt heraus. Kognitive Kontrolle der Instinkte, Selbst- und Fremdbeherrschung, und nicht zuletzt Planung machten sowohl die Instrumentalisierung der Beziehung zum Tier als auch die Kontrolle über die zu ihm gefühlte (empathische) Verbundenheit möglich.[144]

 

In der jüdisch-christlichen Religion wird dem Menschen im Alten Testament eine beherrschende Sonderstellung gegenüber der Natur und den Tieren zugesprochen, die maßgeblich zur Entwicklung einer strengen Mensch-Tier-Trennung beitrug.[145] In der griechischen Kultur der Antike besteht ein ambivalentes Verhältnis zum Tier – es symbolisiert gute und schlechte Eigenschaften des Menschen. In der platonischen Lehre zur Mensch-Tier-Beziehung werden Mensch und Tier anhand der Kriterien „Sprache, Verstand, aufrechter Gang und Religionssinn“[146] unterschieden. Aristoteles nimmt an, dass Tiere durch eine gewisse geistige Wahrnehmungsfähigkeit eine der unteren „Erkenntnisstufen“[147] erreichen können. Diese These beinhaltet die Vorstellung von einer kontinuierlichen Stufenfolge aller Lebensformen und legitimiert die untergeordnete Stellung des Tieres. Der Historiker Lorenz kommentiert die Folgen der Mensch-Tier-Beziehung der Antike:

 

Als griechische Philosophen eine strenge Trennungslinie zwischen Mensch und Tier suchten und im Rahmen solchen Denkens das Instinktverhalten entdeckten, zogen sie daraus die Konsequenz, dass es keine ethische Verpflichtung des Menschen gegenüber dem Tier geben könne.[148]

 

Im Mittelalter findet eine Dämonisierung von Tieren statt, unerwünschtes menschliches Verhalten wird dem Bösen zugesprochen und als ‚animalisch’ bezeichnet. Gleichzeitig grenzt sich das Christentum auf diese Weise von anderen Religionen ab, in denen Tiere geopfert oder angebetet werden.[149] Zu Beginn der Neuzeit ist weiterhin die Sonderstellung des Menschen gegenüber der Natur charakteristisch für die Beziehung zum Tier. Der Gegensatz von Geistigem und Triebhaftem verstärkt sich: „Im Rahmen der Konstruktion des humanistischen Menschenbildes auf der Negativfolie des Animalistischen galten Tiere als ver-standeslose Triebwesen und Objekte menschlicher Verfügungszwecke“[150]. Der französische Schriftsteller Michel de Montaigne (1533-1592) weist jedoch bereits zur Zeit der Renaissance auf Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation zwischen Mensch und Tier – und damit auf eine soziale Mensch-Tier-Beziehung hin. Im 16. Jahrhundert äußert sich die Abgrenzung des Menschen vom Tier durch die Annahme, das Tier besäße keine Seele. René Descartes vergleicht Tiere mit Maschinen und spricht ihnen jegliche Art von Verstand, Sprache und Bewusstsein sowie die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden, ab. Hierdurch wird auch das Leid von Tieren in der Tierproduktion oder naturwissenschaftlichen Tierversuchen legitimiert.[151]

 

In der Zeit der Aufklärung entsteht durch die Vorrangstellung der Vernunft eine neue Qualität der Mensch-Tier-Beziehung. Die zentrale Annahme lautet, der Mensch habe sich durch seine Vernunft schon immer vom Tier unterschieden. Kant sieht im Tier ein vernunftloses Wesen, menschliche Verpflichtungen aber gibt es für ihn nur gegenüber vernunftbegabten Wesen. Rousseau hingegen stellt im Bereich der sensitiven Wahrnehmung Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier fest, aus denen menschliche Verpflichtungen gegenüber Tieren folgen – erstmals werden Tierrechte thematisiert. Der Umgang des Menschen mit dem Tier wird nun nicht mehr ausschließlich durch das Primat der Vernunft und des Geistes bestimmt, sondern orientiert sich auch an dem Empfindungsvermögen der Tiere. Das Wissen um sensitive Wahrnehmungen von Tieren setzt sich jedoch nur langsam durch, die Entfremdung des Menschen von der Natur und die damit einhergehende Abgrenzung vom Tier schreiten im historischen Verlauf fort.

 

Otterstedt benennt eine weitere kulturhistorische Station, die für die Mensch-Tier-Beziehung prägend ist, wenn sie von dem „Verlust einer Du-Beziehung mit der Industrialisierung[152] spricht. Im Zuge der Veränderung von Arbeitsprozessen durch den Einsatz von Maschinen in der Landwirtschaft wandelt sich das „Nutzungsprofil“[153] der Tiere. Es entstehen Mastbetriebe, nicht mehr die Tierhaltung, sondern die Tierproduktion steht im Vordergrund. Diese Entwicklung der vormaligen Du-Beziehung von Mensch und Tier hin zu einer Es-Beziehung zeigt sich darin, dass Tiere bis 1989 rechtlich als Sache gelten.[154] Im Zuge des Einsatzes zahlloser sozialer Gruppen für Tierrechte sowie einer fortdauernden philosophischen Auseinandersetzung mit tierethischen Themen ist ab 1990 in § 90a BGB nachzulesen, dass Tiere keine Sachen sind. Jedoch „sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist“[155]. Am 26. Juli 2002 wird der Tierschutz im Grundgesetz, § 20a verankert:

 

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.[156]

 

Die biologische Abgrenzung des...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Pädagogik - Erziehungswissenschaft

Weitere Zeitschriften

Archiv und Wirtschaft

Archiv und Wirtschaft

"Archiv und Wirtschaft" ist die viermal jährlich erscheinende Verbandszeitschrift der Vereinigung der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare e. V. (VdW), in der seit 1967 rund 2.500 ...

Ärzte Zeitung

Ärzte Zeitung

Zielgruppe:  Niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten. Charakteristik:  Die Ärzte Zeitung liefert 3 x pro Woche bundesweit an niedergelassene Mediziner ...

Atalanta

Atalanta

Atalanta ist die Zeitschrift der Deutschen Forschungszentrale für Schmetterlingswanderung. Im Atalanta-Magazin werden Themen behandelt wie Wanderfalterforschung, Systematik, Taxonomie und Ökologie. ...

Bibel für heute

Bibel für heute

BIBEL FÜR HEUTE ist die Bibellese für alle, die die tägliche Routine durchbrechen wollen: Um sich intensiver mit einem Bibeltext zu beschäftigen. Um beim Bibel lesen Einblicke in Gottes ...

BONSAI ART

BONSAI ART

Auflagenstärkste deutschsprachige Bonsai-Zeitschrift, basierend auf den renommiertesten Bonsai-Zeitschriften Japans mit vielen Beiträgen europäischer Gestalter. Wertvolle Informationen für ...

Correo

Correo

 La Revista de Bayer CropScience para la Agricultura ModernaPflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und am Thema Interessierten mit umfassender ...

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler ist das monatliche Wirtschafts- und Mitgliedermagazin des Bundes der Steuerzahler und erreicht mit fast 230.000 Abonnenten einen weitesten Leserkreis von 1 ...

DHS

DHS

Die Flugzeuge der NVA Neben unser F-40 Reihe, soll mit der DHS die Geschichte der "anderen" deutschen Luftwaffe, den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee (NVA-LSK) der ehemaligen DDR ...

DULV info

DULV info

UL-Technik, UL-Flugbetrieb, Luftrecht, Reiseberichte, Verbandsinte. Der Deutsche Ultraleichtflugverband e. V. - oder kurz DULV - wurde 1982 von ein paar Enthusiasten gegründet. Wegen der hohen ...