Der Begriff Recruitment wird vom BusinessDictionary wie folgt definiert:
„The process of finding and hiring the best-qualified candidate (from within or outside of an organization) for a job opening, in a timely and cost effective manner.“[1]
Das Recruiting, als Teilaufgabe des Personalmanagements, beschäftigt sich demnach mit dem Prozess der Personalbeschaffung, mit dem Ziel benötigte Personalressourcen zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Menge und der richtigen Qualität bereitzustellen.
Das Recruiting ist ein mehrstufiger Prozess, zu dem neben der eigentlichen Personalbeschaffung vor- und nachgelagerte Tätigkeiten gehören. Speziell große Unternehmen mit einer Vielzahl an Bewerbungen sehen sich mit der Herausforderung konfrontiert, in angemessener Zeit und unter vertretbaren Kosten die geeignetsten KandidatInnen für die vakanten Positionen zu identifizieren, zu begeistern und einzustellen. Eine große Gefahr hierbei ist die Einstellung von nicht geeigneten Personen. Die Eignung einer Person, ein bestimmtes Stellenprofil ausfüllen zu können, hängt dabei von mehreren Faktoren ab. Neben der fachlichen Qualifikation und den Persönlichkeitsmerkmalen spielen auch die geweckten Erwartungen der BewerberInnen hinsichtlich der Jobbeschreibung eine große Rolle. Stellt sich eine neue berufliche Aufgabe anders dar, als vom Unternehmen ursprünglich geschildert, führt das zu Unzufriedenheit, geringerer Motivation und in vielen Fällen auch zur Auflösung des Dienstverhältnisses. Einer Studie von careerbuilder.com aus dem Jahr 2012 zufolge verursachen Fehlbesetzungen Kosten in Höhe von bis zu einem Jahresbruttogehalts. Zu den verursachten Kosten zählen neben den monetären Aufwendungen zur Personalbeschaffung auch reduzierte Produktivität und die Zeit, die bis zum Eingeständnis der Fehlbesetzung verstreicht.[2]
Um diesem Problem zu begegnen und die Personalauswahl treffsicherer gestalten zu können, haben sich in der Vergangenheit neben der Durchführung von strukturierten und unstrukturierten Interviews zahlreiche eignungsdiagnostische Vorgehensweisen – wie Persönlichkeits- und Leistungstests oder Assessment Center – verbreitet, die die Qualität der Personalauswahl optimieren sollen. Die angebotenen Verfahren und Tests sollen demnach charakteristische Eigenschaften und zukünftige Verhaltensweisen der potentiellen BewerberInnen frühzeitig aufdecken, die in persönlichen Bewerbungsgesprächen nur schwer oder überhaupt nicht erkennbar sind. Die Schwächen dieser Testverfahren, wie z.B. Manipulierbarkeit, Durchschaubarkeit und eintretende Lerneffekte,[3] sollen durch einen spielerischen Ansatz beseitigt werden können.
„If you would read a man’s disposition, see him game.
You will then learn more of him in one hour than in seven years’ conversation.“[4]
Richard Lindgard deutete bereits 1907 das große Potenzial von Spielen hinsichtlich Verhaltens- und Persönlichkeitsanalysen an. Beruhend auf der These von Richard Lindgard wurden in den letzten Jahren zahlreiche Spiele entlang des gesamten Recruiting-Prozesses entwickelt. Die Spiele reichen von rein informativen Aufgabensimulationen zur Verbesserung der Selbstselektion der BewerberInnen und als Teil der Employer Branding Maßnahmen, über berufstypische Simulationsspiele zur Bewertung von Arbeitsproben bis hin zu Spielen, die keinen Bezug zum Unternehmen oder der Tätigkeit aufweisen, allerdings Aufschluss über Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltenstendenzen geben sollen.
Computerspiele zählen heutzutage zu den gängigsten Freizeitaktivitäten der Menschen in der westlichen Welt. Das erste bekannte Videotennis-Spiel Pong des Atari-Gründers Nolan Bugshnell kam 1972 auf den Markt.[5] Seither wuchsen bereits mehrere Generationen mit Computerspielen auf und sind somit gut im Umgang mit derartigen Spielen vertraut. Wie eine GfK-Studie aus dem Jahr 2014 deutlich zeigt, ist das Spielen von Computerspielen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Beruf, etc. - in der gesamten Gesellschaft verbreitet. Demnach sind knapp 34 % der Gamer Frauen und mehr als 36 % sind 40 Jahre oder älter. Interessanterweise entfällt mit 47 % der größte Anteil der Gamer sogar auf die Gruppe der voll berufstätigen Personen (siehe Abb. 1). Diese Entwicklung scheint sich auch künftig fortzusetzen. Laut den Marktzahlen für 2014 des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware ist der Markt für digitale Spiele im ersten Halbjahr 2014 erneut um 6 % gewachsen.[6]
Abbildung 1: Soziodemographische Merkmale von Computerspielern in Deutschland 2011[7]
Recruiting-Spiele fallen in den Bereich von Serious Games, welche sich im Zuge der Verbreitung des Trendthemas Gamification immer größerer Beliebtheit erfreuen. Dabei geht es um die Einbettung von Spielen und Spielemechanismen in einen Kontext, der nichts mit einem Spiel gemein hat. Folglich liegt der Zweck auch nicht in der Unterhaltung, wie man vielleicht beim Stichwort „Spiel“ erwarten würde. Stattdessen werden reale Prozesse und Aufgaben aus dem täglichen Leben (z.B. Arbeitsleben) in Form einer Simulation nachgebildet und dadurch versucht Wissen zu vermitteln oder Probleme zu lösen. Am häufigsten werden Serious Games in den Bereichen Bildung, Training und Werbung eingesetzt[8], jedoch findet man solche Spiele auch immer öfter im Bereich Innovation und im Recruiting wieder. Diercks und Kupka (2014) haben für den Einsatz im Recruiting den Begriff „Recrutainment“ als Teilbereich von Gamification genauer beschrieben.[9] Dabei unterscheiden sie spielerische Ansätze im Bereich von Self-Assessments und E-Assessments. Während Self-Assessments der Selbstselektion von BewerberInnen in Form von Jobsimulationen oder eignungsdiagnostischen Selbsttests dienen, unterstützen E-Assessments die HR-Verantwortlichen dabei, die geeignetsten KandidatInnen für die offenen Positionen auszuwählen (Fremdselektion). Diese Auswahl basiert in der Regel auf der festgestellten kognitiven Leistungsfähigkeit sowie simulativ erhobener Arbeitsproben (Analysieren von Tabellen, Vorbereiten von Präsentationen, Überprüfen und Gegenlesen von Texten, Bearbeiten von Diagrammen, etc.) der BewerberInnen.[10]
Der Spielebegriff (siehe Abbildung 2), der in dieser Arbeit im Fokus steht, umfasst neben Simulationen zum Self- und E-Assessment auch nicht-berufsbezogene Spiele, die auf Basis des konkreten Verhaltens einer Person in der Spielsituation Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltenstendenzen zulassen (s.g. „Gamified Assessment“[11]). Während Simulationen zum Self- und E-Assessment im Sinne des Begriffs Recrutainment bereits weiter verbreitet sind, stecken Spiele zur Persönlichkeitsbeurteilung, wie jene des kalifornischen Unternehmens Knack Games, erst in den Kinderschuhen und müssen den Beweis, ein taugliches Instrument in der Personalauswahl zu sein, erst antreten. Recrutainment-Experte Joachim Diercks weist in seinem Blog-Artikel auf die nicht offengelegte wissenschaftliche Fundierung dieser Spiele hin.[12]
Abbildung 2: Umfang des Spielebegriffs in dieser Arbeit
Wie bereits weiter oben beschrieben stellt die Verwendung von Recruiting-Games entlang des gesamten Recruiting-Prozesses – beginnend bei der Kandidatenansprache bis hin zur Kandidatenauswahl – eine weitere Möglichkeit dar, den Auswahlprozess zu optimieren und die Anzahl von Fehlbesetzungen auf ein Minimum zu reduzieren.
Ziel dieser Arbeit ist es, auf Basis der Nutzenpotenziale und unter Berücksichtigung von Risikofaktoren, mögliche Einsatzszenarien und Anwendungsgebiete von Recruiting-Games zu identifizieren. Dabei werden frei zugängliche Spiel-Simulationen von bekannten europäischen Unternehmen qualitativ analysiert und Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede herausgearbeitet.
Daraus werden Handlungsempfehlungen abgeleitet, anhand derer Unternehmen die Entscheidung für oder gegen die Implementierung von Recruiting-Games in den Personalbeschaffungsprozess treffen können.
Abschließend sollen für diesen noch eher jungen Themenbereich Forschungslücken aufgedeckt werden. Dabei wird durch Literaturanalyse ermittelt, welche Merkmale von gängigen Persönlichkeitstests erhoben werden. Diese Informationen sollen als Basis für zukünftige Forschungsansätze dienen, Spiele aus dem Bereich „Gamified Assessment“ auf ihre wissenschaftliche Fundierung hin zu analysieren.
Aus dieser Zielsetzung ergibt sich folgende Forschungsfrage mit zwei Unterfragen:
Forschungsfrage: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es bei aktuellen...