Einleitung
Will man die Konflikte unserer Zeit verstehen, schiebe man am besten vor das innere Auge der Betrachtung eine Linse, die sich Ölmarkt nennt. Bündnisse und Kriege werden sich im Lichte dieser Linse neu brechen. Um die Achse des Erdöls dreht sich aber nicht nur die Politik, sondern vor allem die Weltwirtschaft. Kaum ein wirtschaftliches Ereignis wird so aufmerksam verfolgt wie die Festlegung der Ölförderquote durch die OPEC. Dabei ist dieser Hebel der einst mächtigeren Förderstaaten relativ stumpf geworden. Denn viele andere Faktoren mischen bei der Preisbildung mit. Krisenprämien, Wetterkapriolen und die hohe Besteuerung der Mineralölprodukte bestimmen neben Angebot und Nachfrage das Preisniveau, das sich vor allem durch eines auszeichnet: seine Volatilität.
So lag etwa Anfang 1999 der Preis für ein Fass Erdöl bei knapp 12 US-Dollar. An einer Produktionsdrosselung und einem damit verbundenen Preisanstieg hatten damals alle ein Interesse. Die Förderstaaten der OPEC ebenso wie jene außerhalb des Kartells, allen voran Russland und Norwegen, die kaum mehr ihre Produktionskosten abdecken konnten. Die USA wollten höhere Preise um der Konzerne willen, aber ebenso aus Sorge um ihre Verbündeten im Golf, deren Regierungen infolge des Preisverfalls seit 1985 in einer Schuldenkrise versanken und instabil wurden. Als ich im Frühjahr 2005 am Entwurf für dieses Buch arbeitete, lag der Preis bereits bei über 40 US-Dollar pro Fass, der dann Ende August die 70 Dollar-Grenze kurz durchbrach. Bei der Vorlage des Manuskripts waren es 57 Dollar pro Fass. Der Preis übersprang die 100 Dollar-Marke Anfang 2008, da die Nachfrage der asiatischen Schwellenländer wächst und der US-Dollar stark an Wert verloren hat? Werden wir in den kommenden Jahren infolge sinkender Nachfrage aufgrund weltweiter Rezession und neuer Förder- und Raffineriekapazitäten einen Preisverfall erleben? Oder dreht sich die Preisspirale wegen verkapptem Angebot und Kriegsgründen nach oben? Beide Entwicklungen sind denkbar. Das Buch kann nur die möglichen Rahmenbedingungen und tiefer liegenden Ursachen aufzeigen, warum es in die eine oder andere Richtung gehen könnte.
Es war und ist ein Hasardspiel, die Erdölpreise prognostizieren zu wollen. Dies gilt analog für die Preisentwicklung des attraktiver werdenden Erdgases. Erdöl wird immer mehr zur Leitenergie, an der sich die Preisgestaltung anderer Energien orientiert. Erdöl ist aber anders als Kaffee oder Zucker kein normaler Rohstoff, sondern ein strategischer Energieträger, in dessen Namen über Krieg und Frieden entschieden wird. Um die Entwicklung dieses für die Weltwirtschaft so wichtigen fossilen Energieträgers besser zu verstehen, hilft eine Betrachtung, die politische und historische Zusammenhänge einbezieht.
Geopolitik, Psychologie und Spekulation mischen auf diesem Energiemarkt ebenso mit wie die Naturgesetze der Preisbildung, nämlich Angebot und Nachfrage. Nicht eine willkürliche, politisch bedingte Verknappung des Angebots, wie dies während der Ölkrisen 1973 und 1979 jeweils der Fall war, sondern eine rasant gestiegene Nachfrage, vor allem seitens der rasch wachsenden Schwellenländer China und Indien, verursacht die Preiskrise auf Raten, die seit Anfang 2004 die Märkte beherrscht. Geopolitische Unsicherheiten mischen jedoch immer wieder mit. Welchen Umfang die Spekulation hat, ist umstritten. Doch Termigeschäfte im Rohstoffsektor spielen eine Rolle, wie nun auch die Preisspirale der Nahrungsmittel zeigt.
Zeigten sich anfänglich noch viele Volkswirte von diesen Preissprüngen unbeeindruckt, so wurden die Finanzminister bei ihren Jahrestreffen im Rahmen des Weltwährungsfonds (IWF) seit dem Frühjahr 2004 immer unruhiger. Die gestiegenen Energiepreise wirken inflationstreibend, dämpfen eine ohnehin schwache Nachfrage nach Konsumgütern und drücken auf die Konjunktur insgesamt. Seit Ende 2003 hat sich der Weltmarktpreis von einem Jahresdurchschnittspreis von damals 25 Dollar pro Fass vervierfacht. Ganz so leicht können die Verbraucher diese Preissprünge nicht mehr absorbieren. Jede Kartoffel wird transportiert, wofür Energie, sprich vor allem Treibstoff, benötigt wird. Die Auswirkungen auf die Inflation wurden seit Sommer 2007 immer deulicher. Wenn auch seit den Krisen von 1973 und 1979 die Energieeffizienz in der industriellen Produktion gewachsen ist, so erhöhte sich dennoch zugleich die Importabhängigkeit vom Erdöl, denn der Verbrauch im Transportsektor ist stark gewachsen. Wie verwundbar mächtige Industrienationen sind, wenn ihnen ein Hurrikan Ölplattformen wegbläst oder eine Miliz Terminals in Westafrika lahm legt, zeigte sich im Sommer 2005 in aller Deutlichkeit.
Ähnlich wie schon vor 30 Jahren wird der Ruf nach alternativen Energieträgern, nach mehr Diversifizierung und Energieverzicht laut. Selbst der aus der texanischen Ölbranche kommende US-Präsident George W. Bush rief seine Landsleute im September 2005 zum Energiesparen auf. Ein solcher Appell lässt auf eine tiefer liegende Energiekrise und damit verbundene wirtschaftliche Probleme schließen, die uns alle in den kommenden Jahren noch heftig beschäftigen werden. Die spürbaren Auswirkungen eines fortschreitenden Klimawandels veranlassen nicht nur Ökologen, sondern insbesondere auch die Versicherungsbranche, eine massive Reduzierung der Emissionen einzufordern und entsprechend Druck auf die Politik auszuüben. Der Energiemix müsse neu gestaltet werden, haben einzelne Regierungschefs klar bekundet. Ähnliches fordert die Internationale Energieagentur (IEA), welche die Energiepolitik von 27 Staaten koordiniert. Die Rückkehr der Nuklearenergie mit der neuen Generation sicherer Anlagen – aber ohne Lösung für die Endlagerung des Atommülls – ist ebenso bemerkenswert wie die kommerzielle Expansion der erneuerbaren Energien, die für Investoren als Kapitalanlage immer attraktiver werden.
Wir befinden uns zweifellos in einer Umbruchphase, in der das Erdgas als eine Transformationsenergie aufgrund seiner geringeren Emissionswerte weiterhin Erdöl substituieren wird. Besonders deutliche Auswirkungen hat das hohe Ölpreisniveau bereits auf den Transportsektor und betrifft die Automobilindustrie und die Luftfahrt gleichermaßen. Forschung und Entwicklung neuer energiesparender Antriebstechniken haben von Asien ausgehend auch die westlichen Konzerne erreicht.
Weiter stark verändern werden sich die Erdölkonzerne, die sich immer mehr in Energiekonzerne verwandeln. Neben der Förderung und Verarbeitung von Erdöl und Erdgas setzen sie auf andere Energieformen, darunter auch erneuerbare Energien. Die aktuell hohen Profite könnten die Konzerne neben der Erschließung neuer Erdöl- und Erdgasfelder, auch zum dringend notwendigen Bau von Raffinerien motivieren, denn es mangelt vor allem an Erdölprodukten und weniger an Rohöl. Ebenso zeichnen sich verstärkt Investitionen jenseits des traditionellen fossilen Sektors ab. Doch verunsichert sind gegenwärtig sowohl die Regierungen in den wichtigen Förderstaaten, als auch die Entscheidungsträger in den internationalen Erdölkonzernen. Keiner weiß so recht, in welche Richtung sich die Weltwirtschaft, die Energiepolitik und damit die Preise für Erdöl und Erdgas entwickeln.
Wollen Investoren die Unwägbarkeiten des Energiegeschäfts besser einschätzen, so wird ihnen dieses Buch eine Orientierungshilfe bieten. Dazu ist es unerlässlich, die wichtigsten Faktoren für die Preisbildung auf dem Weltmarkt unter die Lupe zu nehmen, insbesondere, da sich das Erdölund Erdgasgeschäft aktuell durch politische Umwälzungen und technische Entwicklungen im Bereich Erdgas und erneuerbarer Energien sowie den Handel mit Emissionszertifikaten in einer Phase der Neuorientierung befindet. Ziel dieses Buches ist, ein wenig Übersicht in das Chaos der globalen Erdöl- und Erdgaspolitik zu bringen.
Diese Umbruchphase stellt Investoren vor schwierige Herausforderungen. In der Branche der Investmentbanken, die im Energiegeschäft tätig sind, lassen sich spekulativ binnen Stunden Gewinne oder Verluste machen, doch auf dem Sektor der Infrastruktur benötigen alle Beteiligten einen langen Atem und den „Riecher“, um auf das richtige Pferd zu setzen. Die Brisanz dieser Problematik zeigt sich schon in den widersprüchlichen Daten über Erdöl- und Erdgasreserven. Die Analyse wesentlicher geopolitischer und wirtschaftlicher Faktoren soll daher ein wichtiges Hilfsmittel für Investitionsentscheidungen bieten.
„Oil makes and breaks nations“ – so umreißt man in der Ölbranche gerne die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dies gilt wohl auch für unser noch junges 21. Jahrhundert: Die Besetzung des Irak, des Landes mit den zweitgrößten Erdölreserven der Welt im April 2003, die Neugestaltung der Regime im Kaukasus entlang strategisch wichtiger Pipelines vom Kaspischen Meer bis zum Mittelmeer und das Venezuela gewidmete Augenmerk sind Fixpunkte der US-Außenpolitik. Analog betreiben China und die Russische Föderation Diplomatie im Namen des Erdöls. Die Russen bieten ihres an, die Chinesen kaufen Reserven vom Sudan bis in den Iran, um die starke Nachfrage zu befriedigen. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Region findet ein Wettlauf um Zugang zu Ölquellen, Verlegung von Pipelines und Allianzen statt. Der Begriff des „great game“ prägte solche diplomatischen und militärischen Planungen und Aktionen schon in den 1920er Jahren. Jüngst kam er angesichts der Umwerbung zentralasiatischer Ressourcen, Erdöl und Erdgas, wieder in Verwendung.
Politik und Markt sind bei den fossilen Energien Erdöl und Erdgas eng verquickt. Die Gesetze von Angebot und Nachfrage greifen nur langfristig. Kurz- und mittelfristig bestimmt die Politik den Preis. Denn Erdöl ist ein strategischer Rohstoff, in dessen Namen Kriege geführt wurden und werden. Das illustrierte bereits...