In der Bundesrepublik leben heute wahrscheinlich mehr als 500 000 Frauen, die eine Behandlung wegen Brustkrebs überlebt haben. Das liegt daran, dass die Fünf-Jahres-Heilungsraten mit 70-80 % aller Fälle relativ hoch sind. Jährlich kommen zwischen 52 und 55 000 (zweiundfünfzig- und fünfundfünfzigtausend) neue Erkrankungsfälle hinzu, neuerdings steigt die Zahl der Neuerkrankungen angeblich nicht mehr an (vgl. Jänicke 2004, Katalinic et al. 2006, NN Heft 25 des Robert Koch Institutes/Statistisches Bundesamt Mai 2005).
Frau Wagemann argumentiert mit veralteten Zahlen und gibt 46 000 neue Brustkrebsfälle pro Jahr an. Sie vermittelt der interessierten Leserin außerdem ein Wissen über Genetik, das die Sicherheit suchenden Frauen auf den Standard des Augustinermönchs Gregor Johann Mendel (1822-1884, Versuche über Pflanzenhybriden) festhalten will. Er hatte als erster Regeln aufgestellt, nach denen erbliche Merkmale wie etwa Farbe oder Blütenform der von ihm untersuchten Erbsen von einer zur nächsten Generation weitergegeben werden.
Der Angstpegel vor dieser Erkrankung ist unter den Frauen der Industrieländer sehr hoch. Er wird auch bewusst manipulativ hoch gehalten z.B. durch Statements wie „Jede 10. Frau erkrankt an Brustkrebs“ (in den USA „hold the line at one of nine“, sorgt dafür, dass nicht noch mehr Frauen an Brustkrebs erkranken).
Diese Aussagen sind eine Täuschung. Statistiker berechnen die so genannte kumulierte Wahrscheinlichkeit für ein weibliches Neugeborenes bis zu einem bestimmten Alter an Brustkrebs zu erkranken unter der Annahme, vor Erreichen dieses Alters nicht an einer anderen Erkrankung verstorben zu sein. So legt (Frau) Mühlhausen (2001) dar, dass bei Frauen, die gerade das 50ste Lebensjahr erreichten, 1 von 40 (vierzig) in den nächsten zehn Jahren an Brustkrebs erkranken wird und nur 1 von 122 (einhundertundzweiundzwangzig) daran stirbt. Allein für Frauen, die das 80ste Lebensjahr erleben (80-85-jährige) gilt: 1 (eine) von 10 (zehn) erkrankt an Brustkrebs!
Zu kumulierte Wahrscheinlichkeit vgl. auch Gigerenzer, Direktor am Max Planck Institut für Bildungsforschung Berlin, 2002, von dem z.B. der Kernsatz stammt „Wenn man mündige Bürger haben will, muss man ihnen drei Dinge beibringen: Lesen, Schreiben und – statistisches Denken!
Nehme ich die Wahrscheinlichkeit dieser Kunstzahl (der 80-85-jährigen bzw. ihrer kumulativen Wahrscheinlichkeit zu erkranken von Statistikern für Versicherungen z.B. ermittelt) als reales Argument, so bedrohe ich gesunde Frauen, ängstige sie und erzwinge damit u.U. ein bestimmtes Verhalten wie z.B. die Teilnahme an präventiven Brustkrebsfrüherkennungsprogrammen.
Etwa seit 1986 kam die Hypothese auf, Brustkrebs können bei einem (kleinen) Teil der Patientinnen erblich sein. Ein „molekulares Mammogramm“ schien der Fortschritt zu sein (Batt, 1994, pg. 169). Ich denke, man muss heute Leserinnen und verängstigten Frauen auch sagen, was ist ein Gen und wie funktioniert es, wenn man von einer möglichen erblichen Bedingtheit der Brustkrebserkrankung spricht.
Für die Ausprägung der genetischen Information ist einmal der Text der DNS-Sequenz verantwortlich. Eine Änderung dieses Textes nennen wir Mutation. Viel wichtiger aber ist das Zusammenspiel der Gene mit der Umwelt des Zytoplasmas der Zelle, das selbst umweltabhängig ist (Klima, Nahrung, Psyche z.B., vgl. Bahnsen 2006, pg. 34-35). Gene unterliegen einem ständigen Wechsel zwischen einem aktiven und inaktiven Zustand. Sie werden an- und abgeschaltet. Diese Abläufe heißen GENREGULATION. Das Wissen darüber wird in der Diskussion über die genetische Entstehung von Krankheiten bzw. das Aufrechterhalten von Gesundheit meist völlig ausgeblendet.
In kaum einem anderen Gebiet der Geistesgeschichte der Menschheit sind so viele Nobelpreise verliehen worden wie auf dem Gebiet der Genforschung. Speziell zur Genregulation haben drei Forscherpersönlichkeiten bzw. – gruppen den Nobelpreis erhalten: Barbara McClintock, USA, erhielt 1983 mit 81 (!) Jahren den Nobelpreis für ihre Arbeiten zur Genregulation an Maiskolben. James D. Watson (USA) und Francis H.C. Crick (Brite) bekamen 1962 den Nobelpreis für das Knacken des genetischen Kodes (Doppelhelixstruktur der Desoxyribonuleinsäure/DNS). Und schließlich konnten sich die beiden Franzosen Francis Jacob und James Monod 1965 über den Nobelpreis für ihr Genregulationsmodell (Jacob-Monod-Modell der Genregulation) freuen. In ihrer als preiswürdig anerkannten wissenschaftlichen Arbeit hatten sie durch ein angebliches Versehen Babara McClintocks Untersuchungsergebnisse nicht zitiert.
Im Folgenden wird versucht, die wichtigsten Forschungsergebnisse der Genetik bzw. der Genregulation übersichtsartig darzustellen. Dabei werden weitere Nobelpreisträger benannt. Daraus können Sie sehen, für wie wichtig dieses Forschungsgebiet bewertet wurde. Schließlich gewinnen Sie nach der Lektüre auch eine Vorstellung davon, wie überaus vorsichtig man(n) (Frau) sein muss, ehe Sie zustimmen, sich vorbeugend eine oder beide gesunde Brustdrüsen und/oder die Eierstöcke entfernen zu lassen, sollte bei Ihnen ein Brustkrebsgen gefunden worden sein. Brustkrebs ist eben kein alleiniges biomedizinisches Problem sondern hat sehr viel mehr mit der Umwelt – das ist unsere Lebensweise, die Art der Kindererziehung und unser Konfliktlösungsverhalten – zu tun. Gerade das soll wahrscheinlich tabuisiert werden.
Mendels eigentliche Entdeckung seiner Kreuzungsexperimente mit Erbsensamen war, Vererbung geht partikulär vor sich, im Inneren der Zellen gibt es winzige Partikel, die das äußere Erscheinungsbild der Pflanze bestimmen (Gene sagen wir heute). Er fand bestimmte Zahlenverhältnisse für das Auftreten und die Kombination genetischer Merkmale und stellte die Theorie auf, dass Keimzellen nur jeweils die Kopie eines Gens tragen, wohingegen Körperzellen beide enthalten (haploider und diploider Chromosomensatz heutige Bezeichnung).
Chromosomen waren aber 1866 noch gar nicht entdeckt und der Vorgang der Befruchtung war ebenfalls noch unerforscht. Vielleicht wurden Mendels Arbeiten deshalb erstmal vergessen (Mendel nach Fischer 1997, pg. 43 ff.). 1868 isolierte Friedrich Miescher (Schweizer) aus Leukozytenzellkernen eine neue Substanz, der er den Namen Nukleinsäure gab (von lat. Nucleus = der Kern). Trotz langsamer Entwicklung der Mikroskopiertechnik im 19.Jahrhundert war 1831 und 1838 durch den Schotten Brown und die Deutschen Schleiden und Flemming die Zelle mit Kern als organischer Grundbaustein beschrieben worden. Flemming sah 1879 in den Zellkernen farbaufnehmendes Material, das er Chromatin nannte. Vor der Zellteilung floss es zu fadenähnlichen Gebilden zusammen. Da sie kennzeichnend für die Zellteilung waren, nannte er diese Mitose (grch. = Faden). Später wurden die fadenähnlichen Gebilde Chromosomen (gefärbte Körper) genannt.
Der Belgier van Beneden konnte 1887 beweisen, die Chromosomenzahl ist in den verschiedenen Zellen eines Organismus immer gleich und jede Art hat eine bestimmte Zahl davon, der Mensch z.B. 23 Chromosomenpaare, Paar 23 ist das Paar der Geschlechtschromosomen. Heute weiß man, bei der Bildung der Geschlechtszellen (Keimbahn) findet keine Verdopplung der Chromosomen statt, d.h. diese Zellen enthalten und geben nur den haploiden Chromosomensatz weiter.
Da die Nachkommen aus den Keimzellen hervorgehen, haben Veränderungen im Körper des Tieres keinen Einfluss auf das Erbgut. Genveränderungen und Mutationen werden nur dann vererbt, wenn sie in den Keimbahnzellen auftreten. Deshalb gibt es keine Veränderungen erworbener Eigenschaften (Nüsslein-Volhard 2004, pg.22).
1900 war das Jahr der Wiederentdeckung der Mendel’schen Gesetze durch Correns (deutsch), de Vries (Holländer) und von Tschermak-Seysenegg (Österreicher). Die Veröffentlichungen dieser drei Forscher erschienen nahezu gleichzeitig im Frühjahr 1900. 34 Jahre lang blieben Mendel’s grundlegende Arbeiten unbeachtet. Die Priorität wurde von den drei Nachentdeckern unumwunden anerkannt. In den folgenden Jahren bestätigten zahlreiche weitere wissenschaftliche Untersuchungen die so genannten Mendel’schen Regeln für viele Pflanzen- und Tierarten. Mendel beschränkte sich auf den genetischen Text und arbeitete mit solchen Genen, die immer und in vollem Ausmaß aktiv sind. Die Grundprinzipien der Vererbung hätte er nicht aufklären können mit Studien an Genen, die einmal an- und dann wieder abgeschaltet waren.
Th. Boveri (1862-1915, Lehrstuhl Zoologie Universität Würzburg), kam aufgrund seiner Untersuchungen zu dem Schluss, dass zwischen entwicklungsbiologischen Befunden der Zellteilung (Mitose) und der Reifeteilung der Keimzellen (Meiose – Funktion von ihm entdeckt) sowie den Vererbungsregeln Mendel’s ein Zusammenhang bestand. Er sah in den Chromosomen die Merkmalsträger einer Zelle bzw. eines Organismus. Auf Boveri geht folglich die Chromosomentheorie der Vererbung zurück (Grundpfeiler der Genetik).
Boveri fand auch heraus, mindestens ein Exemplar von jedem Chromosom einer Spezies ist für die normale Entwicklung eines Tieres z.B. nötig. Fehlt eines, so führt das zu charakteristischen Fehlbildungen. Ergänzt wurden Boveri’s Arbeiten durch gleichartige Studien des Amerikaners W. Sutton mit dem Ergebnis, Chromosomen tragen die Gene. In Körperzellen sind Chromosomen doppelt vorhanden, in Keimzellen in einfacher Zahl (diploider und haploider Chromosomensatz). Boveri wusste – laut Nüsslein-Volhard (2006, pg. 40) – die Frage was sind Gene war seinerzeit noch nicht zu beantworten.
Wenn alle Zellen alle Gene haben, muss die Ursache für das Entstehen ganz...