Kapitel
2
Was ist die Quintessenz des Marketing?
Als B.J. zum CEO ernannt wurde, tat er, was jeder engagierte CEO tun würde, insbesondere wenn er sein Leben lang mit Zahlen jongliert hatte: Er trat auf die Kostenbremse. Aber nach mehreren Runden der Kostenreduzierung wurde ihm bewusst, dass Unternehmenswachstum wesentlich mehr erforderte als Kostensenkung. Also trommelte er die Marketingverantwortlichen zusammen, um mit ihnen darüber zu diskutieren, wie das Unternehmen seine Produkte noch besser an den Mann bringen konnte. Es dauerte keine fünf Minuten und schon schwirrte eine ganze Armada höchst kompliziert klingender Fachausdrücke durch den Raum: Mega-Brands, Submarken, Segmentierung, Synergie, Core-Evaluator, strategischer Fit, psychologische Antriebe und Rollen. In null Komma nichts erschien Marketing als eine äußerst komplexe Thematik, für deren Verständnis man ein eigenes Lexikon brauchte. Ehe er sichs versah, wurden B.J.s Augen glasig und seine Gedanken wanderten wieder zu den verschiedenen Alternativen der Kostensenkung. Als er es schließlich nicht mehr aushielt, beendete er das Meeting, flüchtete in sein Büro und stürzte auf den PC zu, um den Geist zu rufen. Seine erste Frage lautete: „Was ist die Quintessenz des Marketing?“
Der weise Geist des Marketing
„Marketing klingt nicht so einfach wie die Zahlen, mit denen du so gerne hantierst“, belehrte ihn der Geist. „Das kann man wohl sagen“, schnaufte B.J. und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Der Geist lächelte und fragte: „Möchtest du die Definition der American Marketing Association hören?“
„Her damit“, antwortete B.J.
„Marketing ist der Prozess der Planung und Ausführung einer Konzeption, Preisstrategie, Promotion und Distribution von Ideen, Waren und Dienstleistungen, mit dem Ziel, individuelle und organisationale Ziele zu setzen, zu ersetzen und zu erfüllen“, antwortete der Geist. B.J. ließ ein Stöhnen vernehmen, als der Geist fortfuhr. „Aber eigentlich ist es ziemlich einfach, wenn man sich nicht von dem hochtrabenden Kauderwelsch beeindrucken lässt, das in all diesen Marketingbüchern steht.“
„Hör auf, den Schlaumeier zu spielen“, fuhr ihn B.J. leicht entnervt an. „Das gehört sich nicht für einen Geist. Du sollst profunde Antworten geben.“
„Schon gut“, beschwichtigte der Geist. „Marketing bedeutet ganz einfach herauszufinden, was du tun musst, um deine Produkte oder Dienstleistungen Gewinn bringend zu verkaufen.“
B.J. musterte den Geist und gab zurück: „Das weiß ich selbst, aber da muss mehr dahinterstecken. Ist das nicht ein bisschen stark vereinfacht?“
„Das ist der Kern des Marketing“, beharrte der Geist. „Es geht um nichts anderes, als die Dinge stark zu vereinfachen und zur zentralen Frage vorzudringen, wie man sein Produkt verkauft. Ich gebe dir ein Beispiel. Gutes Marketing ist wie eine Filmproduktion. Um eine Story zu erzählen, musst du viele Einzelteile zusammenfügen. Vor vielen Jahren berichtete ein Filmproduzent über die endlose Zahl von Drehbuchautoren, die ihm ihre Filmideen anboten. Er sagte, als Antwort gäbe er ihnen stets seine Visitenkarte und bäte sie, ihre Idee auf der Rückseite zu notieren. Wenn sie sich beschwerten, dass der Platz nicht ausreiche, erwiderte er in aller Ruhe, dass ihre Idee dann wohl nicht einfach genug wäre, um einen großartigen Film daraus zu machen.“
B.J. setzte fort: „Dann ist Marketing so etwas wie ein Film und das Produkt ist der Filmstar. Jeder Akteur und jedes Filmdetail ist Teil der ganz einfachen Story darüber, wie sich mein Produkt von anderen unterscheidet und warum man es kaufen sollte, statt sich für ein anderes Produkt zu entscheiden.“
„Das ist der Grundgedanke“, bestätigte der Geist. „Wenn dein Produkt ein Problem löst, musst du zuerst das Problem groß herausstellen und dann dein Produkt als Helfer in der Not präsentieren, das dieses Problem löst. Wenn dein Produkt eine Weiterentwicklung ist, dann musst du frühere Lösungen herausstellen, denen gegenüber dein Produkt eine Neuigkeit darstellt. Wenn dein Produkt gegen einen größeren Wettbewerber konkurriert, musst du erklären, warum dein Produkt die bessere Alternative ist. Nur eines darf es nicht sein: eine Me-too-Story.“
Budgets und der weise Geist des Marketing
Als klassischer Erbsenzähler konnte sich B.J. die Frage nicht verkneifen: „Wie schafft man es, ein Marketingbudget zu erstellen, das eine klügere Verteilung der finanziellen Ressourcen ermöglicht?“
„Ich wusste, dass du das fragen würdest“, antwortete der Geist. „Fangen wir damit an, wie die Mittel bei Unternehmen mit so einer breit gefächerten Produktpalette wie United Widgets üblicherweise zugewiesen werden. Das ähnelt einem Gemischtwarenladen. Jedes Produkt erhält sein eigenes Budget. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass die Endsumme eher vom Umsatzvolumen als von irgendeinem anderen Kriterium abhängig ist. Was die Budgetierung betrifft, lautet die häufigste Frage, die mir gestellt wird: ,Wie viel Prozent vom Umsatz geben Unternehmen üblicherweise für Marketing aus?‘ Darauf sage ich: ,Genug, um die gesteckten Ziele zu erreichen.‘ Das Problem bei diesem Ansatz besteht darin, dass einige Produkte, deren Umsatz geringer ist als der anderer Produkte, oft zu kurz kommen, während sich der Löwenanteil der Marketingausgaben auf gut eingeführte Produkte konzentriert, egal ob das Sinn macht oder nicht. Und wer würde schon zugeben, dass es keinen Sinn macht oder sogar reine Verschwendung ist?“
„Das klingt mir irgendwie vertraut“, stimmte B.J. zu. „Wie lauten also die Grundregeln?“
„Schritt eins:“, fuhrt der Geist fort, „Erstelle Marketingpläne, die jedes Produkt nach seinem Marketing-Lebenszyklus darstellen. Handelt es sich um einen neuen Markt? Wie etabliert ist der Wettbewerb? Worin besteht das zentrale Differenzierungsmerkmal? Wird dein Produkt und das deiner Wettbewerber wahrgenommen und wie sieht diese Wahrnehmung aus? Diese Pläne sollten schonungslos ehrlich sein und die ungeschminkte Realität widerspiegeln. Kein Wunschdenken.
Zweiter Schritt: Erstelle ein Marktchancen-Ranking. Hier finden die Zahlen Eingang, denn hier bestimmst du, welche Produkte die größten Gewinnchancen haben, wenn ihr alles richtig macht. Kann für dieses Produkt ein Premium-Preis verlangt werden? Ist es eine neue Produktgeneration, die deinem Unternehmen zur Marktführerschaft verhelfen kann? Oder handelt es sich um ein austauschbares Basisprodukt, das sich gegenüber etablierten Konkurrenzprodukten behaupten muss? Dieser Schritt verlangt eine möglichst akkurate Schätzung, denn die Zukunft kann niemand mit Bestimmtheit voraussagen. Es geht darum zu versuchen, die Marktchancen jedes Produkts einzuschätzen, um herauszufinden, welches Produkt die größten Aussichten auf eine Gewinnerzielung bietet. Ich gebe dir einen Hinweis für das Rating: Erstelle auch eine Rangordnung für deine jeweiligen Wettbewerber. Je schwächer die Konkurrenz, desto größer sind deine Erfolgschancen. Gegen mächtige, gut vorbereitete Gegner anzutreten ist alles andere als ein Zuckerschlecken.
Dritter Schritt: Überlege dir genau geeignete Werbemaßnahmen. Da Werbung der teuerste Teil des Marketingplans ist, ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die dafür vorgesehenen Mittel so eingesetzt werden, dass die größtmögliche Wirkung erzielt wird. Und gib genug Geld aus, dass die Werbebotschaft auch deinen Zielmarkt erreicht. Werbung ist zum Beispiel sehr nützlich, um Awareness für eine neue Idee oder ein neues Produkt zu schaffen. Sie ist auch sehr wirkungsvoll, wenn sie dein Produkt mit anderen vergleicht oder das wesentliche Differenzierungsmerkmal deutlich hervorhebt. Allerdings ist Werbung nicht sehr effektiv, wenn du versuchst, einen potenziellen Kunden zu überreden oder seine Meinung zu ändern. Werbung ist auch nicht effektiv, wenn sie nur der Unterhaltung potenzieller Käufer dient und den differenzierenden Nutzen nicht herausstellt.
Vierter Schritt: Dreh den Geldhahn zu, wenn dein Budget erschöpft ist. Hier muss ein Unternehmenschef wirklich unerbittlich sein und ein dickes Fell haben. Wenn du deine verschiedenen Programme einmal nach ihren Gewinnchancen und effektiven Maßnahmen priorisiert hast, arbeite sie nach den festgelegten Prioritäten ab. Wenn du nur drei Programme finanzieren kannst, beschränke dich auf diese drei. Wenn das Budget ausgeschöpft ist, haben die nachgeordneten Programme Pech. Sie müssen bis zum folgenden Jahr warten und mit einem Minimalbudget auskommen. Natürlich wird das bei einigen Leuten Zähneknirschen auslösen, aber es ist wichtig zu vermeiden, dass das Geld nach dem Gießkannenprinzip auf zu viele Projekte verteilt wird. Du willst für deine großen Anstrengungen schließlich den maximalen Gewinn.“
Die Bedeutung konsequenter Umsetzung
„Wenn du einmal festgelegt hast, wie die Gelder verwendet werden sollen, musst du der einfachen Weisheit folgen, die ein Robert Hall einmal formuliert hat: ,Eine gute Idee umzusetzen ist besser, als nur eine gute Idee zu haben.‘“, fuhr der Geist fort. B.J. begann langsam zu verstehen: „Du meinst damit, dass man, wenn man einmal weiß, welchen Weg man einschlagen muss, um erfolgreich zu sein, alle Anstrengungen auf die Bewältigung dieses Wegs konzentrieren muss, und Marketing ist sozusagen die Koordination aller dieser Anstrengungen.“ „Ganz genau“, bestätigte der Geist. „Die konsequente Umsetzung ist die Brücke zwischen guter Planung und überzeugenden Ergebnissen. Und die Umsetzung ist die eigentliche Aufgabe des Marketing, nämlich die Gewährleistung, dass alle Details...