Höher, schneller, weiter
Die Welt scheint sich rapide zu verändern, die Menschen müssen immer schneller und flexibler reagieren. Der Hund bildet in mancher Perspektive ein wohltuendes Gegengewicht gegen die Schnelllebigkeit und Komplexität der Zeit. Doch auch rund um den Hund sieht sich der Mensch mit allerlei Anforderungen konfrontiert – und zugleich muss auch der Hund in der Welt des Menschen Regeln und Gesetzen folgen. Dabei strömen verlockende Reize laufend auf ihn ein … Es braucht einige Gelassenheit, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
Anforderungen an den Menschen
Vieles ist im Wandel: Wir arbeiten, konsumieren und genießen anders als früher – und schneller. Wir fliegen mal eben übers Wochenende ins Ausland, pendeln viele Kilometer täglich zur Arbeit und beantworten unterwegs ein paar Mails. Filme können wir jederzeit gucken, Informationen sofort im Internet finden – und digitale Nachrichten ploppen im Sekundentakt auf. Der Mensch muss schnell umschalten und sich immer wieder rasch an neue Situationen anpassen können. Berufliche und private Sphären mischen sich durch ständige Verfügbarkeit. Das hohe Tempo und die Allverfügbarkeit erfordern es, ständig auf Empfang zu sein. Der Einfluss der sozialen Medien trägt dazu bei, dass sich auch unsere privaten Beziehungen verändern, der Freundschaftsbegriff ist erweitert, zugleich sind viele Beziehungen von Unverbindlichkeit geprägt.
Immer verfügbar, immer »on«
Die Vernetzung und Verfügbarkeit bieten großartige Möglichkeiten, doch viele Menschen empfinden die Schnelllebigkeit auch als Druck. Sie eilen ihren Aufgaben hinterher und versuchen verzweifelt, die Fäden in der Hand zu behalten. Immer am Ball zu bleiben, nichts zu verpassen und schnell zu reagieren – all das sind Anforderungen, die bei vielen Leuten Stress verursachen, unter anderem, weil es ein hohes Maß an Beherrschung und Disziplin erfordert. Auf diesen Druck reagieren die Menschen ganz unterschiedlich. Entweder sie rennen, um mitzuhalten, wobei die wenigsten auf Dauer das Tempo halten und an ihre psychischen Grenzen geraten. Oder sie verweigern sich dem Tempo und den technischen Möglichkeiten, allerdings riskieren sie damit soziale oder berufliche Ausgrenzung.
Der Hund steht für ein Gegengewicht zu diesen Entwicklungen. Fragt man Hundehalter danach, was ihr Hund ihnen bedeutet, sagen viele, ihr Tier würde sie »erden«. Der Hund steht mit seinen grundlegenden Bedürfnissen für Stressausgleich, er ist wie ein sozialer Alleskleber, der die Menschen zueinander bringt, der sich ins Fell weinen lässt und dem einsamen Menschen das Gefühl gibt, in dieser Welt nicht verloren zu sein. Doch auch wenn der Hund eigentlich für Einfachheit und Eindeutigkeit steht, ist die Beziehung des Menschen zum Hund von einigen äußeren Faktoren geprägt. Denn die gesellschaftlichen Anforderungen haben natürlich auch nicht vor dem Leben mit dem Hund haltgemacht.
Gesetzliche Anforderungen
Zunächst einmal muss der Mensch im Zusammenhang mit seinem Hund, zumindest in Deutschland, gesetzliche Anforderungen und Auflagen erfüllen. So müssen Halter Hundesteuer und meist damit einhergehend für eine spezielle Hunde-Haftpflichtversicherung zahlen. Weitere Gebühren können dazukommen, wenn sie eine Gehorsamsprüfung ablegen wollen, um von der Anleinpflicht für Hunde befreit zu werden. Zu diesen Themen müssen sie Informationen zu Gesetzen und Vorschriften einholen. Die meisten Bestimmungen in Deutschland sind durch die Bundesländer und Kommunen geregelt und nicht sofort transparent. Viele Hundebesitzer sind deshalb unsicher, welche Regelungen für sie gelten.
Auch die Gesellschaft selbst übt Druck aus. Der Hund soll ein bestimmtes Bild erfüllen, als Familienmitglied, Kumpel oder Symbol für einen bestimmten Lebensstil. Für andere Facetten des Tiers ist die Gesellschaft nicht immer offen. Die Medien leisten ihren Teil dazu, dass das vermittelte Bild stereotyp und klischeebehaftet ist. Das Ergebnis? Der Druck auf den Menschen wächst, alles jederzeit im Griff haben zu müssen und den Hund um jeden Preis unauffällig zu halten. Zugleich hören viele Menschen im Zusammenleben mit dem Hund aus Angst vor sozialer Ausgrenzung oder sogar juristischen Klagen immer weniger auf ihr Bauchgefühl.
Soziale Kontrolle und Hunde-Knigge
Druck entsteht auch dadurch, dass von neuen Hundehaltern erwartet wird, den neuen Wegbegleiter perfekt und natürlich möglichst schnell zu erziehen. Zusätzlich setzen sie sich auch noch aus persönlichen Motiven selbst unter Druck, alles soll komplikationslos über die Bühne gehen. Unter Hundehaltern kann mitunter ein erstaunlicher Gruppenzwang herrschen! Ein großes Thema unter Hundehaltern ist die gegenseitige Rücksichtnahme – beziehungsweise mangelnde Rücksichtnahme. Weitere Knigge-Themen sind unerbetene Erziehungstipps und verletzende Kommentare anderer Hundebesitzer über das eigene Verhalten oder das des Hundes. Es scheint, als wollten alle Parteien so wenig wie möglich von ihrem Lebensraum abgeben und so wenig Rücksicht wie möglich auf Menschen mit anderen Interessen nehmen. Dieses Streitpotential baut zusätzlichen Druck auf. Hundebesitzer können sich in erbitterten Kleinkämpfen gegenseitig das Leben schwermachen – auf der Straße, aber auch online, denn in den sozialen Medien verhärten sich die Fronten. Dieser Verstärkereffekt führt dazu, dass Menschen schon voreingenommen zum Spaziergang aufbrechen. Diese Stimmung überträgt sich natürlich auch auf den Hund. Gleichwohl haben soziale Medien natürlich auch den Vorteil, dass Menschen für das Thema sensibilisiert werden und leichter Unterstützung organisiert werden kann, wenn etwas schiefläuft.
Unter dem Anspruch, immer alles richtig machen zu wollen und das hohe Tempo des Alltags beizubehalten, vergessen die Menschen, dass sie ihren Stress auch an ihre Hunde weitergeben. Gestresste Menschen vermitteln Stress, ohne sich dessen bewusst zu sein. Tiere haben feine Sensoren und nehmen Stimmungen schnell wahr. Vor allem feinfühlige Hunde zeigen dann mit auffälligem oder unangemessenem Verhalten selbst Stresssymptome – der weitergegebene Druck entlädt sich. So gibt es Stress in der Dauerschleife: Der Mensch weiß nicht, was mit dem Hund los ist, und der Hund versteht nicht, was mit seinem Menschen los ist – ein Teufelskreis. Beiden Seiten müssen sich zusammenreißen, um den Erwartungen zumindest einigermaßen gerecht zu werden.
Höher, schneller, weiter – auch beim Hund?
Die meisten Hundehalter wollen das Beste für ihre Hunde. Da wir Menschen an das Tempo und die schnelle Taktung unseres Alltags gewöhnt sind, gehen wir davon aus, dass auch ein Hund mehr Auslastung braucht – mehr Beschäftigung, mehr Bewegung, mehr Spezialfutter, mehr … Menschen kompensieren über ihre Hunde auch einen eigenen Mangel. Sie befürchten oft, dass ihr Hund nicht ausgelastet genug ist. Beispielsweise kann ein leistungsorientiertes, komprimiertes Sportprogramm für den Hund dazu führen, dass er zum Hochleistungssportler wird, der sich an immer mehr Auslastung gewöhnt, die der Halter jedoch unter Umständen nicht mehr erfüllen kann, zum Beispiel, wenn er mal für länger krank wird.
Gerade Hunde, die einen ohnehin hohen Erregungslevel haben und darin auch noch – meist unbeabsichtigt – gefördert werden, haben Probleme damit, ihre Systeme wieder herunterzufahren. Sie sind es gewohnt, physisch hoch zu touren, und das merkt man auch ihrem ganzen Wesen an. Sie sind unruhig und spannungsgeladen, wirken aufgedreht und überreizt. Oft sind sie im wahrsten Sinne des Wortes atemlos. Sie haben schlicht kein Gefühl dafür, dass es neben Phasen der Action auch die Möglichkeit von Ruhezeiten gibt.
Und so ist es auch eine Anforderung an den Menschen, für Ruhe zu sorgen. Takten wir uns selbst doch einfach mal um einige Beats pro Minute runter und übertragen wir die eigene Hektik angesichts der Schnelllebigkeit der Zeit nicht auf den Hund. Viele Menschen können schon ihre eigenen Bedürfnisse kaum wahrnehmen, wie sollen sie dann die Bedürfnisse ihrer Hunde wahrnehmen? So durchgetaktet, wie wir heutzutage sind, übersehen wir leicht unsere eigenen Bedürfnisse und einfache Zusammenhänge, warum sich der Hund unerwartet verhält.
Reibungslos durch eine fremde Welt: Anforderungen an den Hund
Auch der Hund muss sich mächtig in die Ruder legen, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Anders als der Mensch hat er allerdings nicht die Wahl, denn der Hund sucht es sich nicht aus, mit uns zu leben. Er kann nicht wählen zwischen einer Familie und einer alleinstehenden Person oder zwischen einer Wohnung und einem Haus mit Garten. Es ist in erster Linie der Mensch, der sich den Hund aussucht. Letztlich ist es doch so: Der Mensch bedient sich einfach eines Hundes, den er niedlich findet oder der ihm aus einem anderen Grund gefällt. Dieser Hund, der gar nicht gefragt wurde, soll so schnell wie möglich funktionieren. Natürlich ist vielen Menschen klar, dass ein Hund auch erzogen werden muss, aber auch das soll reibungslos und zügig klappen, denn der Mensch möchte der Gesellschaft einen gut erzogenen Hund an seiner Seite präsentieren.
Nur nicht auffallen
Nicht durch das Verhalten aufzufallen ist wichtig, gerade in den Städten, wo viele urbane Menschen heutzutage Angst vor Hunden haben. Sie sind entweder noch nie mit Hunden in Kontakt gekommen oder sie haben negative Erfahrungen gemacht. Menschen mit Angst reagieren oft sehr aggressiv, wenn sich nur ein Hund in ihrer Nähe aufhält. Sie empfinden es als Verletzung ihrer Individualdistanz, selbst wenn es sich...