3 Interventionen
Vorbemerkungen
Den folgenden Interventionen geht jeweils ein Text voraus, der den Therapeutinnen als theoretische Grundlage dient. Den Patientinnen können diese Informationen im Sinne der Psychoedukation vermittelt werden. Die Interventionen sind zwar transdiagnostisch, erfordern jedoch meistens ein Mindestmaß an kognitiver Fitness. Diese Voraussetzung bringt mit sich, dass die komplexeren Interventionen für Patientinnen psychiatrischer Akutstationen ggfs. nicht geeignet sind. Die Indikation muss also für jede Patientin individuell gestellt werden.
Obwohl die Interventionen bestimmten Kapiteln zugeordnet sind (Biografie, Emotion etc.), wirken sie sich natürlich auf verschiedene (wenn nicht alle) psychische Prozesse aus. Gemeinsam ist den Interventionen, dass sie auf eine Verhaltensänderung abzielen und die kognitive und emotionale Flexibilität erhöhen sollen. Es geht also um neue Lernerfahrungen – und Lernen geschieht über Wiederholung. Es ist also nicht langweilig und einfallslos, dieselben Interventionen immer wieder im Verlauf der Therapie oder sogar mehrere Sitzungen am Stück durchzuführen; die Therapeutin erhöht dadurch die Wirksamkeit. Der Umgang mit Gefühlen, alternative Gedanken, neue Verhaltensweisen, werteorientiertes Handeln und Skills sind nur einige Beispiele für Übungen, deren volle Entfaltung Wiederholung voraussetzt.
Interventionen vorstellen, durchführen und nachbesprechen
Die Transparenz im therapeutischen Arbeiten ist ein hohes Gut der modernen Psychotherapie. Auch wenn es manchmal richtig sein kann, eine Intervention spontan durchzuführen (z. B. wenn an einem aktuellen Gefühl gearbeitet werden soll), sollte im Regelfall Folgendes vorher mit den Patientinnen besprochen werden:
Was sind mögliche Indikationen und Ziele?
Wie ist der vermutete Wirkmechanismus?
Was sind die Rollen von Therapeutin und Patientin in der Durchführung?
Was ist, wenn es der Patientin zu unangenehm wird und sie abbrechen möchte?
Falls zutreffend, wie soll und darf die Therapeutin bei heftigen Gefühlen oder Dissoziation aufseiten der Patientin reagieren?
Was sind Befürchtungen und Hoffnungen der Patientin bezüglich der Intervention?
Bei der Durchführung der Intervention müssen Therapeutinnen zwei Bänder gleichzeitig laufen lassen. Zum einen ist es wichtig, mit der Patientin mitzuschwingen und z. B. darauf zu achten, welche kognitiven Muster sie aktiviert, welche Vermeidungsstrategien sie einsetzt oder welche Gefühle sie empfindet. Meist passieren viele Dinge gleichzeitig und einige davon sind den Patientinnen nicht bewusst. Unsere Beobachtungen und auch unsere eigenen Gefühle und Gedanken während der Intervention sind wertvolles Material für die Nachbesprechung. Zum anderen ist es die Verantwortung der Therapeutinnen, darauf zu achten, dass die Interventionen korrekt durchgeführt werden. Das bedeutet nicht, dass keine spontanen Abweichungen erlaubt sind, diese sollten jedoch therapeutisch sinnvoll und im besten Fall auf die vorher vereinbarten Ziele gerichtet sein. Es ist wichtig, sich über den Wirkmechanismus im Klaren zu sein und dafür zu sorgen, dass er greifen kann. Während einer Exposition kann es z. B. indiziert sein, die Patientin prolongiert unangenehme Gefühle aushalten zu lassen, auch wenn sie dabei sichtlich leidet. Wenn die Patientin bei einer imaginativen Regression in die Kindheit zu dissoziieren beginnt, sollte abgebrochen werden oder, noch besser, vorher erlernte Techniken zur Verhinderung dessen eingesetzt werden.
Nach der Intervention können Sie erst einmal durchschnaufen und der Patientin zur guten Arbeit gratulieren. Danach sollten Sie folgende Punkte besprechen:
Wie hat die Patientin den Prozess erlebt?
Welche Gedanken, Gefühle und Verhaltensweise konnte sie zu welchem Zeitpunkt beobachten?
Wie hat sie den Wirkmechanismus wahrgenommen?
Welche Erkenntnisse nimmt sie daraus in Bezug auf die Ziele mit?
Welches Experiment für die Zeit zwischen den Stunden kann aus diesen Erkenntnissen abgeleitet werden? Welche neuen Strategien können im Alltag angewendet werden? Und so weiter. Hierauf muss zu Beginn der nächsten Sitzung wiederum Bezug genommen werden.
War etwas unangenehm, und hätte sie sich gewünscht, dass die Therapeutin etwas anders macht? (Dies ist im Rahmen des Wirkmechanismus zu diskutieren. Natürlich ist eine Exposition unangenehm …)
Wenn mit starken Emotionen gearbeitet wurde, stellen Sie sicher, dass sie gut nach Hause gehen kann, klären Sie Suizidalität ab, und besprechen Sie Strategien, wenn selbstverletzendes Verhalten droht. Tun Sie es auch für sich, damit Sie nachts gut schlafen können.
3.1 Motivation und Therapiegefährdung
3.1.1 Akzeptanz und Bereitschaft: keinen Fuß mehr auf dem Boden
Indikation: Angst, eine Therapie zu beginnen, z. B. aus Angst, sich zu öffnen
Ziele: Einsicht in die Dynamik des eigenen Leids erhalten; Bereitschaft entwickeln, dem inneren Erleben offen zu begegnen
Wirkmechanismus: Neubewerten des inneren Erlebens; Differenzieren zwischen natürlichem und selbstgemachtem Leid
Benötigt: Flipchart oder Stift und Papier
Hierauf achten: Akzeptanz bezieht sich nicht auf veränderbare Situationen und Handlungsweisen
Hilfreich vor/nach/mit: Für und Wider einer Therapie abwägen (Kap. 3.1.2); Vermiedene Gefühle aktivieren und zulassen (Kap. 3.3.1); Dysfunktionales emotionsmotiviertes Verhalten erkennen und ändern (Kap. 3.3.3); Radikale Akzeptanz (Kap. 3.4.4); Verhaltensanalyse (Kap. 3.5.1); Exposition (Kap. 3.5.2); Verhaltensaufbau und Verstärkerbilanz (Kap. 3.5.4); Werte und Ressourcen (Kap. 3.9.1)
In der Akzeptanz- und Committmenttherapie (ACT) wird zwischen natürlichem und selbstgemachtem Leid unterschieden (Hayes et al. 1999; Wengenroth 2012). Natürliches Leid gehört unvermeidbar zur menschlichen Existenz und entsteht, wenn wir vor dem Hintergrund der eigenen Lebensgeschichte unter bestimmten Lebensumständen ein werteorientiertes Leben führen. So kann z. B. ein Mensch mit schwierigen Bindungserfahrungen in der Kindheit bei einem Umzug für den Traumjob in eine neue Stadt in der Eingewöhnungsphase viel Angst und Unsicherheit empfinden. Selbstgemachtes Leid entsteht nun, wenn wir versuchen, dieses natürliche Leid zu verhindern. Oft geschieht dies im Rahmen der Vorstellung, dass angeblich gesunde Menschen in der Lage wären, ihre unangenehmen Gefühle und Gedanken abzustellen. Diese Versuche, sich nicht mit dem inneren Erleben zu beschäftigen, führen dazu, dass alles Unangenehme und Gefürchtete immer mehr Raum einnimmt. Die Vermeidung der Angst macht die Angst noch größer, und der Versuch, Misstrauen durch vermehrte Kontrolle zu bekämpfen, bringt noch mehr Misstrauen hervor. Diese Kontrollstrategien (ACT: unworkable change agenda) müssen fast sicher scheitern und senken darüber hinaus häufig auch das Selbstwirksamkeitserleben, da ja nichts klappt, was man versucht, und andere das doch so gut schaffen. Der Versuch, natürlichem Leid mit Vermeidung zu begegnen, bringt also hohe Kosten mit sich. Mögliche Kosten sind eine deutliche Einschränkung im Alltagsleben, zwischenmenschliche Konflikte, Depressionen, Ängste, Zwänge sowie Alkohol- und Drogenkonsum – also übliche initiale Behandlungsgründe. Dass manche Menschen trotzdem an diese Strategien festhalten, liegt daran, dass Kontrolle im äußeren Leben oft gut funktioniert (Wenn mir das Bild an der Wand nicht mehr gefällt, hänge ich ein neues auf), unsere Kultur hohen Wert darauf legt, sich gut zu fühlen, und...