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E-Book

Der Honigsammler

Waldemar Bonsels, Vater der Biene Maja

AutorBernhard Viel
VerlagMatthes & Seitz Berlin Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl445 Seiten
ISBN9783957571991
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
In einem wohlbekannten Land, vor gar nicht allzu langer Zeit ... Noch immer schwirrt seine Biene Maja durch jedes Kinderzimmer, in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war er einer der meistgelesenen Schriftsteller überhaupt, seine Bücher fanden sich im Tornister eines jeden Soldaten: Waldemar Bonsels, der Schöpfer der vorwitzigen Biene, ist heute der wohl unbekannteste deutsche Bestsellerautor. Diese erste Biografi e folgt Bonsels auf seiner Suche nach dem süßen Leben in den letzten Jahren des Kaiserreichs ins Zentrum der Münchner Boheme. Sie erzählt, wie er, inspiriert von Heinrich Mann, an der Seite von Frank Wedekind und Lion Feuchtwanger gegen die bürgerlichen Konventionen aufbegehrte und seine abenteuerlustige Maja erschuf. Und sie zeigt, wie sich der Erfolgsschriftsteller schließlich dem Regime der Nazis andiente und nach dem Krieg mit einem Publikationsverbot belegt wurde. So rückt auch seine »Biene Maja« in ein neues, düsteres Licht: Entpuppt sich das Buch am Ende als Lehrstück der Naziparole »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«? Bernhard Viel liefert nicht nur eine Antwort auf diese Frage, ihm gelingt dabei auch ein großartig ausgepinseltes Epochenpanorama mit dem zeittypischen Portrait eines radikalen Opportunisten sowie die Klärung des anhaltenden Erfolgs der »Biene Maja«.

Bernhard Viel, 1958 in München geboren, ist promovierter Literaturwissenschaftler und lebt als freier Autor in Berlin und München. 2001 erhielt er den Förderpreis des »Berliner Preises für Literaturkritik«. Er verfasste u. a. Biografien der Schriftsteller Johann Peter Hebel und des Historikers Egon Friedell.

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Leseprobe

I
Vorspiel am Bahnhof


War er wirklich ihretwegen zurückgekommen?

Sicher, er freute sich, sie wiederzusehen.

Er hatte oft an sie gedacht in diesen Monaten. Und als er durch die Fieberträume seiner Malariaanfälle schauderte, hatte ihn Sehnsucht nach ihr, nach zu Hause erfasst. Teta jedenfalls wird er die Sache so erzählen, dass sie glauben musste, es habe ihn nicht vor allem die Malaria und der Streit mit den Vorgesetzten aus Cannanore fortgetrieben. Er hätte ja, nachdem er sich von der Mission verabschiedet hatte, noch wochenlang, monatelang auf eigene Faust den Dschungel durchstreifen können. Er tat es nicht. Er kehrte zurück, in Tetas Arme.

So wird er Teta, wie sie Kläre alle nannten, die Sache schildern. Er wird liebenswürdig sein, zärtlich, begeistert, herrisch. Er wird sie mit Liebesschwüren überschütten, ihr stürmisch seine Leidenschaft offenbaren, er wird seinen Charme entfalten, diesen mit einem Hauch von Herablassung untermischten Charme, mit dem er mühelos auch Tetas Freundinnen gewonnen hatte.

Und war nicht auch Indien ein Siegeszug gewesen? Hatte er sich dort nicht bewährt und gezeigt, dass er sich durchsetzen, seinen eigenen Weg gehen konnte? Er war ein Mann, ein Abenteurer, weitgereist, welterfahren. Die anderen kannten nur Barmen, das Städtchen im Rheinland, Insel des Pietismus, Zentrum der Inneren Mission. Allerdings, das musste er ihnen zugestehen, sie kannten jetzt auch München, die Stadt der Boheme, der jungen Kunst. Doch über die Grenzen des Reichs waren sie nie hinausgedrungen. Er aber hatte, wahrhaftig, unglaubliche Geschichten zu erzählen, märchenhafte Geschichten!

Er sah aus dem Fenster. Der Zug hatte seine Fahrt verlangsamt. Gemächlich zogen langgestreckte, aus Klinkern aufgemauerte Speicher vorbei, Verladerampen der Brauereien, Schuppen, die sich zu beiden Seiten des breiter werdenden Gleisbetts hinzogen. Schon glitten die Waggons unter der Brücke mit ihrer stählernen Wellenkonstruktion hindurch, an deren Streben sich die Dampfschwaden brachen. Gleich wird er am Ziel sein.

Nein, er war nicht nur Tetas wegen zurückgekommen. Gewiss, er begehrte sie. Und sie war ihm ergeben, seinem sanften Dichterblick aus wasserblauen Augen.

Und den anderen, den Feind, den Konkurrenten, hatte er ausgestochen, eine Genugtuung, und umso tiefer, als, das musste er sich insgeheim eingestehen, der andere Talent hatte. Frech, eitel, durchglüht von seiner Sendung, maßlos hatte der andere Teta ungeniert umgarnt, obwohl längst alle wussten, dass Teta ihm versprochen war, ihm, dem dichtenden Kaufmann. Gleich war ihm dieser Kerl zuwider gewesen, und doch beneidete er ihn für seinen frühen Erfolg, aber das lässt er sich nicht anmerken. Gleich mit den ersten Gedichten hatte der andere als Prophet eines neuen Stils gegolten, jung, voller Pathos, flammend: »Im Mittag stand, als Julian fiel, Apostata, die Sonne« – das war neu, das war unerhört, und daraus klingt, es ist nicht leugnen, daraus klingt eine leidenschaftliche, zergrübelte Inbrunst. Bei allem Überschwang pulst in diesen Versen helle, gebändigte Kraft: »Das war mein Traum: daß / Jauchzend sich die Jugend zu mir stellte, / Daß in den Augen ein Leuchten sei wie / Von Schwertertanz im Licht.« Auch in München hatte er, der Konkurrent, sogleich einen Kreis junger Verehrer um sich geschart. Tetas Bruder, sein ihm innig verbundener Freund, sein Bruder im Geiste, gehörte zu seinem Leidwesen auch dazu. Aber er würde dem Verhassten seine Künste abschauen, die Wortverstellungen, die gebrochenen Verse, würde sich nehmen, was er brauchen kann. Und irgendwann würde er ihn, diesen Schickele, überflügeln.

Er wusste, weshalb er zurückgekommen war. Er war gekommen, um sich zu rächen.

Der Zug rollte jetzt im Schritttempo, schlingerte ächzend über Weichen. Er drehte sich vom Fenster weg, setzte den Tropenhut auf, der ihm auch hier, an der Isar, verteufelt gut stand. Auch passte der Hut vortrefflich zu der khakifarbenen Jacke, dem linnenen Hemd und den englischen Breeches, deren weitgeschnittene Beine lässig aus den Stiefelschäften pluderten. Er würde jetzt ohnehin der Mittelpunkt im Kreis der Freunde sein, die nach München gekommen waren, um sich vom Geist der jungen Kunststadt erheben zu lassen. München war Aufbruch, Neugierde, Erregung, und es ließ sich gut leben in seiner legeren, behäbigen, feierfreudigen Atmosphäre, die die Künstler mit gutmütiger, spöttischer Bewunderung aufnahm.

Sein schmaler, weicher Mund verzog sich zu einem maliziösen Lächeln. Er hob den Koffer aus dem Netz der Gepäckablage, trat auf den Gang hinaus und reihte sich ein in die Schlange der Wartenden.

Jawohl, er war zurückgekommen, sich zu rächen. Von Anfang an hatte er die Arbeit der Mission mit Unmut und Spott, ja mit Widerwillen beäugt. Es hatte ihn im Innersten erzürnt, ansehen zu müssen, mit welcher Selbstgerechtigkeit die Brüder die Eingeborenen erpressten, zum Christentum überzutreten, indem sie mittellose Hindus, arme, zerlumpte Gestalten, mit der Aussicht auf Unterhalt in ihre Webereien, ihre Ziegeleien lockten, um sie von dem Moment an, da sie getauft waren, auf Gedeih und Verderb den gewinnsüchtigen Seelenhirten preisgegeben zu wissen.

War es nicht ein Missbrauch der Botschaft Christi, himmelschreiend, im Tempel zu dulden den Krämer, schlimmer noch: über den gekrümmten Rücken der Heiden zu reichen dem Krämer die beschmutzte Hand? Dabei, es war zum Lachen, die Direktoren waren unfähig, wirklich unfähig, zu wirtschaften, gut zu wirtschaften. Und die Brüder fälschten die Bilanzen, auf dass sie in Basel gut dastünden. Sie predigten Wasser und soffen Champagner, den sie sich aus Frankreich kommen ließen.1

Anni, der lieben Schwester, hatte er geschrieben, er liebe Indien täglich mehr, es sei ein Paradies an Schönheiten, und köstlich seien ihm dessen Gefahren. Schwärmerisch hatte die Schwester »die großen, herrlichen Aufgaben der Missionen« beschworen, er hatte ihr geantwortet, dies Volk von Brüdern, mit dem und unter dem er hier arbeiten solle, sei ihm so zuwider, dass er beim besten Willen auch zu ihr nicht über sie sprechen könne. Klein und armselig sei es, über sie zu schelten, und er habe längst gelernt, an seine Umgebung geringere Ansprüche zu stellen als an sich.2 Es war unvermeidllich, dass er sich unbeliebt machte. Und bald war es zum Eklat gekommen.

Schon während seiner Lehrzeit im geschäftigen Basel hatte er die Missionsbrüder für ihre puritanische Frömmelei, ihren Sendungseifer, verachtet. Aber es war eine Möglichkeit, fortzukommen, nach Indien, wo er noch den Geist echten Glaubens zu spüren hoffte, wo er noch Söhne eines natürlichen Lebens finden könne, die allein der Achtung wert waren. Hier wollte er unerhörte Gefahren bestehen, dem Wunderbaren an jeder Wegkreuzung begegnen und in Dschungeln die bunten Blüten eines unverfälschten Lebens genießen.

Stattdessen hatte er sich die Malaria geholt. Er musste für Wochen auf die Krankenstation. Auch in München sollte er sich noch davon erholen müssen. Er wird mit Teta in die Voralpen fahren.

Als Erstes würde er die Missionsbrüder bloßstellen vor der Welt. Und das wäre nur der Anfang. Er würde über Indien schreiben, seine Armut, seine märchenhaften Paläste. Und er würde sich selbst als Abenteurer vorstellen, überlegen, europäisch und doch mit Neugierde und Respekt dem Fremden begegnend. Er würde schreiben, würde Erfolg haben. Deshalb war er zurückgekommen in die kunstfrohe Stadt, deren ländliche Ruhe noch nicht aufgezehrt war von der nervösen Überspanntheit der Zivilisation, mit der das lärmende Berlin auftrumpfte.

Hier aber galt, auch unter den Jungen, Modernen, der Wahlspruch: Los von Berlin! Das zog ihn an, der selbst, Sohn einer dänischstämmigen Mutter, aufgewachsen unter den schwerblütigen Menschen des Nordens, geformt von der Engbrüstigkeit pietistischer Gottesbilder, sich der Scholle näher glaubte als dem Asphalt und doch die feineren Reize weltmännischer Haltung, die erregend parfürmierte Luft der Künste so dringend begehrte. »Die Stadt«, schwärmte Hans, der Freund, »ist wie ein gemächlicher Traum«.3 Und der Tropenhut, der Khaki-Anzug, wirklich, sie kleideten ihn gut!

Eisen kreischte auf Eisen. Mit einem Ruck stand der Zug. Dampfschwaden kochten über dem Perron, auf dem diensteifrige Gepäckträger hin- und herliefen.

Als er, gelassen das von gewaltigen eisernen Bogen getragene Tonnengewölbe der Halle betrachtend, den Koffer vor sich herbugsierend, seinen Fuß auf den Bahnsteig setzte, hörte er eine helle Stimme seinen Namen rufen. Überrascht sah er hoch. Tatsächlich, es war Teta. Lächelnd, winkend, seinen Blick zwischen den vielen Menschen hindurch suchend, die dem Kopfende des Perrons zustrebten, stand sie neben ihrem...

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