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E-Book

Der kleine Taschenpsychologe

AutorAdrian Urban
VerlagOpen Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl Seiten
ISBN9783959120340
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Der kleine Taschenpsychologe beschäftigt sich mit den wichtigsten Gründergestalten der Psychotherapie, stellt in Kurzform Leben, Ideen und Werk vor und beschäftigt sich auch mit der Frage, wie sich das jeweilige Gedankengebäude bis in die Gegenwart auf die Gesellschaft und auf die Behandlung seelischer Störungen ausgewirkt hat. Ein paar der vorgestellten Persönlichkeiten, etwa Sigmund Freud oder C. G. Jung, durften auf keinen Fall fehlen, bei anderen hat meine Auswahl durchaus subjektive Anteile. Einige Gründergestalten musste ich weglassen, und das gilt ebenso für etliche Forscherinnen und Forscher, die sich mit den verschiedenen wissenschaftlichen Aspekten der Psychologie beschäftigt haben, ohne eine Therapieform zu begründen. Aus Platzgründen konnte all dies hier leider nicht berücksichtigt werden. Vielen Leserinnen und Lesern wird auffallen, dass vergleichsweise wenige Frauen vorgestellt werden. Das hat mit dem Umstand zu tun, dass es im psychotherapeutischen Bereich deutlich mehr 'Gründerväter' als 'Gründermütter' gibt, obwohl dieses Berufsbild von vielen hervorragenden Therapeutinnen, Forscherinnen und Autorinnen geprägt wurde und bis heute geprägt wird. Sicherlich ist dieses Missverhältnis der Tatsache geschuldet, dass es für Frauen in der Zeit, in der die wichtigen 'Therapieschulen' entstanden, also vom Ende des 19. bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, noch schwieriger war als heute, Karriere zu machen, Führungspositionen einzunehmen und bekannt zu werden. Auf jeden Fall hoffe ich, die Neugier meiner Leserinnen und Leser auf die Lebensgeschichten einiger ungewöhnlicher Persönlichkeiten zu wecken, aus denen manch ein Ansatz und manch ein Gedanke hervorging, der uns vielleicht auch heute noch etwas sagen kann.

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Leseprobe

2) Lernpsychologische Ansätze: Orientierung an den Naturwissenschaften


Viele Gründergestalten der Tiefenpsychologie gingen davon aus, dass den Menschen bestimmte, erbliche Grundprinzipien (wie Es, Ich und Über-Ich, Ödipuskomplex oder Unbewusstes) ausmachen und sich auf der Basis dieser Prinzipien individuell erweist, ob er mehr oder weniger erfolgreich mit der Wirklichkeit zurechtkommt. Hingegen stimmen die meisten Lernpsychologen, die im folgenden Buchteil dargestellt werden, darin überein, dass die genetischen Rahmenbedingungen nicht besonders wichtig sind und dass aus uns, je nach den Bedingungen unserer Umgebung, alles Mögliche werden kann, ob Verbrecher oder Mathematikgenie. (Modernen Vorstellungen zufolge werden wir übrigens jeweils zu ungefähr fünfzig Prozent vom Erbe und von der Umwelt geprägt, wobei sich spezifische Umweltfaktoren, abhängig von den ererbten Lebensgrundlagen, mehr oder weniger stark auf die Persönlichkeit auswirken.)

Iwan P. Pawlow: Von Hunden und Menschen (Klassische Konditionierung)


Sein Leben


Iwan Petrowitsch Pawlow war ein russischer Physiologe, der während einer Erforschung des Verdauungsprozesses beim Hund ein Verfahren zur Verhaltensforschung und eine Lerntheorie entwickelte, die sich nachhaltig auf das Denken der Moderne auswirken würde.

Iwan Pawlow wurde 1849 als ältestes von zehn Kindern eines russisch-orthodoxen Geistlichen geboren. Nach der Schule nahm er, der Tradition folgend, zunächst an einem Priesterseminar teil, das er jedoch 1870 aufgab, um, abseits der Wege seiner Familie, in St. Petersburg Tierphysiologie, Chemie und Humanmedizin zu studieren. 1881 heiratete Pawlow eine Pädagogikstudentin, drei Jahre später promovierte er.

Der Russe machte schnell Karriere. Nach einem zweijährigen Studienaufenthalt in Leipzig und Breslau folgte 1886 die Habilitation im Studienfach Pharmakologie. Fünf Jahre danach wurde Iwan Pawlow beauftragt, eine Abteilung für Physiologie am Institut für Experimentelle Medizin in St. Petersburg aufzubauen. 1895 bis 1924 hatte er eine Professur für Physiologie an der örtlichen Militärärztlichen Akademie inne.

Interessanterweise wurde Pawlow, wie zuvor vom Zarenreich, nach der Oktoberrevolution 1917 auch von der bolschewistischen Führung großzügig unterstützt. Seine Tierversuche und deren Übertragung auf den Menschen ließen sich hervorragend mit dem materialistischen Weltbild der Kommunistischen Partei unter einen Hut bringen. Die Idee des Physiologen, durch unterschiedliche Umweltbedingungen Tiere oder Menschen nachhaltig zu verändern, passte ebenfalls nicht schlecht zur Ideologie von der Erziehung eines neuen sozialistischen Menschen.

In seinen letzten Lebensjahren erforscht Pawlow die menschliche Großhirnrinde. Zuvor hat er, gleichsam als Krönung seines Lebenswerks, im Jahr 1904 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen bekommen, da er den sogenannten bedingten Reflex entdeckt und erforscht hatte, eine Grundstruktur für individuelles Lernen, die bei Tieren und auch beim Menschen auftritt.

1936, zur Zeit des Stalin-Terrors und der Schauprozesse, starb Iwan Petrowitsch Pawlow im Alter von 86 Jahren in seiner Wahlheimat St. Petersburg, das inzwischen Leningrad hieß.

Menschenbild, wichtige Ideen und ihre Auswirkungen


Die berühmtesten Experimente des russischen Physiologen, die inzwischen unter der Überschrift „Pawlows Hunde“ zur Redewendung geworden sind, beschäftigen sich mit der Verdauungssekretion der Vierbeiner. Bei Hunden im Labor wurde die Speichelabsonderung vor und während des Fressvorgangs untersucht. Die Speichelsäfte dienen dazu, die Nahrung, die aufgenommen wird, im Mund vorzuverdauen, wodurch der Hund dem Magen-Darm-Trakt einen Teil der Arbeit abnimmt. Dass auch wir Menschen entsprechend reagieren, gehört zu unserem tierischen Erbe.

Iwan Pawlow stellte fest, dass die Tiere mit der Zeit bereits anfingen, verstärkt zu sabbern, bevor ihnen ein Mitarbeiter Futter gab. Etwas Ähnliches ist übrigens bei uns zu beobachten, wenn uns schon der Duft einer leckeren Speise das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Offensichtlich haben sich hier Geruch und Speichelabsonderung miteinander verbunden. So als würde der Verdauungstrakt erwarten, gleich etwas Leckeres zu essen zu bekommen, und deshalb schon mal die nötigen Grundlagen im Mund dafür bereitstellen.

Pawlow stellte überdies fest, dass es ihm bei einer bestimmten Versuchsanordnung möglich war, das Sabbern seiner Hunde gezielt auszulösen. Er bimmelte jedes Mal mit einer Glocke, direkt vor dem Zeitpunkt, zu dem den Hunden Futter gegeben wurde. Nach mehreren Wiederholungen dieses Ablaufs verstärkte sich der Speichelfluss bei den Tieren schon, wenn Pawlow nur mit dem Glöckchen klingelte. Selbst wenn im Anschluss regelmäßig kein Futter folgte, dauerte es noch einige Male, bis das Sabbern nach dem Bimmeln zurückging und mit der Zeit wieder auf Normalwerte herabsank.

Der russische Physiologe erklärte sich diese Beobachtungen, die er bedingter oder konditionierter Reflex nannte, so: Fressen löst automatisch einen verstärkten Speichelfluss aus, beim Hund wie beim Menschen. Wissenschaftlich formuliert: Das Futter als unkonditionierter Reiz führt zum Sabbern als unkonditionierter Reaktion.

Ein Glockenton bewirkt beim Tier zunächst überhaupt nichts.

Wenn jedoch das Klingeln - oder ein anderer auffälliger Reiz- mehrmals zeitlich direkt vor der Futtervergabe liegt, assoziiert der Hund das Klingelgeräusch mit der Fressgelegenheit. Für ihn ist es so, als würden beide Vorgänge zusammenhängen. Die Glocke wird nach einigen Wiederholungen zum konditionierten Reiz, der in eine konditionierte Reaktion, den verstärkten Speichelfluss, mündet. Der Vierbeiner rechnet, wenn es bimmelt, fest damit, dass gleich Futter kommt. Da er sich nach dem Klingeln auf den Fressvorgang einstellen kann, eben indem er sich das Wasser im Maul zusammenlaufen lässt, nimmt er den Glockenton zum Anlass, zu sabbern.

Dass einem Tier oder einem Menschen durch einen konditionierten Reiz eine bestimmte Reaktion antrainiert wird, bezeichnet die Lernpsychologie als Klassische Konditionierung. Hierbei geht es um einen Lernvorgang, der automatisch stattfindet und bei weitem nicht die volle Beteiligung des Bewusstseins benötigt.

Der Abbau einer konditionierten Reaktion, Löschung genannt, dauert seine Zeit, so wie ihr Aufbau. Das heißt, der Hund muss mehrere Male die Erfahrung machen, dass auf einen Glockenton kein Futter mehr folgt, um nicht mehr verstärkt zu sabbern, falls es bimmelt.

Nach einer ähnlichen Methode lässt sich Tieren und Menschen ein Rückzugsverhalten auf ursprünglich neutrale Reize antrainieren. Pawlow, kein ausgesprochener Tierfreund, spannte seine Hunde in Geschirre mit Elektroden, die an den Pfoten befestigt waren. Die Tiere bekamen einen ungefährlichen Elektroschock, was zum sofortigen Zurückziehen der Pfote führt und als unkonditionierte Reaktion auf einen unkonditionierten Reiz ganz automatisch geschieht.

Falls hingegen jedes Mal direkt vor dem Schock eine Glocke (als ursprünglich neutraler Reiz) läutet, löst mit der Zeit schon die Glocke allein (als konditionierter Reiz) den Rückzug der Pfote (als konditionierte Reaktion) aus, so als nähme der Hund den Glockenton als Warnung, um den Elektroschock noch vermeiden zu können.

Konditionierte Reaktionen, ob Sabbern oder Pfoten-Rückzug, lassen sich mit der Zeit auch durch Reize auslösen, die nur so ähnlich sind wie der ursprünglich andressierte Reiz. Etwa durch den Klang eines Gongs statt durch den einer Glocke. Dieser Vorgang wird Reizgeneralisierung genannt.

Etwas Ähnliches wird auch bei uns beobachtet, zum Beispiel bei Menschen mit einer Phobie. Ein Angstpatient erlebt vielleicht seinen ersten Panikanfall in einem Aufzug. Anschließend vermeidet er es, mit einem Lift zu fahren. Wenn ihn eine bestimmte Situation an die unangenehme Erfahrung erinnert, vielleicht eine kurzfristige Betriebsstörung in der U-Bahn, steigt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Phobiker auch hier Panikgefühle spürt und in Zukunft auf die U-Bahn-Benutzung (oder zum Beispiel auf Züge bzw. Flugzeuge) verzichtet.

Ein Reiz, hier ein unangenehmer oder aversiver, hat sich von einer Situation auf andere generalisiert, die so wirken, als seien sie ähnlich gefährlich. Die Antwort ist immer gleich, denn die Angst löst Flucht- oder Rückzugsverhalten aus. Manche Betroffenen verlassen nach einigen dieser Generalisierungserfahrungen im Extremfall ohne Unterstützung nicht einmal mehr die eigene Wohnung.

Pawlow, der von solchen Forschungen aus späteren Jahren noch nichts wissen konnte, machte bei seinen Hunden eine weitere interessante Entdeckung. Er zeigte ihnen visuell dargebotene Kreise oder Ellipsen. Wenn ein Hund gelernt hat, dass ein Kreis stets mit der Vergabe von Futter gekoppelt ist und nach einer Ellipse gar nichts passiert, vermag er zunächst immer feiner zwischen beidem zu unterscheiden, falls Kreis und Ellipse einander angenähert werden, also der Kreis immer elliptischer und die Ellipse immer kreisförmiger wird.

Irgendwann konnten die Tiere die Objekte nicht mehr klar voneinander unterscheiden, was zu einem neuroseähnlichen Verhalten führte: Sie fingen an zu heulen, sie machten nervöse Bewegungen, und sie bellten heftig. Pawlow sprach von einer „experimentellen Neurose“. Das Versuchsergebnis ähnelt dem, was beim Menschen heute „erlernte Hilflosigkeit“ genannt wird: Je weniger wir unsere Umweltbedingungen kontrollieren können, um so hilfloser fühlen wir uns häufig.

Iwan Pawlow inspirierte einige...

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