1. Aus der Klimageschichte lernen
Das Klima unseres Heimatplaneten hat immer wieder spektakuläre Wandlungen durchgemacht. In der Kreidezeit (vor 140 bis 65 Millionen Jahren) stapften selbst in arktischen Breiten riesige Saurier durch subtropische Vegetation, und der CO2-Gehalt der Atmosphäre war ein Vielfaches höher als heute. Dann kühlte sich die Erde langsam ab und pendelt nun seit zwei bis drei Millionen Jahren regelmäßig zwischen Eiszeiten und Warmzeiten hin und her. In den Eiszeiten drangen gigantische Gletscher bis weit nach Deutschland hinein vor, und unsere Vorfahren teilten sich die eisige Steppe mit dem pelzigen Mammut. Mitten in der jetzigen Warmzeit, dem seit 10.000 Jahren herrschenden Holozän, trocknete plötzlich die Sahara aus und wurde zur Wüste.
Nur vor dem Hintergrund der dramatischen Klimaveränderungen der Erdgeschichte lässt sich der gegenwärtige Klimawandel verstehen und einordnen. Ist er durch den Menschen wesentlich mit verursacht, oder ist er Teil natürlicher Klimazyklen? Zur Beantwortung dieser Frage brauchen wir ein Grundverständnis der Klimageschichte. Wir beginnen das Buch deshalb mit einer Zeitreise. In diesem Kapitel diskutieren wir, wie sich das Klima auf unterschiedlichen Zeitskalen entwickelt hat: von Hunderten von Jahrmillionen bis zu den abrupten Klimasprüngen, die in jüngster Zeit die Klimaforscher beschäftigen. Vor allem wird uns dabei interessieren, welche Kräfte für die Klimaänderungen verantwortlich sind und was sich aus der Reaktion des Klimasystems in der Vergangenheit lernen lässt.
Klimaarchive
Woher wissen wir überhaupt etwas über das Klima vergangener Epochen? Manche Zeugen früherer Klimawechsel stehen unübersehbar in der Landschaft – zum Beispiel die Endmoränen längst abgeschmolzener Gletscher. Das meiste Wissen über die Geschichte des Erdklimas ist jedoch das Ergebnis einer mühsamen Detektivarbeit mit ständig verfeinerten Methoden. Wo immer sich etwas über längere Zeiträume ablagert oder aufbaut – seien es Sedimente am Meeresgrund, Schneeschichten auf Gletschern, Stalaktiten in Höhlen oder Wachstumsringe in Korallen und Bäumen –, finden Forscher Möglichkeiten und Methoden, daraus Klimadaten zu gewinnen. Sie bohren jahrelang durch das massive Grönlandeis bis zum Felsgrund oder ziehen aus tausenden Metern Wassertiefe Sedimentkerne, sie analysieren mit empfindlichsten Messgeräten die Isotopenzusammensetzung von Schnee oder bestimmen und zählen in monatelanger Fleißarbeit unter dem Mikroskop winzige Kalkschalen und Pflanzenpollen.[4]
Am Beispiel der Eisbohrkerne lässt sich das Grundprinzip gut verstehen. Gigantische Gletscher, Eispanzer von mehreren tausend Metern Dicke, haben sich in Grönland und der Antarktis gebildet, weil dort Schnee fällt, der aufgrund der Kälte aber nicht wieder abtaut. So wachsen die Schneelagen immer mehr in die Höhe; der ältere Schnee darunter wird durch das Gewicht der neuen Schneelast zu Eis zusammengepresst. Im Laufe der Jahrtausende stellt sich ein Gleichgewicht ein: Die Eismasse wächst nicht mehr in die Höhe, weil das Eis zu den Rändern hin und nach unten abzufließen beginnt. Im Gleichgewicht wird jährlich genauso viel Eis neu gebildet wie an den Rändern abschmilzt. Letzteres geschieht entweder an Land, wenn das Eis in niedrigere und damit wärmere Höhenlagen hinuntergeflossen ist – dies ist bei Gebirgsgletschern der Fall und auch typisch für den grönländischen Eisschild. Oder es geschieht, indem das Eis bis ins Meer fließt, dort ein schwimmendes Eisschelf bildet und von unten durch wärmeres Seewasser abgeschmolzen wird – so geschieht es um die Antarktis herum.
Bohrt man einen solchen Eisschild an, dann findet man mit zunehmender Tiefe immer älteres Eis. Wenn die Schneefallmengen groß genug sind und einen deutlichen Jahresgang haben (wie in Grönland, wo durch den Schneefall jährlich eine 20 Zentimeter dicke neue Eisschicht entsteht), kann man sogar einzelne Jahresschichten erkennen. Denn in der Saison mit wenig Schneefall lagert sich Staub auf dem Eisschild ab, und es entsteht eine dunklere Schicht, während in der schneereichen Jahreszeit eine hellere Lage entsteht. Diese Jahresschichten kann man abzählen – dies ist die genaueste Datierungsmethode für das Eis.[5] In Grönland reicht das Eis ca. 120.000 Jahre in die Vergangenheit zurück. In der Antarktis, wo das Klima trockener und damit die Schneefallrate gering ist, hat das Europäische EPICA-Projekt im Jahr 2003 sogar über 800.000 Jahre altes Eis geborgen.[6]
An dem Eis kann man eine Vielzahl von Parametern messen. Einer der wichtigsten ist der Gehalt an Sauerstoff-Isotop 18. Bei vielen physikalischen, chemischen oder biologischen Prozessen findet eine so genannte Fraktionierung statt: Sie laufen für verschiedene Isotope unterschiedlich schnell ab. So verdunsten Wassermoleküle mit dem «normalen» Sauerstoff-16 schneller als die etwas schwereren mit Sauerstoff-18. Die Fraktionierung ist dabei abhängig von der Temperatur. Dies gilt auch für die Fraktionierung bei der Bildung von Schneekristallen – deshalb hängt der Gehalt an Sauerstoff-18 im Schnee von der Temperatur ab. Nach einer geeigneten Eichung kann man den Sauerstoff-18-Gehalt im Eisbohrkern als ein annäherndes Maß (als so genanntes Proxy) für die Temperatur zur Zeit der Entstehung des Schnees nehmen.
Andere wichtige Größen, die im Eis gemessen werden können, sind der Staubgehalt und die Zusammensetzung der in kleinen Bläschen im Eis eingeschlossenen Luft – so verfügt man sogar über Proben der damaligen Atmosphäre. Man kann daran den früheren Gehalt an Kohlendioxid, Methan und anderen Gasen bestimmen. Zu Recht berühmt ist der in den achtziger und neunziger Jahren in der Antarktis gebohrte französisch-russische Wostok-Eiskern,[7] mit dem erstmals eine genaue Geschichte des Temperaturverlaufs und der atmosphärischen CO2-Konzentration der letzten 420.000 Jahre gewonnen wurde (Abb. 1.1).
Abb. 1.1: Verlauf der Temperatur in der Antarktis (graue Kurve, Änderung relativ zu heute) und der CO2-Konzentration der Atmosphäre (schwarze Kurve) über die abgelaufenen 350.000 Jahre aus dem Wostok-Eiskern.7 Man erkennt drei Eiszeitzyklen. Am Ende ist der vom Menschen verursachte Anstieg des CO2 gezeigt.
Aus den verschiedenen Klimaarchiven werden mit einer Vielzahl von Verfahren ganz unterschiedliche Proxy-Daten gewonnen. Manche davon geben Auskunft über die Eismenge auf der Erde, über den Salzgehalt der Meere oder über Niederschlagsmengen. Diese Proxy-Daten haben unterschiedliche Stärken und Schwächen – so ist etwa bei Tiefseesedimenten die zeitliche Auflösung in der Regel deutlich geringer als bei Eiskernen, dafür reichen die Daten aber viel weiter zurück, bis zu Hunderten von Millionen Jahren. Bei vielen Proxies gibt es noch Probleme mit der genauen Datierung und Unsicherheiten in der Interpretation. Aus einer einzelnen Datenreihe sollten daher nicht zu weit reichende Schlüsse gezogen werden; erst wenn Ergebnisse durch mehrere unabhängige Datensätze und Verfahren bestätigt wurden, können sie als belastbar gelten. In ihrer Gesamtheit betrachtet liefern Proxy-Daten heute jedoch bereits ein erstaunlich gutes und detailliertes Bild der Klimageschichte.
Was bestimmt das Klima?
Unser Klima ist im globalen Mittel das Ergebnis einer einfachen Energiebilanz: Die von der Erde ins All abgestrahlte Wärmestrahlung muss die absorbierte Sonnenstrahlung im Mittel ausgleichen. Wenn dies nicht der Fall ist, ändert sich das Klima. Würde etwa mehr absorbiert als abgestrahlt, würde das Klima immer wärmer, so lange, bis die dadurch zunehmende Wärmestrahlung die ankommende Strahlung wieder ausgleicht und sich ein neues Gleichgewicht einstellt. Es gilt also ein einfacher Erhaltungssatz der Energie: Die auf der Erde ankommende Sonnenstrahlung abzüglich des reflektierten Anteils ist gleich der von der Erde abgestrahlten Wärmestrahlung. (Die durch Pflanzen zur Photosynthese «abgezweigte» Energie, der Wärmefluss aus dem Erdinnern und die vom Menschen freigesetzte Verbrennungswärme sind hier vernachlässigbar.) Ozean und Atmosphäre verteilen die Wärme innerhalb des Klimasystems und spielen für das regionale Klima eine wichtige Rolle.
Klimaänderungen sind die Folge von Änderungen in dieser Energiebilanz. Dafür gibt es drei grundsätzliche Möglichkeiten. Erstens kann die ankommende Sonnenstrahlung durch Änderungen in der Umlaufbahn um die Sonne oder in der Sonne selbst...