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Der lebendige Gott und die Fülle des Lebens

Auch ein Beitrag zur gegenwärtigen Atheismusdebatte

AutorJürgen Moltmann
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783641141417
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Ein Leben, das Gott gefunden hat, ist erfülltes Leben
Modernes Leben ohne Gott ist reduziertes Leben. Jürgen Moltmann zeigt, welche Verheißung darin wohnt, sich dem lebendigen Gott anzuvertrauen. Sein Ausgangspunkt ist die biblische Erfahrung der unbedingten Nähe, der zuvorkommenden Liebe und der unerschöpflichen Lebendigkeit Gottes. Gott ist nicht unbeweglich, leidensunfähig und den Menschen fern.

Was es heißt, in dieser Nähe, Liebe und Lebendigkeit Gottes zu leben, darum geht es im Zweiten Teil. In der Freiheit und Freundschaft Gottes erwachsen die Liebe zum Leben, Wachheit der Sinne und Mut zum Denken und Handeln. Darin wird menschliches Leben wahrhaftig und wirklich gelebt.

Jürgen Moltmann hat ein kluges, zu-gleich weises und sehr persönliches Buch geschrieben. Es versammelt Erfahrungen aus einem langen Leben und Einsichten in die Begrenzungen und Möglichkeiten unseres Daseins.

  • Was es bewirkt, mit Gott zu leben
  • Eine theologische Ermutigung zum diesseitigen Leben


Dr. Jürgen Moltmann (1926-2024), studierte Theologie während der Kriegsgefangenschaft in England und nach seiner Rückkehr nach Deutschland in Göttingen. Von 1953 bis 1958 war er Pfarrer und Studentenpfarrer in Bremen, von 1958 bis 1964 Professor an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal. Von Bonn, wo er von 1964 bis 1967 lebte, kam er 1967 nach Tübingen, wo er bis zu seiner Emeritierung 1994 lehrte. Seitdem hat er international zahlreiche Gastprofessuren und Vortragsreisen wahrgenommen. Seine besondere Liebe gilt Nicaragua und Korea. Jürgen Moltmann erhielt zahlreiche Preise und 19 Ehrendoktorate.

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Leseprobe

Einleitung


Das reduzierte Leben der modernen Welt


Die moderne Welt orientiert sich an humanistischen und naturalistischen Lebensbegriffen und erfährt ein reduziertes Leben. Der christliche Glaube orientiert sich an dem »lebendigen« Gott und erfährt die Fülle des Lebens. Aber:

 

Was ist Leben?

Was ist erfülltes Leben?

Was ist ewiges Leben?

Die moderne Welt ist nicht aus Religion, sondern aus Religionskritik hervorgegangen. In jeder Religionskritik wird nicht nur etwas gewonnen, sondern es geht auch etwas verloren. Gewonnen wurde in der abendländischen Religionskritik die Aufwertung des diesseitigen Lebens, verloren gingen die transzendenten Räume dieses Lebens. In jeder Religionskritik bleibt jedoch die kritisierte Religion als Negativbild erhalten. Wir wollen das an den verschiedenen modernen Welten darstellen. Wir schildern dann den religiös »genügsamen« Humanisten, den Gotthold Ephraim Lessing als den aufgeklärten Zeitgenossen der modernen Welt vorstellte, und den atheistisch »reduzierten« Menschen Ludwig Feuerbachs sowie den daran anschließenden naturalistischen und ökonomischen Reduktionalismus, um demgegenüber den Reichtum eines jetzt und hier gelebten Lebens in Gott herauszustellen.

1. Verschiedene moderne Welten


Die moderne Welt ist keine einheitliche Größe, weil ihre Ursprünge in Frankreich und den katholischen Ländern Europas, in den angelsächsischen Ländern und in Deutschland sowie den skandinavischen Ländern sehr verschieden sind. Es ist oberflächlich und nivellierend, wenn man von »the secular world« oder von einer allgemeinen »Säkularisierung« des Religiösen in der modernen Welt spricht. Das Wort ›Säkularisierung‹ bezeichnet ursprünglich die Verstaatlichung von Kirchengütern. Die aber hat es in England, in den USA und in den skandinavischen Ländern nie gegeben. Von der Religion her gesehen, unterscheide ich darum zwischen der »laizistischen Moderne«, der »freikirchlichen Moderne« und der »säkularisierten Moderne«.

a. Die laizistische Moderne


Aus der französischen Revolution ist die laizistische Moderne hervorgegangen.1 Ihr Negativbild war die feudal-klerikale Dominanz der römisch-katholischen Kirche in Politik und Öffentlichkeit Frankreichs. Die Kardinäle Richelieu und Mazzarin schufen den französischen Absolutismus. Nach der Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes 1685 wurden die evangelischen Hugenotten vertrieben und der katholische Einheitsstaat etabliert: »Une foi – un loi – un roi«.

Darum konnten die demokratischen Grundsätze der bürgerlichen Revolution »liberté – egalité – fraternité« nur durch antiklerikalen Laizismus durchgesetzt werden. Der Klerus der römisch-katholischen Kirche musste aus Politik und Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Theologie hat keinen Platz mehr zwischen den Wissenschaften an den staatlichen Universitäten. Es gibt keine Staatsreligion mehr. Damit wurde eine negative Religionsfreiheit erkämpft. Aber der Laizismus stabilisierte auch den Klerikalismus in der römisch-katholischen Kirche und übernahm den absolutistischen Zentralismus in Frankreich.

b. Die freikirchliche Moderne


Aus den angelsächsischen Revolutionen ist die freikirchliche Moderne entstanden.2 Ihr Negativbild war die Staatskirche Heinrichs VIII. in England. Aber es war hier nicht die Kirche, die den Staat dominierte, sondern der Staat, der der Kirche ihren Glauben vorschrieb. Dagegen erhob sich der freikirchliche Widerstand der »dissenters«, der Quäker und Baptisten. Sie wurden unterdrückt und wanderten in die neuenglischen Kolonien nach Amerika aus, um ihren Glauben ohne staatliche Bevormundung leben zu können.3 Dafür war die Devise »soul liberty« von Roger Williams in »the first Baptist Church in America« in Providence, Rhode Island, ab 1638 maßgeblich. Der Staat muss sich aus den Kirchen heraushalten, weil er von Religion nichts versteht. Er muss auf eine Staatsreligion verzichten, um als »covenant« der freien Bürger das Gemeinwesen nach der constitution und den in der Unabhängigkeitserklärung 1776 festgelegten Menschenrechten zu regeln. Die These: »Es gibt keine Staatskirche« wurde hier nicht laizistisch, sondern freikirchlich begründet. Die moderne, protestantische Welt ist nicht durch negative, sondern durch positive Religionsfreiheit geprägt. Die Theologie wurde nicht aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft vertrieben. Die Divinity Schools wurden vielmehr zu Keimzellen staats-unabhängiger, privater Universitäten. Es kam jedoch in der politischen Ideologie der USA immer wieder zu Ansätzen einer Civil Religion, weil die Gründung der USA von Anfang an mit der messianischen Vision einer »neuen Weltordnung« verbunden war: »novus ordo seclorum« steht auf jeder Ein-Dollar-Note.

c. Die säkularisierte Moderne


In den deutschen Ländern kam es 1803 infolge der französischen Revolution und der napoleonischen Neuordnung zur juristischen »Säkularisierung«, d. h. zur Verstaatlichung der Kirchengüter. Seitdem leben wir in Deutschland in der säkularisierten Moderne. Sie war auch eine humanistische Antwort der Aufklärung auf die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges, den man als Religionskrieg verstand. Der westfälische Friede 1648 gewährte den Frieden in den deutschen Ländern nach der Regel »cujus regio ejus religio« und fügte nur das »jus emigrandi« hinzu. Die deutschen Staaten wurden als kleine Einheiten regiert: ein Landesfürst, eine Landesreligion, eine Landesuniversität, ein Landesgesetz und oft auch eine Landeswährung. Die protestantischen Kirchen waren Staatskirchen, aber keine Kirchenstaaten wie die römisch-katholische Kirche. Darum hat sie die moderne Säkularisierung nur wenig berührt. »Säkularisierung« scheint ein vorzugsweise katholisches Problem zu sein. »Säkularisierung« setzt den Unterschied von Kirche und Staat voraus. Darum hat es sie bei den skandinavischen Staatskirchen nicht gegeben. Der Staat hatte die Kirchengüter schon in der Reformationszeit übernommen. Als der württembergische König 1815 zu dem evangelischen Württemberg das katholische Oberschwaben hinzu gewann, richtete er neben der evangelisch-theologischen Fakultät eine katholisch-theologische Fakultät an seiner Landesuniversität Tübingen ein, um für den Religionsstand seiner Untertanen gerecht zu sorgen. Heute hat die baden-württembergische Landesregierung neben den beiden christlich-theologischen Fakultäten in Tübingen ein islamisch-theologisches Institut eingerichtet, um dem neuen Religionsstand einer religiös pluralen Bevölkerung zu entsprechen. Das ist eine moderne Form der alten Staatsreligion in Gestalt der institutionellen Religionsfreiheit als Freiheit der Religionsgemeinschaften. Zwar gibt es seit der Weimarer Reichsverfassung Art. 137 in Deutschland »keine Staatskirche« mehr, aber die Privilegien der traditionellen christlichen Kirchen sind erhalten geblieben und in Staats-Kirchen-Verträgen und Konkordaten festgelegt. Darum gibt es in Deutschland theologische Fakultäten an Staatsuniversitäten. Der katholische Laizismus hat in Deutschland so wenig Fuß gefasst wie das angelsächsische Freikirchentum.

Die säkularisierte Moderne ist der deutsche Beitrag zur modernen Welt. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verbürgt Religionsfreiheit  – sowohl individuell wie institutionell – »in Verantwortung vor Gott«, wie es in der Präambel heißt. Das klingt zwar paradox, ist es aber nicht. Es ist die religiöse Garantie der Religionsfreiheit, positiv oder negativ.

Im Zuge der europäischen Integration macht sich heute auch in Deutschland die laizistische Moderne des Katholizismus bemerkbar und verdrängt die Kirchen und die Theologie aus dem öffentlichen Bewusstsein. Das macht die Lage in der Europäischen Union widersprüchlich: Die europäische Kulturpolitik wird vom französischen Laizismus dominiert, während in Osteuropa nach dem Verschwinden des Sowjetatheismus die ausgelagerten theologischen Fakultäten in die Universitäten zurückgekehrt sind und sich das deutsche Modell der Moderne durchsetzt.

Der Begriff »Säkularisierung« wurde im Laufe der Diskussion nicht nur für die juristische Umwandlung der Kirchengüter in staatliches Eigentum verwendet, sondern bezeichnete mehr und mehr auch die allgemeine moderne »Verweltlichung« des Religiösen.4 Diese Umwandlung von der Kirche in den Staat, vom Religiösen in das Weltliche, von der Transzendenz in die Immanenz bewirkt, dass die säkulare Welt, und nicht nur der säkulare Staat, wie Wolfgang Bockenförde sagte, von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht geschaffen hat. Das Religiöse steckt als das Umgewandelte immer noch in der säkularen Welt. Das ist in den säkularen Ideologien, die als »Religionsersatz« entwickelt wurden, auch gut erkennbar. Der Fortschrittsglaube und das Streben nach Herrschaft über die Natur verraten ihre religiöse Herkunft. Der Umwandlungsprozess der Verweltlichung erklärt jedoch die Religion zur Vergangenheit und die Weltlichkeit zur Zukunft. Damit wird er unumkehrbar und kann durch christliche Programme zur »Entweltlichung«, wie sie Papst Benedikt XVI. gefordert hat, kaum aufgehalten werden. Doch beschreiben weder der Begriff der »Verweltlichung« noch der Begriff der »Entweltlichung« die Wandlungen des Religiösen in der modernen Welt ausreichend.

2. Lessing und der religiös »genügsame« Humanist


Gotthold Ephraim Lessing5 nahm sich in seinem...

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