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Der liebestolle Beagle und die 45 Nachthemden

und andere haarsträubende Fälle aus meiner Tierverhaltenspraxis

AutorDr. med. vet. Ulrike Werner
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783864156434
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Frau Doktor, Sie sind unsere letzte Rettung! Wir haben schon alles versucht!' Diese Sätze kennt Ulrike Werner nur zu gut. Die Berliner Tierärztin hat sich auf Verhaltensmedizin und Tierverhaltenstherapie spezialisiert. Ihre Praxisräume sind immer dort, wo sie gebraucht wird: vor Ort. Wenn Hundebesitzer nicht mehr weiter wissen oder Haustierärzte um Hilfe bitten, kommt Ulrike Werner vorbei und findet dabei das eigentliche Problem: Weshalb nur wird der süße Welpe Knut in der Großstadt zum beißwütigen Bello? Warum will die Schäferhündin Blanca bei Sturm aus dem Fenster springen? Und weshalb knabbert Karlchen alles an und zerlegt die ganze Wohnung? 26 faszinierende Geschichten von Hundebesitzern und ihren 'Sorgenkindern' und wie sie mit der fachkundigen Hilfe von Dr. Werner wieder zueinanderfinden.

DR. MED. VET. ULRIKE WERNER lebt und arbeitet seit vielen Jahren als Tierärztin im Großraum Berlin. 2005 gründete sie die »Mobile Tier-verhaltenstherapeutische Praxis Berlin« und ist seitdem eine wichtige Anlaufstelle für viele Haustierärzte und Tierbesitzer. Dr. Ulrike Werner ist Autorin der Kolumne »Für ALLE Felle«, die regelmäßig im Tagesspiegel erscheint.

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Leseprobe

Karl­chen, ein ­grö­ßen­wahn­sin­ni­ger Zwerg


Ein Kol­le­ge aus Ber­lin-Wilm­ers­dorf rief mich ei­nes Mor­gens an. Es ging um ei­nen sei­ner Pa­ti­en­ten, der drin­gend mei­ne Hil­fe brauch­te. Die Be­hand­lungs­mög­lich­kei­ten in sei­ner Pra­xis sei­en im Fall von Karl­chen, dem Yorks­hire-Ter­ri­er-Zwerg­da­ckel-Mix von Hans P., aus­ge­schöpft. Viel­leicht käme ich da wei­ter, mit ei­nem Haus­be­such und mei­nem ver­hal­tens­the­ra­peu­ti­schen An­satz.

Er be­rich­te­te mir, dass Hans P., ein freund­li­cher, ziem­lich über­ge­wich­ti­ger äl­te­rer Herr, be­reits seit Jah­ren mit sei­nem Hund in die Pra­xis kom­me. Au­ßer re­gel­mä­ßi­gen Zahn­sa­nie­run­gen in Nar­ko­se habe es bis­lang kei­ne nen­nens­wer­ten Prob­le­me ge­ge­ben. Karl­chen stam­me aus dem Tier­heim, Hans P. habe ihn nach dem Tod sei­ner Frau zu sich ge­holt. Ei­gent­lich habe der Hund ein freund­li­ches We­sen, aber Hans P. be­kla­ge sich in letz­ter Zeit im­mer öf­ter da­rü­ber, dass Karl­chen in der Woh­nung ran­da­lie­re, selbst wenn er ihn dort nur kurz al­lei­ne lie­ße.

Mit sei­nen zar­ten sechs Ki­lo­gramm Kör­per­mas­se habe es die­ser Zwerg ge­schafft, zwei So­fas und eine Mat­rat­ze aus­ei­nan­der­zu­neh­men, Vor­hän­ge he­run­ter­zu­rei­ßen, Tep­pi­che an­zu­knab­bern so­wie eine alte Ak­ten­ta­sche und di­ver­se Kabel zu zer­bei­ßen. Ach ja, und er habe im­mer wie­der schlei­mi­gen Dick­darm­durch­fall, der ein­fach nicht in den Griff zu be­kom­men sei. Wohl ein Fall für den See­len­klemp­ner, wie mich mein Kol­le­ge gern scherz­haft nennt. Hans P. wür­de sich bei mir mel­den.

Tags da­rauf rief die­ser an. Ich sei sei­ne letz­te Ret­tung. Na­tür­lich, das bin ich im­mer. Er schil­der­te mir die Zer­stö­rungs­wut sei­nes Hun­des, und al­les hör­te sich noch deut­lich schlim­mer an als von mei­nem Kol­le­gen be­schrie­ben. Wir ver­ein­bar­ten ei­nen Ter­min für die da­rauf­fol­gen­de Wo­che. Den ver­hal­tens­the­ra­peu­ti­schen Fra­ge­bo­gen konn­te er nicht von mei­ner Home­pa­ge he­run­ter­la­den, denn er hat­te kein In­ter­net – so et­was Neu­mo­di­sches käme ihm nicht ins Haus!

Kein Pro­blem. Für sol­che Fäl­le gab es im­mer noch die Post.

Ich be­rei­te­te mich gründ­lich vor. Die Ver­dachts­di­ag­no­se lau­te­te: »Se­pa­ra­ti­ons­pho­bie; Typ: Zer­stö­ren«, also Tren­nung­sangst. Mal se­hen, was die Vor-Ort-Anam­ne­se ans Licht brin­gen wür­de.

Hans P. brauch­te viel Zeit, ehe er mir die Tür öff­ne­te. Ge­schätz­te 140 Ki­lo­gramm be­we­gen sich lang­sam. Karl­chen hin­ge­gen war sehr schnell. Ver­dammt schnell: Er zwäng­te sich durch die Tür, stell­te sich vor mich hin, grumm­elte ein­mal kurz, hob das Bein, pin­kel­te mich an, scharr­te wild mit den Hin­ter­bein­chen auf dem Tep­pich im Flur, wetz­te zu­rück, hol­te ei­nen gro­ßen Kunst­stoff­kno­chen, der etwa drei­mal so groß wie er selbst zu sein schien, und prä­sen­tier­te sei­ne Beu­te.

Was für ein Kerl, dach­te ich! Wow! Ein grö­ßen­wahn­sin­niger Zwerg! Hans P. hat­te das Harnmar­kie­ren sei­nes schnel­len Hünd­chens an mei­nem Ho­sen­bein nicht be­merkt, lä­chel­te mich an und sag­te: »Er freut sich im­mer so über Be­such!« Wir setz­ten uns ins Wohn­zim­mer und be­gan­nen mit der Anam­ne­se.

Sei­ne Woh­nung bot ein Bild der Zer­stö­rung. Kaum ein Mö­bel­stück, das nicht an­ge­knab­bert oder an­ders­wie be­schä­digt war: die Sitz­ge­le­gen­hei­ten, alle Stuhl- und Tisch­bei­ne, die Vor­hän­ge, die Bett­de­cken bis hin zu den Tisch­de­cken. Aber Hans P. war des­halb nicht böse auf Karl­chen. Er war eher be­sorgt um sei­nen klei­nen Prin­zen. Was hat­te er bloß, der Klei­ne?

Für die Anam­ne­se hat­te ich zwei­ein­halb Stun­den ein­ge­plant. Sie ver­lie­fen je­doch völ­lig an­ders als er­war­tet. Karl­chen kratz­te an der Ter­ras­sen­tür. So­fort be­weg­te sich Hans P. dort­hin und ließ Karl­chen hi­naus in den Gar­ten. Nur we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter flitzte Karl­chen zu­rück in die Kü­che und schnapp­te sich sei­nen Blech­fut­ter­napf. Hans P. mar­schier­te hin­ter­her und füll­te den Napf mit Fleisch­wurst.

Kaum war das Fres­sen er­le­digt, be­gab sich Karl­chen zum an­ge­knab­ber­ten Sofa und bell­te auf­for­dernd. Wo­rauf sich Hans P. aus dem Ses­sel er­hob, zum Sofa hi­nü­ber­ging und dort den Klei­nen aufs So­fa­kis­sen hob. Dort thron­te Karl­chen dann – für die nächs­ten 15 Mi­nu­ten. Dann sprang er wie­der he­run­ter, hol­te sei­nen Stoff­ha­sen und ver­such­te, ihn Hans P. auf den Schoß zu le­gen. Die­ser mach­te be­reit­wil­lig mit.

Als Karl­chen kurz da­rauf kei­ne Lust mehr zum Spie­len hat­te, schnapp­te er mal kurz nach Hans P. – und trug dann sei­nen Stoff­ha­sen zu­rück ins Körb­chen. Was wür­de Karl­chen wohl als Nächs­tes ein­fal­len? Nun be­gann er wie­der an der Ter­ras­sen­tür zu krat­zen, und das Spiel ging von vor­ne los. Hans P. öff­ne­te ihm die Tür, ging dann in Rich­tung Kü­che, um sich ein Glas Was­ser zu ho­len. Doch Karl­chen fand den Gar­ten nun nicht mehr so in­te­res­sant. Lie­ber lief er sei­nem Herr­chen un­ent­wegt vor den Fü­ßen hin und her, so­dass die­ser dau­ernd aus­wei­chen muss­te.

In­zwi­schen war etwa eine Stun­de ver­gan­gen. Um Punkt 13 Uhr lief Karl­chen zur Woh­nungs­tür. Hans P. stand auf und zog sei­ne Ja­cke an: »Ent­schul­di­gung, dass wir un­ter­bre­chen müs­sen, aber jetzt ist Karl­chens Zeit. Ge­nau um 13 Uhr muss er kurz raus. Wir sind aber in zehn Mi­nu­ten wie­der da.«

Da saß ich nun al­lein in die­ser Woh­nung und muss­te un­will­kür­lich schmun­zeln. Karl­chen, ein Bon­sai-Ter­mina­tor! Tren­nung­sangst hat­te die­ses klei­ne Schätz­chen nun wirk­lich nicht, aber da­für ei­nen mas­si­ven Kon­troll-Kom­plex-Zwang. Bei so et­was wür­de ich auch stress­be­ding­ten Dick­darm­durch­fall be­kom­men!

Hans P. kam schwit­zend zu­rück, ent­schul­dig­te sich noch­mals für die Un­ter­bre­chung und setz­te den Klei­nen wie­der aufs So­fa­kis­sen. »Was kann ich denn nur mit mei­nem Karl­chen ma­chen? Ich bin et­was rat­los, wie …« Er un­ter­brach sich, als das Te­le­fon zu klin­geln be­gann.

»Oh, jetzt wird es schwie­rig!«, mein­te er und be­weg­te sich eher zö­ger­lich auf das Te­le­fon zu, das auf sei­nem Schreib­tisch stand. Has­tig zog er dort sei­ne Pan­tof­feln aus und schlüpf­te schnell in Holz­pan­ti­nen, die dort schon be­reit stan­den. Zeit­gleich sprang Karl­chen vom So­fa­kis­sen hi­nun­ter und ver­such­te wü­tend, von vorn in die Holz­schu­he zu bei­ßen. Er tob­te re­gel­recht. Ich war be­ein­druckt.

Hans P. be­grüß­te sei­ne Schwes­ter am an­de­ren Ap­pa­rat. Als er nach ei­nem kur­zen Ge­spräch den Hö­rer wie­der auf­leg­te, war Karl­chens Wut­aus­bruch au­gen­blick­lich vor­bei. Der Hund schüt­tel­te sich und »be­glei­te­te« Hans P., der nun wie­der sei­ne Pan­tof­feln trug, zum Tisch ­zu­rück.

Die­ser Haus­be­such hat­te so viel Un­ter­hal­tungs­wert, dass ich rich­tig Spaß be­kam, ihn voll aus­zu­kos­ten. Ich schick­te Hans P. nach drau­ßen, ohne Karl­chen.

»Nun tun Sie mal kurz so, als ob Sie ein­kau­fen ge­hen woll­ten. Blei­ben Sie drau­ßen in Sicht­wei­te. Und ich sehe mir hier drin­nen an, was der Hund in Ih­rer Ab­we­sen­heit so al­les an­stellt.«

Hans P. war we­nig be­geis­tert von mei­nem Plan. Es fiel ihm schwer, Karl­chen al­lein zu las­sen.

Ich ver­such­te, die an­ge­spann­te Si­tu­a­ti­on ein we­nig zu ent­schär­fen: »Wenn Sie jetzt nicht ge­hen, habe ich ja gar kei­ne Ge­le­gen­heit, Ihre Kre­dit­kar­ten und Ähn­li­ches zu klau­en!«

Da­mit hat­te ich ihn; er lach­te und zog nun doch da­von.

Mit ei­nem lau­ten ›Klack‹ fiel die Woh­nungs­tür ins Schloss. Hans P. be­fand sich nicht mehr in Karl­chens Kon­troll­be­reich und es trat ein, was ich ge­ahnt hat­te: Karl­chen tob­te. Er knurr­te, sprang an die Woh­nungs­tür, biss in die Fuß­leis­ten, rann­te knur­rend zum Fens­ter, sprang auf die So­fa­leh­ne, biss ins Kis­sen, sprang wie­der hi­nun­ter. Er rann­te in die Kü­che, schlepp­te den Fut­ter­napf durch den Flur, knurr­te den Napf an, riss die Ta­ges­de­cke vom Bett, knurr­te den Klei­der­schrank an und biss zu ­gu­ter Letzt in die hol­län­di­schen Pan­ti­nen.

Ich ging zum Fens­ter und rief Hans P. zu, doch wie­der in die Woh­nung zu kom­men. Ich such­te nach Wor­ten und be­gann zu er­klä­ren, was mir auf­ge­fal­len war. Es wür­de schwie­rig wer­den für Hans P., das war mir klar. Ich be­gann da­mit, dass ich ihm ge­nau be­schrieb, wie ich sei­nen Hund er­lebt hat­te.

»Also, ganz ein­deu­tig: Karl­chen hat­te kei­ne Angst, al­lei­ne zu blei­ben. Ein Hund, der gro­ße Angst hat, wür­de he­cheln, hät­te ver­grö­ßer­te Pu­pil­len, wür­de stark zit­tern und sei­ne Rute ein­klem­men. Win­seln oder Wei­nen wäre auch ty­pisch für solch eine Angst­symptomatik. Aber ich habe nichts der­glei­chen bei Karl­chen...

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